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Allgemeine Zeitung. Nr. 112. Augsburg, 21. April 1840.

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Geologische Briefe.

(Fortsetzung.)

Elie de Beaumont.

Nächst Leopold v. Buch ist es besonders der Franzose Elie de Beaumont, der in neuester Zeit die Geologie durch geistreiche, umfassende Ideen befruchtet hat. Schon Leop. v. Buch hatte zunächst für Deutschland nachgewiesen, daß manche gesonderte Gebirge mit ihren untergeordneten Höhenzügen auffallend dieselbe Richtung verfolgen, und er hatte nach diesem Streichungsverhältniß die Gebirge Deutschlands in verschiedene Gruppen oder geognostische Systeme geordnet. Beaumont bewies, daß dasselbe für die ganze Erde gilt, und er versuchte es, in möglichster Vollständigkeit die Gebirge zusammenzustellen, deren Längenachsen nahezu in derselben Richtung liegen. Es lag nun nahe, sich als nächstes Ziel der Forschung die Untersuchung vorzusetzen, ob jene Zerreißungen und Erhebungen in einer bestimmten Periode der Erdbildung zumal erfolgt, oder ob die verschiedenen Gebirge auch verschiedenen relativen Alters seyen. Wir haben gesehen, daß die Reihenfolge geschichteter Gebirgsarten in den Ebenen und Niederungen, welche den bei weitem größten Flächenraum der Continente einnehmen, und aus denen die Gebirge insularisch aufsteigen, nahezu wagerecht hingelagert sind, so, wie sie sich nach einander auf dem Boden des Meeres erzeugt haben müssen, daß aber diese Schichten in den Bergketten selbst, und im Ganzen nur in diesen ungleichförmig gelagert und aufgerichtet erscheinen. Beobachtet man nun ein einzelnes Gebirge, so zeigt sich nicht nur, daß da, wo die Störung der ruhigen Lagerung beginnt, die wagerechten und die gehobenen Schichten scharf von einander absetzen, sondern auch, daß nur ein gewisser Theil der Schichtenreihe von der Aufrichtung im Gebirge betroffen worden ist, während der andere seine ursprünglich horizontale Lage beibehält. Hier bietet sich nun von selbst der Schluß an, daß, als an dieser bestimmten Stelle die Zerreißung und Auftreibung der Erdrinde erfolgte, die gehobene, nothwendig ältere Partie der Schichten bereits gebildet war, daß dagegen die horizontalen sich erst nach der Hebung um die Ränder des Gebirgs, wie um Meeresküsten, niedergeschlagen haben. Läßt sich somit bestimmen, in welcher Periode der Flötzbildung ein einzelnes Gebirge entstanden, so fragt es sich, ist dieses Verhältniß in allen Gebirgen dasselbe oder nicht? Zeigt sich am Fuße aller dieselbe Gruppe von Schichten aufgerichtet, dieselbe andere wagerecht hingestreckt? oder aber, sind in dem einen nur die ältern Schichtenglieder gestört und alle darübergelagerten unverrückt, in einem andern dagegen nebst den ältern auch jüngere aufgehoben, und etwa nur die jüngsten ruhig um den Fuß ergossen? In der ersten Voraussetzung müssen alle Gebirge in derselben Zeit, in der andern müssen sie in verschiedenen, auf einanderfolgenden Perioden entstanden seyn. Eine Menge längst erhobener Thatsachen ließ zum voraus keinen Zweifel, daß nur letzteres der Fall seyn könne; es handelte sich nur davon, nach diesem Gedanken die einzelnen Gebirge zu untersuchen, um ihr relatives Alter zu bestimmen. Wenn sich längs der Achse eines Gebirgs nur die ältesten geschichteten Bildungen: Gneiß, Glimmerschiefer, Thonschiefer, aufgerichtet, und schon die nach oben zu unmittelbar auf jene folgende Kohlenformation, nebst allen jüngern und jüngsten, sich ruhig und gleichförmig gelagert zeigt; wenn ein anderes Gebirg alle, auch die jüngsten, die sogenannten tertiären Gebilde emporgerissen und nur das aufgeschwemmte Land nicht mehr gestört hat, so ist klar, daß erstere Erhebung weit älter seyn muß als letztere, und zwischen beiden läßt sich eine ganze Reihe von Zwischenfällen denken, weil man eine beträchtliche Zahl sogenannter Formationen unterscheidet, und jede derselben wieder in mehrere Glieder zerfällt. Wie man sieht, der Grundsatz ist höchst einfach, aber die Anwendung hat sehr große, in der Natur der Sache liegende Schwierigkeiten: im einzelnen Fall läßt sich oft nur mit der größten Mühe das entscheidende geognostische Moment ergreifen und der Irrthum ausschließen. Nur zu oft verlieren wir beim Verfolgen des Baues der Naturkörper den Faden deßhalb, weil sich die Bildungen für unsere Sinne zu sehr ins Kleine ziehen; gerade umgekehrt ist in den Gebirgen das Buch der Natur für uns viel zu kolossal, und noch dazu "seine Schrift gar seltsam abbrevirt."

