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Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg, 15. März 1840.

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vom 11 Oct. und vom 12 Febr. ist, sich schweigend zu verhalten. Unsre zehnjährige constitutionelle Opposition, welche die Grundsätze der fünfzehnjährigen Restaurationsopposition geerbt hat, muß in ihrer eigenen Achtung sehr tief gefallen seyn, und an ihrem Glück sehr verzweifeln, wenn sie so ihre Ehre und ihre Zukunft auf einen politischen Abenteurer stellt. Wahlreform, Würde und Größe der Nation, Gewerbe, Handel, Finanzen, das und so vieles Andere gibt also der Opposition keinen Stoff zu einem Programm und zu den Bedingungen eines Vertrags mit Hrn. Thiers? Von zwei Dingen eines: entweder hofft die dynastische Opposition, Hrn. Thiers zu absorbiren, oder sie begeht einen Selbstmord, indem sie sich von ihm absorbiren läßt. Ersteres scheint uns keineswegs wahrscheinlich; und was den zweiten Punkt betrifft, wenn die dynastische Linke an dem Sieg ihrer Träume verzweifelt, wenn sie sich im Schooße der unmächtigsten aller unsrer parlamentarischen Coterien verlieren will, wenn der Tiers-Parti das letzte Wort für die Größe und Freiheit Frankreichs seyn soll, dann spreche sich die Linke offen und deutlich aus! Das Land kann nur dabei gewinnen, wenn alle Täuschungen, alle Schmach und alle Verderbtheit dieses angeblichen Repräsentativsystems in Einem Individuum sich repräsentirt sehen."

Von den eigentlichen Hofjournalen wendet sich die Revue de Paris am entschiedensten dem neuen Conseilpräsidenten zu. In ihrer neuesten politischen Uebersicht bemerkt sie: "Man hat gesagt, durch Hrn. Thiers' Ernennung werde die Revolution ans Ruder gebracht, und man werde an seinen ersten Aeußerungen die Tiefe der in der gouvernementalen Sphäre eingetretenen Veränderung erkennen. Hr. Thiers hat gesprochen; er hat sehr einfache und gemäßigte Dinge, fast in der Sprache der früherrn Verwaltungen, gesprochen. Nun wirft man ihm, naiv genug, eben diese Mäßigung, eben das Festhalten an den gouvernementalen Ueberlieferungen vor, und schmäht ihn beinahe, weil er sich klug und vorsichtig gezeigt hat. Diese Eile, eine systematische Opposition zu beginnen, scheint uns nicht sehr politisch. Ein solches Verfahren verräth mehr Leidenschaft als Voraussicht; es erbittert mehr als es belehrt, und vernünftige Männer fühlen sich nicht versucht einem Impulse von so arger Verblendung zu folgen... Was würde die Kammer an Ansehen und Autorität gewinnen, wenn das Ministerium durch das mysteriöse Spiel des Scrutins gestürzt würde? Es gibt Siege, welche denen, die sie erringen, den Untergang bereiten. Und über welchen Gegenstand, über welche Fragen hätte man hier gekämpft? Es wäre weniger eine geordnete Schlacht, als ein gelegter Hinterhalt, weniger ein politisches Urtheil als eine Intrigue. In welche Lage wäre die Kammer versetzt, wenn nach 14 Tagen ein Votum das Cabinet stürzte? Sie würde schon im zweiten Jahre ihrer Existenz die Verwaltung zum drittenmal gestürzt haben. Was soll aus ihr werden, was will sie? Es läßt sich nicht wohl annehmen, daß ein Parlament, unter dem drei Ministerien den Tod gefunden, selbst eine lange Existenz zu erwarten habe, denn diese Aufhäufung ministerieller Trümmer würde nur auf eine Unmöglichkeit festen Bestandes überhaupt hindeuten. Man würde damit zugeben, daß weder für die Freunde des Hrn. v. Mole, noch für die alten Collegen des Marschalls Soult, noch für das Ministerium des Hrn. Thiers eine Majorität möglich, und die Kammer außer Stande sey, dem Königthum den ihm durch die Constitution gebotenen Schutz zu geben. Diese Lage wäre traurig und um so bedauernswerther, als sie eine Lüge wäre. Es gibt eine Majorität in der Kammer, nur muß man dahin gelangen, sie frei zu machen, sie ans Licht zu stellen und ihr Selbstbewußtseyn zu geben."

