Allgemeine Zeitung. Nr. 73. Augsburg, 13. März 1840.Ein Tag in Athen. Athen, im Januar. (Beschluß.) Da heute Festtag ist, begeben wir uns Nachmittags vor das Thor der Aeolosstraße. Alle Welt strömt schon hinaus: eine Menge Herren, früher in albanesischer Tracht, die wir jetzt nicht wieder erkennen, weil sie mit europäischer Cultur auch europäische Kleider angezogen haben, junge Herren zumal, Studenten und Gymnasiasten, die dem Beispiel der Tzavellas, Rhizos und Anderer folgen, nicht zu reden von jenen zahlreichen, die in Deutschland oder Frankreich ihre Studien gemacht haben, und von denen sich von selbst versteht, daß sie in sogenannter fränkischer Tracht erscheinen. Auch die Damen europäisiren mehr und mehr ihr Costume; bei manchen ist nur noch das hohe rothe Feßi auf dem reizenden Köpfchen geblieben, aber es sitzt schon so verwegen auf dem einen Ohr, daß es sicherlich nächstens herunterburzelt. Wären die Griechen da, um gemalt zu werden, da wär' es freilich Schade. Aber es geht halt nicht zusammen: europäische Cultur und Feßi und Fustanella. Außerhalb der Aeolosstraße ist die gewöhnliche Promenade der Athener. Der Blick auf die Ebene, auf den Olivenwald, auf den schluchtenreichen Parnes mit seinen blauen Schatten ist sehr schön. Doch heute, am Festtage, stellen wir uns alle im Kreise um das Musikcorps der Besatzung von Athen, welches hier einige größere Stücke ausführt. Equipagen mit eleganten Damen und kecke Reiter kommen heran. Alle thun, als wär' es die Musik, welche sie herbeigezogen. Doch ist's nicht so. Von Zeit zu Zeit richten sich die erwartenden Blicke nach der Stadt. Wen denn erwarten wir noch? Siehe, auf stattlichen Rossen kommen daher der König und die Königin. Keiner, welche Stellung er auch zur Regierung einnehmen mag, gehöre er zur Opposition oder zu den Ministeriellen, keiner erwehrt sich der Freude beim Anblick des königlichen Paares, keiner mag den Genuß entbehren, am Sonntag den König und die Königin gesehen zu haben, und ich glaube, der Platz würde verödet seyn, wenn das Volk sich verurtheilt sähe, allein den heitern Tag des Festes zu feiern. Es ist hier schon anders als anderswo, und ist Vieles noch nicht so entwickelt, als in dem alten Europa, so ist dagegen Vieles hier noch in schöner Jugendlichkeit und Frische. Es ist noch Zeit, vor Sonnenuntergang einen Spaziergang zu machen. Gehen wir auf die Akropolis hinauf, die an Sonn- und Festtagen Jedem offen ist. Entschuldigen Sie, daß ich Sie bei dem Thurm der Winde vorbeiführe. Die Archäologie hat hier die Erde mitten in der Straße so aufgewühlt, und dann alles in einem Zustande liegen lassen, daß man Niemanden, mit dem man es gut meint, der Gefahr aussetzen sollte, hier Hals und Beine zu brechen. Doch kennen Sie schon seit langer Zeit durch einen französischen Archäologen die Gefahr, und haben sich also mit Alpenschuhen und Stab versehen. Was wird jener Reisende sagen, wenn er erfährt, daß hier noch nichts geändert ist? Die Sache hat indessen auch ihr Gutes, zumal für künftige Reisende. Denn nichts hindert, daß man sich vorstelle, das Ding sehe gerade so aus, wie zur Zeit der alten Pelasger und Kyklopen. Ich weiß nicht, ob Sie annehmen, daß die Pelasger oder daß die Kyklopen älter waren. Glauben Sie, daß die Kyklopen überhaupt nur Ein Auge hatten, so waren nach dem natürlichen Gang der Entwicklung diese