Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 73. Augsburg, 13. März 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Michel Tossizza, vom Hause Gebrüder Tossizza, gegen die Summe von einer Million Talari, in Betracht der neuen Zölle, welche dem zu Konstantinopel im August 1838 geschlossenen Vertrag gemäß zu erheben sind, verpachtet worden. An all diesem Gerede ist aber nichts wahr, als daß Mehemed Ali mit Hrn. Cochelet von seinen Absichten zu Gunsten des Ackerbaues und Handels gesprochen, die ins Leben treten würden, sobald er sich damit ernstlich beschäftigen könne, das heißt, sobald man seine Rechte anerkennen und die Erblichkeit ihm zugestehen würde. Was den Handelstractat anbelangt, so weiß der Vicekönig, daß derselbe in der Türkei nicht in Kraft ist, und daß die Mukakas dieses Jahr, wie früher, verkauft worden sind. Mehemed Ali kümmert sich übrigens nicht um das, was in der Türkei vorgeht, sondern verfolgt sein Werk der Civilisation, indem er durch den Handel, also durch das gegenseitige Interesse die Völker Afrika's mit den europäischen Völkern in Berührung zu bringen sucht. Sein System war nie, plötzliche Neuerungen einzuführen, immer ging er nur langsam vorwärts. Die Handelsfrage ist für Aegypten eine Finanz- und Lebensfrage. Es ist nicht unmöglich, sagt man, die cultivirten Ländereien mit stärkern Abgaben zu belegen, als sie gegenwärtig bezahlen, um das Deficit zu decken, welches trotz der höhern Zölle der Schatz zu tragen hätte. Dieses Raisonnement ist sehr richtig, aber bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge nicht genügend, wie man aus Folgendem ersehen wird.

Die ägyptische Regierung, welche der Agricultur einen so großen Impuls geben mußte, damit dieselbe die Fortschritte mache, wie wir solche in wenigen Jahren gesehen, hat Canäle graben, Dämme aufwerfen lassen, deren Kosten dem Schatz zur Last fielen, und für welche die Regierung keine außerordentliche Abgabe von den Steuerpflichtigen verlangte; sie überwachte auch die Leitung der Arbeiten und nöthigte die faulen Fellahs, zu säen und zu pflanzen. Sie machte Vorschüsse an Sämereien, Vieh und Ackerwerkzeugen, und die Fellahs sind demnach ihre Schuldner für Vorschüsse und rückständige Steuern geworden. Niemand darf es daher tadeln, wenn die Regierung nur den nicht verschuldeten Dörfern gestattet, ihre Producte zu verkaufen, bis zur Zeit, wo alle Rückstände bezahlt sind. Dieß ist, wie wir glauben, die Absicht der ägyptischen Regierung, deren Folge ein Wetteifer unter den Dörfern seyn wird, sich baldmöglichst schuldenfrei zu machen.

Da die Regierung die Grundsteuern erheben muß, ehe sie den schuldenfreien Dörfern den Verkauf ihrer Producte gestattet, so folgt hieraus, daß die Käufer nur um abgabenfreie Waaren handeln können. Es wäre unklug, den Fellahs Vorschüsse zu leisten, denn diese würden sich kein Gewissen machen, zu gleicher Zeit von mehreren Seiten Vorschüsse zu nehmen, und vor der Ernte zu entfliehen. Da die Fellahs nichts besitzen, hätte man kein Mittel, sich für Vorschüsse Deckung zu verschaffen. Die Grundstücke (wenn sie deren haben) sind keine hinreichende Garantie, erstens weil die Ansprüche des Fiscus vor Allem gehen; zweitens weil die Ausländer in der Türkei kein Grundeigenthum besitzen dürfen und aus dem Verkauf der Ländereien demnach kein nur irgend erheblicher Preis zu ziehen wäre. Daher versichert man, die Regierung werde zu gehöriger Zeit erklären, daß sie wegen Vorschüssen keine Reclamationen berücksichtigen könne, weil kein Mittel vorhanden, die Gläubiger zu befriedigen, und man die Fellahs, welche das Vertrauen der Europäer mißbrauchen würden, wegen ihrer großen Anzahl nicht bestrafen könne.

