Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 117. Augsburg, 26. April 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Deutschland.

Se. Durchl. der regierende Herzog von Nassau ist diesen Morgen hier angekommen. - Ein heute erschienenes Regierungsblatt bringt eine allerhöchste Verordnung, die Ablösung des Handlohns und anderer gutsherrlichen Gefälle des Staats betreffend. - Das Ritterfest des St. Georgenordens wurde heute auf herkömmliche feierliche Weise begangen. Nach geendetem Ordenscapitel verfügten sich im Ordenscostume die Ritter, Comthure, Großcomthure, dann II. kk. HH. die Großpriore und Se. Maj. der König selbst als Großmeister im feierlichen Zuge zum Gottesdienst in die alte Hofcapelle. Ein Ritterschlag fand dießmal nicht statt. Mittags war Rittermahl und Abends ist Hofakademie im Herculessaal.

Preußen.

Der Sturz des belgischen Ministeriums und die lange Krise, welche es zur Folge gehabt, erregt fortwährend bei uns die größte Theilnahme. Das Cabinet des Hrn. de Theux konnte bei unserm Gouvernement unmöglich sehr beliebt seyn, da es zu eng mit der Partei in Verbindung stand, welche in den letzten Jahren aus ihrer, wenn nicht directen, doch moralischen Einwirkung auf die Rheinlande kein Hehl machte. Hr. de Theux war es, welcher, bewußt oder unbewußt, den preußischen Gesandten zur Visirung des Passes vermochte, durch welchen es Hrn. Laurent, ohne daß der Bevollmächtigte es ahnte, daß es dem Bischof und apostolischen Vicar gelte, gelang, nach Aachen zu kommen und die Regierung in Verlegenheit zu setzen. Nichtsdestoweniger glauben wir, daß man unsererseits lieber noch die katholische Partei am Regiment gesehen hätte, als die liberale, von welcher man nie weiß, wohin ihre Bestrebungen sich erstrecken dürften. Das Zusammentreffen ihres Siegs mit dem Wiedereintritt des Hrn. Thiers in die Geschäfte zu Paris wird schwerlich gern gesehen. Und doch scheint es, als ob man noch immer Belgien in Deutschland, selbst in seiner größten Nähe, falsch beurtheile. Der Liberalismus nähert sich dort weniger als in irgend einem andern Lande dem Demokratismus, und der letztere findet höchstens da Anklang, wo etwa augenblicklich die Arbeiter nicht genügende Beschäftigung haben. Die liberale Partei nähert sich im Gegentheil mehr der deutschen Gesinnung, und wendet sich durch ihre Repräsentanten von den französischen Einflüssen ab. Sie würde dieß, wenn sie ans Ruder kommt, noch entschiedener thun, wenn nicht Flandern, das durch seine Gewerbthätigkeit eine so bedeutende Stimme hat, durch seinen Linnenhandel zu sehr auf Frankreich hingewiesen wäre. Männer, wie Rogier, der sich als vortrefflichen Administrator bewährt hat, Lebeau, der wahrhaft das Wohl seines Landes will, und dieß nur in einer Anlehnung an Deutschland sieht, können leicht das Cabinet de Theux vergessen machen. Zu bedauern ist nur der Abgang Rothombs, besonders für die Sache der rheinischen Eisenbahn. Die belgische Centralsection hat sich nach einer langen Discussion, in welcher Hr. Hansemann persönlich erschienen war, und die Nichtigkeit der gemachten Einwendungen siegreich an den Tag gelegt hatte, für die Annahme ausgesprochen, und ihre Ansicht wird von der großen Majorität der Kammer getheilt. Die falschen Ansichten, die man bisher besonders in Lüttich und Verviers aufgestellt, sind endlich gewichen, und der Haupteinwand, daß es unrecht sey, Actien pari zu übernehmen, die 20 Proc. unter dem Curse stehen, ist dadurch in sich selbst zerfallen, daß die Actien schon jetzt auf Pari gekommen sind, und daß, wäre die belgische Regierung gezwungen, deren für eine irgend bedeutende Summe zu kaufen, sie bald ein hohes Agio erreichen würden. Zu dieser Steigerung, die nicht bloß eine künstliche ist, hat hauptsächlich der Umstand mit beigetragen, daß der Entschluß der preußischen Regierung, die Bahn von Berlin bis nach dem Rhein auf eigene Kosten fortzusetzen, jetzt fest steht, wodurch aber unfehlbar die rheinische Bahn eine solche werden wird, die sich am besten rentiren muß. - Von dem Hrn. Bischof Laurent erfährt man, daß er vor der Hand noch nicht gesonnen ist, nach Deutschland zu gehen. Die Erlaubniß zu einer solchen Reise ist allerdings da, aber sie unterliegt dennoch mehrern Beschränkungen; er darf sich namentlich überall nur sehr kurze Zeit aufhalten, und muß jedesmal, wenn er seinen Aufenthalt verlängern will, die Autorisation bei den Localbehörden einholen.

