Allgemeine Zeitung. Nr. 75. Augsburg, 15. März 1840.Nun, welches schöne Buch glaubt ihr wohl, daß er in dieser dem äußern Leben so hermetisch verschlossenen Zurückgezogenheit vorbereitet? - Ein Werk in drei oder vier Octavbänden, das den Titel führen wird: "Vom politischen, moralischen und intellectuellen Zustand Frankreichs im Jahr 1840" Daß das Buch eine von Seite der Forschung und Gelehrsamkeit treffliche Arbeit werden wird, das ist zu vermuthen; aber auch ein wahres und lebendiges Buch? - Ich zweifle daran. Gleichwohl, alle diese Bücher, gut oder schlecht, schnell oder langsam geschrieben, werden gedruckt und verkauft, denn die deutsche Nation bedarf unermeßlich viel Bücher. Bücher brauchen die Weltleute, die noch nicht, wie in Frankreich, vom Geräusch der Politik verschlungen sind; Bücher braucht jener ganze friedliche, glückliche Bürgerstand, der es sich zu einem süßen Gesetz gemacht hat, zu studiren und sich zu unterrichten; Bücher brauchen die Handwerker und die Bauern, die alle lesen können und in ihren Werkstätten oder auf ihrem Maierhof ein paar Bände haben wollen für die Winterabende und ihre Sabbathruhe. Daher kommt es, daß die deutschen Buchhändler, trotz mancher falschen Speculationen, und obgleich sie am Ende des Jahres einen Stoß jener unglücklichen retrograden Werke wieder ihr Lager beziehen sehen, die man Krebse (des Krebsen) nennt, sich annoch bereichern oder wenigstens ihr Geschäft in leidlichem Gleichgewicht erhalten. (Fortsetzung folgt.) Erläuterungen über die Westslaven. Aus Böhmen. (Beschluß.) Der Czechengegner schwebt in einem gewaltigen Irrthum in Beziehung auf die verschiedenen Verwandtschaftsgrade der slavischen Sprachen unter sich. Er ist seiner Sache zwar nicht recht gewiß, denn er sagt: "Der czechische und moskowitische Dialekt stehen sich, wenn ich nicht irre, im Bau und Klange am nächsten - das Polnische steht trennend zwischen dem Moskowitischen und Czechischen - der Pole versteht den Slowaken, nicht aber den Czechen!" Der Czechengegner irrt und zwar gewaltig. Traut er der Versicherung des Schreibers dieser Worte nicht, dem die Sprache des slavischen Volkes in Böhmen und Mähren, Schlesien und Ungarn durch persönlichen Verkehr bekannt, und dem der grammatikalische Bau der meisten übrigen slavischen Zungen nicht fremd ist, so möge er dem Ausspruche Dobrowsky's Glauben schenken, *) aus dessen Eintheilung der slavischen Völker nach der Sprachverwandtschaft deutlich hervorgeht, daß die russische Sprache mit der bulgarischen, illyrischen und mit der Sprache der Südslaven überhaupt verwandt sey; die polnische hingegen sich der böhmisch-slovenischen und der Sprache der Lausitzer Serben am meisten nähere. Ueberdieß hat der Opponent seinen Irrthum eingestanden, indem er behauptet, der Pole verstünde den Slowaken, da doch die böhmische und slowakische Sprache bis auf einige Dialektnüancen eine und dieselbe ist, ja die letztere sich in mancher Beziehung der böhmischen Schriftsprache mehr nähert, als die Sprache des gemeinen Volkes in Böhmen und Mähren. Sogar der slavische Dialekt in Schlesien (das Wasserpolische) ist ein Mittelding zwischen dem Böhmischen und Polnischen, schließt sich aber in litterarischer und kirchlicher Beziehung größtentheils an die böhmische. "In vielen Gegenden Schlesiens betet das Volk aus Büchern im reinsten Böhmisch geschrieben, es hört die Predigt in böhmischer Sprache, es singt fromme und weltliche Lieder in ausdrucksvollen böhmischen Tönen, auf den Kirchhöfen findet man böhmische Aufschriften, wie ich mich davon persönlich überzeugte. Es verbindet also