Die Prinzen von der Familie des Vicekönigs besitzen liegende Güter als Apanage, auch die bedeutendsten Beamten sind Grundeigenthümer. Da es Niemanden conveniren kann, wenn die Preise der Producte herabgedrückt würden, werden jene großen Eigenthümer vorziehen, die Erzeugnisse ihrer Ländereien der Concurrenz zu entziehen und der Regierung zu überlassen, welche ihnen dafür einen festen Mittelpreis bezahlen wird. Da das öffentliche und das geistliche Eigenthum unter der Verwaltung der Regierung steht, so wird immerhin eine starke Masse von Producten unter ihren Händen bleiben. Die freie Ausfuhr des Getreides kann auf keinen Fall zugestanden werden, denn dieser Gegenstand berührt die Existenz des ganzen Volks, und die Regierung muß jederzeit zwei Dinge vor Augen haben: erstens das Land durch Getreidemangel keiner Hungersnoth auszusetzen, zweitens das Getreide nie zu einem allzu tiefen Preis herabsinken zu lassen. Wenn man die Ausfuhr in den fruchtbaren Jahren ganz hindert, schadet man den Bauern, die dann auf einen andern Culturzweig sich legen würden, worauf im folgenden Jahr eine Hungersnoth entstehen müßte.

Wenn man die freie Ausfuhr gegen einen geringen Zoll bewilligt, werden in Folge der Concurrenz der Käufer die Preise der Producte im Innern steigen; einige Speculanten oder Eigenthümer werden gewinnen, aber die ärmere Classe der Bevölkerung wird die hohen Preise der zu ihren Bedürfnissen nöthigen Artikel nicht mehr erschwingen können, und Hunger leiden inmitten des allgemeinen Ueberflusses. Ja vielleicht würde die freie Ausfuhr dem Lande sogar das zu seiner Consumtion unumgänglich Nothwendige entziehen, denn die Geldgierde denkt nicht an die Zukunft. Bei dem Getreidehandel muß die ägyptische Regierung daher erst der neuen Ernte sicher seyn, ehe sie die des vorhergehenden Jahres ausführen läßt, wie es bis jetzt geschehen; sie muß auch Vorräthe für die Truppen und die hauptsächlichsten Punkte der Consumtion aufhäufen, sie muß einen Zoll fordern, der stark genug ist, die hohen Getreidepreise im Ausland mit den niedern Preisen in Aegypten im Gleichgewicht zu halten. Dann werden die Eingebornen nicht leiden, die Speculanten werden etwas weniger gewinnen, und der Schatz wird seinen Vortheil dabei finden, ohne Jemanden zu drücken. Dieß erklärt, warum dieses Jahr Ausfuhren gestattet wurden gegen einen Zoll, den Manche für übertrieben halten, der aber das oben erwähnte Gleichgewicht herstellt; der Bauer nährt sich mit wenig Kosten, und das Ausland findet es doch noch vortheilhaft, von Aegypten Getreide zu beziehen.

Es gibt im Reiche des Vicekönigs Länder, wo die Abgaben nicht in Baarem geleistet werden können. Sennaar und Kordofan sind in diesem Fall. Sie erzeugen Gummi, den man sehr unpassend Gummi arabicum nennt; sie können nur in dieser Waare bezahlen. Die ägyptische Regierung ist demnach genöthigt, denselben als Tribut anzunehmen, und die Producte nicht verkaufen zu lassen, ehe die Abgaben vollständig entrichtet sind. Ich zweifle, ob die Speculanten je davon starke Partien aus dem Sennaar beziehen, und solche ohne viel bedeutendere Kosten als die Regierung nach einem Seehafen bringen können. Sie können demnach nicht die gleichen Vortheile haben, obwohl sie sich dieselben, ohne darüber nachzudenken, versprechen. Die Handelsfreiheit würde, wenn auch augenblicklich in ihrem ganzen Umfang zugestanden, der Idee, welche sich die Utopisten in Europa davon machen, keineswegs entsprechen. Wenn aber der Uebergang zu ihr nicht so plötzlich ist, wird die künftige Handelsfreiheit um so besser und dauerhafter seyn. Würden die Völker Europa's den Ursprung der Handelscapitulationen und Verträge mit der Türkei untersuchen, so müßten sie finden, daß das, was sie jetzt als Rechte und Privilegien fordern, nur Concessionen der Gunst waren, daß kein gegenseitiger Contract dabei stattfand, und daß es ein Unrecht ist,

