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Allgemeine Zeitung. Nr. 117. Augsburg, 26. April 1840.

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Mitbürger vertrieben. Hier in dem undurchdringlichen Dickicht, das eine Felsenmauer noch umschließt, halten sie vor Nachstellungen sich sicher, hier können sie ihre Beute ruhig genießen, und theils zur Kurzweil, theils zur Versorgung ihres Tisches auf ergiebige Jagd ausgehen. Das Bild eines corsischen Urwalds ist in gewissem Sinne das Bild von ganz Corsica. Volk und Land, Leben und Natur sind so ursprünglich, wild, unberührt; der Fortschritt des Jahrhunderts hat noch nicht die fällende Art und nur selten das lichtende Messer an die alten Sitten gelegt; wo er zu jäten und zu schneiden versuchte, fand er häufig kräftigen Widerstand. Der Corse ist noch immer ein vollkommenes Original unter den Nationen Europa's, und so sehr der Landsmann Napoleons Franzose durch seine Sympathien ist, so wenig ist er es durch Charakter und Denkweise - doch wartet nur ein wenig, die Alles ebnende Zeit wird schon die stolze Eiche zu beugen und den corsischen Mantel durch die Uniform der Civilisation zu ersetzen wissen.

Würd' es sich hier um eine gewissenhafte Statistik des Salons handeln, so wären hier noch eine Menge Landschaften zu erwähnen, von denen viele frisch und lebendig gemalt sind, keine jedoch durch geistvolle Erfindung und Anordnung dem Referenten sehr hoch zu stehen scheint. Die Porträts, zahllos wie gewöhnlich, theilen das Publicum in zwei Lager: die große Masse, die an dem Schein sich labt und sonnt, hält's mit ihrem Dubuffe; die Kunstverständigen, die gelehrte Ansprüche haben, von Ernst und Tiefe reden und die Correctheit der Linien stets im Munde haben, schwören bei Amaury Duval. Dubuffe's Mädchen und Frauen sind alle so nett geputzt, ihre Gesichtsfarbe ist so hübsch roth und weiß, ihre Hand so zierlich und rein gehalten, ihr Haar so kokett gescheitelt und so glatt gelegt, ihr Lächeln so anständig und doch so freundlich, daß der unbefangene Zuschauer, der nie die Akademie der schönen Künste betrat, sich ohne weiteres der Verführung hingibt. Man hat dem Manne gut sagen, es fehle die Seele und der Ausdruck: er zeigt auf die Spitzen, die Bänder, die heitere Zuthulichkeit des Gesichts, und macht sich im Stillen über den Pedanten lustig, der von so aparten Dingen, wie Seele und Ausdruck, sprechen konnte. Amaury Duval ist sicher ein strenger Künstler, scharf faßt er den Charakter seiner Personen auf und gibt ihn mit Sorgfalt wieder, und überall gibt sich eine wahre Liebe des Berufs, nirgendwo der Geist des Handwerks kund; allgemein vermißt man jedoch an seinen Arbeiten jene Geschmeidigkeit und jenen zwanglosen Guß, wodurch ein Kunstwerk nicht die Frucht mühevollen Studiums, sondern vielmehr als eine freie, spielende Schöpfung erscheint. Durch große Lebendigkeit zeichnen sich die Porträts des Hrn. Schlesinger aus, eines jungen Mannes, der unlängst aus Deutschland herüberkam. Da hat er einen österreichischen General ausgestellt, den hier Niemand kennt, und doch sagt Jeder: getroffen, auf das täuschendste getroffen. Die Wiener, die den Mann kennen, können die Aehnlichkeit nicht schlagender finden, als die Pariser. Diese Kunst genauer Nachahmung bekundet derselbe Künstler auch im Genre. Das Gemälde, in dem er den Spruch Luthers: Wein, Weib und Gesang betreffend, versinnlicht, ist kein Muster idealer Auffassung, aber die anmuthigste Nachbildung einer lustigen Wirklichkeit. Die Frauen, die hier erscheinen, werden den Preis der Sittsamkeit wohl nicht gewinnen, und gehen der Bestimmung des Weibes keinesfalls zu träge entgegen; aber es sind liebe Kinder, und die Gefälligkeit ihres Wesens muß strenge Sittenrichter fern halten.

Skizzen aus Tirol.

