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Allgemeine Zeitung. Nr. 107. Augsburg, 16. April 1840.

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ihm dessen Vater geleistet, ein Thema, dessen er dankbar oft und gern gedenkt, fuhr er lachend fort: "Einmal ward ich in seinem Haus in keine geringe Verlegenheit gesetzt. Ich und einige andere Türken, rohe Gäste, unwissende und zügellose Menschen, wie wir damals alle waren, hatten bei ihm zu Mittag gespeist, als man nach Tisch gewahr ward, daß einige silberne Bestecke fehlten. Nie habe ich mich in solcher Beklemmung gefühlt und emsiger einen Dieb zu entdecken gesucht, denn der Gedanke peinigte mich unaufhörlich, daß mein Freund glauben könnte, ich selbst habe die fehlenden Bestecke gestohlen. Glücklicherweise ward der wirkliche Entwender kurz nachher aufgefunden, was mir einen großen Stein vom Herzen nahm." Ich enthalte mich jedes weitern Commentars zu diesen Worten, bedaure aber die Philisterhaftigkeit desjenigen, der, wenn er bedenkt, aus wessen Munde sie kommen, die sich selbst verläugnende Naivetät derselben nicht fühlt.

Die Manöver fesselten von nun an unsere ganze Aufmerksamkeit, und ich werde sie hinlänglich charakterisiren, wenn ich sage, daß sowohl in Betreff des äußern militärischen Anstandes und der Eleganz der Uniformen (grüne Dollmans mit gelben Schnüren und scharlachrothe weite Pantalons), als in der Präcision der verschiedenen Evolutionen die ausgeführt wurden, diese vier Escadrons der Cavallerieschule von einem europäischen Regiment durchaus nicht zu unterscheiden waren, mit der einzigen Ausnahme, daß sie weit schönere, bessere und gewandtere Pferde ritten, was sich besonders bei der Attake durch die blitzartige Rapidität und den wie versteinerten Halt derselben auf glänzende Weise darthat. Der Vicekönig sagte mir bei dieser Gelegenheit, er besitze jetzt eine Cavalleriebrigade in Syrien, die durchgängig mit Nedschdi beritten sey, wofür er weder Mühe noch Kosten gescheut, von diesen Regimentern aber nun auch das Doppelte dessen erwarte, was jedes andere zu leisten fähig sey. "Auch ich, rief er, mit einem ihm wohl anstehenden Enthusiasmus aus, war einst ein firmer Cavallerist und nicht der schlechteste Reiter. Jetzt, seit wir das europäische Exercitium angenommen haben, kommt freilich mehr das Ensemble in Betracht, dennoch bleibt auch heute noch ein gutes und wohl dressirtes Pferd das nothwendigste Ingrediens zum guten Cavalleristen." "Ew. Hoheit, fiel Hr. Lesseps ein, sind in Wahrheit nur noch ein zu guter Reiter, denn vor kurzem sahen wir Sie auf dem glatten Boden der Citadelle so wild umher caracolliren, daß uns Allen bange dabei wurde." Mehemed Ali strich sich lachend den Bart, erwiederte aber: nein, nein, das ist Kinderei, jetzt bin ich alt und überlasse diese Künste Jüngeren, wie du bist. Er erzählte nun von den mancherlei tours de force der Mameluken und meinte, man möge sagen, was man wolle, eine solche Cavallerie als die ihrige gebe es nicht mehr, und es wäre falsch, wenn die Franzosen sich rühmten, daß die ihrige, in gleicher Anzahl und ohne Hülfe der Infanterie, es je mit der der Mameluken habe aufnehmen können, eine Behauptung, die ich übrigens auch schon früher von einigen französischen Officieren aus jener Zeit aufstellen hörte. "So etwas von neuem zu schaffen ist aber nicht möglich, fuhr der Vicekönig fort, Alles hat seine Epoche, und ist diese vorüber, macht sich etwas Anderes Platz. Das Todte kann man nicht wieder ins Leben rufen." Du lieber Gott, dachte ich, wollte doch diese praktische Lehre des Muselmanns mancher unserer christlichen Machthaber beherzigen!

