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Allgemeine Zeitung. Nr. 112. Augsburg, 21. April 1840.

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sich bei den letzten Nachrichten auf 112,000, und man hat Kunde, daß 20,000 von Sidney auf den Gränzen der Colonie angekommen seyen. Eine andere Gesellschaft von Capitalisten in Sidney hatte Anstalten getroffen, eine Heerde von 50,000 am Murray herab nach Adelaide treiben zu lassen. Die südaustralische Gesellschaft errichtet einen 600 Yards langen Landungsplatz im Hafen, an dem die Schiffe dicht anlegen können, und es geht jetzt eine Diligence vom Hafen in die Stadt. Port Lincoln, ein vortrefflicher Hafen im Golf von Spencer, gedeiht und füllt sich mit Bewohnern; unglücklicherweise ist das Land am Nordende des Golfs sehr unfruchtbar. Die Zölle der Colonie betrugen im zweiten Vierteljahr 1839 die Summe von 4375 Pf. St. und waren so im Zunehmen, daß man für das ganze Jahr einen Belauf von 20 bis 25,000 Pf. erwartete. Jeder, der 4000 Morgen Landes ankaufen will, hat das Recht, einen von ihm bezeichneten District von 15,000 Morgen durch die Coloniallandvermesser abstecken zu lassen, aus welchem er seine 4000 Morgen wählt, und es sind im letzten Jahre 30 Vermessungen dieser Art verlangt worden. Andere Käufer, welche sich in den schon vermessenen Districten ankaufen wollen, können Sectionen von 80 Morgen wählen, den Morgen zu 1 Pf. St. Alles, was der Colonie noch fehlt, sind hinlanglich Arbeiter, aber an ihrem Gedeihen ist nicht mehr zu zweifeln, obgleich die große Ungleichheit der Jahreszeiten die Preise der Lebensmittel immer schwankend erhalten wird. So kommen so eben Briefe aus Sidney und Hobartstown an, nach denen die Tonne Mehl, welche 6 Monate früher auf 90 bis 100 Pf. St. stand, in Folge der Regen auf 25 bis 30 Pf. gefallen ist.

Algier.

Je mehr die Details über die Expedition gegen Scherschel bekannt werden, um so allgemeiner wird die traurige Ueberzeugung, daß der Marschall in der Art, wie er die Truppen geführt und die Operationen geleitet hat, keineswegs das Talent zeigte, das man ihm bisher wenigstens als Artilleriegeneral gern zugestand. Große Unordnungen fanden auf dem Marsche statt; ein Theil der Avantgarde hatte die Chiffa bereits überschritten, während der andere Theil ihn noch auf dem rechten Flußufer suchte. Bei dem Uebergang über den Fluß, der unvorsichtigerweise um 10 Uhr Nachts nach einem heftigen Regen ausgeführt wurde, sind acht Soldaten, nicht einer, wie der Marschall im Moniteur schreibt, ertrunken. Nicht minder tadelnswerth ist die lächerliche Schonung, welche Hr. Valee gegen den Räuberstamm der Hadschuten zeigte, während er früher sogar drucken ließ, er werde eine schreckliche Strafe über diesen Stamm verhängen. Er verbot der Armee sogar, über ein großes den Hadschuten gehöriges Gerstenfeld zu marschiren, und als es unmöglich war, einen andern Weg einzuschlagen, untersagte er den französischen Cavalleristen wenigstens, ihre