Michel Tossizza, vom Hause Gebrüder Tossizza, gegen die Summe von einer Million Talari, in Betracht der neuen Zölle, welche dem zu Konstantinopel im August 1838 geschlossenen Vertrag gemäß zu erheben sind, verpachtet worden. An all diesem Gerede ist aber nichts wahr, als daß Mehemed Ali mit Hrn. Cochelet von seinen Absichten zu Gunsten des Ackerbaues und Handels gesprochen, die ins Leben treten würden, sobald er sich damit ernstlich beschäftigen könne, das heißt, sobald man seine Rechte anerkennen und die Erblichkeit ihm zugestehen würde. Was den Handelstractat anbelangt, so weiß der Vicekönig, daß derselbe in der Türkei nicht in Kraft ist, und daß die Mukakas dieses Jahr, wie früher, verkauft worden sind. Mehemed Ali kümmert sich übrigens nicht um das, was in der Türkei vorgeht, sondern verfolgt sein Werk der Civilisation, indem er durch den Handel, also durch das gegenseitige Interesse die Völker Afrika's mit den europäischen Völkern in Berührung zu bringen sucht. Sein System war nie, plötzliche Neuerungen einzuführen, immer ging er nur langsam vorwärts. Die Handelsfrage ist für Aegypten eine Finanz- und Lebensfrage. Es ist nicht unmöglich, sagt man, die cultivirten Ländereien mit stärkern Abgaben zu belegen, als sie gegenwärtig bezahlen, um das Deficit zu decken, welches trotz der höhern Zölle der Schatz zu tragen hätte. Dieses Raisonnement ist sehr richtig, aber bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge nicht genügend, wie man aus Folgendem ersehen wird.

Die ägyptische Regierung, welche der Agricultur einen so großen Impuls geben mußte, damit dieselbe die Fortschritte mache, wie wir solche in wenigen Jahren gesehen, hat Canäle graben, Dämme aufwerfen lassen, deren Kosten dem Schatz zur Last fielen, und für welche die Regierung keine außerordentliche Abgabe von den Steuerpflichtigen verlangte; sie überwachte auch die Leitung der Arbeiten und nöthigte die faulen Fellahs, zu säen und zu pflanzen. Sie machte Vorschüsse an Sämereien, Vieh und Ackerwerkzeugen, und die Fellahs sind demnach ihre Schuldner für Vorschüsse und rückständige Steuern geworden. Niemand darf es daher tadeln, wenn die Regierung nur den nicht verschuldeten Dörfern gestattet, ihre Producte zu verkaufen, bis zur Zeit, wo alle Rückstände bezahlt sind. Dieß ist, wie wir glauben, die Absicht der ägyptischen Regierung, deren Folge ein Wetteifer unter den Dörfern seyn wird, sich baldmöglichst schuldenfrei zu machen.

Da die Regierung die Grundsteuern erheben muß, ehe sie den schuldenfreien Dörfern den Verkauf ihrer Producte gestattet, so folgt hieraus, daß die Käufer nur um abgabenfreie Waaren handeln können. Es wäre unklug, den Fellahs Vorschüsse zu leisten, denn diese würden sich kein Gewissen machen, zu gleicher Zeit von mehreren Seiten Vorschüsse zu nehmen, und vor der Ernte zu entfliehen. Da die Fellahs nichts besitzen, hätte man kein Mittel, sich für Vorschüsse Deckung zu verschaffen. Die Grundstücke (wenn sie deren haben) sind keine hinreichende Garantie, erstens weil die Ansprüche des Fiscus vor Allem gehen; zweitens weil die Ausländer in der Türkei kein Grundeigenthum besitzen dürfen und aus dem Verkauf der Ländereien demnach kein nur irgend erheblicher Preis zu ziehen wäre. Daher versichert man, die Regierung werde zu gehöriger Zeit erklären, daß sie wegen Vorschüssen keine Reclamationen berücksichtigen könne, weil kein Mittel vorhanden, die Gläubiger zu befriedigen, und man die Fellahs, welche das Vertrauen der Europäer mißbrauchen würden, wegen ihrer großen Anzahl nicht bestrafen könne.