III. Innsbruck. Die Kothlacke.

Warum hat wohl so ziemlich eine jede Stadt, die an den Ufern eines bedeutenden Flusses liegt, wie Frankfurt ihr Sachsenhausen, einen Stadttheil, der, von der übrigen Masse nur durch einen schmalen Brückenbogen getrennt, nichtsdestoweniger ganz andere Sitten und Sprachformen aufweist, als ob Berge und Steppen dazwischen lägen? Da, wo das allererste uralte Innsbruck erbaut gewesen, auf dem linken Gestade des Inn, ist eine Vorstadt, die sich in zwei Hälften theilt. Die eine heißt einfach: "Außer der Brücke," die andere hieß ehedem officiell und heute noch traditionell die "Kothlacke." Es mag wohl vordem schauerlich und schmutzig genug dort ausgesehen haben. Das hat sich freilich geändert, aber die Bevölkerung der "Kothlacke" hat ihre ehemalige Physiognomie noch heute. Diese "Kothlackler" oder - wie sie sich selber stolz und protestirend nennen: die "von St. Nikolaus" oder "an der Kaiserstraße" - sind mit wenigen Ausnahmen für Innsbruck, was man in Frankreich mit hommes de peine bezeichnet. Die Taglöhner, Holzhacker, Maurer und andere Handarbeiter, deren die Stadt bedarf, stammen von dort her. Die Kothlacklerinnen machen ebenfalls ihre Geschäfte in der Stadt als Wäscherinnen, Holzträgerinnen, Obstlerinnen, Ausläuferinnen u. s. w. anderer Betriebsamkeit zu geschweigen. Das Aeußere dieser Leute ist nicht das Anziehendste, ihre Kleidung keineswegs die zierlichste und reinlichste - die Reinlichkeit sinkt überhaupt bei dem gemeinen Volke in Tirol - aber sie haben den Ruf einer großen Arbeitsamkeit, und, was nicht minder gut, man belobt sie als grundehrlich. Diese letztere Eigenschaft ist gewissermaßen auffallend, da jene Bevölkerung meist in republicanischer Dürftigkeit lebt, und mit dem Sittengesetz es nicht so genau nimmt. Sie legen die Lehre von der Liebe zum Nächsten nach ihrer eigenen Weise aus, und der Familien manche, über deren Häupter der Priester seinen Segen nicht gesprochen, oder deren Bestehen erst nach langen Jahren kirchlich sanctionirt wird, leben dort in buntem Gemisch durcheinander. Es ist ein leichtblütiges Volk mit äußerst zahlreicher Nachkommenschaft, die an schönen Abenden sich vor den Häusern drängt, wie Bienenschwärme, oder davor auf dem Boden liegt, wie Sand am Meere. Eine Nachkommenschaft im abenteuerlichsten Aufzug; die Mädchen nicht selten im verkürzten Camisol des Vaters, die Buben häufig in einer Art von Frack, gefertigt aus den Resten mütterlicher Unterröcke. Doch sollen in dieser Beziehung die Bemühungen des Frauenvereins viel gebessert haben. Mit der großen Unbefangenheit in der äußern Erscheinung und mit den ärmlich kleinen Wohnungen contrastirt seltsam eine gewisse Koketterie im Ameublement. Das Bett besonders ist ein Gegenstand der Sorge von Seite der Damen von St. Nikolaus. Eine Paradedecke, Spitzen und Falbalas an dem ausgeschlagenen Leintuch sind häufig dem Vorübergehenden, der seinen Blick durchs niedrige Fenster wirft, bemerkbar, sind auch öfters gerade nur Schaustücke, die zur Zeit, da die Familie zu Bette kriecht, weggenommen werden, um morgen wieder zu prunken. Solche Putzsucht neben Schmutz und Mangel erinnert an die Zigeuner von Ungarn.

Was nun aber die Leute der "Kothlacke" hauptsächlich von den übrigen Stadtbewohnern unterscheidet, ist eine gesteigerte, leicht gereizte Leidenschaftlichkeit, eine achtundvierzigpfündige Grobheit, und eine pittoreske Sprache, die um so pikanter anzuhören, als sie mit ungewöhnlich schlappendem, ja trägem Accent vorgetragen wird. Wie gewöhnlich - man erinnerte