Pferde an diesem Ort weiden zu lassen, um die Ernte dieser armen Hadschuten (welche vor kaum drei Monaten unsere Pflanzungen niederbrannten und unsere Colonisten ermordeten) möglichst zu schonen. Die Chasseurs, welche kürzlich aus Frankreich angekommen, mußten den Rückweg von Scherschel nach Algier zu Fuß machen, weil ihre wegen Mangels an grüner Weide geschwächten französischen Pferde sie nicht mehr tragen konnten. - Es ist nicht sehr beruhigend, daß die künftigen Operationen (welche je nach den Umständen von großer Wichtigkeit werden dürften) einem Chef anvertraut werden, dem das für solche Unternehmungen nöthige Talent ganz abzugehen scheint. Einen Augenblick hoffte man, ein neuer Gouverneur würde nach Algier geschickt. Ohne eben bestimmt zu wissen, auf wen die Wahl gefallen, freute man sich darüber, denn Jedermann war überzeugt, daß es unmöglich sey, uns einen schlechtern Gouverneur zu schicken, als den Marschall Valee. Die öffentliche Meinung spricht sich in dieser Beziehung unverhohlen aus, und wird sogar in den Salons des Gouverneurs und unter den Personen seiner nächsten Umgebung laut. Ein merkwürdiges Gespräch wurde kürzlich zwischen dem Obristen de Salles, Eidam und Factotum des Gouverneurs, und einem Oberofficier des Generalstabs geführt. Da Hr. de Salles, gleich seinem Schwiegervater, beständig wiederholt, Algier sey für Frankreich eine Last, und nie werde man hier etwas zu Stande bringen, so nahm sich jener Officier die Freiheit zu bemerken, daß in einem solchen Fall das Bleiben des Marschalls in Algier befremden müsse, denn die erste Bedingung des Erfolgs bei einem Werk dieser Art wäre doch wohl der Glaube an dessen Möglichkeit. Die Leitung einer neuen Colonie zu übernehmen, ohne Vertrauen in deren Zukunft zu haben, sey eine Handlung, die nothwendigerweise das Gewissen verletzen müsse. "Uebrigens, fügte der Officier bei, selbst angenommen die Colonie mache keine Fortschritte, müßte man doch erst untersuchen, ob dieß nicht vielmehr an der Art liegt, wie diese Colonie verwaltet worden." Hr. de Salles erwiederte kein Wort. - Die Vorliebe, welche der Gouverneur für die Eingebornen und die grobe Verachtung, die er gegen die europäischen Ansiedler zeigt, werden von einigen seiner gehorsamen Untergebenen noch weiter getrieben. Ein Obristlieutenant, welcher die Garnison von Philippeville commandirt und in seiner Person die Aemter eines Polizeicommissars, Maire's, Richters und Notars vereinigt, ließ dort kürzlich französischen Matrosen, welche mit Arabern eine Schlägerei gehabt, dreißig Stockprügel geben, und zwar von der Hand derselben Araber, mit denen sie sich gerauft hatten. Dieses Urtheil wurde trotz des allgemeinen Unwillens der Bevölkerung vollzogen. Ein Bericht wurde darüber direct an den Minister geschickt mit der Frage, ob die französischen Bürger in Afrika einer Strafart unterworfen werden sollten, welche unsere Kammern kürzlich für die Araber selbst zu hart und zu entehrend hielten.

Frankreich.

