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Allgemeine Zeitung. Nr. 73. Augsburg, 13. März 1840.

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Oesterreich.

Der Herzog von Bordeaux ist, wie Sie wissen, nach einer Abwesenheit von einem halben Jahre in den Schooß seiner Familie wieder zurückgekehrt. Er hatte sich, wenn ich nicht irre, zu Ende August in Gesellschaft des Hrn. v. Levis, um den Herbstmanöuvres der daselbst concentrirten Truppen beizuwohnen, nach Verona begeben, und nach Beendigung derselben, ohne Wissen der österreichischen Behörden, über die Gränze heimlich entfernt. Der Herzog hatte schon früher in Wien um die Erlaubniß, einen Ausflug nach den römischen Staaten machen zu dürfen, angesucht. Es wurden ihm indessen entweder die Pässe dazu nicht verwilligt, oder Hr. v. Altieri, römischer Nuncius in der österreichischen Hauptstadt, der durch die vom heil. Stuhle erhaltenen Instructionen angewiesen worden war, gegen einen solchen Besuch zu protestiren, versagte den etwa erhaltenen Pässen sein Visa. Daher kommt es, daß man in Rom durch die Ankunft des Herzogs eben so sehr überrascht war, als in Wien bei der Kunde seines Verschwindens von Verona. Nirgends hatte man ihn eines so eigenmächtigen Schrittes für fähig gehalten. Seine Reise wurde daher von allen Seiten getadelt und man war bald überzeugt, daß Hr. v. Levis der Urheber und die Seele des Unternehmens gewesen seyn müsse. Daß damit, zwar nicht von dem verführten jungen Herzog, wohl aber von dem Hrn. Levis politische Zwecke in Verbindung gebracht wurden, scheint ausgemacht, und insofern dürfte die Reise dem jungen Manne eher genützt als geschadet haben, da sie ihn in den Stand gesetzt hat, gewisse Ideen über die Verhältnisse in Frankreich und über den Geist, die Fähigkeiten und politischen Aussichten seiner Anhänger zu berichtigen. Die Cavalcade von Rom nach Civitavecchia, so wie die Begleitung von Civitavecchia gegen Florenz hin, sind schwerlich geeignet gewesen, ein richtiges Urtheil darüber wankend zu machen. Diese Episode dürfte nichts Erhebliches zur Folge haben, außer daß Graf Latour-Maubourg eine andere Bestimmung erhalten wird. Der Herzog von Angouleme, der das Geschehene heftig tadelt, empfing den Enkel Karls X etwas unfreundlich und sandte sogleich Hrn. v. Montbel nach Wien, um über die Rückkunft des Flüchtlings zu berichten. Die Rechtfertigungen des Hrn. v. Levis wurden von dem Herzog von Angouleme nicht angehört, und Hr. v. Levis wird wahrscheinlich für immer von der Person des jungen Herzogs entfernt werden, da man ihm schwerlich verzeihen wird, die Stellung des letztern so arg compromittirt zu haben. Man schreibt ihm auch den, dem Herzog ertheilten Rath zu, für die Folge in Rußland seinen Aufenthalt zu nehmen, so wie das deßhalb an den Kaiser Nikolaus gerichtete Gesuch. Ob die ganze Geschichte irgend einen Einfluß auf die Verhältnisse der innern Oekonomie in der königl. französischen Familie zu Görz ausüben soll, scheint von den Bestimmungen des Wiener Cabinets, die man durch Hrn. v. Montbel in diesen Tagen zu erhalten hoffte, abzuhängen.

Gestern wurde bei der Magnatentafel wieder das Religions-Gravamen berathen, und, wie es scheint, definitiv abgemacht. Die Stände dürften zufrieden seyn mit der Nachgiebigkeit und Liberalität der obern Tafel, die sich ihnen nun in den meisten noch divergirenden Punkten angeschlossen. Auch jener wichtigste Theil des ständischen Verlangens ging nach einem schweren Kampfe durch, daß nämlich vollkommene Reciprocität zwischen Katholiken und Protestanten in Hinsicht der religiösen Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen eintreten, und diese jedesmal der Religion des Vaters folgen sollen. Unter den geistlichen Rednern zeichnete sich die edle Milde des Fürsten Primas und der hochgebildete duldsame Sinn des Bischofs Lonowics aus, dessen Vortrag unter die glänzendsten Zierden religiös-parlamentarischer Reden gerechnet werden kann und einstimmige Theilnahme fand. (Deutsche Blätter.)