Schweden.

Hier rückt nichts vor, und man kann eher sagen, die Sachen gehen rückwärts, wenigstens verwirren sie sich von Tag zu Tag mehr. Kaum ist es mehr zu verkennen, daß auswärtige Minister bei den hiesigen Angelegenheiten die Hand mit im Spiele haben, und die Sache unheilbar machen. Man nennt das gegenwärtige Ministerium, ob mit, ob ohne Grund, will ich nicht untersuchen, das englische, während Rußland die alte Partei des Hofadels und der Beamten unterstützt. Wenn es wahr ist, daß Graf Posse unter Vorschub des englischen Gesandten ins Ministerium gelangte, so hat dieser in der That dem Grafen selbst, dem König und dem Lande einen schlechten Dienst erwiesen, denn Graf Posse steht zwischen zwei kämpfenden Parteien mitten inne; wenn Graf Posse die Erwartungen nicht befriedigt, so fällt die Schuld auf den Hof, und die inneren Verbesserungen des Landes, die so nothwendig wären, bleiben liegen. Man thut dem größten Theil des Adels gewiß Unrecht, wenn man ihn russischer Gesinnungen beschuldigt, und doch bezeichnet man den antireformistischen Theil des Adels oft als die russische Partei und spricht vom Ritterhaus als vom polnischen Reichstag. Die instinctive Abneigung, die manche der frühern und jetzigen Mitglieder der russischen Gesandtschaft gegen das politische Emporkommen des Bauernstandes aussprechen, ist durch gesellschaftliche und politische Gründe allzugut motivirt, um nicht bei den entschiedenen Gegnern des Bauernstandes eine gewisse Hinneigung zu Rußland zu erzeugen, während der liberalere Theil des Adels sich zu England hinneigt. So scheiden sich die Parteien unseligerweise auch in ihren politischen Allianzen, und die Kluft wird mit jedem Tage mehr erweitert. Am Hofe glaubt man mit Ernennung des Grafen Posse eine große Nachgiebigkeit gezeigt zu haben, aber die alte Hofpartei sieht sich, wie auch aus der Sprache ihrer Blätter hervorgeht, noch nicht für geschlagen an, und die Reformpartei fängt an die Geduld zu verlieren. Es ist nicht unmöglich, daß es schon über die Besoldungen der Minister, welche der Ausschuß bekanntlich ziemlich nieder angesetzt, und das Ritterhaus bereits wieder an den Ausschuß zurück verwiesen hat, zu einem ziemlich offenen Bruche kommt, denn die Berathungen des Bauern- und Bürgerstandes lassen über die gegentheiligen Gesinnungen keinen Zweifel übrig.

Rußland.

Die letzten Nachrichten aus Odessa bringen wenig Erhebliches. Man bemerkte keine besondern Bewegungen unter den Truppen; vielmehr schien Alles die seit einigen Monaten herrschende Ruhe behaupten zu wollen. In der Quarantäne von Odessa befand sich Hr. Sauveux de la Chapelle, der von Konstantinopel angekommen war. Hr. Sauveux, französischer Generalconsul zu Tiflis, wird sich nur kurze

Deutschland.