noch immer die Böhmen, Mährer, Slowaken und Schlesier ein und dieselbe Sprache. Wer es also wagt, den alten Kanon unserer Schriftsprache anzutasten, der rüttelt muthwillig an dem natürlichen Bande, welches diese vier Völker verbindet, und gräbt das Grab unserer uralten Verbrüderung." *) Dieser Ausspruch eines gewiß competenten Richters bezieht sich auf einige katholische Geistliche des Tyrnauer Bezirks in Ungarn, die, von dem Pfarrer Ant. Bernolak dazu angeleitet, in ihrem Dialekte schrieben und zum Theile noch schreiben und zwar nach Regeln, die sie sich willkürlich festsetzen. Vielleicht meint der Czechengegner diesen Dialekt, da er von einer Sprache der Slowaken, die sich mehr der polnischen als der böhmischen Sprache nähern soll, fabelt. In diesem Falle muß er die ausdrückliche Versicherung hinnehmen, daß die Bernolak'sche Grammatik von der böhmischen bloß in einigen nicht bedeutenden Punkten abweicht, von der polnischen aber weit mehr als die deutsche von der schwedischen verschieden ist. Es ist Thatsache, daß die Slowaken, **) deren redliches Streben nach höherer, ächt nationaler Bildung Achtung, ja wenn man die Schwierigkeiten erwägt, mit deren dieses Urvolk des Karpathenlandes zu kämpfen hat, Bewunderung verdient - es ist Thatsache, daß diese Slaven nicht nur von Böhmen und Mähren aus mit geistlichen und weltlichen Schriften und katholischen Gebetbüchern versehen werden, sondern daß sie bereits böhmisch-slovenische Druckereien und Buchhandlungen - wie jene des verdienstvollen Fejerpataky zu St. Miklos - besitzen. Man findet in der Zeitschrift Kwety (nicht Kwutz, wie es im Aufsatze des Opponenten wahrscheinlich als Druckfehler stand) häufige Correspondenzartikel, die über das Gedeihen der Volkscultur, Schullehrervereine, Lesegesellschaften, Casinen u. s. w. unter den Ungarn der böhmisch-slovenischen Zunge Nachricht geben. Endlich sind ja der größte jetzt lebende Dichter der Westslaven, Kolar, und der größte Historiker aller Slaven, Schafarik, geborne Nordungarn, an die sich noch eine Reihe bedeutender Schriftsteller, demselben Lande entsprossen, anschließt. Kann der Gegner auch nur einen einzigen Gelehrten unter den Slowaken nennen, der je ein polnisches Buch geschrieben hätte? Der Antagonist behauptet ferner, daß nur protestantische Pfarrer unter den Slowaken auf der Kanzel czechisch sprächen, weil sich der Protestantismus dahin aus Böhmen geflüchtet hatte. Soll dieß eine indirecte Anklage gegen die Reinheit der katholischen Gesinnung derjenigen seyn, die sich der Partei der czechischen Slaven anschließen? Dann bedarf der Czechengegner nothwendig einer Aufklärung über diesen Punkt. Ja die katholische Geistlichkeit in Böhmen, Mähren und in neuester Zeit im nördlichen Ungarn ist die Hauptstütze der erwachten böhmischen Litteratur, sie bildet den Kern des böhmischen Lesepublicums, wie es die Pränumerationsverzeichnisse czechischer Bücher ausweisen. Ein großer Theil der würdigen Diener der Kirche widmet seine Muße und seine pecuniären Mittel der vaterländischen Litteratur, *) S. Dobrowsky Slowanka Th. I. S. 159. - Dobrowsky Lehrgebäude der böhm. Sprache und Litteratur S. 30. Dobr. Instit. ling. slav. III, IV. Der Ansicht Dobrowsky's treten fast alle Linguisten bei, wie Durich Bibl. slav. p. 265. Adelungs-Mithridat. II. 610. u. s. w. *) Casop. cesk. Museum 1839. 2tes H. **) Um ferneren Mißverständnissen auszuweichen, wird erklärt, daß hier bloß von dem etwa 3,400,000 Seelen zählenden Volke der Slowaken, nicht aber von den unter ihnen angesiedelten Russinen und den polnischen Goralen die Rede sey.