In Betreff der ungarischen Eisenbahn am linken Ufer der Donau hat die Ständetafel in der Reichstagssitzung vom 28 Febr. durch Stimmenmehrheit entschieden: die Eisenbahnanlage habe auf dem linken Donau-Ufer, doch unter der Bedingung zu geschehen, daß der Bau der ganzen Strecke von Pesth aufwärts bis Preßburg zuerst müsse vorgenommen und ganz vollendet werden, bevor mit dem Bau auf der Strecke von Gänserndorf bis Preßburg ans Werk geschritten werde. Da nun die letztere Anlage bis an die Gränze auf österreichischem Gebiet gelegen ist, so sey Se. Maj. der Kaiser und König in einer unterzubreitenden Repräsentation zu bitten, daß Se. Maj. die Bauführung der Bahn von Gänserndorf bis an die Gränze früher nicht gestatten möge, bis die Herstellung derselben auf der größern Strecke von Pesth bis Preßburg erfolgt sey. Dieser angenommene Antrag ward durch das Bedenken motivirt, daß, wenn zuerst der Bau des Gänserndorf-Preßburger Flügels zugestanden würde, die Weiterführung nach Pesth und Debreczin möglichenfalls unterlassen werden könnte, daher es nöthig sey, durch die erwähnte Bedingniß für den Bau auf der letztern Strecke eine wünschenswerthe Garantie zu erwerben. - In Betreff der Religionsangelegenheiten entschied die Magnatentafel in der Sitzung des 26 Febr. durch Mehrheit der Stimmen: die Reversalen für die Zukunft abzuschaffen, jedoch für die Vergangenheit beizubehalten, und im Punkte der Kindererziehung bei gemischten Ehen, daß die Kinder beider Geschlechter in der Folge der Religion des Vaters folgen sollen. Gegen letztern Antrag hatten der Primas, der Tavernikus, die Bischöfe von Csanad, von Agram, Waitzen u. A., die Obergespane der Gömörer und Torontaler Comitate, der Gouverneur von Fiume, der ungarische Hofsecretär Ladislaus Perenyi, Baron Orczy, Graf Joh. Majlath (der Schriftsteller) und Graf Lamotte gestimmt. - Auch im hiesigen Publicum hat die früher und neuerdings in Ihren Blättern gegen Lamartine's und Thiers' Aeußerungen für Deutschlands Integrität am Rheine erhobene Stimme Anklang, und das mannhaft gesprochene Wort volle Anerkennung gefunden. Nicht unpassend scheint es zu seyn dieses Umstandes zu erwähnen, weil es erfreulich ist zu bemerken, daß, wie dort und anderwärts, so auch im äußersten Südosten Deutschlands für Wahrung der gemeinsamen Interessen gleiche Gesinnung sich kund gibt. Diese Thatsache berührt zugleich den in einigen deutschen Blättern und Schriften neuerlich mehrmals erklungenen Ton: "Oesterreich schließe, dem übrigen Deutschland gegenüber, sich mehr und mehr in sich ab, den gemeinsamen deutschen Interessen sich entfremdend." Die Geschichte der neuesten Zeit liefert den schlagendsten Gegenbeweis. Freilich, wer vergessen haben sollte, was Oesterreich für Deutschlands Selbstständigkeit in dem langen Kampf gegen Napoleon mit der äußersten Anstrengung und durch keine Verluste gebeugt gethan, dem wird es auch schwer werden, die Stellung zu erkennen, welche diese Macht, die Hüterin der Donau, die Schutzmacht des deutschen Verkehrs mit dem Orient, in den orientalischen Wirren einnimmt, ungeachtet diese Stellung durch die jüngsten Handelsverträge mit Großbritannien und der Türkei klar genug angedeutet ward. Wenn sich aber fügt, daß von Oesterreich her weniger Stimmen als anderwärts in den deutschen Angelegenheiten laut werden, weil des Oesterreichers Sache es überhaupt nicht ist, viele Worte zu machen, kann man deßwegen, mit den Handlungen der Gegenwart und den historischen Thatsachen sich berathend,

Oesterreich.