Wir wurden hier von einem sonderbaren Zufall unterbrochen. Die Hitze war so drückend, daß einer der Diener aus dem Gefolge Mehemed Ali's einen Anfall des bösen Wesens bekam, und plötzlich die furchtbarsten Töne, wie sie dergleichen Leidende oft auszustoßen pflegen, dicht hinter uns wahrhaft grauenerregend erschallten. Mehemed Ali schien gar nicht darauf zu achten, obgleich man viele Mühe hatte, den Brüllenden fortzuschaffen, sondern setzte die Unterhaltung so ungestört fort, als habe er nichts gehört. Sobald jedoch Alles beseitigt war, bemerkte ich, daß er zweimal sich nach dem Befinden des Kranken erkundigte und Befehle gab, für ihn zu sorgen. Diese mildthätige Berücksichtigung, wie seine vorhergehende Ruhe, die unsern europäischen Sitten gar nicht eigen ist, gefielen mir.

(Fortsetzung folgt.)

Wiener Briefe.

(Beschluß.)

Auch unter den industriellen Tendenzen unserer Zeit wird oft das am wenigsten bemerkt, was bei näherer Untersuchung die meiste Beachtung verdient. Es ist unläugbar, daß auf dem Continent der österreichische Staat in Anlegung von Eisenbahnen nach allen Richtungen hin jedem andern den Rang abläuft. Die Ferdinand-Nordbahn, die Mailand-Venezianische, die Monzaer, die Raaber und eine ungarische auf dem linken Ufer (vor der Hand in Ovo) fahren schon zum Theil, oder lassen doch wenigstens ihren Dampf rauchen, d. h. setzen ihre Actien in Umlauf, und alle diese Actien steigen, daß es eine Freude ist. Unter diesen Umständen ist es billig, daß die erste, älteste und längste Eisenbahn des Continents, die zwar freilich nicht mit Dampf, sondern bescheiden mit Pferden getrieben wird, dabei nicht unerwähnt bleibe. Diese mit einer Gesammtauslage von 2,374,000 Gulden erbaute Bahn befährt eine nicht weniger als 26 deutsche Meilen betragende Strecke, von Budweiß bis Gmunden, seit 1836 ruhig fort, ohne daß irgend große Notiz davon genommen wird, und verführte 1839 im Ganzen 940,145 Centner Salz, 389,025 Centner sonstige Güter, 5007 Klafter Holz und 114,192 Personen. Trotz bedeutenden Schwierigkeiten der Anlage, trotz manchen technischen Mißgriffen eines ersten Versuchs, der übrigens zum zweckmäßigeren Betriebe des Baues späterer Eisenbahnen nicht wenig beitrug, trotz großen, dadurch veranlaßten, unnützen Ausgaben kam das Unternehmen dennoch zu Stande und stellt sich jedes Jahr günstiger für die Actionnärs. Die Schnelligkeit der Fahrt bemißt sich zu 1 1/4 Stunde für zwei deutsche Meilen. Dabei eine außerordentliche Wohlfeilheit des Preises: ein Platz in einem Wagen erster Classe kostet 7 1/2 und in denen zweiter Classe 5 Kreuzer per Meile. Ein Pferd zieht auf ebenem Wege, mit Inbegriff des Gewichts der Wagen, 122 Centner. Der Verkehr mit böhmischen Steinkohlen, welche die Eisenbahn mit 2/3 Kreuzer per Centner und Meile verführt, dürfte auf diesem Wege bald eine sehr bedeutende Ausdehnung gewinnen.

Wenden wir uns den Erscheinungen in der Kunstwelt zu, so haben diese seit unserem letzten Bericht nicht minderes Interesse geboten. Wir sollten billig der letzten lithographirten Porträts Kriehubers und mancher Landschaften und Genrebilder anderer Maler erwähnen, können aber aus Mangel an Raum in keine besondern Details eingehen, und müssen ihn für eine Leistung von höchster Bedeutsamkeit in Anspruch nehmen - wir meinen das große Bild Ludwig Schnorrs im Resectorium der Mechitaristen: Christus, der das Brod und die Fische vertheilt, eine Arbeit, des tüchtigen Meisters würdig. Die Hauptfigur des Heilands in der Mitte des Bildes ist voll Adel und Würde, und die Anordnung der verschiedenen Gruppen, die den Raum bis in den fernsten Hintergrund ausfüllen, trefflich. Die Massen sind klar getrennt, nichts dunkel oder verworren, und das klare Tageslicht, das sich über das ganze Bild ergießt, läßt