älter als die Pelasger; glauben Sie dagegen, daß die Kyklopen außer den üblichen zwei Augen noch ein drittes hatten (vergl. Schellers großes lateinisches Lexikon sub voce), so waren die Pelasger älter als die Kyklopen; sind Sie dagegen über diese Frage noch nicht ganz im Reinen, so waren Pelasger und Kyklopen gleichzeitig. Jedenfalls ist es ein Glück, daß so unsymmetrische Menschen wieder aus der Welt heraus sind. Was die Pelasger betrifft, vor denen jeder "Bessere" eine gewisse Hochachtung hegt, so sagen die alten Schriftsteller freilich nicht ausdrücklich, daß sie zwei Augen gehabt, indessen wäre es nicht nur das Bestreben, etwas Neues zu sagen, welches wir an einigen Jüngeren bemerken, zu weit getrieben, sondern auch höchst unbillig und unmoralisch, wegen jenes Schweigens zu behaupten, sie hätten, wie die blinden Maulwürfe, in der Erde herumgewühlt. - Die Sonne sinkt. Eilen wir hinauf! Hier sehen Sie das Universitätsgebäude. Doch heute nichts über die Universität. Ich habe Ihnen schon davon erzählt, und thue es vielleicht ein andermal wieder. Eilen wir, die Sonne sinkt; die Universität ist erst im Aufgehen. Ihre Morgenröthe verheißt einen schönen, lichtvollen, langen Tag. Ein verrückter Phaethon unter dem Namen eines Cultusministers drohte zwar Verderben und Nacht. Aber eine mächtigere Hand entriß ihm die Zügel und gab sie einem treueren Lenker. Dort links oben ist das Aglaurion, das Heiligthum der schönen und schönnamigen Aglauros, bei der die junge Mannschaft einst dem Vaterlande Treue schwur. Es hat zwar neulich einer jener neuerungssüchtigen Jüngeren behauptet, diese Göttin sey kein menschliches Weib gewesen, sondern eine Göttin; und, hat er gesagt, sie sey nicht die Göttin einer Quelle, noch die Göttin der Erde, noch, hat er gesagt, die Göttin des Mondes, sondern die Göttin des Thau's. Wir unsrerseits kümmern uns nicht um alte Mythologie und Religion, aber so viel sehen wir mit einem halben Auge, "daß man auf diese Weise alle wahre Geschichte in Wasser auflöst." Wir bleiben dabei und die besonnenen Forscher mit uns: die Aglauros war eine uralte, d. h. in uralter Zeit eine Athenische Dame oder Frauensperson, die in ihrer Jugend eine ganz artige junge Person war, in die sich ein Militär verliebte, ein großer Capitän oder General ihres Vaters, des alten Kekrops, ägyptischen Andenkens, so daß nichts natürlicher ist, als daß nachher, in Nachahmung dieses Hauptmanns, alle Athenischen Krieger bei der Aglauros schwuren. Doch eilen wir. Hier war einst das sogenannte "Pelasgikon." Nehmen Sie gefälligst den Hut ab. Doch wo es eigentlich war, ist schwer zu sagen. Dort oben sehen sie die Felsgrotte des Pan, noch en place. Dieser Gott hat überhaupt am besten gewußt, seine Heiligthümer zu wählen. Sie sind fast alle erhalten. Bekanntlich war er eine Mißgeburt der Penelope, und kam vermuthlich durch den Einfluß und die Intriguen seiner Frau Mutter zu so großem Ansehen in Hellas. So oft ich mich den Propyläen nähere, danke ich unserm Roß, daß er während seiner Amtsführung als Ephor der Alterthümer Griechenlands den kleinen Tempel der ungeflügelten Siegesgöttin zur Rechten der Propyläen wieder aufgebaut. Dieser Tempel, dessen Säulen und Quadern nebst einigen schönen Basreliefs in einer türkischen oder fränkischen Bastion vergraben waren, ist dem deutschen Publicum durch die HH. Roß, Schaubert