Nun, welches schöne Buch glaubt ihr wohl, daß er in dieser dem äußern Leben so hermetisch verschlossenen Zurückgezogenheit vorbereitet? – Ein Werk in drei oder vier Octavbänden, das den Titel führen wird: „Vom politischen, moralischen und intellectuellen Zustand Frankreichs im Jahr 1840“ Daß das Buch eine von Seite der Forschung und Gelehrsamkeit treffliche Arbeit werden wird, das ist zu vermuthen; aber auch ein wahres und lebendiges Buch? – Ich zweifle daran. Gleichwohl, alle diese Bücher, gut oder schlecht, schnell oder langsam geschrieben, werden gedruckt und verkauft, denn die deutsche Nation bedarf unermeßlich viel Bücher. Bücher brauchen die Weltleute, die noch nicht, wie in Frankreich, vom Geräusch der Politik verschlungen sind; Bücher braucht jener ganze friedliche, glückliche Bürgerstand, der es sich zu einem süßen Gesetz gemacht hat, zu studiren und sich zu unterrichten; Bücher brauchen die Handwerker und die Bauern, die alle lesen können und in ihren Werkstätten oder auf ihrem Maierhof ein paar Bände haben wollen für die Winterabende und ihre Sabbathruhe. Daher kommt es, daß die deutschen Buchhändler, trotz mancher falschen Speculationen, und obgleich sie am Ende des Jahres einen Stoß jener unglücklichen retrograden Werke wieder ihr Lager beziehen sehen, die man Krebse (des Krebsen) nennt, sich annoch bereichern oder wenigstens ihr Geschäft in leidlichem Gleichgewicht erhalten. (Fortsetzung folgt.) Erläuterungen über die Westslaven. Aus Böhmen. (Beschluß.) Der Czechengegner schwebt in einem gewaltigen Irrthum in Beziehung auf die verschiedenen Verwandtschaftsgrade der slavischen Sprachen unter sich. Er ist seiner Sache zwar nicht recht gewiß, denn er sagt: „Der czechische und moskowitische Dialekt stehen sich, wenn ich nicht irre, im Bau und Klange am nächsten – das Polnische steht trennend zwischen dem Moskowitischen und Czechischen – der Pole versteht den Slowaken, nicht aber den Czechen!“ Der Czechengegner irrt und zwar gewaltig. Traut er der Versicherung des Schreibers dieser Worte nicht, dem die Sprache des slavischen Volkes in Böhmen und Mähren, Schlesien und Ungarn durch persönlichen Verkehr bekannt, und dem der grammatikalische Bau der meisten übrigen slavischen Zungen nicht fremd ist, so möge er dem Ausspruche Dobrowsky's Glauben schenken, *) aus dessen Eintheilung der slavischen Völker nach der Sprachverwandtschaft deutlich hervorgeht, daß die russische Sprache mit der bulgarischen, illyrischen und mit der Sprache der Südslaven überhaupt verwandt sey; die polnische hingegen sich der böhmisch-slovenischen und der Sprache der Lausitzer Serben am meisten nähere. Ueberdieß hat der Opponent seinen Irrthum eingestanden, indem er behauptet, der Pole verstünde den Slowaken, da doch die böhmische und slowakische Sprache bis auf einige Dialektnüancen eine und dieselbe ist, ja die letztere sich in mancher Beziehung der böhmischen Schriftsprache mehr nähert, als die Sprache des gemeinen Volkes in Böhmen und Mähren. Sogar der slavische Dialekt in Schlesien (das Wasserpolische) ist ein Mittelding zwischen dem Böhmischen und Polnischen, schließt sich aber in litterarischer und kirchlicher Beziehung größtentheils an die böhmische. „In vielen Gegenden Schlesiens betet das Volk aus Büchern im reinsten Böhmisch geschrieben, es hört die Predigt in böhmischer Sprache, es singt fromme und weltliche Lieder in ausdrucksvollen böhmischen Tönen, auf den Kirchhöfen findet man böhmische Aufschriften, wie ich mich davon persönlich überzeugte. Es verbindet also noch immer die Böhmen, Mährer, Slowaken und Schlesier ein und dieselbe Sprache. Wer es also wagt, den alten Kanon unserer Schriftsprache anzutasten, der rüttelt muthwillig an dem natürlichen Bande, welches diese vier Völker verbindet, und gräbt das Grab unserer uralten Verbrüderung.