Wunderbar ist der langsame Proceß der Umfassung des Orients und seiner allmählichen Verschlingung und Verdauung von Seite des christlichen Europa's. Es ist wie die Boa, welche mit ihrem Riesenleibe ein Rind umfaßt und es mit ihrem Geifer überziehend, es erst mürbe macht und zum Ballen zusammenfügt, ehe sie es langsam hinunterwurgt. Merkwürdig ist mit dieser Europa's Zukunft angewiesenen Thatbahn das Zusammentreffen der innern Gährung seiner Volksclassen, aus einer mit Adelsglanz umgebenen absoluten Monarchie in Bürgerverfassungen übergehend, und in diesen hausbackenen Bürgerverfassungen ein wildes Ferment kriegerischer und volksthätiger Demokratie. Eben dieses Zusammentreffen eines solchen Ferments der Demagogik mit einer so verzehrenden Thätigkeit nach außen, und das Unvermögen der alten Monarchien wie des constitutionellen Juste-Milieu, diesen inneren Trieben innerer und äußerer Thätigkeit die wahre Leitung zu geben, bildet den Charakter der neuern europäischen Politik. Rußland und England, die den Orient umspannenden Mächte, Haupt und Schweif der Boa, liegen im Grunde genommen außerhalb dieser Politik des status quo; aber Frankreich und Deutschland sind recht mitten drinnen. Was in Deutschland als status quo gepriesen wird, das wird in Frankreich als Juste-Milieu belobt. Es ist im Grunde nichts Anderes als das unter der Maske der Klugheit und Verständigkeit

sich bei den letzten Nachrichten auf 112,000, und man hat Kunde, daß 20,000 von Sidney auf den Gränzen der Colonie angekommen seyen. Eine andere Gesellschaft von Capitalisten in Sidney hatte Anstalten getroffen, eine Heerde von 50,000 am Murray herab nach Adelaide treiben zu lassen. Die südaustralische Gesellschaft errichtet einen 600 Yards langen Landungsplatz im Hafen, an dem die Schiffe dicht anlegen können, und es geht jetzt eine Diligence vom Hafen in die Stadt. Port Lincoln, ein vortrefflicher Hafen im Golf von Spencer, gedeiht und füllt sich mit Bewohnern; unglücklicherweise ist das Land am Nordende des Golfs sehr unfruchtbar. Die Zölle der Colonie betrugen im zweiten Vierteljahr 1839 die Summe von 4375 Pf. St. und waren so im Zunehmen, daß man für das ganze Jahr einen Belauf von 20 bis 25,000 Pf. erwartete. Jeder, der 4000 Morgen Landes ankaufen will, hat das Recht, einen von ihm bezeichneten District von 15,000 Morgen durch die Coloniallandvermesser abstecken zu lassen, aus welchem er seine 4000 Morgen wählt, und es sind im letzten Jahre 30 Vermessungen dieser Art verlangt worden. Andere Käufer, welche sich in den schon vermessenen Districten ankaufen wollen, können Sectionen von 80 Morgen wählen, den Morgen zu 1 Pf. St. Alles, was der Colonie noch fehlt, sind hinlanglich Arbeiter, aber an ihrem Gedeihen ist nicht mehr zu zweifeln, obgleich die große Ungleichheit der Jahreszeiten die Preise der Lebensmittel immer schwankend erhalten wird. So kommen so eben Briefe aus Sidney und Hobartstown an, nach denen die Tonne Mehl, welche 6 Monate früher auf 90 bis 100 Pf. St. stand, in Folge der Regen auf 25 bis 30 Pf. gefallen ist.

Algier.