und Hansen in einem künstlerisch und wissenschaftlich trefflich ausgeführten und schön ausgestatteten Werke dargestellt, welches zugleich eine Zierde der Bibliothek und des Salons bildet. Auch die Propyläen sind durch die Thätigkeit des Hrn. Pittakis von dem spätern Gemäuer gereinigt. Wie es sich aber mit dem Aufgange zu den Propyläen verhalten, ist Ein Tag in Athen. Athen, im Januar. (Beschluß.) Da heute Festtag ist, begeben wir uns Nachmittags vor das Thor der Aeolosstraße. Alle Welt strömt schon hinaus: eine Menge Herren, früher in albanesischer Tracht, die wir jetzt nicht wieder erkennen, weil sie mit europäischer Cultur auch europäische Kleider angezogen haben, junge Herren zumal, Studenten und Gymnasiasten, die dem Beispiel der Tzavellas, Rhizos und Anderer folgen, nicht zu reden von jenen zahlreichen, die in Deutschland oder Frankreich ihre Studien gemacht haben, und von denen sich von selbst versteht, daß sie in sogenannter fränkischer Tracht erscheinen. Auch die Damen europäisiren mehr und mehr ihr Costume; bei manchen ist nur noch das hohe rothe Feßi auf dem reizenden Köpfchen geblieben, aber es sitzt schon so verwegen auf dem einen Ohr, daß es sicherlich nächstens herunterburzelt. Wären die Griechen da, um gemalt zu werden, da wär' es freilich Schade. Aber es geht halt nicht zusammen: europäische Cultur und Feßi und Fustanella. Außerhalb der Aeolosstraße ist die gewöhnliche Promenade der Athener. Der Blick auf die Ebene, auf den Olivenwald, auf den schluchtenreichen Parnes mit seinen blauen Schatten ist sehr schön. Doch heute, am Festtage, stellen wir uns alle im Kreise um das Musikcorps der Besatzung von Athen, welches hier einige größere Stücke ausführt. Equipagen mit eleganten Damen und kecke Reiter kommen heran. Alle thun, als wär' es die Musik, welche sie herbeigezogen. Doch ist's nicht so. Von Zeit zu Zeit richten sich die erwartenden Blicke nach der Stadt. Wen denn erwarten wir noch? Siehe, auf stattlichen Rossen kommen daher der König und die Königin. Keiner, welche Stellung er auch zur Regierung einnehmen mag, gehöre er zur Opposition oder zu den Ministeriellen, keiner erwehrt sich der Freude beim Anblick des königlichen Paares, keiner mag den Genuß entbehren, am Sonntag den König und die Königin gesehen zu haben, und ich glaube, der Platz würde verödet seyn, wenn das Volk sich verurtheilt sähe, allein den heitern Tag des Festes zu feiern. Es ist hier schon anders als anderswo, und ist Vieles noch nicht so entwickelt, als in dem alten Europa, so ist dagegen Vieles hier noch in schöner Jugendlichkeit und Frische. Es ist noch Zeit, vor Sonnenuntergang einen Spaziergang zu machen. Gehen wir auf die Akropolis hinauf, die an Sonn- und Festtagen Jedem offen ist. Entschuldigen Sie, daß ich Sie bei dem Thurm der Winde vorbeiführe. Die Archäologie hat hier die Erde mitten in der Straße so aufgewühlt, und dann alles in einem Zustande liegen lassen, daß man Niemanden, mit dem man es gut meint, der Gefahr aussetzen sollte, hier Hals und Beine zu brechen. Doch kennen Sie schon seit langer Zeit durch einen französischen Archäologen die Gefahr, und haben sich also mit Alpenschuhen und Stab versehen. Was wird jener Reisende sagen, wenn er erfährt, daß hier noch nichts geändert ist? Die Sache hat indessen auch ihr Gutes, zumal für künftige Reisende. Denn nichts