Mitbürger vertrieben. Hier in dem undurchdringlichen Dickicht, das eine Felsenmauer noch umschließt, halten sie vor Nachstellungen sich sicher, hier können sie ihre Beute ruhig genießen, und theils zur Kurzweil, theils zur Versorgung ihres Tisches auf ergiebige Jagd ausgehen. Das Bild eines corsischen Urwalds ist in gewissem Sinne das Bild von ganz Corsica. Volk und Land, Leben und Natur sind so ursprünglich, wild, unberührt; der Fortschritt des Jahrhunderts hat noch nicht die fällende Art und nur selten das lichtende Messer an die alten Sitten gelegt; wo er zu jäten und zu schneiden versuchte, fand er häufig kräftigen Widerstand. Der Corse ist noch immer ein vollkommenes Original unter den Nationen Europa's, und so sehr der Landsmann Napoleons Franzose durch seine Sympathien ist, so wenig ist er es durch Charakter und Denkweise – doch wartet nur ein wenig, die Alles ebnende Zeit wird schon die stolze Eiche zu beugen und den corsischen Mantel durch die Uniform der Civilisation zu ersetzen wissen.

Würd' es sich hier um eine gewissenhafte Statistik des Salons handeln, so wären hier noch eine Menge Landschaften zu erwähnen, von denen viele frisch und lebendig gemalt sind, keine jedoch durch geistvolle Erfindung und Anordnung dem Referenten sehr hoch zu stehen scheint. Die Porträts, zahllos wie gewöhnlich, theilen das Publicum in zwei Lager: die große Masse, die an dem Schein sich labt und sonnt, hält's mit ihrem Dubuffe; die Kunstverständigen, die gelehrte Ansprüche haben, von Ernst und Tiefe reden und die Correctheit der Linien stets im Munde haben, schwören bei Amaury Duval. Dubuffe's Mädchen und Frauen sind alle so nett geputzt, ihre Gesichtsfarbe ist so hübsch roth und weiß, ihre Hand so zierlich und rein gehalten, ihr Haar so kokett gescheitelt und so glatt gelegt, ihr Lächeln so anständig und doch so freundlich, daß der unbefangene Zuschauer, der nie die Akademie der schönen Künste betrat, sich ohne weiteres der Verführung hingibt. Man hat dem Manne gut sagen, es fehle die Seele und der Ausdruck: er zeigt auf die Spitzen, die Bänder, die heitere Zuthulichkeit des Gesichts, und macht sich im Stillen über den Pedanten lustig, der von so aparten Dingen, wie Seele und Ausdruck, sprechen konnte. Amaury Duval ist sicher ein strenger Künstler, scharf faßt er den Charakter seiner Personen auf und gibt ihn mit Sorgfalt wieder, und überall gibt sich eine wahre Liebe des Berufs, nirgendwo der Geist des Handwerks kund; allgemein vermißt man jedoch an seinen Arbeiten jene Geschmeidigkeit und jenen zwanglosen Guß, wodurch ein Kunstwerk nicht die Frucht mühevollen Studiums, sondern vielmehr als eine freie, spielende Schöpfung erscheint. Durch große Lebendigkeit zeichnen sich die Porträts des Hrn. Schlesinger aus, eines jungen Mannes, der unlängst aus Deutschland herüberkam. Da hat er einen österreichischen General ausgestellt, den hier Niemand kennt, und doch sagt Jeder: getroffen, auf das täuschendste getroffen. Die Wiener, die den Mann kennen, können die Aehnlichkeit nicht schlagender finden, als die Pariser. Diese Kunst genauer Nachahmung bekundet derselbe Künstler auch im Genre. Das Gemälde, in dem er den Spruch Luthers: Wein, Weib und Gesang betreffend, versinnlicht, ist kein Muster idealer Auffassung, aber die anmuthigste Nachbildung einer lustigen Wirklichkeit. Die Frauen, die hier erscheinen, werden den Preis der Sittsamkeit wohl nicht gewinnen, und gehen der Bestimmung des Weibes keinesfalls zu träge entgegen; aber es sind liebe Kinder, und die Gefälligkeit ihres Wesens muß strenge Sittenrichter fern halten.

Skizzen aus Tirol.