Beaumont verglich nun die in der Litteratur niedergelegten Beobachtungen über die Schichtenstellungen an den Flanken der verschiedenen Gebirge, und erwies daraus, daß wirklich jedes gesonderte Gebirge in einer bestimmten Periode aufgestiegen. Er begriff die in jedem Gebirg aufgerichteten Schichten als Küstenränder insularischer Landmassen, um welche her und von deren Material sich jedesmal die horizontalen jüngern Schichten auf dem Boden der damaligen Meeresbecken langsam niedergeschlagen. Eben durch die successiven, an verschiedenen Stellen zu verschiedenen Zeiten erfolgten Hebungen waren allmählich die Continente, wie sie jetzt daliegen, und überhaupt das ganze Relief der Erde gebildet worden. Er gelangte dabei zu der übrigens auch schon von Leop. v. Buch geäußerten Ueberzeugung, daß die Erhebungen der Bergketten, schon nach dem ganzen Charakter des vulcanischen Processes, jedesmal verhältnißmäßig rasch erfolgt seyn müssen, und daß in der Geschichte der Erde die langen Epochen ruhiger neptunischer Bildung in verschiedenen Zeiten, an einer Stelle des Erdbodens oder an mehreren zugleich, durch jene Aufberstungen und Ausbrüche plutonischer Massen unterbrochen worden sind.

Aber die so merkwürdige Thatsache ins Auge fassend, daß die Achsen vieler weit entlegenen Gebirge genau in derselben Richtung streichen, ging Beaumont noch weiter. Er glaubte einen deutlichen Rapport zwischen der Richtung der Gebirge und den von ihnen gehobenen Schichtengruppen zu entdecken, und stellte die glänzende Hypothese auf, daß alle großen Längespalten der Erdrinde, welche demselben größten Kreise der Erdkugel parallel laufen, in derselben Periode entstanden, und somit alle auf diesen Spalten emporgestiegenen Bergketten gleichzeitig seyen. Abgesehen davon, daß dieß, wenn man so sagen darf, für die Philosophie der Geschichte der Erde von höchster Bedeutung wäre, leuchtet sogleich ein, wie unendlich es die Forschung fördern müßte, wenn man nur die Streichungsverhältnisse eines Gebirgs zu kennen brauchte, um auch zu wissen, nach und vor welchen Formationen es sich erhoben hat. Es fehlt nun nicht an Andeutungen, die bis jetzt auffallend für, aber eben so wenig an Beobachtungen, die gegen diese Hypothese zu sprechen scheinen. Noch längere Zeit wird sich in diesem wichtigen Punkt kein entscheidender Spruch fällen lassen; die Wissenschaft hat ja kaum angefangen, die geognostischen Verhältnisse der verschiedenen Landstriche aus dem Gesichtspunkt des relativen Alters der auf denselben emporgethürmten Massen zu betrachten. Von den meisten außereuropäischen Ketten, die mit bekannten europäischen parallel laufen, weiß man noch nicht einmal im Allgemeinsten, ob sie die Voraussetzung bestätigen werden oder nicht. Dazu kommt die sichere Beobachtung,

Geologische Briefe.