hindert, daß man sich vorstelle, das Ding sehe gerade so aus, wie zur Zeit der alten Pelasger und Kyklopen. Ich weiß nicht, ob Sie annehmen, daß die Pelasger oder daß die Kyklopen älter waren. Glauben Sie, daß die Kyklopen überhaupt nur Ein Auge hatten, so waren nach dem natürlichen Gang der Entwicklung diese älter als die Pelasger; glauben Sie dagegen, daß die Kyklopen außer den üblichen zwei Augen noch ein drittes hatten (vergl. Schellers großes lateinisches Lexikon sub voce), so waren die Pelasger älter als die Kyklopen; sind Sie dagegen über diese Frage noch nicht ganz im Reinen, so waren Pelasger und Kyklopen gleichzeitig. Jedenfalls ist es ein Glück, daß so unsymmetrische Menschen wieder aus der Welt heraus sind. Was die Pelasger betrifft, vor denen jeder „Bessere“ eine gewisse Hochachtung hegt, so sagen die alten Schriftsteller freilich nicht ausdrücklich, daß sie zwei Augen gehabt, indessen wäre es nicht nur das Bestreben, etwas Neues zu sagen, welches wir an einigen Jüngeren bemerken, zu weit getrieben, sondern auch höchst unbillig und unmoralisch, wegen jenes Schweigens zu behaupten, sie hätten, wie die blinden Maulwürfe, in der Erde herumgewühlt. – Die Sonne sinkt. Eilen wir hinauf! Hier sehen Sie das Universitätsgebäude. Doch heute nichts über die Universität. Ich habe Ihnen schon davon erzählt, und thue es vielleicht ein andermal wieder. Eilen wir, die Sonne sinkt; die Universität ist erst im Aufgehen. Ihre Morgenröthe verheißt einen schönen, lichtvollen, langen Tag. Ein verrückter Phaëthon unter dem Namen eines Cultusministers drohte zwar Verderben und Nacht. Aber eine mächtigere Hand entriß ihm die Zügel und gab sie einem treueren Lenker. Dort links oben ist das Aglaurion, das Heiligthum der schönen und schönnamigen Aglauros, bei der die junge Mannschaft einst dem Vaterlande Treue schwur. Es hat zwar neulich einer jener neuerungssüchtigen Jüngeren behauptet, diese Göttin sey kein menschliches Weib gewesen, sondern eine Göttin; und, hat er gesagt, sie sey nicht die Göttin einer Quelle, noch die Göttin der Erde, noch, hat er gesagt, die Göttin des Mondes, sondern die Göttin des Thau's. Wir unsrerseits kümmern uns nicht um alte Mythologie und Religion, aber so viel sehen wir mit einem halben Auge, „daß man auf diese Weise alle wahre Geschichte in Wasser auflöst.“ Wir bleiben dabei und die besonnenen Forscher mit uns: die Aglauros war eine uralte, d. h. in uralter Zeit eine Athenische Dame oder Frauensperson, die in ihrer Jugend eine ganz artige junge Person war, in die sich ein Militär verliebte, ein großer Capitän oder General ihres Vaters, des alten Kekrops, ägyptischen Andenkens, so daß nichts natürlicher ist, als daß nachher, in Nachahmung dieses Hauptmanns, alle Athenischen Krieger bei der Aglauros schwuren. Doch eilen wir. Hier war einst das sogenannte „Pelasgikon.“ Nehmen Sie gefälligst den Hut ab. Doch wo es eigentlich war, ist schwer zu sagen. Dort oben sehen sie die Felsgrotte des Pan, noch en place. Dieser Gott hat überhaupt am besten gewußt, seine Heiligthümer zu wählen. Sie sind fast alle erhalten. Bekanntlich war er eine Mißgeburt der Penelope, und kam vermuthlich durch den Einfluß und die Intriguen seiner Frau Mutter zu so großem Ansehen in Hellas. So oft ich mich den Propyläen nähere, danke ich unserm Roß, daß er während seiner Amtsführung als Ephor