III. Innsbruck. Die Kothlacke.

Warum hat wohl so ziemlich eine jede Stadt, die an den Ufern eines bedeutenden Flusses liegt, wie Frankfurt ihr Sachsenhausen, einen Stadttheil, der, von der übrigen Masse nur durch einen schmalen Brückenbogen getrennt, nichtsdestoweniger ganz andere Sitten und Sprachformen aufweist, als ob Berge und Steppen dazwischen lägen? Da, wo das allererste uralte Innsbruck erbaut gewesen, auf dem linken Gestade des Inn, ist eine Vorstadt, die sich in zwei Hälften theilt. Die eine heißt einfach: „Außer der Brücke,“ die andere hieß ehedem officiell und heute noch traditionell die „Kothlacke.“ Es mag wohl vordem schauerlich und schmutzig genug dort ausgesehen haben. Das hat sich freilich geändert, aber die Bevölkerung der „Kothlacke“ hat ihre ehemalige Physiognomie noch heute. Diese „Kothlackler“ oder – wie sie sich selber stolz und protestirend nennen: die „von St. Nikolaus“ oder „an der Kaiserstraße“ – sind mit wenigen Ausnahmen für Innsbruck, was man in Frankreich mit hommes de peine bezeichnet. Die Taglöhner, Holzhacker, Maurer und andere Handarbeiter, deren die Stadt bedarf, stammen von dort her. Die Kothlacklerinnen machen ebenfalls ihre Geschäfte in der Stadt als Wäscherinnen, Holzträgerinnen, Obstlerinnen, Ausläuferinnen u. s. w. anderer Betriebsamkeit zu geschweigen. Das Aeußere dieser Leute ist nicht das Anziehendste, ihre Kleidung keineswegs die zierlichste und reinlichste – die Reinlichkeit sinkt überhaupt bei dem gemeinen Volke in Tirol – aber sie haben den Ruf einer großen Arbeitsamkeit, und, was nicht minder gut, man belobt sie als grundehrlich. Diese letztere Eigenschaft ist gewissermaßen auffallend, da jene Bevölkerung meist in republicanischer Dürftigkeit lebt, und mit dem Sittengesetz es nicht so genau nimmt. Sie legen die Lehre von der Liebe zum Nächsten nach ihrer eigenen Weise aus, und der Familien manche, über deren Häupter der Priester seinen Segen nicht gesprochen, oder deren Bestehen erst nach langen Jahren kirchlich sanctionirt wird, leben dort in buntem Gemisch durcheinander. Es ist ein leichtblütiges Volk mit äußerst zahlreicher Nachkommenschaft, die an schönen Abenden sich vor den Häusern drängt, wie Bienenschwärme, oder davor auf dem Boden liegt, wie Sand am Meere. Eine Nachkommenschaft im abenteuerlichsten Aufzug; die Mädchen nicht selten im verkürzten Camisol des Vaters, die Buben häufig in einer Art von Frack, gefertigt aus den Resten mütterlicher Unterröcke. Doch sollen in dieser Beziehung die Bemühungen des Frauenvereins viel gebessert haben. Mit der großen Unbefangenheit in der äußern Erscheinung und mit den ärmlich kleinen Wohnungen contrastirt seltsam eine gewisse Koketterie im Ameublement. Das Bett besonders ist ein Gegenstand der Sorge von Seite der Damen von St. Nikolaus. Eine Paradedecke, Spitzen und Falbalas an dem ausgeschlagenen Leintuch sind häufig dem Vorübergehenden, der seinen Blick durchs niedrige Fenster wirft, bemerkbar, sind auch öfters gerade nur Schaustücke, die zur Zeit, da die Familie zu Bette kriecht, weggenommen werden, um morgen wieder zu prunken. Solche Putzsucht neben Schmutz und Mangel erinnert an die Zigeuner von Ungarn.

Was nun aber die Leute der „Kothlacke“ hauptsächlich von den übrigen Stadtbewohnern unterscheidet, ist eine gesteigerte, leicht gereizte Leidenschaftlichkeit, eine achtundvierzigpfündige Grobheit, und eine pittoreske Sprache, die um so pikanter anzuhören, als sie mit ungewöhnlich schlappendem, ja trägem Accent vorgetragen wird. Wie gewöhnlich – man erinnerte