In Bezug auf die dem Hrn. Guizot in London gebrachte Katzenmusik sagt dieselbe Revue: "Die Franzosen, welche die englische Polizei zu zerstreuen sich verpflichtet sah, haben wohl nicht bedacht, daß Hr. Guizot auf brittischem Boden nicht der Parteimann, sondern der Repräsentant des Namens und der Macht Frankreichs war, und daß sie durch den Versuch, ihn zu insultiren, ihr Vaterland im Angesicht des Auslands insultirten? Wir haben nie gehört, daß die alten Emigranten jemals den Gesandten der Republik, die sie auf den verschiedenen Punkten von Europa trafen, ein Charivari gebracht hätten. Wie will man nun, daß die andern Völker Frankreich die Achtung, welche es ansprechen kann, zollen, wenn sie sehen, wie Franzosen vom ausgezeichnetsten Talente von andern Franzosen mißkannt und beschimpft werden?"

Belgien.

Die beiden Brüder Sr. Maj. des Königs der Belgier, der regierende Herzog und der Herzog Ferdinand von Sachsen-Coburg, werden nächstens, der eine nach Sachsen, der andere nach Wien abreisen. Man versichert, die Prinzessin Victoria werde zu Brüssel den Augenblick ihrer Vermählung abwarten, die nach Ostern in Frankreich gefeiert werden wird.

Italien.

Der Brand, der vor einigen Tagen in der Bibliothek des römischen Collegiums ausbrach, hat dort größere Verwüstung angerichtet, als man anfänglich glaubte. Die Zahl der verbrannten Manuscripte übersteigt 370, unter denen sich 27 arabische, 33 persische, 9 armenische und eine unedirte Sammlung indischer und chinesischer Dramen befindet, von denen, so viel man weiß, keine Abschrift in Europa existirt. Die Zahl der gedruckten Werke, die verbrannten, ist noch nicht genau ausgemittelt; doch vermißt man ungefähr 1500 Incunabeln und die kostbare Sammlung griechischer und lateinischer Classiker, die der berühmte Philologe Muretus, der im Jahre 1585 starb, dem römischen Collegium vermachte, und die beinahe auf jeder Seite eigenhändige Randbemerkungen dieses großen Gelehrten enthielten. (Münchn. pol. Z.)

Schweiz.

Der große Rath entschied heute, in Betreff der eingelangten Verfassungspetitionen, auf den Antrag der hierüber niedergesetzten Commission: 1) Die Frage über Verfassungsrevision soll erst nach Abfluß von 10 Jahren, vom 30 Jan. 1841 an gerechnet, dem Volke unverweilt vorgelegt werden. 2) Der kleine Rath sey beauftragt in der ordentlichen Wintersitzung des großen Raths (den 16 Wintermonat) einen Vorschlag über den Modus der Abstimmung der Revisionsfrage, so wie über die Zusammensetzung des Verfassungsrathes zu hinterbringen. 3) Gegenwärtiger Beschluß soll öffentlich bekannt gemacht, mit einer Proclamation an das Volk begleitet, nebenhin der Commissionalbericht gedruckt und zahlreich unter dem Volke verbreitet werden. (Schildw. am Jura.)

Deutschland.

Se. k. Hoh. der Kronprinz wohnte gestern in der Tribune der Reichsräthe einer öffentlichen Sitzung der zweiten Kammer bei. Heute fand in der ersten Kammer eine Plenarsitzung statt. Ob es selbst bei der angestrengtesten Thätigkeit der Kammern möglich seyn wird, die Vorlagen bis zum Schlusse dieses Monats zu erledigen, ist eine Frage, die fast allgemein verneint wird. - Das hier noch herrschende Schleimfieber, in der Regel nicht bösartig, aber in einzelnen Fällen ins Nervenfieber übergehend, hat in den letzten