(Fortsetzung.)

Elie de Beaumont.

Nächst Leopold v. Buch ist es besonders der Franzose Elie de Beaumont, der in neuester Zeit die Geologie durch geistreiche, umfassende Ideen befruchtet hat. Schon Leop. v. Buch hatte zunächst für Deutschland nachgewiesen, daß manche gesonderte Gebirge mit ihren untergeordneten Höhenzügen auffallend dieselbe Richtung verfolgen, und er hatte nach diesem Streichungsverhältniß die Gebirge Deutschlands in verschiedene Gruppen oder geognostische Systeme geordnet. Beaumont bewies, daß dasselbe für die ganze Erde gilt, und er versuchte es, in möglichster Vollständigkeit die Gebirge zusammenzustellen, deren Längenachsen nahezu in derselben Richtung liegen. Es lag nun nahe, sich als nächstes Ziel der Forschung die Untersuchung vorzusetzen, ob jene Zerreißungen und Erhebungen in einer bestimmten Periode der Erdbildung zumal erfolgt, oder ob die verschiedenen Gebirge auch verschiedenen relativen Alters seyen. Wir haben gesehen, daß die Reihenfolge geschichteter Gebirgsarten in den Ebenen und Niederungen, welche den bei weitem größten Flächenraum der Continente einnehmen, und aus denen die Gebirge insularisch aufsteigen, nahezu wagerecht hingelagert sind, so, wie sie sich nach einander auf dem Boden des Meeres erzeugt haben müssen, daß aber diese Schichten in den Bergketten selbst, und im Ganzen nur in diesen ungleichförmig gelagert und aufgerichtet erscheinen. Beobachtet man nun ein einzelnes Gebirge, so zeigt sich nicht nur, daß da, wo die Störung der ruhigen Lagerung beginnt, die wagerechten und die gehobenen Schichten scharf von einander absetzen, sondern auch, daß nur ein gewisser Theil der Schichtenreihe von der Aufrichtung im Gebirge betroffen worden ist, während der andere seine ursprünglich horizontale Lage beibehält. Hier bietet sich nun von selbst der Schluß an, daß, als an dieser bestimmten Stelle die Zerreißung und Auftreibung der Erdrinde erfolgte, die gehobene, nothwendig ältere Partie der Schichten bereits gebildet war, daß dagegen die horizontalen sich erst nach der Hebung um die Ränder des Gebirgs, wie um Meeresküsten, niedergeschlagen haben. Läßt sich somit bestimmen, in welcher Periode der Flötzbildung ein einzelnes Gebirge entstanden, so fragt es sich, ist dieses Verhältniß in allen Gebirgen dasselbe oder nicht? Zeigt sich am Fuße aller dieselbe Gruppe von Schichten aufgerichtet, dieselbe andere wagerecht hingestreckt? oder aber, sind in dem einen nur die ältern Schichtenglieder gestört und alle darübergelagerten unverrückt, in einem andern dagegen nebst den ältern auch jüngere aufgehoben, und etwa nur die jüngsten ruhig um den Fuß ergossen? In der ersten Voraussetzung müssen alle Gebirge in derselben Zeit, in der andern müssen sie in verschiedenen, auf einanderfolgenden Perioden entstanden seyn. Eine Menge längst erhobener Thatsachen ließ zum voraus keinen Zweifel, daß nur letzteres der Fall seyn könne; es handelte sich nur davon, nach diesem Gedanken die einzelnen Gebirge zu untersuchen, um ihr relatives Alter zu bestimmen. Wenn sich längs der Achse eines Gebirgs nur die ältesten geschichteten Bildungen: Gneiß, Glimmerschiefer, Thonschiefer, aufgerichtet, und schon die nach oben zu unmittelbar auf jene folgende Kohlenformation, nebst allen jüngern und jüngsten, sich ruhig und gleichförmig gelagert zeigt; wenn ein anderes Gebirg alle, auch die jüngsten, die sogenannten tertiären Gebilde emporgerissen und nur das aufgeschwemmte Land nicht mehr gestört hat, so ist klar, daß erstere Erhebung weit älter seyn muß als letztere, und zwischen beiden läßt sich eine ganze Reihe von Zwischenfällen denken, weil man eine beträchtliche Zahl sogenannter Formationen unterscheidet, und jede derselben wieder in mehrere Glieder zerfällt. Wie man sieht, der Grundsatz ist höchst einfach, aber die Anwendung hat sehr große, in der Natur der Sache liegende Schwierigkeiten: im einzelnen Fall läßt sich oft nur mit der größten Mühe das entscheidende geognostische Moment ergreifen und der Irrthum ausschließen. Nur zu oft verlieren wir beim Verfolgen des Baues der Naturkörper den Faden deßhalb, weil sich die Bildungen für unsere Sinne zu sehr ins Kleine ziehen; gerade umgekehrt ist in den Gebirgen das Buch der Natur für uns viel zu kolossal, und noch dazu „seine Schrift gar seltsam abbrevirt.“