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Mitbürger vertrieben. Hier in dem undurchdringlichen Dickicht, das eine Felsenmauer noch umschließt, halten sie vor Nachstellungen sich sicher, hier können sie ihre Beute ruhig genießen, und theils zur Kurzweil, theils zur Versorgung ihres Tisches auf ergiebige Jagd ausgehen. Das Bild eines corsischen Urwalds ist in gewissem Sinne das Bild von ganz Corsica. Volk und Land, Leben und Natur sind so ursprünglich, wild, unberührt; der Fortschritt des Jahrhunderts hat noch nicht die fällende Art und nur selten das lichtende Messer an die alten Sitten gelegt; wo er zu jäten und zu schneiden versuchte, fand er häufig kräftigen Widerstand. Der Corse ist noch immer ein vollkommenes Original unter den Nationen Europa's, und so sehr der Landsmann Napoleons Franzose durch seine Sympathien ist, so wenig ist er es durch Charakter und Denkweise &#x2013; doch wartet nur ein wenig, die Alles ebnende Zeit wird schon die stolze Eiche zu beugen und den corsischen Mantel durch die Uniform der Civilisation zu ersetzen wissen.</p><lb/>
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[0932/0011] Mitbürger vertrieben. Hier in dem undurchdringlichen Dickicht, das eine Felsenmauer noch umschließt, halten sie vor Nachstellungen sich sicher, hier können sie ihre Beute ruhig genießen, und theils zur Kurzweil, theils zur Versorgung ihres Tisches auf ergiebige Jagd ausgehen. Das Bild eines corsischen Urwalds ist in gewissem Sinne das Bild von ganz Corsica. Volk und Land, Leben und Natur sind so ursprünglich, wild, unberührt; der Fortschritt des Jahrhunderts hat noch nicht die fällende Art und nur selten das lichtende Messer an die alten Sitten gelegt; wo er zu jäten und zu schneiden versuchte, fand er häufig kräftigen Widerstand. Der Corse ist noch immer ein vollkommenes Original unter den Nationen Europa's, und so sehr der Landsmann Napoleons Franzose durch seine Sympathien ist, so wenig ist er es durch Charakter und Denkweise – doch wartet nur ein wenig, die Alles ebnende Zeit wird schon die stolze Eiche zu beugen und den corsischen Mantel durch die Uniform der Civilisation zu ersetzen wissen. Würd' es sich hier um eine gewissenhafte Statistik des Salons handeln, so wären hier noch eine Menge Landschaften zu erwähnen, von denen viele frisch und lebendig gemalt sind, keine jedoch durch geistvolle Erfindung und Anordnung dem Referenten sehr hoch zu stehen scheint. Die Porträts, zahllos wie gewöhnlich, theilen das Publicum in zwei Lager: die große Masse, die an dem Schein sich labt und sonnt, hält's mit ihrem Dubuffe; die Kunstverständigen, die gelehrte Ansprüche haben, von Ernst und Tiefe reden und die Correctheit der Linien stets im Munde haben, schwören bei Amaury Duval. Dubuffe's Mädchen und Frauen sind alle so nett geputzt, ihre Gesichtsfarbe ist so hübsch roth und weiß, ihre Hand so zierlich und rein gehalten, ihr Haar so kokett gescheitelt und so glatt gelegt, ihr Lächeln so anständig und doch so freundlich, daß der unbefangene Zuschauer, der nie die Akademie der schönen Künste betrat, sich ohne weiteres der Verführung hingibt. Man hat dem Manne gut sagen, es fehle die Seele und der Ausdruck: er zeigt auf die Spitzen, die Bänder, die heitere Zuthulichkeit des Gesichts, und macht sich im Stillen über den Pedanten lustig, der von so aparten Dingen, wie Seele und Ausdruck, sprechen konnte. Amaury Duval ist sicher ein strenger Künstler, scharf faßt er den Charakter seiner Personen auf und gibt ihn mit Sorgfalt wieder, und überall gibt sich eine wahre Liebe des Berufs, nirgendwo der Geist des Handwerks kund; allgemein vermißt man jedoch an seinen Arbeiten jene Geschmeidigkeit und jenen zwanglosen Guß, wodurch ein Kunstwerk nicht die Frucht mühevollen Studiums, sondern vielmehr als eine freie, spielende Schöpfung erscheint. Durch große Lebendigkeit zeichnen sich die Porträts des Hrn. Schlesinger aus, eines jungen Mannes, der unlängst aus Deutschland herüberkam. Da hat er einen österreichischen General ausgestellt, den hier Niemand kennt, und doch sagt Jeder: getroffen, auf das täuschendste getroffen. Die Wiener, die den Mann kennen, können die Aehnlichkeit nicht schlagender finden, als die Pariser. Diese Kunst genauer