vom 11 Oct. und vom 12 Febr. ist, sich schweigend zu verhalten. Unsre zehnjährige constitutionelle Opposition, welche die Grundsätze der fünfzehnjährigen Restaurationsopposition geerbt hat, muß in ihrer eigenen Achtung sehr tief gefallen seyn, und an ihrem Glück sehr verzweifeln, wenn sie so ihre Ehre und ihre Zukunft auf einen politischen Abenteurer stellt. Wahlreform, Würde und Größe der Nation, Gewerbe, Handel, Finanzen, das und so vieles Andere gibt also der Opposition keinen Stoff zu einem Programm und zu den Bedingungen eines Vertrags mit Hrn. Thiers? Von zwei Dingen eines: entweder hofft die dynastische Opposition, Hrn. Thiers zu absorbiren, oder sie begeht einen Selbstmord, indem sie sich von ihm absorbiren läßt. Ersteres scheint uns keineswegs wahrscheinlich; und was den zweiten Punkt betrifft, wenn die dynastische Linke an dem Sieg ihrer Träume verzweifelt, wenn sie sich im Schooße der unmächtigsten aller unsrer parlamentarischen Coterien verlieren will, wenn der Tiers-Parti das letzte Wort für die Größe und Freiheit Frankreichs seyn soll, dann spreche sich die Linke offen und deutlich aus! Das Land kann nur dabei gewinnen, wenn alle Täuschungen, alle Schmach und alle Verderbtheit dieses angeblichen Repräsentativsystems in Einem Individuum sich repräsentirt sehen.“

Von den eigentlichen Hofjournalen wendet sich die Revue de Paris am entschiedensten dem neuen Conseilpräsidenten zu. In ihrer neuesten politischen Uebersicht bemerkt sie: „Man hat gesagt, durch Hrn. Thiers' Ernennung werde die Revolution ans Ruder gebracht, und man werde an seinen ersten Aeußerungen die Tiefe der in der gouvernementalen Sphäre eingetretenen Veränderung erkennen. Hr. Thiers hat gesprochen; er hat sehr einfache und gemäßigte Dinge, fast in der Sprache der früherrn Verwaltungen, gesprochen. Nun wirft man ihm, naiv genug, eben diese Mäßigung, eben das Festhalten an den gouvernementalen Ueberlieferungen vor, und schmäht ihn beinahe, weil er sich klug und vorsichtig gezeigt hat. Diese Eile, eine systematische Opposition zu beginnen, scheint uns nicht sehr politisch. Ein solches Verfahren verräth mehr Leidenschaft als Voraussicht; es erbittert mehr als es belehrt, und vernünftige Männer fühlen sich nicht versucht einem Impulse von so arger Verblendung zu folgen... Was würde die Kammer an Ansehen und Autorität gewinnen, wenn das Ministerium durch das mysteriöse Spiel des Scrutins gestürzt würde? Es gibt Siege, welche denen, die sie erringen, den Untergang bereiten. Und über welchen Gegenstand, über welche Fragen hätte man hier gekämpft? Es wäre weniger eine geordnete Schlacht, als ein gelegter Hinterhalt, weniger ein politisches Urtheil als eine Intrigue. In welche Lage wäre die Kammer versetzt, wenn nach 14 Tagen ein Votum das Cabinet stürzte? Sie würde schon im zweiten Jahre ihrer Existenz die Verwaltung zum drittenmal gestürzt haben. Was soll aus ihr werden, was will sie? Es läßt sich nicht wohl annehmen, daß ein Parlament, unter dem drei Ministerien den Tod gefunden, selbst eine lange Existenz zu erwarten habe, denn diese Aufhäufung ministerieller Trümmer würde nur auf eine Unmöglichkeit festen Bestandes überhaupt hindeuten. Man würde damit zugeben, daß weder für die Freunde des Hrn. v. Molé, noch für die alten Collegen des Marschalls Soult, noch für das Ministerium des Hrn. Thiers eine Majorität möglich, und die Kammer außer Stande sey, dem Königthum den ihm durch die Constitution gebotenen Schutz zu geben. Diese Lage wäre traurig und um so bedauernswerther, als sie eine Lüge wäre. Es gibt eine Majorität in der Kammer, nur muß man dahin gelangen, sie frei zu machen, sie ans Licht zu stellen und ihr Selbstbewußtseyn zu geben.“