Der Herzog von Bordeaux ist, wie Sie wissen, nach einer Abwesenheit von einem halben Jahre in den Schooß seiner Familie wieder zurückgekehrt. Er hatte sich, wenn ich nicht irre, zu Ende August in Gesellschaft des Hrn. v. Levis, um den Herbstmanöuvres der daselbst concentrirten Truppen beizuwohnen, nach Verona begeben, und nach Beendigung derselben, ohne Wissen der österreichischen Behörden, über die Gränze heimlich entfernt. Der Herzog hatte schon früher in Wien um die Erlaubniß, einen Ausflug nach den römischen Staaten machen zu dürfen, angesucht. Es wurden ihm indessen entweder die Pässe dazu nicht verwilligt, oder Hr. v. Altieri, römischer Nuncius in der österreichischen Hauptstadt, der durch die vom heil. Stuhle erhaltenen Instructionen angewiesen worden war, gegen einen solchen Besuch zu protestiren, versagte den etwa erhaltenen Pässen sein Visa. Daher kommt es, daß man in Rom durch die Ankunft des Herzogs eben so sehr überrascht war, als in Wien bei der Kunde seines Verschwindens von Verona. Nirgends hatte man ihn eines so eigenmächtigen Schrittes für fähig gehalten. Seine Reise wurde daher von allen Seiten getadelt und man war bald überzeugt, daß Hr. v. Levis der Urheber und die Seele des Unternehmens gewesen seyn müsse. Daß damit, zwar nicht von dem verführten jungen Herzog, wohl aber von dem Hrn. Levis politische Zwecke in Verbindung gebracht wurden, scheint ausgemacht, und insofern dürfte die Reise dem jungen Manne eher genützt als geschadet haben, da sie ihn in den Stand gesetzt hat, gewisse Ideen über die Verhältnisse in Frankreich und über den Geist, die Fähigkeiten und politischen Aussichten seiner Anhänger zu berichtigen. Die Cavalcade von Rom nach Civitàvecchia, so wie die Begleitung von Civitàvecchia gegen Florenz hin, sind schwerlich geeignet gewesen, ein richtiges Urtheil darüber wankend zu machen. Diese Episode dürfte nichts Erhebliches zur Folge haben, außer daß Graf Latour-Maubourg eine andere Bestimmung erhalten wird. Der Herzog von Angoulème, der das Geschehene heftig tadelt, empfing den Enkel Karls X etwas unfreundlich und sandte sogleich Hrn. v. Montbel nach Wien, um über die Rückkunft des Flüchtlings zu berichten. Die Rechtfertigungen des Hrn. v. Levis wurden von dem Herzog von Angoulème nicht angehört, und Hr. v. Levis wird wahrscheinlich für immer von der Person des jungen Herzogs entfernt werden, da man ihm schwerlich verzeihen wird, die Stellung des letztern so arg compromittirt zu haben. Man schreibt ihm auch den, dem Herzog ertheilten Rath zu, für die Folge in Rußland seinen Aufenthalt zu nehmen, so wie das deßhalb an den Kaiser Nikolaus gerichtete Gesuch. Ob die ganze Geschichte irgend einen Einfluß auf die Verhältnisse der innern Oekonomie in der königl. französischen Familie zu Görz ausüben soll, scheint von den Bestimmungen des Wiener Cabinets, die man durch Hrn. v. Montbel in diesen Tagen zu erhalten hoffte, abzuhängen.

Gestern wurde bei der Magnatentafel wieder das Religions-Gravamen berathen, und, wie es scheint, definitiv abgemacht. Die Stände dürften zufrieden seyn mit der Nachgiebigkeit und Liberalität der obern Tafel, die sich ihnen nun in den meisten noch divergirenden Punkten angeschlossen. Auch jener wichtigste Theil des ständischen Verlangens ging nach einem schweren Kampfe durch, daß nämlich vollkommene Reciprocität zwischen Katholiken und Protestanten in Hinsicht der religiösen Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen eintreten, und diese jedesmal der Religion des Vaters folgen sollen. Unter den geistlichen Rednern zeichnete sich die edle Milde des Fürsten Primas und der hochgebildete duldsame Sinn des Bischofs Lonowics aus, dessen Vortrag unter die glänzendsten Zierden religiös-parlamentarischer Reden gerechnet werden kann und einstimmige Theilnahme fand. (Deutsche Blätter.)