Die Prinzen von der Familie des Vicekönigs besitzen liegende Güter als Apanage, auch die bedeutendsten Beamten sind Grundeigenthümer. Da es Niemanden conveniren kann, wenn die Preise der Producte herabgedrückt würden, werden jene großen Eigenthümer vorziehen, die Erzeugnisse ihrer Ländereien der Concurrenz zu entziehen und der Regierung zu überlassen, welche ihnen dafür einen festen Mittelpreis bezahlen wird. Da das öffentliche und das geistliche Eigenthum unter der Verwaltung der Regierung steht, so wird immerhin eine starke Masse von Producten unter ihren Händen bleiben. Die freie Ausfuhr des Getreides kann auf keinen Fall zugestanden werden, denn dieser Gegenstand berührt die Existenz des ganzen Volks, und die Regierung muß jederzeit zwei Dinge vor Augen haben: erstens das Land durch Getreidemangel keiner Hungersnoth auszusetzen, zweitens das Getreide nie zu einem allzu tiefen Preis herabsinken zu lassen. Wenn man die Ausfuhr in den fruchtbaren Jahren ganz hindert, schadet man den Bauern, die dann auf einen andern Culturzweig sich legen würden, worauf im folgenden Jahr eine Hungersnoth entstehen müßte.

Wenn man die freie Ausfuhr gegen einen geringen Zoll bewilligt, werden in Folge der Concurrenz der Käufer die Preise der Producte im Innern steigen; einige Speculanten oder Eigenthümer werden gewinnen, aber die ärmere Classe der Bevölkerung wird die hohen Preise der zu ihren Bedürfnissen nöthigen Artikel nicht mehr erschwingen können, und Hunger leiden inmitten des allgemeinen Ueberflusses. Ja vielleicht würde die freie Ausfuhr dem Lande sogar das zu seiner Consumtion unumgänglich Nothwendige entziehen, denn die Geldgierde denkt nicht an die Zukunft. Bei dem Getreidehandel muß die ägyptische Regierung daher erst der neuen Ernte sicher seyn, ehe sie die des vorhergehenden Jahres ausführen läßt, wie es bis jetzt geschehen; sie muß auch Vorräthe für die Truppen und die hauptsächlichsten Punkte der Consumtion aufhäufen, sie muß einen Zoll fordern, der stark genug ist, die hohen Getreidepreise im Ausland mit den niedern Preisen in Aegypten im Gleichgewicht zu halten. Dann werden die Eingebornen nicht leiden, die Speculanten werden etwas weniger gewinnen, und der Schatz wird seinen Vortheil dabei finden, ohne Jemanden zu drücken. Dieß erklärt, warum dieses Jahr Ausfuhren gestattet wurden gegen einen Zoll, den Manche für übertrieben halten, der aber das oben erwähnte Gleichgewicht herstellt; der Bauer nährt sich mit wenig Kosten, und das Ausland findet es doch noch vortheilhaft, von Aegypten Getreide zu beziehen.

Es gibt im Reiche des Vicekönigs Länder, wo die Abgaben nicht in Baarem geleistet werden können. Sennaar und Kordofan sind in diesem Fall. Sie erzeugen Gummi, den man sehr unpassend Gummi arabicum nennt; sie können nur in dieser Waare bezahlen. Die ägyptische Regierung ist demnach genöthigt, denselben als Tribut anzunehmen, und die Producte nicht verkaufen zu lassen, ehe die Abgaben vollständig entrichtet sind. Ich zweifle, ob die Speculanten je davon starke Partien aus dem Sennaar beziehen, und solche ohne viel bedeutendere Kosten als die Regierung nach einem Seehafen bringen können. Sie können demnach nicht die gleichen Vortheile haben, obwohl sie sich dieselben, ohne darüber nachzudenken, versprechen. Die Handelsfreiheit würde, wenn auch augenblicklich in ihrem ganzen Umfang zugestanden, der Idee, welche sich die Utopisten in Europa davon machen, keineswegs entsprechen. Wenn aber der Uebergang zu ihr nicht so plötzlich ist, wird die künftige Handelsfreiheit um so besser und dauerhafter seyn. Würden die Völker Europa's den Ursprung der Handelscapitulationen und Verträge mit der Türkei untersuchen, so müßten sie finden, daß das, was sie jetzt als Rechte und Privilegien fordern, nur Concessionen der Gunst waren, daß kein gegenseitiger Contract dabei stattfand, und daß es ein Unrecht ist,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0012" n="0580"/>