Se. Durchl. der regierende Herzog von Nassau ist diesen Morgen hier angekommen. – Ein heute erschienenes Regierungsblatt bringt eine allerhöchste Verordnung, die Ablösung des Handlohns und anderer gutsherrlichen Gefälle des Staats betreffend. – Das Ritterfest des St. Georgenordens wurde heute auf herkömmliche feierliche Weise begangen. Nach geendetem Ordenscapitel verfügten sich im Ordenscostume die Ritter, Comthure, Großcomthure, dann II. kk. HH. die Großpriore und Se. Maj. der König selbst als Großmeister im feierlichen Zuge zum Gottesdienst in die alte Hofcapelle. Ein Ritterschlag fand dießmal nicht statt. Mittags war Rittermahl und Abends ist Hofakademie im Herculessaal.

Preußen.

Der Sturz des belgischen Ministeriums und die lange Krise, welche es zur Folge gehabt, erregt fortwährend bei uns die größte Theilnahme. Das Cabinet des Hrn. de Theux konnte bei unserm Gouvernement unmöglich sehr beliebt seyn, da es zu eng mit der Partei in Verbindung stand, welche in den letzten Jahren aus ihrer, wenn nicht directen, doch moralischen Einwirkung auf die Rheinlande kein Hehl machte. Hr. de Theux war es, welcher, bewußt oder unbewußt, den preußischen Gesandten zur Visirung des Passes vermochte, durch welchen es Hrn. Laurent, ohne daß der Bevollmächtigte es ahnte, daß es dem Bischof und apostolischen Vicar gelte, gelang, nach Aachen zu kommen und die Regierung in Verlegenheit zu setzen. Nichtsdestoweniger glauben wir, daß man unsererseits lieber noch die katholische Partei am Regiment gesehen hätte, als die liberale, von welcher man nie weiß, wohin ihre Bestrebungen sich erstrecken dürften. Das Zusammentreffen ihres Siegs mit dem Wiedereintritt des Hrn. Thiers in die Geschäfte zu Paris wird schwerlich gern gesehen. Und doch scheint es, als ob man noch immer Belgien in Deutschland, selbst in seiner größten Nähe, falsch beurtheile. Der Liberalismus nähert sich dort weniger als in irgend einem andern Lande dem Demokratismus, und der letztere findet höchstens da Anklang, wo etwa augenblicklich die Arbeiter nicht genügende Beschäftigung haben. Die liberale Partei nähert sich im Gegentheil mehr der deutschen Gesinnung, und wendet sich durch ihre Repräsentanten von den französischen Einflüssen ab. Sie würde dieß, wenn sie ans Ruder kommt, noch entschiedener thun, wenn nicht Flandern, das durch seine Gewerbthätigkeit eine so bedeutende Stimme hat, durch seinen Linnenhandel zu sehr auf Frankreich hingewiesen wäre. Männer, wie Rogier, der sich als vortrefflichen Administrator bewährt hat, Lebeau, der wahrhaft das Wohl seines Landes will, und dieß nur in einer Anlehnung an Deutschland sieht, können leicht das Cabinet de Theux vergessen machen. Zu bedauern ist nur der Abgang Rothombs, besonders für die Sache der rheinischen Eisenbahn. Die belgische Centralsection hat sich nach einer langen Discussion, in welcher Hr. Hansemann persönlich erschienen war, und die Nichtigkeit der gemachten Einwendungen siegreich an den Tag gelegt hatte, für die Annahme ausgesprochen, und ihre Ansicht wird von der großen Majorität der Kammer getheilt. Die falschen Ansichten, die man bisher besonders in Lüttich und Verviers aufgestellt, sind endlich gewichen, und der Haupteinwand, daß es unrecht sey, Actien pari zu übernehmen, die 20 Proc. unter dem Curse stehen, ist dadurch in sich selbst zerfallen, daß die Actien schon jetzt auf Pari gekommen sind, und daß, wäre die belgische Regierung gezwungen, deren für eine irgend bedeutende Summe zu kaufen, sie bald ein hohes Agio erreichen würden. Zu dieser Steigerung, die nicht bloß eine künstliche ist, hat hauptsächlich der Umstand mit beigetragen, daß der Entschluß der preußischen Regierung, die Bahn von Berlin bis nach dem Rhein auf eigene Kosten fortzusetzen, jetzt fest steht, wodurch aber unfehlbar die rheinische Bahn eine solche werden wird, die sich am besten rentiren muß. – Von dem Hrn. Bischof Laurent erfährt man, daß er vor der Hand noch nicht gesonnen ist, nach Deutschland zu gehen. Die Erlaubniß zu einer solchen Reise ist allerdings da, aber sie unterliegt dennoch mehrern Beschränkungen; er darf sich namentlich überall nur sehr kurze Zeit aufhalten, und muß jedesmal, wenn er seinen Aufenthalt verlängern will, die Autorisation bei den Localbehörden einholen.