In Betreff der ungarischen Eisenbahn am linken Ufer der Donau hat die Ständetafel in der Reichstagssitzung vom 28 Febr. durch Stimmenmehrheit entschieden: die Eisenbahnanlage habe auf dem linken Donau-Ufer, doch unter der Bedingung zu geschehen, daß der Bau der ganzen Strecke von Pesth aufwärts bis Preßburg zuerst müsse vorgenommen und ganz vollendet werden, bevor mit dem Bau auf der Strecke von Gänserndorf bis Preßburg ans Werk geschritten werde. Da nun die letztere Anlage bis an die Gränze auf österreichischem Gebiet gelegen ist, so sey Se. Maj. der Kaiser und König in einer unterzubreitenden Repräsentation zu bitten, daß Se. Maj. die Bauführung der Bahn von Gänserndorf bis an die Gränze früher nicht gestatten möge, bis die Herstellung derselben auf der größern Strecke von Pesth bis Preßburg erfolgt sey. Dieser angenommene Antrag ward durch das Bedenken motivirt, daß, wenn zuerst der Bau des Gänserndorf-Preßburger Flügels zugestanden würde, die Weiterführung nach Pesth und Debreczin möglichenfalls unterlassen werden könnte, daher es nöthig sey, durch die erwähnte Bedingniß für den Bau auf der letztern Strecke eine wünschenswerthe Garantie zu erwerben. – In Betreff der Religionsangelegenheiten entschied die Magnatentafel in der Sitzung des 26 Febr. durch Mehrheit der Stimmen: die Reversalen für die Zukunft abzuschaffen, jedoch für die Vergangenheit beizubehalten, und im Punkte der Kindererziehung bei gemischten Ehen, daß die Kinder beider Geschlechter in der Folge der Religion des Vaters folgen sollen. Gegen letztern Antrag hatten der Primas, der Tavernikus, die Bischöfe von Csanad, von Agram, Waitzen u. A., die Obergespane der Gömörer und Torontaler Comitate, der Gouverneur von Fiume, der ungarische Hofsecretär Ladislaus Perenyi, Baron Orczy, Graf Joh. Majlath (der Schriftsteller) und Graf Lamotte gestimmt. – Auch im hiesigen Publicum hat die früher und neuerdings in Ihren Blättern gegen Lamartine's und Thiers' Aeußerungen für Deutschlands Integrität am Rheine erhobene Stimme Anklang, und das mannhaft gesprochene Wort volle Anerkennung gefunden. Nicht unpassend scheint es zu seyn dieses Umstandes zu erwähnen, weil es erfreulich ist zu bemerken, daß, wie dort und anderwärts, so auch im äußersten Südosten Deutschlands für Wahrung der gemeinsamen Interessen gleiche Gesinnung sich kund gibt. Diese Thatsache berührt zugleich den in einigen deutschen Blättern und Schriften neuerlich mehrmals erklungenen Ton: „Oesterreich schließe, dem übrigen Deutschland gegenüber, sich mehr und mehr in sich ab, den gemeinsamen deutschen Interessen sich entfremdend.“ Die Geschichte der neuesten Zeit liefert den schlagendsten Gegenbeweis. Freilich, wer vergessen haben sollte, was Oesterreich für Deutschlands Selbstständigkeit in dem langen Kampf gegen Napoleon mit der äußersten Anstrengung und durch keine Verluste gebeugt gethan, dem wird es auch schwer werden, die Stellung zu erkennen, welche diese Macht, die Hüterin der Donau, die Schutzmacht des deutschen Verkehrs mit dem Orient, in den orientalischen Wirren einnimmt, ungeachtet diese Stellung durch die jüngsten Handelsverträge mit Großbritannien und der Türkei klar genug angedeutet ward. Wenn sich aber fügt, daß von Oesterreich her weniger Stimmen als anderwärts in den deutschen Angelegenheiten laut werden, weil des Oesterreichers Sache es überhaupt nicht ist, viele Worte zu machen, kann man deßwegen, mit den Handlungen der Gegenwart und den historischen Thatsachen sich berathend,