Michel Tossizza, vom Hause Gebrüder Tossizza, gegen die Summe von einer Million Talari, in Betracht der neuen Zölle, welche dem zu Konstantinopel im August 1838 geschlossenen Vertrag gemäß zu erheben sind, verpachtet worden. An all diesem Gerede ist aber nichts wahr, als daß Mehemed Ali mit Hrn. Cochelet von seinen Absichten zu Gunsten des Ackerbaues und Handels gesprochen, die ins Leben treten würden, sobald er sich damit ernstlich beschäftigen könne, das heißt, sobald man seine Rechte anerkennen und die Erblichkeit ihm zugestehen würde. Was den Handelstractat anbelangt, so weiß der Vicekönig, daß derselbe in der Türkei nicht in Kraft ist, und daß die <hi rendition="#g">Mukakas</hi> dieses Jahr, wie früher, verkauft worden sind. Mehemed Ali kümmert sich übrigens nicht um das, was in der Türkei vorgeht, sondern verfolgt sein Werk der Civilisation, indem er durch den Handel, also durch das gegenseitige Interesse die Völker Afrika's mit den europäischen Völkern in Berührung zu bringen sucht. Sein System war nie, plötzliche Neuerungen einzuführen, immer ging er nur langsam vorwärts. Die Handelsfrage ist für Aegypten eine Finanz- und Lebensfrage. Es ist nicht unmöglich, sagt man, die cultivirten Ländereien mit stärkern Abgaben zu belegen, als sie gegenwärtig bezahlen, um das Deficit zu decken, welches trotz der höhern Zölle der Schatz zu tragen hätte. Dieses Raisonnement ist sehr richtig, aber bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge nicht genügend, wie man aus Folgendem ersehen wird.</p><lb/>
          <p>Die ägyptische Regierung, welche der Agricultur einen so großen Impuls geben mußte, damit dieselbe die Fortschritte mache, wie wir solche in wenigen Jahren gesehen, hat Canäle graben, Dämme aufwerfen lassen, deren Kosten dem Schatz zur Last fielen, und für welche die Regierung keine außerordentliche Abgabe von den Steuerpflichtigen verlangte; sie überwachte auch die Leitung der Arbeiten und nöthigte die faulen Fellahs, zu säen und zu pflanzen. Sie machte Vorschüsse an Sämereien, Vieh und Ackerwerkzeugen, und die Fellahs sind demnach ihre Schuldner für Vorschüsse und rückständige Steuern geworden. Niemand darf es daher tadeln, wenn die Regierung nur den nicht verschuldeten Dörfern gestattet, ihre Producte zu verkaufen, bis zur Zeit, wo alle Rückstände bezahlt sind. Dieß ist, wie wir glauben, die Absicht der ägyptischen Regierung, deren Folge ein Wetteifer unter den Dörfern seyn wird, sich baldmöglichst schuldenfrei zu machen.</p><lb/>
          <p>Da die Regierung die Grundsteuern erheben muß, ehe sie den schuldenfreien Dörfern den Verkauf ihrer Producte gestattet, so folgt hieraus, daß die Käufer nur um abgabenfreie Waaren handeln können. Es wäre unklug, den Fellahs Vorschüsse zu leisten, denn diese würden sich kein Gewissen machen, zu gleicher Zeit von mehreren Seiten Vorschüsse zu nehmen, und vor der Ernte zu entfliehen. Da die Fellahs nichts besitzen, hätte man kein Mittel, sich für Vorschüsse Deckung zu verschaffen. Die Grundstücke (wenn sie deren haben) sind keine hinreichende Garantie, erstens weil die Ansprüche des Fiscus vor Allem gehen; zweitens weil die Ausländer in der Türkei kein Grundeigenthum besitzen dürfen und aus dem Verkauf der Ländereien demnach kein nur irgend erheblicher Preis zu ziehen wäre. Daher versichert man, die Regierung werde zu gehöriger Zeit erklären, daß sie wegen Vorschüssen keine Reclamationen berücksichtigen könne, weil kein Mittel vorhanden, die Gläubiger zu befriedigen, und man die Fellahs, welche das Vertrauen der Europäer mißbrauchen würden, wegen ihrer großen Anzahl nicht bestrafen könne.</p><lb/>