Schweden.

Hier rückt nichts vor, und man kann eher sagen, die Sachen gehen rückwärts, wenigstens verwirren sie sich von Tag zu Tag mehr. Kaum ist es mehr zu verkennen, daß auswärtige Minister bei den hiesigen Angelegenheiten die Hand mit im Spiele haben, und die Sache unheilbar machen. Man nennt das gegenwärtige Ministerium, ob mit, ob ohne Grund, will ich nicht untersuchen, das englische, während Rußland die alte Partei des Hofadels und der Beamten unterstützt. Wenn es wahr ist, daß Graf Posse unter Vorschub des englischen Gesandten ins Ministerium gelangte, so hat dieser in der That dem Grafen selbst, dem König und dem Lande einen schlechten Dienst erwiesen, denn Graf Posse steht zwischen zwei kämpfenden Parteien mitten inne; wenn Graf Posse die Erwartungen nicht befriedigt, so fällt die Schuld auf den Hof, und die inneren Verbesserungen des Landes, die so nothwendig wären, bleiben liegen. Man thut dem größten Theil des Adels gewiß Unrecht, wenn man ihn russischer Gesinnungen beschuldigt, und doch bezeichnet man den antireformistischen Theil des Adels oft als die russische Partei und spricht vom Ritterhaus als vom polnischen Reichstag. Die instinctive Abneigung, die manche der frühern und jetzigen Mitglieder der russischen Gesandtschaft gegen das politische Emporkommen des Bauernstandes aussprechen, ist durch gesellschaftliche und politische Gründe allzugut motivirt, um nicht bei den entschiedenen Gegnern des Bauernstandes eine gewisse Hinneigung zu Rußland zu erzeugen, während der liberalere Theil des Adels sich zu England hinneigt. So scheiden sich die Parteien unseligerweise auch in ihren politischen Allianzen, und die Kluft wird mit jedem Tage mehr erweitert. Am Hofe glaubt man mit Ernennung des Grafen Posse eine große Nachgiebigkeit gezeigt zu haben, aber die alte Hofpartei sieht sich, wie auch aus der Sprache ihrer Blätter hervorgeht, noch nicht für geschlagen an, und die Reformpartei fängt an die Geduld zu verlieren. Es ist nicht unmöglich, daß es schon über die Besoldungen der Minister, welche der Ausschuß bekanntlich ziemlich nieder angesetzt, und das Ritterhaus bereits wieder an den Ausschuß zurück verwiesen hat, zu einem ziemlich offenen Bruche kommt, denn die Berathungen des Bauern- und Bürgerstandes lassen über die gegentheiligen Gesinnungen keinen Zweifel übrig.

Rußland.

Die letzten Nachrichten aus Odessa bringen wenig Erhebliches. Man bemerkte keine besondern Bewegungen unter den Truppen; vielmehr schien Alles die seit einigen Monaten herrschende Ruhe behaupten zu wollen. In der Quarantäne von Odessa befand sich Hr. Sauveux de la Chapelle, der von Konstantinopel angekommen war. Hr. Sauveux, französischer Generalconsul zu Tiflis, wird sich nur kurze