der Alterthümer Griechenlands den kleinen Tempel der ungeflügelten Siegesgöttin zur Rechten der Propyläen wieder aufgebaut. Dieser Tempel, dessen Säulen und Quadern nebst einigen schönen Basreliefs in einer türkischen oder fränkischen Bastion vergraben waren, ist dem deutschen Publicum durch die HH. Roß, Schaubert und Hansen in einem künstlerisch und wissenschaftlich trefflich ausgeführten und schön ausgestatteten Werke dargestellt, welches zugleich eine Zierde der Bibliothek und des Salons bildet. Auch die Propyläen sind durch die Thätigkeit des Hrn. Pittakis von dem spätern Gemäuer gereinigt. 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Auch die Damen europäisiren mehr und mehr ihr Costume; bei manchen ist nur noch das hohe rothe Feßi auf dem reizenden Köpfchen geblieben, aber es sitzt schon so verwegen auf dem einen Ohr, daß es sicherlich nächstens herunterburzelt. Wären die Griechen da, um gemalt zu werden, da wär' es freilich Schade. Aber es geht halt nicht zusammen: europäische Cultur und Feßi und Fustanella. Außerhalb der Aeolosstraße ist die gewöhnliche Promenade der Athener. Der Blick auf die Ebene, auf den Olivenwald, auf den schluchtenreichen Parnes mit seinen blauen Schatten ist sehr schön. Doch heute, am Festtage, stellen wir uns alle im Kreise um das Musikcorps der Besatzung von Athen, welches hier einige größere Stücke ausführt. Equipagen mit eleganten Damen und kecke Reiter kommen heran. Alle thun, als wär' es die Musik, welche sie herbeigezogen. Doch ist's nicht so. Von Zeit zu Zeit richten sich die erwartenden Blicke nach der Stadt. Wen denn erwarten wir noch? Siehe, auf stattlichen Rossen kommen daher der König und die Königin. Keiner, welche Stellung er auch zur Regierung einnehmen mag, gehöre er zur Opposition oder zu den Ministeriellen, keiner erwehrt sich der Freude beim Anblick des königlichen Paares, keiner mag den Genuß entbehren, am Sonntag den König und die Königin gesehen zu haben, und ich glaube, der Platz würde verödet seyn, wenn das Volk sich verurtheilt sähe, allein den heitern Tag des Festes zu feiern. Es ist hier schon anders als anderswo, und ist Vieles noch nicht so entwickelt, als in dem alten Europa, so ist dagegen Vieles hier noch in schöner Jugendlichkeit und Frische.</p><lb/> <p>Es ist noch Zeit, vor Sonnenuntergang einen Spaziergang zu machen. Gehen wir auf die Akropolis hinauf, die an Sonn- und Festtagen Jedem offen ist. Entschuldigen Sie, daß ich Sie bei dem Thurm der Winde vorbeiführe. 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Schellers großes lateinisches Lexikon sub voce), so waren die Pelasger älter als die Kyklopen; sind Sie dagegen über diese Frage noch nicht ganz im Reinen, so waren Pelasger und Kyklopen gleichzeitig. Jedenfalls ist es ein Glück, daß so unsymmetrische Menschen wieder aus der Welt heraus sind. Was die Pelasger betrifft, vor denen jeder „Bessere“ eine gewisse Hochachtung hegt, so sagen die alten Schriftsteller freilich nicht ausdrücklich, daß sie zwei Augen gehabt, indessen wäre es nicht nur das Bestreben, etwas Neues zu sagen, welches wir an einigen Jüngeren bemerken, zu weit getrieben, sondern auch höchst unbillig und unmoralisch, wegen jenes Schweigens zu behaupten, sie hätten, wie die blinden Maulwürfe, in der Erde herumgewühlt. – Die Sonne sinkt. Eilen wir hinauf! Hier sehen Sie das