          <p>Die Prinzen von der Familie des Vicekönigs besitzen liegende Güter als Apanage, auch die bedeutendsten Beamten sind Grundeigenthümer. Da es Niemanden conveniren kann, wenn die Preise der Producte herabgedrückt würden, werden jene großen Eigenthümer vorziehen, die Erzeugnisse ihrer Ländereien der Concurrenz zu entziehen und der Regierung zu überlassen, welche ihnen dafür einen festen Mittelpreis bezahlen wird. Da das öffentliche und das geistliche Eigenthum unter der Verwaltung der Regierung steht, so wird immerhin eine starke Masse von Producten unter ihren Händen bleiben. Die freie Ausfuhr des Getreides kann auf keinen Fall zugestanden werden, denn dieser Gegenstand berührt die Existenz des ganzen Volks, und die Regierung muß jederzeit zwei Dinge vor Augen haben: erstens das Land durch Getreidemangel keiner Hungersnoth auszusetzen, zweitens das Getreide nie zu einem allzu tiefen Preis herabsinken zu lassen. Wenn man die Ausfuhr in den fruchtbaren Jahren ganz hindert, schadet man den Bauern, die dann auf einen andern Culturzweig sich legen würden, worauf im folgenden Jahr eine Hungersnoth entstehen müßte.</p><lb/>
          <p>Wenn man die freie Ausfuhr gegen einen geringen Zoll bewilligt, werden in Folge der Concurrenz der Käufer die Preise der Producte im Innern steigen; einige Speculanten oder Eigenthümer werden gewinnen, aber die ärmere Classe der Bevölkerung wird die hohen Preise der zu ihren Bedürfnissen nöthigen Artikel nicht mehr erschwingen können, und Hunger leiden inmitten des allgemeinen Ueberflusses. Ja vielleicht würde die freie Ausfuhr dem Lande sogar das zu seiner Consumtion unumgänglich Nothwendige entziehen, denn die Geldgierde denkt nicht an die Zukunft. Bei dem Getreidehandel muß die ägyptische Regierung daher erst der neuen Ernte sicher seyn, ehe sie die des vorhergehenden Jahres ausführen läßt, wie es bis jetzt geschehen; sie muß auch Vorräthe für die Truppen und die hauptsächlichsten Punkte der Consumtion aufhäufen, sie muß einen Zoll fordern, der stark genug ist, die hohen Getreidepreise im Ausland mit den niedern Preisen in Aegypten im Gleichgewicht zu halten. Dann werden die Eingebornen nicht leiden, die Speculanten werden etwas weniger gewinnen, und der Schatz wird seinen Vortheil dabei finden, ohne Jemanden zu drücken. Dieß erklärt, warum dieses Jahr Ausfuhren gestattet wurden gegen einen Zoll, den Manche für übertrieben halten, der aber das oben erwähnte Gleichgewicht herstellt; der Bauer nährt sich mit wenig Kosten, und das Ausland findet es doch noch vortheilhaft, von Aegypten Getreide zu beziehen.</p><lb/>
          <p>Es gibt im Reiche des Vicekönigs Länder, wo die Abgaben nicht in Baarem geleistet werden können. Sennaar und Kordofan sind in diesem Fall. Sie erzeugen Gummi, den man sehr unpassend Gummi arabicum nennt; sie können nur in dieser Waare bezahlen. Die ägyptische Regierung ist demnach genöthigt, denselben als Tribut anzunehmen, und die Producte nicht verkaufen zu lassen, ehe die Abgaben vollständig entrichtet sind. Ich zweifle, ob die Speculanten je davon starke Partien aus dem Sennaar beziehen, und solche ohne viel bedeutendere Kosten als die Regierung nach einem Seehafen bringen können. Sie können demnach nicht die gleichen Vortheile haben, obwohl sie sich dieselben, ohne darüber nachzudenken, versprechen. Die Handelsfreiheit würde, wenn auch augenblicklich in ihrem ganzen Umfang zugestanden, der Idee, welche sich die Utopisten in Europa davon machen, keineswegs entsprechen. Wenn aber der Uebergang zu ihr nicht so plötzlich ist, wird die künftige Handelsfreiheit um so besser und dauerhafter seyn. Würden die Völker Europa's den Ursprung der Handelscapitulationen