Je mehr die Details über die Expedition gegen Scherschel bekannt werden, um so allgemeiner wird die traurige Ueberzeugung, daß der Marschall in der Art, wie er die Truppen geführt und die Operationen geleitet hat, keineswegs das Talent zeigte, das man ihm bisher wenigstens als Artilleriegeneral gern zugestand. Große Unordnungen fanden auf dem Marsche statt; ein Theil der Avantgarde hatte die Chiffa bereits überschritten, während der andere Theil ihn noch auf dem rechten Flußufer suchte. Bei dem Uebergang über den Fluß, der unvorsichtigerweise um 10 Uhr Nachts nach einem heftigen Regen ausgeführt wurde, sind acht Soldaten, nicht einer, wie der Marschall im Moniteur schreibt, ertrunken. Nicht minder tadelnswerth ist die lächerliche Schonung, welche Hr. Valée gegen den Räuberstamm der Hadschuten zeigte, während er früher sogar drucken ließ, er werde eine schreckliche Strafe über diesen Stamm verhängen. Er verbot der Armee sogar, über ein großes den Hadschuten gehöriges Gerstenfeld zu marschiren, und als es unmöglich war, einen andern Weg einzuschlagen, untersagte er den französischen Cavalleristen wenigstens, ihre Pferde an diesem Ort weiden zu lassen, um die Ernte dieser armen Hadschuten (welche vor kaum drei Monaten unsere Pflanzungen niederbrannten und unsere Colonisten ermordeten) möglichst zu schonen. Die Chasseurs, welche kürzlich aus Frankreich angekommen, mußten den Rückweg von Scherschel nach Algier zu Fuß machen, weil ihre wegen Mangels an grüner Weide geschwächten französischen Pferde sie nicht mehr tragen konnten. – Es ist nicht sehr beruhigend, daß die künftigen Operationen (welche je nach den Umständen von großer Wichtigkeit werden dürften) einem Chef anvertraut werden, dem das für solche Unternehmungen nöthige Talent ganz abzugehen scheint. Einen Augenblick hoffte man, ein neuer Gouverneur würde nach Algier geschickt. Ohne eben bestimmt zu wissen, auf wen die Wahl gefallen, freute man sich darüber, denn Jedermann war überzeugt, daß es unmöglich sey, uns einen schlechtern Gouverneur zu schicken, als den Marschall Valée. Die öffentliche Meinung spricht sich in dieser Beziehung unverhohlen aus, und wird sogar in den Salons des Gouverneurs und unter den Personen seiner nächsten Umgebung laut. Ein merkwürdiges Gespräch wurde kürzlich zwischen dem Obristen de Salles, Eidam und Factotum des Gouverneurs, und einem Oberofficier des Generalstabs geführt. Da Hr. de Salles, gleich seinem Schwiegervater, beständig wiederholt, Algier sey für Frankreich eine Last, und nie werde man hier etwas zu Stande bringen, so nahm sich jener Officier die Freiheit zu bemerken, daß in einem solchen Fall das Bleiben des Marschalls in Algier befremden müsse, denn die erste Bedingung des Erfolgs bei einem Werk dieser Art wäre doch wohl der Glaube an dessen Möglichkeit. Die Leitung einer neuen Colonie zu übernehmen, ohne Vertrauen in deren Zukunft zu haben, sey eine Handlung, die nothwendigerweise das Gewissen verletzen müsse. „Uebrigens, fügte der Officier bei, selbst angenommen die Colonie mache keine Fortschritte, müßte man doch erst untersuchen, ob dieß nicht vielmehr an der Art liegt, wie diese Colonie verwaltet worden.“ Hr. de Salles erwiederte kein Wort. – Die Vorliebe, welche der Gouverneur für die Eingebornen und die grobe Verachtung, die er gegen die europäischen Ansiedler zeigt, werden von einigen seiner gehorsamen Untergebenen noch weiter getrieben. Ein Obristlieutenant, welcher die Garnison von Philippeville commandirt und in seiner Person die Aemter eines Polizeicommissars, Maire's, Richters und Notars vereinigt, ließ dort kürzlich französischen Matrosen, welche mit Arabern eine Schlägerei gehabt, dreißig Stockprügel geben, und zwar von der Hand derselben Araber, mit denen sie sich gerauft hatten. Dieses Urtheil wurde trotz des allgemeinen Unwillens der Bevölkerung vollzogen. Ein Bericht wurde darüber direct an den Minister geschickt mit der Frage, ob die französischen Bürger in Afrika einer Strafart unterworfen werden sollten, welche unsere Kammern kürzlich für die Araber selbst zu hart und zu entehrend hielten.

Frankreich.