Universitätsgebäude. Doch heute nichts über die Universität. Ich habe Ihnen schon davon erzählt, und thue es vielleicht ein andermal wieder. Eilen wir, die Sonne sinkt; die Universität ist erst im Aufgehen. Ihre Morgenröthe verheißt einen schönen, lichtvollen, langen Tag. Ein verrückter Phaëthon unter dem Namen eines Cultusministers drohte zwar Verderben und Nacht. Aber eine mächtigere Hand entriß ihm die Zügel und gab sie einem treueren Lenker. Dort links oben ist das Aglaurion, das Heiligthum der schönen und schönnamigen Aglauros, bei der die junge Mannschaft einst dem Vaterlande Treue schwur. Es hat zwar neulich einer jener neuerungssüchtigen Jüngeren behauptet, diese Göttin sey kein menschliches Weib gewesen, sondern eine Göttin; und, hat er gesagt, sie sey nicht die Göttin einer Quelle, noch die Göttin der Erde, noch, hat er gesagt, die Göttin des Mondes, sondern die Göttin des Thau's. Wir unsrerseits kümmern uns nicht um alte Mythologie und Religion, aber so viel sehen wir mit einem halben Auge, „daß man auf diese Weise alle wahre Geschichte in Wasser auflöst.“ Wir bleiben dabei und die besonnenen Forscher mit uns: die Aglauros war eine uralte, d. h. in uralter Zeit eine Athenische Dame oder Frauensperson, die in ihrer Jugend eine ganz artige junge Person war, in die sich ein Militär verliebte, ein großer Capitän oder General ihres Vaters, des alten Kekrops, ägyptischen Andenkens, so daß nichts natürlicher ist, als daß nachher, in Nachahmung dieses Hauptmanns, alle Athenischen Krieger bei der Aglauros schwuren. Doch eilen wir. Hier war einst das sogenannte „Pelasgikon.“ Nehmen Sie gefälligst den Hut ab. Doch wo es eigentlich war, ist schwer zu sagen. Dort oben sehen sie die Felsgrotte des Pan, noch en place. Dieser Gott hat überhaupt am besten gewußt, seine Heiligthümer zu wählen. Sie sind fast alle erhalten. Bekanntlich war er eine Mißgeburt der Penelope, und kam vermuthlich durch den Einfluß und die Intriguen seiner Frau Mutter zu so großem Ansehen in Hellas. So oft ich mich den Propyläen nähere, danke ich unserm Roß, daß er während seiner Amtsführung als Ephor der Alterthümer Griechenlands den kleinen Tempel der ungeflügelten Siegesgöttin zur Rechten der Propyläen wieder aufgebaut. Dieser Tempel, dessen Säulen und Quadern nebst einigen schönen Basreliefs in einer türkischen oder fränkischen Bastion vergraben waren, ist dem deutschen Publicum durch die HH. Roß, Schaubert und Hansen in einem künstlerisch und wissenschaftlich trefflich ausgeführten und schön ausgestatteten Werke dargestellt, welches zugleich eine Zierde der Bibliothek und des Salons bildet. Auch die Propyläen sind durch die Thätigkeit des Hrn. Pittakis von dem spätern Gemäuer gereinigt. Wie es sich aber mit dem Aufgange zu den Propyläen verhalten, ist<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0577/0009]
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Athen, im Januar. (Beschluß.) Da heute Festtag ist, begeben wir uns Nachmittags vor das Thor der Aeolosstraße. Alle Welt strömt schon hinaus: eine Menge Herren, früher in albanesischer Tracht, die wir jetzt nicht wieder erkennen, weil sie mit europäischer Cultur auch europäische Kleider angezogen haben, junge Herren zumal, Studenten und Gymnasiasten, die dem Beispiel der Tzavellas, Rhizos und Anderer folgen, nicht zu reden von jenen zahlreichen, die