und Verträge mit der Türkei untersuchen, so müßten sie finden, daß das, was sie jetzt als Rechte und Privilegien fordern, nur Concessionen der Gunst waren, daß kein gegenseitiger Contract dabei stattfand, und daß es ein Unrecht ist,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0580/0012] Michel Tossizza, vom Hause Gebrüder Tossizza, gegen die Summe von einer Million Talari, in Betracht der neuen Zölle, welche dem zu Konstantinopel im August 1838 geschlossenen Vertrag gemäß zu erheben sind, verpachtet worden. An all diesem Gerede ist aber nichts wahr, als daß Mehemed Ali mit Hrn. Cochelet von seinen Absichten zu Gunsten des Ackerbaues und Handels gesprochen, die ins Leben treten würden, sobald er sich damit ernstlich beschäftigen könne, das heißt, sobald man seine Rechte anerkennen und die Erblichkeit ihm zugestehen würde. Was den Handelstractat anbelangt, so weiß der Vicekönig, daß derselbe in der Türkei nicht in Kraft ist, und daß die Mukakas dieses Jahr, wie früher, verkauft worden sind. Mehemed Ali kümmert sich übrigens nicht um das, was in der Türkei vorgeht, sondern verfolgt sein Werk der Civilisation, indem er durch den Handel, also durch das gegenseitige Interesse die Völker Afrika's mit den europäischen Völkern in Berührung zu bringen sucht. Sein System war nie, plötzliche Neuerungen einzuführen, immer ging er nur langsam vorwärts. Die Handelsfrage ist für Aegypten eine Finanz- und Lebensfrage. Es ist nicht unmöglich, sagt man, die cultivirten Ländereien mit stärkern Abgaben zu belegen, als sie gegenwärtig bezahlen, um das Deficit zu decken, welches trotz der höhern Zölle der Schatz zu tragen hätte. Dieses Raisonnement ist sehr richtig, aber bei dem gegenwärtigen Stande der Dinge nicht genügend, wie man aus Folgendem ersehen wird. Die ägyptische Regierung, welche der Agricultur einen so großen Impuls geben mußte, damit dieselbe die Fortschritte mache, wie wir solche in wenigen Jahren gesehen, hat Canäle graben, Dämme aufwerfen lassen, deren Kosten dem Schatz zur Last fielen, und für welche die Regierung keine außerordentliche Abgabe von den Steuerpflichtigen verlangte; sie überwachte auch die Leitung der Arbeiten und nöthigte die faulen Fellahs, zu säen und zu pflanzen. Sie machte Vorschüsse an Sämereien, Vieh und Ackerwerkzeugen, und die Fellahs sind demnach ihre Schuldner für Vorschüsse und rückständige Steuern geworden. Niemand darf es daher tadeln, wenn die Regierung nur den nicht verschuldeten Dörfern gestattet, ihre Producte zu verkaufen, bis zur Zeit, wo alle Rückstände bezahlt sind. Dieß ist, wie wir glauben, die Absicht der ägyptischen Regierung, deren Folge ein Wetteifer unter den Dörfern seyn wird, sich baldmöglichst schuldenfrei zu machen. Da die Regierung die Grundsteuern erheben muß, ehe sie den schuldenfreien Dörfern den Verkauf ihrer Producte gestattet, so folgt hieraus, daß die Käufer nur um abgabenfreie Waaren handeln können. Es wäre unklug, den Fellahs Vorschüsse zu leisten, denn diese würden sich kein Gewissen machen, zu gleicher Zeit von mehreren Seiten Vorschüsse zu nehmen, und vor der Ernte zu entfliehen. Da die Fellahs nichts besitzen, hätte man kein Mittel, sich für Vorschüsse Deckung zu verschaffen. Die Grundstücke (wenn sie deren haben) sind keine hinreichende Garantie, erstens weil die Ansprüche des Fiscus vor Allem gehen; zweitens weil die Ausländer in der Türkei kein Grundeigenthum besitzen dürfen und aus dem Verkauf der Ländereien demnach kein nur irgend erheblicher Preis zu ziehen wäre. Daher versichert man, die Regierung werde zu gehöriger Zeit erklären, daß sie wegen Vorschüssen keine Reclamationen berücksichtigen könne, weil kein Mittel vorhanden, die Gläubiger zu befriedigen, und man die Fellahs, welche das Vertrauen der