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <pb facs="#f0005" n="0933"/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Deutschland.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">München,</hi> 24 April.</dateline>
          <p> Se. Durchl. der regierende Herzog von Nassau ist diesen Morgen hier angekommen. &#x2013; Ein heute erschienenes Regierungsblatt bringt eine allerhöchste Verordnung, die Ablösung des Handlohns und anderer gutsherrlichen Gefälle des Staats betreffend. &#x2013; Das Ritterfest des St. Georgenordens wurde heute auf herkömmliche feierliche Weise begangen. Nach geendetem Ordenscapitel verfügten sich im Ordenscostume die Ritter, Comthure, Großcomthure, dann II. kk. HH. die Großpriore und Se. Maj. der König selbst als Großmeister im feierlichen Zuge zum Gottesdienst in die alte Hofcapelle. Ein Ritterschlag fand dießmal nicht statt. Mittags war Rittermahl und Abends ist Hofakademie im Herculessaal.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Preußen.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Vom Niederrhein,</hi> 20 April.</dateline>
          <p> Der Sturz des belgischen Ministeriums und die lange Krise, welche es zur Folge gehabt, erregt fortwährend bei uns die größte Theilnahme. Das Cabinet des Hrn. de Theux konnte bei unserm Gouvernement unmöglich sehr beliebt seyn, da es zu eng mit der Partei in Verbindung stand, welche in den letzten Jahren aus ihrer, wenn nicht directen, doch moralischen Einwirkung auf die Rheinlande kein Hehl machte. Hr. de Theux war es, welcher, bewußt oder unbewußt, den preußischen Gesandten zur Visirung des Passes vermochte, durch welchen es Hrn. Laurent, ohne daß der Bevollmächtigte es ahnte, daß es dem Bischof und apostolischen Vicar gelte, gelang, nach Aachen zu kommen und die Regierung in Verlegenheit zu setzen. Nichtsdestoweniger glauben wir, daß man unsererseits lieber noch die katholische Partei am Regiment gesehen hätte, als die liberale, von welcher man nie weiß, wohin ihre Bestrebungen sich erstrecken dürften. Das Zusammentreffen ihres Siegs mit dem Wiedereintritt des Hrn. Thiers in die Geschäfte zu Paris wird schwerlich gern gesehen. Und doch scheint es, als ob man noch immer Belgien in Deutschland, selbst in seiner größten Nähe, falsch beurtheile. Der Liberalismus nähert sich dort weniger als in irgend einem andern Lande dem Demokratismus, und der letztere findet höchstens da Anklang, wo etwa augenblicklich die Arbeiter nicht genügende Beschäftigung haben. Die liberale Partei nähert sich im Gegentheil mehr der deutschen Gesinnung, und wendet sich durch ihre Repräsentanten von den französischen Einflüssen ab. Sie würde dieß, wenn sie ans Ruder kommt, noch entschiedener thun, wenn nicht Flandern, das durch seine Gewerbthätigkeit eine so bedeutende Stimme hat, durch seinen Linnenhandel zu sehr auf Frankreich hingewiesen wäre. Männer, wie Rogier, der sich als vortrefflichen Administrator bewährt hat, Lebeau, der wahrhaft das Wohl seines Landes will, und dieß nur in einer Anlehnung an Deutschland sieht, können leicht das Cabinet de Theux vergessen machen. Zu bedauern ist nur der Abgang Rothombs, besonders für die Sache der rheinischen Eisenbahn. Die belgische Centralsection hat sich nach einer langen Discussion, in welcher Hr. Hansemann persönlich erschienen war, und die Nichtigkeit der gemachten Einwendungen siegreich an den Tag gelegt hatte, für die Annahme ausgesprochen, und ihre Ansicht wird von der großen Majorität der Kammer getheilt. Die falschen Ansichten, die man bisher besonders in Lüttich und Verviers aufgestellt, sind endlich gewichen, und der Haupteinwand, daß es unrecht sey, Actien pari zu übernehmen, die 20 Proc. unter dem Curse stehen, ist dadurch in sich selbst zerfallen, daß die Actien schon jetzt auf Pari gekommen