“ *) Dieser Ausspruch eines gewiß competenten Richters bezieht sich auf einige katholische Geistliche des Tyrnauer Bezirks in Ungarn, die, von dem Pfarrer Ant. Bernolak dazu angeleitet, in ihrem Dialekte schrieben und zum Theile noch schreiben und zwar nach Regeln, die sie sich willkürlich festsetzen. Vielleicht meint der Czechengegner diesen Dialekt, da er von einer Sprache der Slowaken, die sich mehr der polnischen als der böhmischen Sprache nähern soll, fabelt. In diesem Falle muß er die ausdrückliche Versicherung hinnehmen, daß die Bernolak'sche Grammatik von der böhmischen bloß in einigen nicht bedeutenden Punkten abweicht, von der polnischen aber weit mehr als die deutsche von der schwedischen verschieden ist. Es ist Thatsache, daß die Slowaken, **) deren redliches Streben nach höherer, ächt nationaler Bildung Achtung, ja wenn man die Schwierigkeiten erwägt, mit deren dieses Urvolk des Karpathenlandes zu kämpfen hat, Bewunderung verdient – es ist Thatsache, daß diese Slaven nicht nur von Böhmen und Mähren aus mit geistlichen und weltlichen Schriften und katholischen Gebetbüchern versehen werden, sondern daß sie bereits böhmisch-slovenische Druckereien und Buchhandlungen – wie jene des verdienstvollen Fejérpataky zu St. Miklos – besitzen. Man findet in der Zeitschrift Kwety (nicht Kwutz, wie es im Aufsatze des Opponenten wahrscheinlich als Druckfehler stand) häufige Correspondenzartikel, die über das Gedeihen der Volkscultur, Schullehrervereine, Lesegesellschaften, Casinen u. s. w. unter den Ungarn der böhmisch-slovenischen Zunge Nachricht geben. Endlich sind ja der größte jetzt lebende Dichter der Westslaven, Kolár, und der größte Historiker aller Slaven, Schafarik, geborne Nordungarn, an die sich noch eine Reihe bedeutender Schriftsteller, demselben Lande entsprossen, anschließt. Kann der Gegner auch nur einen einzigen Gelehrten unter den Slowaken nennen, der je ein polnisches Buch geschrieben hätte? Der Antagonist behauptet ferner, daß nur protestantische Pfarrer unter den Slowaken auf der Kanzel czechisch sprächen, weil sich der Protestantismus dahin aus Böhmen geflüchtet hatte. Soll dieß eine indirecte Anklage gegen die Reinheit der katholischen Gesinnung derjenigen seyn, die sich der Partei der czechischen Slaven anschließen? Dann bedarf der Czechengegner nothwendig einer Aufklärung über diesen Punkt. Ja die katholische Geistlichkeit in Böhmen, Mähren und in neuester Zeit im nördlichen Ungarn ist die Hauptstütze der erwachten böhmischen Litteratur, sie bildet den Kern des böhmischen Lesepublicums, wie es die Pränumerationsverzeichnisse czechischer Bücher ausweisen. Ein großer Theil der würdigen Diener der Kirche widmet seine Muße und seine pecuniären Mittel der vaterländischen Litteratur, *) S. Dobrowsky Slowanka Th. I. S. 159. – Dobrowsky Lehrgebäude der böhm. Sprache und Litteratur S. 30. Dobr. Instit. ling. slav. III, IV. Der Ansicht Dobrowsky's treten fast alle Linguisten bei, wie Durich Bibl. slav. p. 265. Adelungs-Mithridat. II. 610. u. s. w. *) Casop. cesk. Museum 1839. 2tes H. **) Um ferneren Mißverständnissen auszuweichen, wird erklärt, daß hier bloß von dem etwa 3,400,000 Seelen zählenden Volke der Slowaken, nicht aber von den unter ihnen angesiedelten Russinen und den polnischen Goralen die Rede sey.