Wunderbar ist der langsame Proceß der Umfassung des Orients und seiner allmählichen Verschlingung und Verdauung von Seite des christlichen Europa's. Es ist wie die Boa, welche mit ihrem Riesenleibe ein Rind umfaßt und es mit ihrem Geifer überziehend, es erst mürbe macht und zum Ballen zusammenfügt, ehe sie es langsam hinunterwurgt. Merkwürdig ist mit dieser Europa's Zukunft angewiesenen Thatbahn das Zusammentreffen der innern Gährung seiner Volksclassen, aus einer mit Adelsglanz umgebenen absoluten Monarchie in Bürgerverfassungen übergehend, und in diesen hausbackenen Bürgerverfassungen ein wildes Ferment kriegerischer und volksthätiger Demokratie. Eben dieses Zusammentreffen eines solchen Ferments der Demagogik mit einer so verzehrenden Thätigkeit nach außen, und das Unvermögen der alten Monarchien wie des constitutionellen Juste-Milieu, diesen inneren Trieben innerer und äußerer Thätigkeit die wahre Leitung zu geben, bildet den Charakter der neuern europäischen Politik. Rußland und England, die den Orient umspannenden Mächte, Haupt und Schweif der Boa, liegen im Grunde genommen außerhalb dieser Politik des status quo; aber Frankreich und Deutschland sind recht mitten drinnen. Was in Deutschland als status quo gepriesen wird, das wird in Frankreich als Juste-Milieu belobt. Es ist im Grunde nichts Anderes als das unter der Maske der Klugheit und Verständigkeit

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sich bei den letzten Nachrichten auf 112,000, und man hat Kunde, daß 20,000 von Sidney auf den Gränzen der Colonie angekommen seyen. Eine andere Gesellschaft von Capitalisten in Sidney hatte Anstalten getroffen, eine Heerde von 50,000 am Murray herab nach Adelaide treiben zu lassen. Die südaustralische Gesellschaft errichtet einen 600 Yards langen Landungsplatz im Hafen, an dem die Schiffe dicht anlegen können, und es geht jetzt eine Diligence vom Hafen in die Stadt. Port Lincoln, ein vortrefflicher Hafen im Golf von Spencer, gedeiht und füllt sich mit Bewohnern; unglücklicherweise ist das Land am Nordende des Golfs sehr unfruchtbar. Die Zölle der Colonie betrugen im zweiten Vierteljahr 1839 die Summe von 4375 Pf. St. und waren so im Zunehmen, daß man für das ganze Jahr einen Belauf von 20 bis 25,000 Pf. erwartete. Jeder, der 4000 Morgen Landes ankaufen will, hat das Recht, einen von ihm bezeichneten District von 15,000 Morgen durch die Coloniallandvermesser abstecken zu lassen, aus welchem er seine 4000 Morgen wählt, und es sind im letzten Jahre 30 Vermessungen dieser Art verlangt worden. Andere Käufer, welche sich in den schon vermessenen Districten ankaufen wollen, können Sectionen von 80 Morgen wählen, den Morgen zu 1 Pf. St. Alles, was der Colonie noch fehlt, sind hinlanglich Arbeiter, aber an ihrem Gedeihen ist nicht mehr zu zweifeln, obgleich die große Ungleichheit der Jahreszeiten die Preise der Lebensmittel immer schwankend erhalten wird. So kommen so eben Briefe aus Sidney und Hobartstown an, nach denen die Tonne Mehl, welche 6 Monate früher auf 90 bis 100 Pf. St. stand, in Folge der Regen auf 25 bis 30 Pf. gefallen ist.</p><lb/>