Beaumont verglich nun die in der Litteratur niedergelegten Beobachtungen über die Schichtenstellungen an den Flanken der verschiedenen Gebirge, und erwies daraus, daß wirklich jedes gesonderte Gebirge in einer bestimmten Periode aufgestiegen. Er begriff die in jedem Gebirg aufgerichteten Schichten als Küstenränder insularischer Landmassen, um welche her und von deren Material sich jedesmal die horizontalen jüngern Schichten auf dem Boden der damaligen Meeresbecken langsam niedergeschlagen. Eben durch die successiven, an verschiedenen Stellen zu verschiedenen Zeiten erfolgten Hebungen waren allmählich die Continente, wie sie jetzt daliegen, und überhaupt das ganze Relief der Erde gebildet worden. Er gelangte dabei zu der übrigens auch schon von Leop. v. Buch geäußerten Ueberzeugung, daß die Erhebungen der Bergketten, schon nach dem ganzen Charakter des vulcanischen Processes, jedesmal verhältnißmäßig rasch erfolgt seyn müssen, und daß in der Geschichte der Erde die langen Epochen ruhiger neptunischer Bildung in verschiedenen Zeiten, an einer Stelle des Erdbodens oder an mehreren zugleich, durch jene Aufberstungen und Ausbrüche plutonischer Massen unterbrochen worden sind.

Aber die so merkwürdige Thatsache ins Auge fassend, daß die Achsen vieler weit entlegenen Gebirge genau in derselben Richtung streichen, ging Beaumont noch weiter. Er glaubte einen deutlichen Rapport zwischen der Richtung der Gebirge und den von ihnen gehobenen Schichtengruppen zu entdecken, und stellte die glänzende Hypothese auf, daß alle großen Längespalten der Erdrinde, welche demselben größten Kreise der Erdkugel parallel laufen, in derselben Periode entstanden, und somit alle auf diesen Spalten emporgestiegenen Bergketten gleichzeitig seyen. Abgesehen davon, daß dieß, wenn man so sagen darf, für die Philosophie der Geschichte der Erde von höchster Bedeutung wäre, leuchtet sogleich ein, wie unendlich es die Forschung fördern müßte, wenn man nur die Streichungsverhältnisse eines Gebirgs zu kennen brauchte, um auch zu wissen, nach und vor welchen Formationen es sich erhoben hat. Es fehlt nun nicht an Andeutungen, die bis jetzt auffallend für, aber eben so wenig an Beobachtungen, die gegen diese Hypothese zu sprechen scheinen. Noch längere Zeit wird sich in diesem wichtigen Punkt kein entscheidender Spruch fällen lassen; die Wissenschaft hat ja kaum angefangen, die geognostischen Verhältnisse der verschiedenen Landstriche aus dem Gesichtspunkt des relativen Alters der auf denselben emporgethürmten Massen zu betrachten. Von den meisten außereuropäischen Ketten, die mit bekannten europäischen parallel laufen, weiß man noch nicht einmal im Allgemeinsten, ob sie die Voraussetzung bestätigen werden oder nicht. Dazu kommt die sichere Beobachtung,