ihm dessen Vater geleistet, ein Thema, dessen er dankbar oft und gern gedenkt, fuhr er lachend fort: „Einmal ward ich in seinem Haus in keine geringe Verlegenheit gesetzt. Ich und einige andere Türken, rohe Gäste, unwissende und zügellose Menschen, wie wir damals alle waren, hatten bei ihm zu Mittag gespeist, als man nach Tisch gewahr ward, daß einige silberne Bestecke fehlten. Nie habe ich mich in solcher Beklemmung gefühlt und emsiger einen Dieb zu entdecken gesucht, denn der Gedanke peinigte mich unaufhörlich, daß mein Freund glauben könnte, ich selbst habe die fehlenden Bestecke gestohlen. Glücklicherweise ward der wirkliche Entwender kurz nachher aufgefunden, was mir einen großen Stein vom Herzen nahm.“ Ich enthalte mich jedes weitern Commentars zu diesen Worten, bedaure aber die Philisterhaftigkeit desjenigen, der, wenn er bedenkt, aus wessen Munde sie kommen, die sich selbst verläugnende Naivetät derselben nicht fühlt.

Die Manöver fesselten von nun an unsere ganze Aufmerksamkeit, und ich werde sie hinlänglich charakterisiren, wenn ich sage, daß sowohl in Betreff des äußern militärischen Anstandes und der Eleganz der Uniformen (grüne Dollmans mit gelben Schnüren und scharlachrothe weite Pantalons), als in der Präcision der verschiedenen Evolutionen die ausgeführt wurden, diese vier Escadrons der Cavallerieschule von einem europäischen Regiment durchaus nicht zu unterscheiden waren, mit der einzigen Ausnahme, daß sie weit schönere, bessere und gewandtere Pferde ritten, was sich besonders bei der Attake durch die blitzartige Rapidität und den wie versteinerten Halt derselben auf glänzende Weise darthat. Der Vicekönig sagte mir bei dieser Gelegenheit, er besitze jetzt eine Cavalleriebrigade in Syrien, die durchgängig mit Nedschdi beritten sey, wofür er weder Mühe noch Kosten gescheut, von diesen Regimentern aber nun auch das Doppelte dessen erwarte, was jedes andere zu leisten fähig sey. „Auch ich, rief er, mit einem ihm wohl anstehenden Enthusiasmus aus, war einst ein firmer Cavallerist und nicht der schlechteste Reiter. Jetzt, seit wir das europäische Exercitium angenommen haben, kommt freilich mehr das Ensemble in Betracht, dennoch bleibt auch heute noch ein gutes und wohl dressirtes Pferd das nothwendigste Ingrediens zum guten Cavalleristen.“ „Ew. Hoheit, fiel Hr. Lesseps ein, sind in Wahrheit nur noch ein zu guter Reiter, denn vor kurzem sahen wir Sie auf dem glatten Boden der Citadelle so wild umher caracolliren, daß uns Allen bange dabei wurde.“ Mehemed Ali strich sich lachend den Bart, erwiederte aber: nein, nein, das ist Kinderei, jetzt bin ich alt und überlasse diese Künste Jüngeren, wie du bist. Er erzählte nun von den mancherlei tours de force der Mameluken und meinte, man möge sagen, was man wolle, eine solche Cavallerie als die ihrige gebe es nicht mehr, und es wäre falsch, wenn die Franzosen sich rühmten, daß die ihrige, in gleicher Anzahl und ohne Hülfe der Infanterie, es je mit der der Mameluken habe aufnehmen können, eine Behauptung, die ich übrigens auch schon früher von einigen französischen Officieren aus jener Zeit aufstellen hörte. „So etwas von neuem zu schaffen ist aber nicht möglich, fuhr der Vicekönig fort, Alles hat seine Epoche, und ist diese vorüber, macht sich etwas Anderes Platz. Das Todte kann man nicht wieder ins Leben rufen.“ Du lieber Gott, dachte ich, wollte doch diese praktische Lehre des Muselmanns mancher unserer christlichen Machthaber beherzigen!