sind, und daß, wäre die belgische Regierung gezwungen, deren für eine irgend bedeutende Summe zu kaufen, sie bald ein hohes Agio erreichen würden. Zu dieser Steigerung, die nicht bloß eine künstliche ist, hat hauptsächlich der Umstand mit beigetragen, daß der Entschluß der preußischen Regierung, die Bahn von Berlin bis nach dem Rhein auf eigene Kosten fortzusetzen, jetzt fest steht, wodurch aber unfehlbar die rheinische Bahn eine solche werden wird, die sich am besten rentiren muß. &#x2013; Von dem Hrn. Bischof Laurent erfährt man, daß er vor der Hand noch nicht gesonnen ist, nach Deutschland zu gehen. Die Erlaubniß zu einer solchen Reise ist allerdings da, aber sie unterliegt dennoch mehrern Beschränkungen; er darf sich namentlich überall nur sehr kurze Zeit aufhalten, und muß jedesmal, wenn er seinen Aufenthalt verlängern will, die Autorisation bei den Localbehörden einholen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Schweden.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Stockholm,</hi> 10 April.</dateline>
          <p> Hier rückt nichts vor, und man kann eher sagen, die Sachen gehen rückwärts, wenigstens verwirren sie sich von Tag zu Tag mehr. Kaum ist es mehr zu verkennen, daß auswärtige Minister bei den hiesigen Angelegenheiten die Hand mit im Spiele haben, und die Sache unheilbar machen. Man nennt das gegenwärtige Ministerium, ob mit, ob ohne Grund, will ich nicht untersuchen, das englische, während Rußland die alte Partei des Hofadels und der Beamten unterstützt. Wenn es wahr ist, daß Graf Posse unter Vorschub des englischen Gesandten ins Ministerium gelangte, so hat dieser in der That dem Grafen selbst, dem König und dem Lande einen schlechten Dienst erwiesen, denn Graf Posse steht zwischen zwei kämpfenden Parteien mitten inne; wenn Graf Posse die Erwartungen nicht befriedigt, so fällt die Schuld auf den Hof, und die inneren Verbesserungen des Landes, die so nothwendig wären, bleiben liegen. Man thut dem größten Theil des Adels gewiß Unrecht, wenn man ihn russischer Gesinnungen beschuldigt, und doch bezeichnet man den antireformistischen Theil des Adels oft als die russische Partei und spricht vom Ritterhaus als vom polnischen Reichstag. Die instinctive Abneigung, die manche der frühern und jetzigen Mitglieder der russischen Gesandtschaft gegen das politische Emporkommen des Bauernstandes aussprechen, ist durch gesellschaftliche und politische Gründe allzugut motivirt, um nicht bei den entschiedenen Gegnern des Bauernstandes eine gewisse Hinneigung zu Rußland zu erzeugen, während der liberalere Theil des Adels sich zu England hinneigt. So scheiden sich die Parteien unseligerweise auch in ihren politischen Allianzen, und die Kluft wird mit jedem Tage mehr erweitert. Am Hofe glaubt man mit Ernennung des Grafen Posse eine große Nachgiebigkeit gezeigt zu haben, aber die alte Hofpartei sieht sich, wie auch aus der Sprache ihrer Blätter hervorgeht, noch nicht für geschlagen an, und die Reformpartei fängt an die Geduld zu verlieren. Es ist nicht unmöglich, daß es schon über die Besoldungen der Minister, welche der Ausschuß bekanntlich ziemlich nieder angesetzt, und das Ritterhaus bereits wieder an den Ausschuß zurück verwiesen hat, zu einem ziemlich offenen Bruche kommt, denn die Berathungen des Bauern- und Bürgerstandes lassen über die gegentheiligen Gesinnungen keinen Zweifel übrig.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Rußland.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Jaffy,</hi> 9 April.</dateline>