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[0891/0011] sich bei den letzten Nachrichten auf 112,000, und man hat Kunde, daß 20,000 von Sidney auf den Gränzen der Colonie angekommen seyen. Eine andere Gesellschaft von Capitalisten in Sidney hatte Anstalten getroffen, eine Heerde von 50,000 am Murray herab nach Adelaide treiben zu lassen. Die südaustralische Gesellschaft errichtet einen 600 Yards langen Landungsplatz im Hafen, an dem die Schiffe dicht anlegen können, und es geht jetzt eine Diligence vom Hafen in die Stadt. Port Lincoln, ein vortrefflicher Hafen im Golf von Spencer, gedeiht und füllt sich mit Bewohnern; unglücklicherweise ist das Land am Nordende des Golfs sehr unfruchtbar. Die Zölle der Colonie betrugen im zweiten Vierteljahr 1839 die Summe von 4375 Pf. St. und waren so im Zunehmen, daß man für das ganze Jahr einen Belauf von 20 bis 25,000 Pf. erwartete. Jeder, der 4000 Morgen Landes ankaufen will, hat das Recht, einen von ihm bezeichneten District von 15,000 Morgen durch die Coloniallandvermesser abstecken zu lassen, aus welchem er seine 4000 Morgen wählt, und es sind im letzten Jahre 30 Vermessungen dieser Art verlangt worden. Andere Käufer, welche sich in den schon vermessenen Districten ankaufen wollen, können Sectionen von 80 Morgen wählen, den Morgen zu 1 Pf. St. Alles, was der Colonie noch fehlt, sind hinlanglich Arbeiter, aber an ihrem Gedeihen ist nicht mehr zu zweifeln, obgleich die große Ungleichheit der Jahreszeiten die Preise der Lebensmittel immer schwankend erhalten wird. So kommen so eben Briefe aus Sidney und Hobartstown an, nach denen die Tonne Mehl, welche 6 Monate früher auf 90 bis 100 Pf. St. stand, in Folge der Regen auf 25 bis 30 Pf. gefallen ist. Algier. _ Algier, 4 April. Je mehr die Details über die Expedition gegen Scherschel bekannt werden, um so allgemeiner wird die traurige Ueberzeugung, daß der Marschall in der Art, wie er die Truppen geführt und die Operationen geleitet hat, keineswegs das Talent zeigte, das man ihm bisher wenigstens als Artilleriegeneral gern zugestand. Große Unordnungen fanden auf dem Marsche statt; ein Theil der Avantgarde hatte die Chiffa bereits überschritten, während der andere Theil ihn noch auf dem rechten Flußufer suchte. Bei dem Uebergang über den Fluß, der unvorsichtigerweise um 10 Uhr Nachts nach einem heftigen Regen ausgeführt wurde, sind acht Soldaten, nicht einer, wie der Marschall im Moniteur schreibt, ertrunken. Nicht minder tadelnswerth ist die lächerliche Schonung, welche Hr. Valée gegen den Räuberstamm der Hadschuten zeigte, während er früher sogar drucken ließ, er werde eine schreckliche Strafe über diesen Stamm verhängen. Er verbot der Armee sogar, über ein großes den Hadschuten gehöriges Gerstenfeld zu marschiren, und als es unmöglich war, einen andern Weg einzuschlagen, untersagte er den französischen Cavalleristen wenigstens, ihre Pferde an diesem Ort weiden zu lassen, um die Ernte dieser armen Hadschuten (welche vor kaum drei Monaten unsere Pflanzungen niederbrannten und unsere Colonisten ermordeten) möglichst zu schonen. Die Chasseurs, welche kürzlich aus Frankreich angekommen, mußten den Rückweg von Scherschel nach Algier zu Fuß machen, weil ihre wegen Mangels an grüner Weide geschwächten französischen Pferde sie nicht mehr tragen konnten. – Es ist nicht sehr beruhigend, daß die künftigen Operationen (welche je nach den Umständen von großer Wichtigkeit werden dürften) einem Chef anvertraut werden, dem das für solche Unternehmungen nöthige Talent ganz abzugehen scheint. Einen Augenblick hoffte man, ein neuer Gouverneur würde nach Algier geschickt. Ohne eben bestimmt zu wissen, auf wen die Wahl gefallen, freute man sich darüber, denn Jedermann war überzeugt, daß es unmöglich sey, uns einen schlechtern Gouverneur zu schicken, als den Marschall Valée. Die öffentliche Meinung spricht sich in dieser Beziehung unverhohlen aus, und wird sogar in den Salons