Wir wurden hier von einem sonderbaren Zufall unterbrochen. Die Hitze war so drückend, daß einer der Diener aus dem Gefolge Mehemed Ali's einen Anfall des bösen Wesens bekam, und plötzlich die furchtbarsten Töne, wie sie dergleichen Leidende oft auszustoßen pflegen, dicht hinter uns wahrhaft grauenerregend erschallten. Mehemed Ali schien gar nicht darauf zu achten, obgleich man viele Mühe hatte, den Brüllenden fortzuschaffen, sondern setzte die Unterhaltung so ungestört fort, als habe er nichts gehört. Sobald jedoch Alles beseitigt war, bemerkte ich, daß er zweimal sich nach dem Befinden des Kranken erkundigte und Befehle gab, für ihn zu sorgen. Diese mildthätige Berücksichtigung, wie seine vorhergehende Ruhe, die unsern europäischen Sitten gar nicht eigen ist, gefielen mir.

(Fortsetzung folgt.)

Wiener Briefe.

(Beschluß.)

Auch unter den industriellen Tendenzen unserer Zeit wird oft das am wenigsten bemerkt, was bei näherer Untersuchung die meiste Beachtung verdient. Es ist unläugbar, daß auf dem Continent der österreichische Staat in Anlegung von Eisenbahnen nach allen Richtungen hin jedem andern den Rang abläuft. Die Ferdinand-Nordbahn, die Mailand-Venezianische, die Monzaer, die Raaber und eine ungarische auf dem linken Ufer (vor der Hand in Ovo) fahren schon zum Theil, oder lassen doch wenigstens ihren Dampf rauchen, d. h. setzen ihre Actien in Umlauf, und alle diese Actien steigen, daß es eine Freude ist. Unter diesen Umständen ist es billig, daß die erste, älteste und längste Eisenbahn des Continents, die zwar freilich nicht mit Dampf, sondern bescheiden mit Pferden getrieben wird, dabei nicht unerwähnt bleibe. Diese mit einer Gesammtauslage von 2,374,000 Gulden erbaute Bahn befährt eine nicht weniger als 26 deutsche Meilen betragende Strecke, von Budweiß bis Gmunden, seit 1836 ruhig fort, ohne daß irgend große Notiz davon genommen wird, und verführte 1839 im Ganzen 940,145 Centner Salz, 389,025 Centner sonstige Güter, 5007 Klafter Holz und 114,192 Personen. Trotz bedeutenden Schwierigkeiten der Anlage, trotz manchen technischen Mißgriffen eines ersten Versuchs, der übrigens zum zweckmäßigeren Betriebe des Baues späterer Eisenbahnen nicht wenig beitrug, trotz großen, dadurch veranlaßten, unnützen Ausgaben kam das Unternehmen dennoch zu Stande und stellt sich jedes Jahr günstiger für die Actionnärs. Die Schnelligkeit der Fahrt bemißt sich zu 1 1/4 Stunde für zwei deutsche Meilen. Dabei eine außerordentliche Wohlfeilheit des Preises: ein Platz in einem Wagen erster Classe kostet 7 1/2 und in denen zweiter Classe 5 Kreuzer per Meile. Ein Pferd zieht auf ebenem Wege, mit Inbegriff des Gewichts der Wagen, 122 Centner. Der Verkehr mit böhmischen Steinkohlen, welche die Eisenbahn mit 2/3 Kreuzer per Centner und Meile verführt, dürfte auf diesem Wege bald eine sehr bedeutende Ausdehnung gewinnen.

Wenden wir uns den Erscheinungen in der Kunstwelt zu, so haben diese seit unserem letzten Bericht nicht minderes Interesse geboten. Wir sollten billig der letzten lithographirten Porträts Kriehubers und mancher Landschaften und Genrebilder anderer Maler erwähnen, können aber aus Mangel an Raum in keine besondern Details eingehen, und müssen ihn für eine Leistung von höchster Bedeutsamkeit in Anspruch nehmen – wir meinen das große Bild Ludwig Schnorrs im Resectorium der Mechitaristen: Christus, der das Brod und die Fische vertheilt, eine Arbeit, des tüchtigen Meisters würdig. Die Hauptfigur des Heilands in der Mitte des Bildes ist voll Adel und Würde, und die Anordnung der verschiedenen Gruppen, die den Raum bis in den fernsten Hintergrund ausfüllen, trefflich. Die Massen sind klar getrennt, nichts dunkel oder verworren, und das klare Tageslicht, das sich über das ganze Bild ergießt, läßt