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Daher kommt es, daß die deutschen Buchhändler, trotz mancher falschen Speculationen, und obgleich sie am Ende des Jahres einen Stoß jener unglücklichen retrograden Werke wieder ihr Lager beziehen sehen, die man Krebse (des Krebsen) nennt, sich annoch bereichern oder wenigstens ihr Geschäft in leidlichem Gleichgewicht erhalten.</p><lb/> <p>(Fortsetzung folgt.)</p><lb/> </div> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Erläuterungen über die Westslaven</hi>.</hi> </head><lb/> <div n="2"> <byline> <docAuthor> <gap reason="insignificant"/> </docAuthor> </byline> <dateline> <hi rendition="#b">Aus Böhmen.</hi> </dateline> <p> (Beschluß.) Der Czechengegner schwebt in einem gewaltigen Irrthum in Beziehung auf die verschiedenen Verwandtschaftsgrade der slavischen Sprachen unter sich. 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II. 610. u. s. w.</note> aus dessen Eintheilung der slavischen Völker nach der Sprachverwandtschaft deutlich hervorgeht, daß die russische Sprache mit der bulgarischen, illyrischen und mit der Sprache der Südslaven überhaupt verwandt sey; die polnische hingegen sich der böhmisch-slovenischen und der Sprache der Lausitzer Serben am meisten nähere. Ueberdieß hat der Opponent seinen Irrthum eingestanden, indem er behauptet, der Pole verstünde den Slowaken, da doch die böhmische und slowakische Sprache bis auf einige Dialektnüancen eine und dieselbe ist, ja die letztere sich in mancher Beziehung der böhmischen Schriftsprache mehr nähert, als die Sprache des gemeinen Volkes in Böhmen und Mähren. Sogar der slavische Dialekt in Schlesien (das Wasserpolische) ist ein Mittelding zwischen dem Böhmischen und Polnischen, schließt sich aber in litterarischer und kirchlicher Beziehung größtentheils an die böhmische. „In vielen Gegenden Schlesiens betet das Volk aus Büchern im reinsten Böhmisch geschrieben, es hört die Predigt in böhmischer Sprache, es singt fromme und weltliche Lieder in ausdrucksvollen böhmischen Tönen, auf den Kirchhöfen findet man böhmische Aufschriften, wie ich mich davon persönlich überzeugte. Es verbindet also noch immer die Böhmen, Mährer, Slowaken und Schlesier ein und dieselbe Sprache. Wer es also wagt, den alten Kanon unserer Schriftsprache anzutasten, der rüttelt muthwillig an dem natürlichen Bande, welches diese vier Völker verbindet, und gräbt das Grab unserer uralten Verbrüderung.“ <note place="foot" n="*)"> Casop. cesk. Museum 1839. 2tes H.</note> Dieser Ausspruch eines gewiß competenten Richters bezieht sich auf einige katholische Geistliche des Tyrnauer Bezirks in Ungarn, die, von dem Pfarrer Ant. Bernolak dazu angeleitet, in ihrem Dialekte schrieben und zum Theile noch schreiben und zwar nach Regeln, die sie sich willkürlich festsetzen. Vielleicht meint der Czechengegner diesen Dialekt, da er von einer Sprache der Slowaken, die sich mehr der polnischen als der böhmischen Sprache nähern soll, fabelt. In diesem Falle muß er die ausdrückliche Versicherung hinnehmen, daß die Bernolak'sche Grammatik von der böhmischen bloß in einigen nicht bedeutenden Punkten abweicht, von der polnischen aber weit mehr als die deutsche von der schwedischen verschieden ist. 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Man findet in der Zeitschrift Kwety (nicht Kwutz, wie es im Aufsatze des Opponenten wahrscheinlich als Druckfehler stand) häufige Correspondenzartikel, die über das Gedeihen der Volkscultur, Schullehrervereine, Lesegesellschaften, Casinen u. s. w. unter den Ungarn der böhmisch-slovenischen Zunge Nachricht geben. Endlich sind ja der größte jetzt lebende Dichter der Westslaven, <hi rendition="#g">Kolár</hi>, und der größte Historiker aller Slaven, <hi rendition="#g">Schafarik</hi>, geborne Nordungarn, an die sich noch eine Reihe bedeutender Schriftsteller, demselben Lande entsprossen, anschließt. Kann der Gegner auch nur einen einzigen Gelehrten unter den Slowaken nennen, der je ein polnisches Buch geschrieben hätte? Der Antagonist behauptet ferner, daß nur protestantische Pfarrer unter den Slowaken auf der Kanzel czechisch sprächen, <hi rendition="#g">weil sich der Protestantismus dahin aus Böhmen geflüchtet hatte</hi>. 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Nun, welches schöne Buch glaubt ihr wohl, daß er in dieser dem äußern Leben so hermetisch verschlossenen Zurückgezogenheit vorbereitet? – Ein Werk in drei oder vier Octavbänden, das den Titel führen wird: „Vom politischen, moralischen und intellectuellen Zustand Frankreichs im Jahr 1840“ Daß das Buch eine von Seite der Forschung und Gelehrsamkeit treffliche Arbeit werden wird, das ist zu vermuthen; aber auch ein wahres und lebendiges Buch? – Ich zweifle daran.