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[0583/0007] Oesterreich. Triest, 2 März. Der Herzog von Bordeaux ist, wie Sie wissen, nach einer Abwesenheit von einem halben Jahre in den Schooß seiner Familie wieder zurückgekehrt. Er hatte sich, wenn ich nicht irre, zu Ende August in Gesellschaft des Hrn. v. Levis, um den Herbstmanöuvres der daselbst concentrirten Truppen beizuwohnen, nach Verona begeben, und nach Beendigung derselben, ohne Wissen der österreichischen Behörden, über die Gränze heimlich entfernt. Der Herzog hatte schon früher in Wien um die Erlaubniß, einen Ausflug nach den römischen Staaten machen zu dürfen, angesucht. Es wurden ihm indessen entweder die Pässe dazu nicht verwilligt, oder Hr. v. Altieri, römischer Nuncius in der österreichischen Hauptstadt, der durch die vom heil. Stuhle erhaltenen Instructionen angewiesen worden war, gegen einen solchen Besuch zu protestiren, versagte den etwa erhaltenen Pässen sein Visa. Daher kommt es, daß man in Rom durch die Ankunft des Herzogs eben so sehr überrascht war, als in Wien bei der Kunde seines Verschwindens von Verona. Nirgends hatte man ihn eines so eigenmächtigen Schrittes für fähig gehalten. Seine Reise wurde daher von allen Seiten getadelt und man war bald überzeugt, daß Hr. v. Levis der Urheber und die Seele des Unternehmens gewesen seyn müsse. Daß damit, zwar nicht von dem verführten jungen Herzog, wohl aber von dem Hrn. Levis politische Zwecke in Verbindung gebracht wurden, scheint ausgemacht, und insofern dürfte die Reise dem jungen Manne eher genützt als geschadet haben, da sie ihn in den Stand gesetzt hat, gewisse Ideen über die Verhältnisse in Frankreich und über den Geist, die Fähigkeiten und politischen Aussichten seiner Anhänger zu berichtigen. Die Cavalcade von Rom nach Civitàvecchia, so wie die Begleitung von Civitàvecchia gegen Florenz hin, sind schwerlich geeignet gewesen, ein richtiges Urtheil darüber wankend zu machen. Diese Episode dürfte nichts Erhebliches zur Folge haben, außer daß Graf Latour-Maubourg eine andere Bestimmung erhalten wird. Der Herzog von Angoulème, der das Geschehene heftig tadelt, empfing den Enkel Karls X etwas unfreundlich und sandte sogleich Hrn. v. Montbel nach Wien, um über die Rückkunft des Flüchtlings zu berichten. Die Rechtfertigungen des Hrn. v. Levis wurden von dem Herzog von Angoulème nicht angehört, und Hr. v. Levis wird wahrscheinlich für immer von der Person des jungen Herzogs entfernt werden, da man ihm schwerlich verzeihen wird, die Stellung des letztern so arg compromittirt zu haben. Man schreibt ihm auch den, dem Herzog ertheilten Rath zu, für die Folge in Rußland seinen Aufenthalt zu nehmen, so wie das deßhalb an den Kaiser Nikolaus gerichtete Gesuch. Ob die ganze Geschichte irgend einen Einfluß auf die Verhältnisse der innern Oekonomie in der königl. französischen Familie zu Görz ausüben soll, scheint von den Bestimmungen des Wiener Cabinets, die man durch Hrn. v. Montbel in diesen Tagen zu erhalten hoffte, abzuhängen. Preßburg, 28 Febr. Gestern wurde bei der Magnatentafel wieder das Religions-Gravamen berathen, und, wie es scheint, definitiv abgemacht. Die Stände dürften zufrieden seyn mit der Nachgiebigkeit und Liberalität der obern Tafel, die sich ihnen nun in den meisten noch divergirenden Punkten angeschlossen. Auch jener wichtigste Theil des ständischen Verlangens ging nach einem schweren Kampfe durch, daß nämlich vollkommene Reciprocität zwischen Katholiken und Protestanten in Hinsicht der religiösen Erziehung der Kinder aus gemischten Ehen eintreten, und diese jedesmal der Religion des Vaters folgen sollen. Unter den geistlichen Rednern zeichnete sich die edle Milde des Fürsten Primas und der hochgebildete duldsame Sinn des Bischofs Lonowics aus, dessen Vortrag unter die glänzendsten Zierden religiös-parlamentarischer Reden gerechnet werden kann und einstimmige Theilnahme fand. (Deutsche