          <p> Die letzten Nachrichten aus Odessa bringen wenig Erhebliches. Man bemerkte keine besondern Bewegungen unter den Truppen; vielmehr schien Alles die seit einigen Monaten herrschende Ruhe behaupten zu wollen. In der Quarantäne von Odessa befand sich Hr. Sauveux de la Chapelle, der von Konstantinopel angekommen war. Hr. Sauveux, französischer Generalconsul zu Tiflis, wird sich nur kurze<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0933/0005] Deutschland. _ München, 24 April. Se. Durchl. der regierende Herzog von Nassau ist diesen Morgen hier angekommen. – Ein heute erschienenes Regierungsblatt bringt eine allerhöchste Verordnung, die Ablösung des Handlohns und anderer gutsherrlichen Gefälle des Staats betreffend. – Das Ritterfest des St. Georgenordens wurde heute auf herkömmliche feierliche Weise begangen. Nach geendetem Ordenscapitel verfügten sich im Ordenscostume die Ritter, Comthure, Großcomthure, dann II. kk. HH. die Großpriore und Se. Maj. der König selbst als Großmeister im feierlichen Zuge zum Gottesdienst in die alte Hofcapelle. Ein Ritterschlag fand dießmal nicht statt. Mittags war Rittermahl und Abends ist Hofakademie im Herculessaal. Preußen. _ Vom Niederrhein, 20 April. Der Sturz des belgischen Ministeriums und die lange Krise, welche es zur Folge gehabt, erregt fortwährend bei uns die größte Theilnahme. Das Cabinet des Hrn. de Theux konnte bei unserm Gouvernement unmöglich sehr beliebt seyn, da es zu eng mit der Partei in Verbindung stand, welche in den letzten Jahren aus ihrer, wenn nicht directen, doch moralischen Einwirkung auf die Rheinlande kein Hehl machte. Hr. de Theux war es, welcher, bewußt oder unbewußt, den preußischen Gesandten zur Visirung des Passes vermochte, durch welchen es Hrn. Laurent, ohne daß der Bevollmächtigte es ahnte, daß es dem Bischof und apostolischen Vicar gelte, gelang, nach Aachen zu kommen und die Regierung in Verlegenheit zu setzen. Nichtsdestoweniger glauben wir, daß man unsererseits lieber noch die katholische Partei am Regiment gesehen hätte, als die liberale, von welcher man nie weiß, wohin ihre Bestrebungen sich erstrecken dürften. Das Zusammentreffen ihres Siegs mit dem Wiedereintritt des Hrn. Thiers in die Geschäfte zu Paris wird schwerlich gern gesehen. Und doch scheint es, als ob man noch immer Belgien in Deutschland, selbst in seiner größten Nähe, falsch beurtheile. Der Liberalismus nähert sich dort weniger als in irgend einem andern Lande dem Demokratismus, und der letztere findet höchstens da Anklang, wo etwa augenblicklich die Arbeiter nicht genügende Beschäftigung haben. Die liberale Partei nähert sich im Gegentheil mehr der deutschen Gesinnung, und wendet sich durch ihre Repräsentanten von den französischen Einflüssen ab. Sie würde dieß, wenn sie ans Ruder kommt, noch entschiedener thun, wenn nicht Flandern, das durch seine Gewerbthätigkeit eine so bedeutende Stimme hat, durch seinen Linnenhandel zu sehr auf Frankreich hingewiesen wäre. Männer, wie Rogier, der sich als vortrefflichen Administrator bewährt hat, Lebeau, der wahrhaft das Wohl seines Landes will, und dieß nur in einer Anlehnung an Deutschland sieht, können leicht das Cabinet de Theux vergessen machen. Zu bedauern ist nur der Abgang Rothombs, besonders für die Sache der rheinischen Eisenbahn. Die belgische Centralsection hat sich nach einer langen Discussion, in welcher Hr. Hansemann persönlich erschienen war, und die Nichtigkeit der gemachten Einwendungen siegreich an den Tag gelegt hatte, für die Annahme ausgesprochen, und ihre Ansicht wird von der großen Majorität der Kammer getheilt. Die falschen Ansichten, die man bisher besonders in Lüttich und Verviers aufgestellt, sind endlich gewichen, und der Haupteinwand, daß es unrecht sey, Actien pari zu übernehmen, die 20 Proc. unter dem Curse stehen, ist dadurch in sich selbst zerfallen, daß die Actien schon jetzt auf Pari gekommen sind, und daß, wäre die belgische Regierung gezwungen, deren für eine irgend bedeutende Summe zu kaufen, sie bald ein hohes Agio erreichen würden. Zu dieser Steigerung, die