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[0850/0010] ihm dessen Vater geleistet, ein Thema, dessen er dankbar oft und gern gedenkt, fuhr er lachend fort: „Einmal ward ich in seinem Haus in keine geringe Verlegenheit gesetzt. Ich und einige andere Türken, rohe Gäste, unwissende und zügellose Menschen, wie wir damals alle waren, hatten bei ihm zu Mittag gespeist, als man nach Tisch gewahr ward, daß einige silberne Bestecke fehlten. Nie habe ich mich in solcher Beklemmung gefühlt und emsiger einen Dieb zu entdecken gesucht, denn der Gedanke peinigte mich unaufhörlich, daß mein Freund glauben könnte, ich selbst habe die fehlenden Bestecke gestohlen. Glücklicherweise ward der wirkliche Entwender kurz nachher aufgefunden, was mir einen großen Stein vom Herzen nahm.“ Ich enthalte mich jedes weitern Commentars zu diesen Worten, bedaure aber die Philisterhaftigkeit desjenigen, der, wenn er bedenkt, aus wessen Munde sie kommen, die sich selbst verläugnende Naivetät derselben nicht fühlt. Die Manöver fesselten von nun an unsere ganze Aufmerksamkeit, und ich werde sie hinlänglich charakterisiren, wenn ich sage, daß sowohl in Betreff des äußern militärischen Anstandes und der Eleganz der Uniformen (grüne Dollmans mit gelben Schnüren und scharlachrothe weite Pantalons), als in der Präcision der verschiedenen Evolutionen die ausgeführt wurden, diese vier Escadrons der Cavallerieschule von einem europäischen Regiment durchaus nicht zu unterscheiden waren, mit der einzigen Ausnahme, daß sie weit schönere, bessere und gewandtere Pferde ritten, was sich besonders bei der Attake durch die blitzartige Rapidität und den wie versteinerten Halt derselben auf glänzende Weise darthat. Der Vicekönig sagte mir bei dieser Gelegenheit, er besitze jetzt eine Cavalleriebrigade in Syrien, die durchgängig mit Nedschdi beritten sey, wofür er weder Mühe noch Kosten gescheut, von diesen Regimentern aber nun auch das Doppelte dessen erwarte, was jedes andere zu leisten fähig sey. „Auch ich, rief er, mit einem ihm wohl anstehenden Enthusiasmus aus, war einst ein firmer Cavallerist und nicht der schlechteste Reiter. Jetzt, seit wir das europäische Exercitium angenommen haben, kommt freilich mehr das Ensemble in Betracht, dennoch bleibt auch heute noch ein gutes und wohl dressirtes Pferd das nothwendigste Ingrediens zum guten Cavalleristen.“ „Ew. Hoheit, fiel Hr. Lesseps ein, sind in Wahrheit nur noch ein zu guter Reiter, denn vor kurzem sahen wir Sie auf dem glatten Boden der Citadelle so wild umher caracolliren, daß uns Allen bange dabei wurde.“ Mehemed Ali strich sich lachend den Bart, erwiederte aber: nein, nein, das ist Kinderei, jetzt bin ich alt und überlasse diese Künste Jüngeren, wie du bist. Er erzählte nun von den mancherlei tours de force der Mameluken und meinte, man möge sagen, was man wolle, eine solche Cavallerie als die ihrige gebe es nicht mehr, und es wäre falsch, wenn die Franzosen sich rühmten, daß die ihrige, in gleicher Anzahl und ohne Hülfe der Infanterie, es je mit der der Mameluken habe aufnehmen können, eine Behauptung, die ich übrigens auch schon früher von einigen französischen Officieren aus jener Zeit aufstellen hörte. „So etwas von neuem zu schaffen ist aber nicht möglich, fuhr der Vicekönig fort, Alles hat seine Epoche, und ist diese vorüber, macht sich etwas Anderes Platz. Das Todte kann man nicht wieder ins Leben rufen.