In Bezug auf die dem Hrn. Guizot in London gebrachte Katzenmusik sagt dieselbe Revue: „Die Franzosen, welche die englische Polizei zu zerstreuen sich verpflichtet sah, haben wohl nicht bedacht, daß Hr. Guizot auf brittischem Boden nicht der Parteimann, sondern der Repräsentant des Namens und der Macht Frankreichs war, und daß sie durch den Versuch, ihn zu insultiren, ihr Vaterland im Angesicht des Auslands insultirten? Wir haben nie gehört, daß die alten Emigranten jemals den Gesandten der Republik, die sie auf den verschiedenen Punkten von Europa trafen, ein Charivari gebracht hätten. Wie will man nun, daß die andern Völker Frankreich die Achtung, welche es ansprechen kann, zollen, wenn sie sehen, wie Franzosen vom ausgezeichnetsten Talente von andern Franzosen mißkannt und beschimpft werden?“

Belgien.

Die beiden Brüder Sr. Maj. des Königs der Belgier, der regierende Herzog und der Herzog Ferdinand von Sachsen-Coburg, werden nächstens, der eine nach Sachsen, der andere nach Wien abreisen. Man versichert, die Prinzessin Victoria werde zu Brüssel den Augenblick ihrer Vermählung abwarten, die nach Ostern in Frankreich gefeiert werden wird.

Italien.

Der Brand, der vor einigen Tagen in der Bibliothek des römischen Collegiums ausbrach, hat dort größere Verwüstung angerichtet, als man anfänglich glaubte. Die Zahl der verbrannten Manuscripte übersteigt 370, unter denen sich 27 arabische, 33 persische, 9 armenische und eine unedirte Sammlung indischer und chinesischer Dramen befindet, von denen, so viel man weiß, keine Abschrift in Europa existirt. Die Zahl der gedruckten Werke, die verbrannten, ist noch nicht genau ausgemittelt; doch vermißt man ungefähr 1500 Incunabeln und die kostbare Sammlung griechischer und lateinischer Classiker, die der berühmte Philologe Muretus, der im Jahre 1585 starb, dem römischen Collegium vermachte, und die beinahe auf jeder Seite eigenhändige Randbemerkungen dieses großen Gelehrten enthielten. (Münchn. pol. Z.)

Schweiz.

Der große Rath entschied heute, in Betreff der eingelangten Verfassungspetitionen, auf den Antrag der hierüber niedergesetzten Commission: 1) Die Frage über Verfassungsrevision soll erst nach Abfluß von 10 Jahren, vom 30 Jan. 1841 an gerechnet, dem Volke unverweilt vorgelegt werden. 2) Der kleine Rath sey beauftragt in der ordentlichen Wintersitzung des großen Raths (den 16 Wintermonat) einen Vorschlag über den Modus der Abstimmung der Revisionsfrage, so wie über die Zusammensetzung des Verfassungsrathes zu hinterbringen. 3) Gegenwärtiger Beschluß soll öffentlich bekannt gemacht, mit einer Proclamation an das Volk begleitet, nebenhin der Commissionalbericht gedruckt und zahlreich unter dem Volke verbreitet werden. (Schildw. am Jura.)

Deutschland.

Se. k. Hoh. der Kronprinz wohnte gestern in der Tribune der Reichsräthe einer öffentlichen Sitzung der zweiten Kammer bei. Heute fand in der ersten Kammer eine Plenarsitzung statt. Ob es selbst bei der angestrengtesten Thätigkeit der Kammern möglich seyn wird, die Vorlagen bis zum Schlusse dieses Monats zu erledigen, ist eine Frage, die fast allgemein verneint wird. – Das hier noch herrschende Schleimfieber, in der Regel nicht bösartig, aber in einzelnen Fällen ins Nervenfieber übergehend, hat in den letzten