in Deutschland oder Frankreich ihre Studien gemacht haben, und von denen sich von selbst versteht, daß sie in sogenannter fränkischer Tracht erscheinen. Auch die Damen europäisiren mehr und mehr ihr Costume; bei manchen ist nur noch das hohe rothe Feßi auf dem reizenden Köpfchen geblieben, aber es sitzt schon so verwegen auf dem einen Ohr, daß es sicherlich nächstens herunterburzelt. Wären die Griechen da, um gemalt zu werden, da wär' es freilich Schade. Aber es geht halt nicht zusammen: europäische Cultur und Feßi und Fustanella. Außerhalb der Aeolosstraße ist die gewöhnliche Promenade der Athener. Der Blick auf die Ebene, auf den Olivenwald, auf den schluchtenreichen Parnes mit seinen blauen Schatten ist sehr schön. Doch heute, am Festtage, stellen wir uns alle im Kreise um das Musikcorps der Besatzung von Athen, welches hier einige größere Stücke ausführt. Equipagen mit eleganten Damen und kecke Reiter kommen heran. Alle thun, als wär' es die Musik, welche sie herbeigezogen. Doch ist's nicht so. Von Zeit zu Zeit richten sich die erwartenden Blicke nach der Stadt. Wen denn erwarten wir noch? Siehe, auf stattlichen Rossen kommen daher der König und die Königin. Keiner, welche Stellung er auch zur Regierung einnehmen mag, gehöre er zur Opposition oder zu den Ministeriellen, keiner erwehrt sich der Freude beim Anblick des königlichen Paares, keiner mag den Genuß entbehren, am Sonntag den König und die Königin gesehen zu haben, und ich glaube, der Platz würde verödet seyn, wenn das Volk sich verurtheilt sähe, allein den heitern Tag des Festes zu feiern. Es ist hier schon anders als anderswo, und ist Vieles noch nicht so entwickelt, als in dem alten Europa, so ist dagegen Vieles hier noch in schöner Jugendlichkeit und Frische.
Es ist noch Zeit, vor Sonnenuntergang einen Spaziergang zu machen. Gehen wir auf die Akropolis hinauf, die an Sonn- und Festtagen Jedem offen ist. Entschuldigen Sie, daß ich Sie bei dem Thurm der Winde vorbeiführe. Die Archäologie hat hier die Erde mitten in der Straße so aufgewühlt, und dann alles in einem Zustande liegen lassen, daß man Niemanden, mit dem man es gut meint, der Gefahr aussetzen sollte, hier Hals und Beine zu brechen. Doch kennen Sie schon seit langer Zeit durch einen französischen Archäologen die Gefahr, und haben sich also mit Alpenschuhen und Stab versehen. Was wird jener Reisende sagen, wenn er erfährt, daß hier noch nichts geändert ist? Die Sache hat indessen auch ihr Gutes, zumal für künftige Reisende. Denn nichts hindert, daß man sich vorstelle, das Ding sehe gerade so aus, wie zur Zeit der alten Pelasger und Kyklopen. Ich weiß nicht, ob Sie annehmen, daß die Pelasger oder daß die Kyklopen älter waren. Glauben Sie, daß die Kyklopen überhaupt nur Ein Auge hatten, so waren nach dem natürlichen Gang der Entwicklung diese älter als die Pelasger; glauben Sie dagegen, daß die Kyklopen außer den üblichen zwei Augen noch ein drittes hatten (vergl. Schellers großes lateinisches Lexikon sub voce), so waren die Pelasger älter als die Kyklopen; sind Sie dagegen über diese Frage noch nicht ganz im Reinen, so waren Pelasger und Kyklopen gleichzeitig. Jedenfalls ist es ein Glück, daß so unsymmetrische Menschen wieder aus der Welt heraus sind. Was die Pelasger betrifft, vor denen jeder „Bessere“ eine gewisse Hochachtung hegt, so sagen die alten