“ Du lieber Gott, dachte ich, wollte doch diese praktische Lehre des Muselmanns mancher unserer christlichen Machthaber beherzigen! Wir wurden hier von einem sonderbaren Zufall unterbrochen. Die Hitze war so drückend, daß einer der Diener aus dem Gefolge Mehemed Ali's einen Anfall des bösen Wesens bekam, und plötzlich die furchtbarsten Töne, wie sie dergleichen Leidende oft auszustoßen pflegen, dicht hinter uns wahrhaft grauenerregend erschallten. Mehemed Ali schien gar nicht darauf zu achten, obgleich man viele Mühe hatte, den Brüllenden fortzuschaffen, sondern setzte die Unterhaltung so ungestört fort, als habe er nichts gehört. Sobald jedoch Alles beseitigt war, bemerkte ich, daß er zweimal sich nach dem Befinden des Kranken erkundigte und Befehle gab, für ihn zu sorgen. Diese mildthätige Berücksichtigung, wie seine vorhergehende Ruhe, die unsern europäischen Sitten gar nicht eigen ist, gefielen mir. (Fortsetzung folgt.) Wiener Briefe. (Beschluß.) Auch unter den industriellen Tendenzen unserer Zeit wird oft das am wenigsten bemerkt, was bei näherer Untersuchung die meiste Beachtung verdient. Es ist unläugbar, daß auf dem Continent der österreichische Staat in Anlegung von Eisenbahnen nach allen Richtungen hin jedem andern den Rang abläuft. Die Ferdinand-Nordbahn, die Mailand-Venezianische, die Monzaer, die Raaber und eine ungarische auf dem linken Ufer (vor der Hand in Ovo) fahren schon zum Theil, oder lassen doch wenigstens ihren Dampf rauchen, d. h. setzen ihre Actien in Umlauf, und alle diese Actien steigen, daß es eine Freude ist. Unter diesen Umständen ist es billig, daß die erste, älteste und längste Eisenbahn des Continents, die zwar freilich nicht mit Dampf, sondern bescheiden mit Pferden getrieben wird, dabei nicht unerwähnt bleibe. Diese mit einer Gesammtauslage von 2,374,000 Gulden erbaute Bahn befährt eine nicht weniger als 26 deutsche Meilen betragende Strecke, von Budweiß bis Gmunden, seit 1836 ruhig fort, ohne daß irgend große Notiz davon genommen wird, und verführte 1839 im Ganzen 940,145 Centner Salz, 389,025 Centner sonstige Güter, 5007 Klafter Holz und 114,192 Personen. Trotz bedeutenden Schwierigkeiten der Anlage, trotz manchen technischen Mißgriffen eines ersten Versuchs, der übrigens zum zweckmäßigeren Betriebe des Baues späterer Eisenbahnen nicht wenig beitrug, trotz großen, dadurch veranlaßten, unnützen Ausgaben kam das Unternehmen dennoch zu Stande und stellt sich jedes Jahr günstiger für die Actionnärs. Die Schnelligkeit der Fahrt bemißt sich zu 1 1/4 Stunde für zwei deutsche Meilen. Dabei eine außerordentliche Wohlfeilheit des Preises: ein Platz in einem Wagen erster Classe kostet 7 1/2 und in denen zweiter Classe 5 Kreuzer per Meile. Ein Pferd zieht auf ebenem Wege, mit Inbegriff des Gewichts der Wagen, 122 Centner. Der Verkehr mit böhmischen Steinkohlen, welche die Eisenbahn mit 2/3 Kreuzer per Centner und Meile verführt, dürfte auf diesem Wege bald eine sehr bedeutende Ausdehnung gewinnen. Wenden wir uns den Erscheinungen in der Kunstwelt zu, so haben diese seit unserem letzten Bericht nicht minderes Interesse geboten. Wir sollten billig der letzten lithographirten Porträts Kriehubers und mancher Landschaften und Genrebilder anderer Maler erwähnen, können aber aus Mangel an Raum in keine besondern Details eingehen, und müssen ihn für eine Leistung von höchster Bedeutsamkeit in Anspruch nehmen – wir meinen das große Bild Ludwig Schnorrs im Resectorium der Mechitaristen: Christus, der das Brod und die Fische vertheilt, eine Arbeit, des tüchtigen Meisters würdig. Die Hauptfigur des Heilands in der Mitte des Bildes ist voll Adel und Würde, und die Anordnung der verschiedenen Gruppen, die den Raum bis in den fernsten Hintergrund ausfüllen, trefflich. Die Massen sind klar getrennt, nichts dunkel oder verworren, und das klare Tageslicht, das sich über das ganze Bild ergießt, läßt

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 107. Augsburg, 16. April 1840, S. 0850. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_107_18400416/10>, abgerufen am 28.03.2024.