nicht bloß eine künstliche ist, hat hauptsächlich der Umstand mit beigetragen, daß der Entschluß der preußischen Regierung, die Bahn von Berlin bis nach dem Rhein auf eigene Kosten fortzusetzen, jetzt fest steht, wodurch aber unfehlbar die rheinische Bahn eine solche werden wird, die sich am besten rentiren muß. – Von dem Hrn. Bischof Laurent erfährt man, daß er vor der Hand noch nicht gesonnen ist, nach Deutschland zu gehen. Die Erlaubniß zu einer solchen Reise ist allerdings da, aber sie unterliegt dennoch mehrern Beschränkungen; er darf sich namentlich überall nur sehr kurze Zeit aufhalten, und muß jedesmal, wenn er seinen Aufenthalt verlängern will, die Autorisation bei den Localbehörden einholen. Schweden. _ Stockholm, 10 April. Hier rückt nichts vor, und man kann eher sagen, die Sachen gehen rückwärts, wenigstens verwirren sie sich von Tag zu Tag mehr. Kaum ist es mehr zu verkennen, daß auswärtige Minister bei den hiesigen Angelegenheiten die Hand mit im Spiele haben, und die Sache unheilbar machen. Man nennt das gegenwärtige Ministerium, ob mit, ob ohne Grund, will ich nicht untersuchen, das englische, während Rußland die alte Partei des Hofadels und der Beamten unterstützt. Wenn es wahr ist, daß Graf Posse unter Vorschub des englischen Gesandten ins Ministerium gelangte, so hat dieser in der That dem Grafen selbst, dem König und dem Lande einen schlechten Dienst erwiesen, denn Graf Posse steht zwischen zwei kämpfenden Parteien mitten inne; wenn Graf Posse die Erwartungen nicht befriedigt, so fällt die Schuld auf den Hof, und die inneren Verbesserungen des Landes, die so nothwendig wären, bleiben liegen. Man thut dem größten Theil des Adels gewiß Unrecht, wenn man ihn russischer Gesinnungen beschuldigt, und doch bezeichnet man den antireformistischen Theil des Adels oft als die russische Partei und spricht vom Ritterhaus als vom polnischen Reichstag. Die instinctive Abneigung, die manche der frühern und jetzigen Mitglieder der russischen Gesandtschaft gegen das politische Emporkommen des Bauernstandes aussprechen, ist durch gesellschaftliche und politische Gründe allzugut motivirt, um nicht bei den entschiedenen Gegnern des Bauernstandes eine gewisse Hinneigung zu Rußland zu erzeugen, während der liberalere Theil des Adels sich zu England hinneigt. So scheiden sich die Parteien unseligerweise auch in ihren politischen Allianzen, und die Kluft wird mit jedem Tage mehr erweitert. Am Hofe glaubt man mit Ernennung des Grafen Posse eine große Nachgiebigkeit gezeigt zu haben, aber die alte Hofpartei sieht sich, wie auch aus der Sprache ihrer Blätter hervorgeht, noch nicht für geschlagen an, und die Reformpartei fängt an die Geduld zu verlieren. Es ist nicht unmöglich, daß es schon über die Besoldungen der Minister, welche der Ausschuß bekanntlich ziemlich nieder angesetzt, und das Ritterhaus bereits wieder an den Ausschuß zurück verwiesen hat, zu einem ziemlich offenen Bruche kommt, denn die Berathungen des Bauern- und Bürgerstandes lassen über die gegentheiligen Gesinnungen keinen Zweifel übrig. Rußland. _ Jaffy, 9 April. Die letzten Nachrichten aus Odessa bringen wenig Erhebliches. Man bemerkte keine besondern Bewegungen unter den Truppen; vielmehr schien Alles die seit einigen Monaten herrschende Ruhe behaupten zu wollen. In der Quarantäne von Odessa befand sich Hr. Sauveux de la Chapelle, der von Konstantinopel angekommen war. Hr. Sauveux, französischer Generalconsul zu Tiflis, wird sich nur kurze

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_117_18400426
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_117_18400426/5
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 117. Augsburg, 26. April 1840, S. 0933. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_117_18400426/5>, abgerufen am 25.11.2024.