des Gouverneurs und unter den Personen seiner nächsten Umgebung laut. Ein merkwürdiges Gespräch wurde kürzlich zwischen dem Obristen de Salles, Eidam und Factotum des Gouverneurs, und einem Oberofficier des Generalstabs geführt. Da Hr. de Salles, gleich seinem Schwiegervater, beständig wiederholt, Algier sey für Frankreich eine Last, und nie werde man hier etwas zu Stande bringen, so nahm sich jener Officier die Freiheit zu bemerken, daß in einem solchen Fall das Bleiben des Marschalls in Algier befremden müsse, denn die erste Bedingung des Erfolgs bei einem Werk dieser Art wäre doch wohl der Glaube an dessen Möglichkeit. Die Leitung einer neuen Colonie zu übernehmen, ohne Vertrauen in deren Zukunft zu haben, sey eine Handlung, die nothwendigerweise das Gewissen verletzen müsse. „Uebrigens, fügte der Officier bei, selbst angenommen die Colonie mache keine Fortschritte, müßte man doch erst untersuchen, ob dieß nicht vielmehr an der Art liegt, wie diese Colonie verwaltet worden.“ Hr. de Salles erwiederte kein Wort. – Die Vorliebe, welche der Gouverneur für die Eingebornen und die grobe Verachtung, die er gegen die europäischen Ansiedler zeigt, werden von einigen seiner gehorsamen Untergebenen noch weiter getrieben. Ein Obristlieutenant, welcher die Garnison von Philippeville commandirt und in seiner Person die Aemter eines Polizeicommissars, Maire's, Richters und Notars vereinigt, ließ dort kürzlich französischen Matrosen, welche mit Arabern eine Schlägerei gehabt, dreißig Stockprügel geben, und zwar von der Hand derselben Araber, mit denen sie sich gerauft hatten. Dieses Urtheil wurde trotz des allgemeinen Unwillens der Bevölkerung vollzogen. Ein Bericht wurde darüber direct an den Minister geschickt mit der Frage, ob die französischen Bürger in Afrika einer Strafart unterworfen werden sollten, welche unsere Kammern kürzlich für die Araber selbst zu hart und zu entehrend hielten. Frankreich. _ Paris, 8 April. Wunderbar ist der langsame Proceß der Umfassung des Orients und seiner allmählichen Verschlingung und Verdauung von Seite des christlichen Europa's. Es ist wie die Boa, welche mit ihrem Riesenleibe ein Rind umfaßt und es mit ihrem Geifer überziehend, es erst mürbe macht und zum Ballen zusammenfügt, ehe sie es langsam hinunterwurgt. Merkwürdig ist mit dieser Europa's Zukunft angewiesenen Thatbahn das Zusammentreffen der innern Gährung seiner Volksclassen, aus einer mit Adelsglanz umgebenen absoluten Monarchie in Bürgerverfassungen übergehend, und in diesen hausbackenen Bürgerverfassungen ein wildes Ferment kriegerischer und volksthätiger Demokratie. Eben dieses Zusammentreffen eines solchen Ferments der Demagogik mit einer so verzehrenden Thätigkeit nach außen, und das Unvermögen der alten Monarchien wie des constitutionellen Juste-Milieu, diesen inneren Trieben innerer und äußerer Thätigkeit die wahre Leitung zu geben, bildet den Charakter der neuern europäischen Politik. Rußland und England, die den Orient umspannenden Mächte, Haupt und Schweif der Boa, liegen im Grunde genommen außerhalb dieser Politik des status quo; aber Frankreich und Deutschland sind recht mitten drinnen. Was in Deutschland als status quo gepriesen wird, das wird in Frankreich als Juste-Milieu belobt. Es ist im Grunde nichts Anderes als das unter der Maske der Klugheit und Verständigkeit

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 112. Augsburg, 21. April 1840, S. 0891. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_112_18400421/11>, abgerufen am 27.04.2024.