Blätter.) _ Wien, 6 März. In Betreff der ungarischen Eisenbahn am linken Ufer der Donau hat die Ständetafel in der Reichstagssitzung vom 28 Febr. durch Stimmenmehrheit entschieden: die Eisenbahnanlage habe auf dem linken Donau-Ufer, doch unter der Bedingung zu geschehen, daß der Bau der ganzen Strecke von Pesth aufwärts bis Preßburg zuerst müsse vorgenommen und ganz vollendet werden, bevor mit dem Bau auf der Strecke von Gänserndorf bis Preßburg ans Werk geschritten werde. Da nun die letztere Anlage bis an die Gränze auf österreichischem Gebiet gelegen ist, so sey Se. Maj. der Kaiser und König in einer unterzubreitenden Repräsentation zu bitten, daß Se. Maj. die Bauführung der Bahn von Gänserndorf bis an die Gränze früher nicht gestatten möge, bis die Herstellung derselben auf der größern Strecke von Pesth bis Preßburg erfolgt sey. Dieser angenommene Antrag ward durch das Bedenken motivirt, daß, wenn zuerst der Bau des Gänserndorf-Preßburger Flügels zugestanden würde, die Weiterführung nach Pesth und Debreczin möglichenfalls unterlassen werden könnte, daher es nöthig sey, durch die erwähnte Bedingniß für den Bau auf der letztern Strecke eine wünschenswerthe Garantie zu erwerben. – In Betreff der Religionsangelegenheiten entschied die Magnatentafel in der Sitzung des 26 Febr. durch Mehrheit der Stimmen: die Reversalen für die Zukunft abzuschaffen, jedoch für die Vergangenheit beizubehalten, und im Punkte der Kindererziehung bei gemischten Ehen, daß die Kinder beider Geschlechter in der Folge der Religion des Vaters folgen sollen. Gegen letztern Antrag hatten der Primas, der Tavernikus, die Bischöfe von Csanad, von Agram, Waitzen u. A., die Obergespane der Gömörer und Torontaler Comitate, der Gouverneur von Fiume, der ungarische Hofsecretär Ladislaus Perenyi, Baron Orczy, Graf Joh. Majlath (der Schriftsteller) und Graf Lamotte gestimmt. – Auch im hiesigen Publicum hat die früher und neuerdings in Ihren Blättern gegen Lamartine's und Thiers' Aeußerungen für Deutschlands Integrität am Rheine erhobene Stimme Anklang, und das mannhaft gesprochene Wort volle Anerkennung gefunden. Nicht unpassend scheint es zu seyn dieses Umstandes zu erwähnen, weil es erfreulich ist zu bemerken, daß, wie dort und anderwärts, so auch im äußersten Südosten Deutschlands für Wahrung der gemeinsamen Interessen gleiche Gesinnung sich kund gibt. Diese Thatsache berührt zugleich den in einigen deutschen Blättern und Schriften neuerlich mehrmals erklungenen Ton: „Oesterreich schließe, dem übrigen Deutschland gegenüber, sich mehr und mehr in sich ab, den gemeinsamen deutschen Interessen sich entfremdend.“ Die Geschichte der neuesten Zeit liefert den schlagendsten Gegenbeweis. Freilich, wer vergessen haben sollte, was Oesterreich für Deutschlands Selbstständigkeit in dem langen Kampf gegen Napoleon mit der äußersten Anstrengung und durch keine Verluste gebeugt gethan, dem wird es auch schwer werden, die Stellung zu erkennen, welche diese Macht, die Hüterin der Donau, die Schutzmacht des deutschen Verkehrs mit dem Orient, in den orientalischen Wirren einnimmt, ungeachtet diese Stellung durch die jüngsten Handelsverträge mit Großbritannien und der Türkei klar genug angedeutet ward. Wenn sich aber fügt, daß von Oesterreich her weniger Stimmen als anderwärts in den deutschen Angelegenheiten laut werden, weil des Oesterreichers Sache es überhaupt nicht ist, viele Worte zu machen, kann man deßwegen, mit den Handlungen der Gegenwart und den historischen Thatsachen sich berathend,

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 73. Augsburg, 13. März 1840, S. 0583. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_073_18400313/7>, abgerufen am 24.11.2024.