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[0889/0009] Geologische Briefe. (Fortsetzung.) Elie de Beaumont. Nächst Leopold v. Buch ist es besonders der Franzose Elie de Beaumont, der in neuester Zeit die Geologie durch geistreiche, umfassende Ideen befruchtet hat. Schon Leop. v. Buch hatte zunächst für Deutschland nachgewiesen, daß manche gesonderte Gebirge mit ihren untergeordneten Höhenzügen auffallend dieselbe Richtung verfolgen, und er hatte nach diesem Streichungsverhältniß die Gebirge Deutschlands in verschiedene Gruppen oder geognostische Systeme geordnet. Beaumont bewies, daß dasselbe für die ganze Erde gilt, und er versuchte es, in möglichster Vollständigkeit die Gebirge zusammenzustellen, deren Längenachsen nahezu in derselben Richtung liegen. Es lag nun nahe, sich als nächstes Ziel der Forschung die Untersuchung vorzusetzen, ob jene Zerreißungen und Erhebungen in einer bestimmten Periode der Erdbildung zumal erfolgt, oder ob die verschiedenen Gebirge auch verschiedenen relativen Alters seyen. Wir haben gesehen, daß die Reihenfolge geschichteter Gebirgsarten in den Ebenen und Niederungen, welche den bei weitem größten Flächenraum der Continente einnehmen, und aus denen die Gebirge insularisch aufsteigen, nahezu wagerecht hingelagert sind, so, wie sie sich nach einander auf dem Boden des Meeres erzeugt haben müssen, daß aber diese Schichten in den Bergketten selbst, und im Ganzen nur in diesen ungleichförmig gelagert und aufgerichtet erscheinen. Beobachtet man nun ein einzelnes Gebirge, so zeigt sich nicht nur, daß da, wo die Störung der ruhigen Lagerung beginnt, die wagerechten und die gehobenen Schichten scharf von einander absetzen, sondern auch, daß nur ein gewisser Theil der Schichtenreihe von der Aufrichtung im Gebirge betroffen worden ist, während der andere seine ursprünglich horizontale Lage beibehält. Hier bietet sich nun von selbst der Schluß an, daß, als an dieser bestimmten Stelle die Zerreißung und Auftreibung der Erdrinde erfolgte, die gehobene, nothwendig ältere Partie der Schichten bereits gebildet war, daß dagegen die horizontalen sich erst nach der Hebung um die Ränder des Gebirgs, wie um Meeresküsten, niedergeschlagen haben. Läßt sich somit bestimmen, in welcher Periode der Flötzbildung ein einzelnes Gebirge entstanden, so fragt es sich, ist dieses Verhältniß in allen Gebirgen dasselbe oder nicht? Zeigt sich am Fuße aller dieselbe Gruppe von Schichten aufgerichtet, dieselbe andere wagerecht hingestreckt? oder aber, sind in dem einen nur die ältern Schichtenglieder gestört und alle darübergelagerten unverrückt, in einem andern dagegen nebst den ältern auch jüngere aufgehoben, und etwa nur die jüngsten ruhig um den Fuß ergossen? In der ersten Voraussetzung müssen alle Gebirge in derselben Zeit, in der andern müssen sie in verschiedenen, auf einanderfolgenden Perioden entstanden seyn. Eine Menge längst erhobener Thatsachen ließ zum voraus keinen Zweifel, daß nur letzteres der Fall seyn könne; es handelte sich nur davon, nach diesem Gedanken die einzelnen Gebirge zu untersuchen, um ihr relatives Alter zu bestimmen. Wenn sich längs der Achse eines Gebirgs nur die ältesten geschichteten Bildungen: Gneiß, Glimmerschiefer, Thonschiefer, aufgerichtet, und schon die nach oben zu unmittelbar auf jene folgende Kohlenformation, nebst allen jüngern und jüngsten, sich ruhig und gleichförmig gelagert zeigt; wenn ein anderes Gebirg alle, auch die jüngsten, die sogenannten tertiären Gebilde emporgerissen und nur das aufgeschwemmte Land nicht mehr gestört hat, so ist klar, daß erstere Erhebung weit älter seyn muß als letztere, und zwischen beiden läßt sich eine ganze Reihe