Nachahmung bekundet derselbe Künstler auch im Genre. Das Gemälde, in dem er den Spruch Luthers: Wein, Weib und Gesang betreffend, versinnlicht, ist kein Muster idealer Auffassung, aber die anmuthigste Nachbildung einer lustigen Wirklichkeit. Die Frauen, die hier erscheinen, werden den Preis der Sittsamkeit wohl nicht gewinnen, und gehen der Bestimmung des Weibes keinesfalls zu träge entgegen; aber es sind liebe Kinder, und die Gefälligkeit ihres Wesens muß strenge Sittenrichter fern halten. Skizzen aus Tirol. III. Innsbruck. Die Kothlacke. Warum hat wohl so ziemlich eine jede Stadt, die an den Ufern eines bedeutenden Flusses liegt, wie Frankfurt ihr Sachsenhausen, einen Stadttheil, der, von der übrigen Masse nur durch einen schmalen Brückenbogen getrennt, nichtsdestoweniger ganz andere Sitten und Sprachformen aufweist, als ob Berge und Steppen dazwischen lägen? Da, wo das allererste uralte Innsbruck erbaut gewesen, auf dem linken Gestade des Inn, ist eine Vorstadt, die sich in zwei Hälften theilt. Die eine heißt einfach: „Außer der Brücke,“ die andere hieß ehedem officiell und heute noch traditionell die „Kothlacke.“ Es mag wohl vordem schauerlich und schmutzig genug dort ausgesehen haben. Das hat sich freilich geändert, aber die Bevölkerung der „Kothlacke“ hat ihre ehemalige Physiognomie noch heute. Diese „Kothlackler“ oder – wie sie sich selber stolz und protestirend nennen: die „von St. Nikolaus“ oder „an der Kaiserstraße“ – sind mit wenigen Ausnahmen für Innsbruck, was man in Frankreich mit hommes de peine bezeichnet. Die Taglöhner, Holzhacker, Maurer und andere Handarbeiter, deren die Stadt bedarf, stammen von dort her. Die Kothlacklerinnen machen ebenfalls ihre Geschäfte in der Stadt als Wäscherinnen, Holzträgerinnen, Obstlerinnen, Ausläuferinnen u. s. w. anderer Betriebsamkeit zu geschweigen. Das Aeußere dieser Leute ist nicht das Anziehendste, ihre Kleidung keineswegs die zierlichste und reinlichste – die Reinlichkeit sinkt überhaupt bei dem gemeinen Volke in Tirol – aber sie haben den Ruf einer großen Arbeitsamkeit, und, was nicht minder gut, man belobt sie als grundehrlich. Diese letztere Eigenschaft ist gewissermaßen auffallend, da jene Bevölkerung meist in republicanischer Dürftigkeit lebt, und mit dem Sittengesetz es nicht so genau nimmt. Sie legen die Lehre von der Liebe zum Nächsten nach ihrer eigenen Weise aus, und der Familien manche, über deren Häupter der Priester seinen Segen nicht gesprochen, oder deren Bestehen erst nach langen Jahren kirchlich sanctionirt wird, leben dort in buntem Gemisch durcheinander. Es ist ein leichtblütiges Volk mit äußerst zahlreicher Nachkommenschaft, die an schönen Abenden sich vor den Häusern drängt, wie Bienenschwärme, oder davor auf dem Boden liegt, wie Sand am Meere. Eine Nachkommenschaft im abenteuerlichsten Aufzug; die Mädchen nicht selten im verkürzten Camisol des Vaters, die Buben häufig in einer Art von Frack, gefertigt aus den Resten mütterlicher Unterröcke. Doch sollen in dieser Beziehung die Bemühungen des Frauenvereins viel gebessert haben. Mit der großen Unbefangenheit in der äußern Erscheinung und mit den ärmlich kleinen Wohnungen contrastirt seltsam eine gewisse Koketterie im Ameublement. Das Bett besonders ist ein Gegenstand der Sorge von Seite der Damen von St. Nikolaus. Eine Paradedecke, Spitzen und Falbalas an dem ausgeschlagenen Leintuch sind häufig dem Vorübergehenden, der seinen Blick durchs niedrige Fenster wirft, bemerkbar, sind auch öfters gerade nur Schaustücke, die zur Zeit, da die Familie zu Bette kriecht, weggenommen werden, um morgen wieder zu prunken. Solche Putzsucht neben Schmutz und Mangel erinnert an die Zigeuner von Ungarn. Was nun aber die Leute der „Kothlacke“ hauptsächlich von den übrigen Stadtbewohnern unterscheidet, ist eine gesteigerte, leicht gereizte Leidenschaftlichkeit, eine achtundvierzigpfündige Grobheit, und eine pittoreske Sprache, die um so pikanter anzuhören, als sie mit ungewöhnlich schlappendem, ja trägem Accent vorgetragen wird. Wie gewöhnlich – man erinnerte

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 117. Augsburg, 26. April 1840, S. 0932. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_117_18400426/11>, abgerufen am 02.05.2024.