Gleichwohl, alle diese Bücher, gut oder schlecht, schnell oder langsam geschrieben, werden gedruckt und verkauft, denn die deutsche Nation bedarf unermeßlich viel Bücher. Bücher brauchen die Weltleute, die noch nicht, wie in Frankreich, vom Geräusch der Politik verschlungen sind; Bücher braucht jener ganze friedliche, glückliche Bürgerstand, der es sich zu einem süßen Gesetz gemacht hat, zu studiren und sich zu unterrichten; Bücher brauchen die Handwerker und die Bauern, die alle lesen können und in ihren Werkstätten oder auf ihrem Maierhof ein paar Bände haben wollen für die Winterabende und ihre Sabbathruhe. Daher kommt es, daß die deutschen Buchhändler, trotz mancher falschen Speculationen, und obgleich sie am Ende des Jahres einen Stoß jener unglücklichen retrograden Werke wieder ihr Lager beziehen sehen, die man Krebse (des Krebsen) nennt, sich annoch bereichern oder wenigstens ihr Geschäft in leidlichem Gleichgewicht erhalten.
(Fortsetzung folgt.)
Erläuterungen über die Westslaven.
_ Aus Böhmen. (Beschluß.) Der Czechengegner schwebt in einem gewaltigen Irrthum in Beziehung auf die verschiedenen Verwandtschaftsgrade der slavischen Sprachen unter sich. Er ist seiner Sache zwar nicht recht gewiß, denn er sagt: „Der czechische und moskowitische Dialekt stehen sich, wenn ich nicht irre, im Bau und Klange am nächsten – das Polnische steht trennend zwischen dem Moskowitischen und Czechischen – der Pole versteht den Slowaken, nicht aber den Czechen!“ Der Czechengegner irrt und zwar gewaltig. Traut er der Versicherung des Schreibers dieser Worte nicht, dem die Sprache des slavischen Volkes in Böhmen und Mähren, Schlesien und Ungarn durch persönlichen Verkehr bekannt, und dem der grammatikalische Bau der meisten übrigen slavischen Zungen nicht fremd ist, so möge er dem Ausspruche Dobrowsky's Glauben schenken, *) aus dessen Eintheilung der slavischen Völker nach der Sprachverwandtschaft deutlich hervorgeht, daß die russische Sprache mit der bulgarischen, illyrischen und mit der Sprache der Südslaven überhaupt verwandt sey; die polnische hingegen sich der böhmisch-slovenischen und der Sprache der Lausitzer Serben am meisten nähere. Ueberdieß hat der Opponent seinen Irrthum eingestanden, indem er behauptet, der Pole verstünde den Slowaken, da doch die böhmische und slowakische Sprache bis auf einige Dialektnüancen eine und dieselbe ist, ja die letztere sich in mancher Beziehung der böhmischen Schriftsprache mehr nähert, als die Sprache des gemeinen Volkes in Böhmen und Mähren. Sogar der slavische Dialekt in Schlesien (das Wasserpolische) ist ein Mittelding zwischen dem Böhmischen und Polnischen, schließt sich aber in litterarischer und kirchlicher Beziehung größtentheils an die böhmische. „In vielen Gegenden Schlesiens betet das Volk aus Büchern im reinsten Böhmisch geschrieben, es hört die Predigt in böhmischer Sprache, es singt fromme und weltliche Lieder in ausdrucksvollen böhmischen Tönen, auf den Kirchhöfen findet man böhmische Aufschriften, wie ich mich davon persönlich überzeugte. Es verbindet also noch immer die Böhmen, Mährer, Slowaken und Schlesier ein und dieselbe Sprache. Wer es also wagt, den alten Kanon unserer Schriftsprache anzutasten, der rüttelt muthwillig an dem natürlichen Bande, welches diese vier Völker verbindet, und gräbt das Grab unserer uralten Verbrüderung.