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[0595/0003] vom 11 Oct. und vom 12 Febr. ist, sich schweigend zu verhalten. Unsre zehnjährige constitutionelle Opposition, welche die Grundsätze der fünfzehnjährigen Restaurationsopposition geerbt hat, muß in ihrer eigenen Achtung sehr tief gefallen seyn, und an ihrem Glück sehr verzweifeln, wenn sie so ihre Ehre und ihre Zukunft auf einen politischen Abenteurer stellt. Wahlreform, Würde und Größe der Nation, Gewerbe, Handel, Finanzen, das und so vieles Andere gibt also der Opposition keinen Stoff zu einem Programm und zu den Bedingungen eines Vertrags mit Hrn. Thiers? Von zwei Dingen eines: entweder hofft die dynastische Opposition, Hrn. Thiers zu absorbiren, oder sie begeht einen Selbstmord, indem sie sich von ihm absorbiren läßt. Ersteres scheint uns keineswegs wahrscheinlich; und was den zweiten Punkt betrifft, wenn die dynastische Linke an dem Sieg ihrer Träume verzweifelt, wenn sie sich im Schooße der unmächtigsten aller unsrer parlamentarischen Coterien verlieren will, wenn der Tiers-Parti das letzte Wort für die Größe und Freiheit Frankreichs seyn soll, dann spreche sich die Linke offen und deutlich aus! Das Land kann nur dabei gewinnen, wenn alle Täuschungen, alle Schmach und alle Verderbtheit dieses angeblichen Repräsentativsystems in Einem Individuum sich repräsentirt sehen.“ Von den eigentlichen Hofjournalen wendet sich die Revue de Paris am entschiedensten dem neuen Conseilpräsidenten zu. In ihrer neuesten politischen Uebersicht bemerkt sie: „Man hat gesagt, durch Hrn. Thiers' Ernennung werde die Revolution ans Ruder gebracht, und man werde an seinen ersten Aeußerungen die Tiefe der in der gouvernementalen Sphäre eingetretenen Veränderung erkennen. Hr. Thiers hat gesprochen; er hat sehr einfache und gemäßigte Dinge, fast in der Sprache der früherrn Verwaltungen, gesprochen. Nun wirft man ihm, naiv genug, eben diese Mäßigung, eben das Festhalten an den gouvernementalen Ueberlieferungen vor, und schmäht ihn beinahe, weil er sich klug und vorsichtig gezeigt hat. Diese Eile, eine systematische Opposition zu beginnen, scheint uns nicht sehr politisch. Ein solches Verfahren verräth mehr Leidenschaft als Voraussicht; es erbittert mehr als es belehrt, und vernünftige Männer fühlen sich nicht versucht einem Impulse von so arger Verblendung zu folgen... Was würde die Kammer an Ansehen und Autorität gewinnen, wenn das Ministerium durch das mysteriöse Spiel des Scrutins gestürzt würde? Es gibt Siege, welche denen, die sie erringen, den Untergang bereiten. Und über welchen Gegenstand, über welche Fragen hätte man hier gekämpft? Es wäre weniger eine geordnete Schlacht, als ein gelegter Hinterhalt, weniger ein politisches Urtheil als eine Intrigue. In welche Lage wäre die Kammer versetzt, wenn nach 14 Tagen ein Votum das Cabinet stürzte? Sie würde schon im zweiten Jahre ihrer Existenz die Verwaltung zum drittenmal gestürzt haben. Was soll aus ihr werden, was will sie? Es läßt sich nicht wohl annehmen, daß ein Parlament, unter dem drei Ministerien den Tod gefunden, selbst eine lange Existenz zu erwarten habe, denn diese Aufhäufung ministerieller Trümmer würde nur auf eine Unmöglichkeit festen Bestandes überhaupt hindeuten. Man würde damit zugeben, daß weder für die Freunde des Hrn. v. Molé, noch für die alten Collegen des Marschalls Soult, noch für das Ministerium des Hrn. Thiers eine Majorität möglich, und die Kammer außer Stande sey, dem Königthum den ihm durch die Constitution gebotenen Schutz zu geben. Diese Lage wäre traurig und um so bedauernswerther, als sie eine Lüge wäre. Es gibt eine Majorität in der Kammer, nur muß man dahin gelangen, sie frei zu machen, sie ans Licht zu stellen und ihr Selbstbewußtseyn zu geben.