Schriftsteller freilich nicht ausdrücklich, daß sie zwei Augen gehabt, indessen wäre es nicht nur das Bestreben, etwas Neues zu sagen, welches wir an einigen Jüngeren bemerken, zu weit getrieben, sondern auch höchst unbillig und unmoralisch, wegen jenes Schweigens zu behaupten, sie hätten, wie die blinden Maulwürfe, in der Erde herumgewühlt. – Die Sonne sinkt. Eilen wir hinauf! Hier sehen Sie das Universitätsgebäude. Doch heute nichts über die Universität. Ich habe Ihnen schon davon erzählt, und thue es vielleicht ein andermal wieder. Eilen wir, die Sonne sinkt; die Universität ist erst im Aufgehen. Ihre Morgenröthe verheißt einen schönen, lichtvollen, langen Tag. Ein verrückter Phaëthon unter dem Namen eines Cultusministers drohte zwar Verderben und Nacht. Aber eine mächtigere Hand entriß ihm die Zügel und gab sie einem treueren Lenker. Dort links oben ist das Aglaurion, das Heiligthum der schönen und schönnamigen Aglauros, bei der die junge Mannschaft einst dem Vaterlande Treue schwur. Es hat zwar neulich einer jener neuerungssüchtigen Jüngeren behauptet, diese Göttin sey kein menschliches Weib gewesen, sondern eine Göttin; und, hat er gesagt, sie sey nicht die Göttin einer Quelle, noch die Göttin der Erde, noch, hat er gesagt, die Göttin des Mondes, sondern die Göttin des Thau's. Wir unsrerseits kümmern uns nicht um alte Mythologie und Religion, aber so viel sehen wir mit einem halben Auge, „daß man auf diese Weise alle wahre Geschichte in Wasser auflöst.“ Wir bleiben dabei und die besonnenen Forscher mit uns: die Aglauros war eine uralte, d. h. in uralter Zeit eine Athenische Dame oder Frauensperson, die in ihrer Jugend eine ganz artige junge Person war, in die sich ein Militär verliebte, ein großer Capitän oder General ihres Vaters, des alten Kekrops, ägyptischen Andenkens, so daß nichts natürlicher ist, als daß nachher, in Nachahmung dieses Hauptmanns, alle Athenischen Krieger bei der Aglauros schwuren. Doch eilen wir. Hier war einst das sogenannte „Pelasgikon.“ Nehmen Sie gefälligst den Hut ab. Doch wo es eigentlich war, ist schwer zu sagen. Dort oben sehen sie die Felsgrotte des Pan, noch en place. Dieser Gott hat überhaupt am besten gewußt, seine Heiligthümer zu wählen. Sie sind fast alle erhalten. Bekanntlich war er eine Mißgeburt der Penelope, und kam vermuthlich durch den Einfluß und die Intriguen seiner Frau Mutter zu so großem Ansehen in Hellas. So oft ich mich den Propyläen nähere, danke ich unserm Roß, daß er während seiner Amtsführung als Ephor der Alterthümer Griechenlands den kleinen Tempel der ungeflügelten Siegesgöttin zur Rechten der Propyläen wieder aufgebaut. Dieser Tempel, dessen Säulen und Quadern nebst einigen schönen Basreliefs in einer türkischen oder fränkischen Bastion vergraben waren, ist dem deutschen Publicum durch die HH. Roß, Schaubert und Hansen in einem künstlerisch und wissenschaftlich trefflich ausgeführten und schön ausgestatteten Werke dargestellt, welches zugleich eine Zierde der Bibliothek und des Salons bildet. Auch die Propyläen sind durch die Thätigkeit des Hrn. Pittakis von dem spätern Gemäuer gereinigt. Wie es sich aber mit dem Aufgange zu den Propyläen verhalten, ist
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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
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