von Zwischenfällen denken, weil man eine beträchtliche Zahl sogenannter Formationen unterscheidet, und jede derselben wieder in mehrere Glieder zerfällt. Wie man sieht, der Grundsatz ist höchst einfach, aber die Anwendung hat sehr große, in der Natur der Sache liegende Schwierigkeiten: im einzelnen Fall läßt sich oft nur mit der größten Mühe das entscheidende geognostische Moment ergreifen und der Irrthum ausschließen. Nur zu oft verlieren wir beim Verfolgen des Baues der Naturkörper den Faden deßhalb, weil sich die Bildungen für unsere Sinne zu sehr ins Kleine ziehen; gerade umgekehrt ist in den Gebirgen das Buch der Natur für uns viel zu kolossal, und noch dazu „seine Schrift gar seltsam abbrevirt.“ Beaumont verglich nun die in der Litteratur niedergelegten Beobachtungen über die Schichtenstellungen an den Flanken der verschiedenen Gebirge, und erwies daraus, daß wirklich jedes gesonderte Gebirge in einer bestimmten Periode aufgestiegen. Er begriff die in jedem Gebirg aufgerichteten Schichten als Küstenränder insularischer Landmassen, um welche her und von deren Material sich jedesmal die horizontalen jüngern Schichten auf dem Boden der damaligen Meeresbecken langsam niedergeschlagen. Eben durch die successiven, an verschiedenen Stellen zu verschiedenen Zeiten erfolgten Hebungen waren allmählich die Continente, wie sie jetzt daliegen, und überhaupt das ganze Relief der Erde gebildet worden. Er gelangte dabei zu der übrigens auch schon von Leop. v. Buch geäußerten Ueberzeugung, daß die Erhebungen der Bergketten, schon nach dem ganzen Charakter des vulcanischen Processes, jedesmal verhältnißmäßig rasch erfolgt seyn müssen, und daß in der Geschichte der Erde die langen Epochen ruhiger neptunischer Bildung in verschiedenen Zeiten, an einer Stelle des Erdbodens oder an mehreren zugleich, durch jene Aufberstungen und Ausbrüche plutonischer Massen unterbrochen worden sind. Aber die so merkwürdige Thatsache ins Auge fassend, daß die Achsen vieler weit entlegenen Gebirge genau in derselben Richtung streichen, ging Beaumont noch weiter. Er glaubte einen deutlichen Rapport zwischen der Richtung der Gebirge und den von ihnen gehobenen Schichtengruppen zu entdecken, und stellte die glänzende Hypothese auf, daß alle großen Längespalten der Erdrinde, welche demselben größten Kreise der Erdkugel parallel laufen, in derselben Periode entstanden, und somit alle auf diesen Spalten emporgestiegenen Bergketten gleichzeitig seyen. Abgesehen davon, daß dieß, wenn man so sagen darf, für die Philosophie der Geschichte der Erde von höchster Bedeutung wäre, leuchtet sogleich ein, wie unendlich es die Forschung fördern müßte, wenn man nur die Streichungsverhältnisse eines Gebirgs zu kennen brauchte, um auch zu wissen, nach und vor welchen Formationen es sich erhoben hat. Es fehlt nun nicht an Andeutungen, die bis jetzt auffallend für, aber eben so wenig an Beobachtungen, die gegen diese Hypothese zu sprechen scheinen. Noch längere Zeit wird sich in diesem wichtigen Punkt kein entscheidender Spruch fällen lassen; die Wissenschaft hat ja kaum angefangen, die geognostischen Verhältnisse der verschiedenen Landstriche aus dem Gesichtspunkt des relativen Alters der auf denselben emporgethürmten Massen zu betrachten. Von den meisten außereuropäischen Ketten, die mit bekannten europäischen parallel laufen, weiß man noch nicht einmal im Allgemeinsten, ob sie die Voraussetzung bestätigen werden oder nicht. Dazu kommt die sichere Beobachtung,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 112. Augsburg, 21. April 1840, S. 0889. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_112_18400421/9>, abgerufen am 28.04.2024.