“ In Bezug auf die dem Hrn. Guizot in London gebrachte Katzenmusik sagt dieselbe Revue: „Die Franzosen, welche die englische Polizei zu zerstreuen sich verpflichtet sah, haben wohl nicht bedacht, daß Hr. Guizot auf brittischem Boden nicht der Parteimann, sondern der Repräsentant des Namens und der Macht Frankreichs war, und daß sie durch den Versuch, ihn zu insultiren, ihr Vaterland im Angesicht des Auslands insultirten? Wir haben nie gehört, daß die alten Emigranten jemals den Gesandten der Republik, die sie auf den verschiedenen Punkten von Europa trafen, ein Charivari gebracht hätten. Wie will man nun, daß die andern Völker Frankreich die Achtung, welche es ansprechen kann, zollen, wenn sie sehen, wie Franzosen vom ausgezeichnetsten Talente von andern Franzosen mißkannt und beschimpft werden?“ Belgien. _ Brüssel, 7 März, Die beiden Brüder Sr. Maj. des Königs der Belgier, der regierende Herzog und der Herzog Ferdinand von Sachsen-Coburg, werden nächstens, der eine nach Sachsen, der andere nach Wien abreisen. Man versichert, die Prinzessin Victoria werde zu Brüssel den Augenblick ihrer Vermählung abwarten, die nach Ostern in Frankreich gefeiert werden wird. Italien. _ Rom, 21 Febr. Der Brand, der vor einigen Tagen in der Bibliothek des römischen Collegiums ausbrach, hat dort größere Verwüstung angerichtet, als man anfänglich glaubte. Die Zahl der verbrannten Manuscripte übersteigt 370, unter denen sich 27 arabische, 33 persische, 9 armenische und eine unedirte Sammlung indischer und chinesischer Dramen befindet, von denen, so viel man weiß, keine Abschrift in Europa existirt. Die Zahl der gedruckten Werke, die verbrannten, ist noch nicht genau ausgemittelt; doch vermißt man ungefähr 1500 Incunabeln und die kostbare Sammlung griechischer und lateinischer Classiker, die der berühmte Philologe Muretus, der im Jahre 1585 starb, dem römischen Collegium vermachte, und die beinahe auf jeder Seite eigenhändige Randbemerkungen dieses großen Gelehrten enthielten. (Münchn. pol. Z.) Schweiz. _ Luzern, 6 März. Der große Rath entschied heute, in Betreff der eingelangten Verfassungspetitionen, auf den Antrag der hierüber niedergesetzten Commission: 1) Die Frage über Verfassungsrevision soll erst nach Abfluß von 10 Jahren, vom 30 Jan. 1841 an gerechnet, dem Volke unverweilt vorgelegt werden. 2) Der kleine Rath sey beauftragt in der ordentlichen Wintersitzung des großen Raths (den 16 Wintermonat) einen Vorschlag über den Modus der Abstimmung der Revisionsfrage, so wie über die Zusammensetzung des Verfassungsrathes zu hinterbringen. 3) Gegenwärtiger Beschluß soll öffentlich bekannt gemacht, mit einer Proclamation an das Volk begleitet, nebenhin der Commissionalbericht gedruckt und zahlreich unter dem Volke verbreitet werden. (Schildw. am Jura.) Deutschland. _ München, 13 März. Se. k. Hoh. der Kronprinz wohnte gestern in der Tribune der Reichsräthe einer öffentlichen Sitzung der zweiten Kammer bei. Heute fand in der ersten Kammer eine Plenarsitzung statt. Ob es selbst bei der angestrengtesten Thätigkeit der Kammern möglich seyn wird, die Vorlagen bis zum Schlusse dieses Monats zu erledigen, ist eine Frage, die fast allgemein verneint wird. – Das hier noch herrschende Schleimfieber, in der Regel nicht bösartig, aber in einzelnen Fällen ins Nervenfieber übergehend, hat in den letzten

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg, 15. März 1840, S. 0595. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_075_18400315/3>, abgerufen am 25.04.2024.