“ *) Dieser Ausspruch eines gewiß competenten Richters bezieht sich auf einige katholische Geistliche des Tyrnauer Bezirks in Ungarn, die, von dem Pfarrer Ant. Bernolak dazu angeleitet, in ihrem Dialekte schrieben und zum Theile noch schreiben und zwar nach Regeln, die sie sich willkürlich festsetzen. Vielleicht meint der Czechengegner diesen Dialekt, da er von einer Sprache der Slowaken, die sich mehr der polnischen als der böhmischen Sprache nähern soll, fabelt. In diesem Falle muß er die ausdrückliche Versicherung hinnehmen, daß die Bernolak'sche Grammatik von der böhmischen bloß in einigen nicht bedeutenden Punkten abweicht, von der polnischen aber weit mehr als die deutsche von der schwedischen verschieden ist. Es ist Thatsache, daß die Slowaken, **) deren redliches Streben nach höherer, ächt nationaler Bildung Achtung, ja wenn man die Schwierigkeiten erwägt, mit deren dieses Urvolk des Karpathenlandes zu kämpfen hat, Bewunderung verdient – es ist Thatsache, daß diese Slaven nicht nur von Böhmen und Mähren aus mit geistlichen und weltlichen Schriften und katholischen Gebetbüchern versehen werden, sondern daß sie bereits böhmisch-slovenische Druckereien und Buchhandlungen – wie jene des verdienstvollen Fejérpataky zu St. Miklos – besitzen. Man findet in der Zeitschrift Kwety (nicht Kwutz, wie es im Aufsatze des Opponenten wahrscheinlich als Druckfehler stand) häufige Correspondenzartikel, die über das Gedeihen der Volkscultur, Schullehrervereine, Lesegesellschaften, Casinen u. s. w. unter den Ungarn der böhmisch-slovenischen Zunge Nachricht geben. Endlich sind ja der größte jetzt lebende Dichter der Westslaven, Kolár, und der größte Historiker aller Slaven, Schafarik, geborne Nordungarn, an die sich noch eine Reihe bedeutender Schriftsteller, demselben Lande entsprossen, anschließt. Kann der Gegner auch nur einen einzigen Gelehrten unter den Slowaken nennen, der je ein polnisches Buch geschrieben hätte? Der Antagonist behauptet ferner, daß nur protestantische Pfarrer unter den Slowaken auf der Kanzel czechisch sprächen, weil sich der Protestantismus dahin aus Böhmen geflüchtet hatte. Soll dieß eine indirecte Anklage gegen die Reinheit der katholischen Gesinnung derjenigen seyn, die sich der Partei der czechischen Slaven anschließen? Dann bedarf der Czechengegner nothwendig einer Aufklärung über diesen Punkt. Ja die katholische Geistlichkeit in Böhmen, Mähren und in neuester Zeit im nördlichen Ungarn ist die Hauptstütze der erwachten böhmischen Litteratur, sie bildet den Kern des böhmischen Lesepublicums, wie es die Pränumerationsverzeichnisse czechischer Bücher ausweisen. Ein großer Theil der würdigen Diener der Kirche widmet seine Muße und seine pecuniären Mittel der vaterländischen Litteratur,
*) S. Dobrowsky Slowanka Th. I. S. 159. – Dobrowsky Lehrgebäude der böhm. Sprache und Litteratur S. 30. Dobr. Instit. ling. slav. III, IV. Der Ansicht Dobrowsky's treten fast alle Linguisten bei, wie Durich Bibl. slav. p. 265. Adelungs-Mithridat. II. 610. u. s. w.
*) Casop. cesk. Museum 1839. 2tes H.
**) Um ferneren Mißverständnissen auszuweichen, wird erklärt, daß hier bloß von dem etwa 3,400,000 Seelen zählenden Volke der Slowaken, nicht aber von den unter ihnen angesiedelten Russinen und den polnischen Goralen die Rede sey.
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(2016-06-28T11:37:15Z)
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