Europäer mißbrauchen würden, wegen ihrer großen Anzahl nicht bestrafen könne. Die Prinzen von der Familie des Vicekönigs besitzen liegende Güter als Apanage, auch die bedeutendsten Beamten sind Grundeigenthümer. Da es Niemanden conveniren kann, wenn die Preise der Producte herabgedrückt würden, werden jene großen Eigenthümer vorziehen, die Erzeugnisse ihrer Ländereien der Concurrenz zu entziehen und der Regierung zu überlassen, welche ihnen dafür einen festen Mittelpreis bezahlen wird. Da das öffentliche und das geistliche Eigenthum unter der Verwaltung der Regierung steht, so wird immerhin eine starke Masse von Producten unter ihren Händen bleiben. Die freie Ausfuhr des Getreides kann auf keinen Fall zugestanden werden, denn dieser Gegenstand berührt die Existenz des ganzen Volks, und die Regierung muß jederzeit zwei Dinge vor Augen haben: erstens das Land durch Getreidemangel keiner Hungersnoth auszusetzen, zweitens das Getreide nie zu einem allzu tiefen Preis herabsinken zu lassen. Wenn man die Ausfuhr in den fruchtbaren Jahren ganz hindert, schadet man den Bauern, die dann auf einen andern Culturzweig sich legen würden, worauf im folgenden Jahr eine Hungersnoth entstehen müßte. Wenn man die freie Ausfuhr gegen einen geringen Zoll bewilligt, werden in Folge der Concurrenz der Käufer die Preise der Producte im Innern steigen; einige Speculanten oder Eigenthümer werden gewinnen, aber die ärmere Classe der Bevölkerung wird die hohen Preise der zu ihren Bedürfnissen nöthigen Artikel nicht mehr erschwingen können, und Hunger leiden inmitten des allgemeinen Ueberflusses. Ja vielleicht würde die freie Ausfuhr dem Lande sogar das zu seiner Consumtion unumgänglich Nothwendige entziehen, denn die Geldgierde denkt nicht an die Zukunft. Bei dem Getreidehandel muß die ägyptische Regierung daher erst der neuen Ernte sicher seyn, ehe sie die des vorhergehenden Jahres ausführen läßt, wie es bis jetzt geschehen; sie muß auch Vorräthe für die Truppen und die hauptsächlichsten Punkte der Consumtion aufhäufen, sie muß einen Zoll fordern, der stark genug ist, die hohen Getreidepreise im Ausland mit den niedern Preisen in Aegypten im Gleichgewicht zu halten. Dann werden die Eingebornen nicht leiden, die Speculanten werden etwas weniger gewinnen, und der Schatz wird seinen Vortheil dabei finden, ohne Jemanden zu drücken. Dieß erklärt, warum dieses Jahr Ausfuhren gestattet wurden gegen einen Zoll, den Manche für übertrieben halten, der aber das oben erwähnte Gleichgewicht herstellt; der Bauer nährt sich mit wenig Kosten, und das Ausland findet es doch noch vortheilhaft, von Aegypten Getreide zu beziehen. Es gibt im Reiche des Vicekönigs Länder, wo die Abgaben nicht in Baarem geleistet werden können. Sennaar und Kordofan sind in diesem Fall. Sie erzeugen Gummi, den man sehr unpassend Gummi arabicum nennt; sie können nur in dieser Waare bezahlen. Die ägyptische Regierung ist demnach genöthigt, denselben als Tribut anzunehmen, und die Producte nicht verkaufen zu lassen, ehe die Abgaben vollständig entrichtet sind. Ich zweifle, ob die Speculanten je davon starke Partien aus dem Sennaar beziehen, und solche ohne viel bedeutendere Kosten als die Regierung nach einem Seehafen bringen können. Sie können demnach nicht die gleichen Vortheile haben, obwohl sie sich dieselben, ohne darüber nachzudenken, versprechen. Die Handelsfreiheit würde, wenn auch augenblicklich in ihrem ganzen Umfang zugestanden, der Idee, welche sich die Utopisten in Europa davon machen, keineswegs entsprechen. Wenn aber der Uebergang zu ihr nicht so plötzlich ist, wird die künftige Handelsfreiheit um so besser und dauerhafter seyn. Würden die Völker Europa's den Ursprung der Handelscapitulationen und Verträge mit der Türkei untersuchen, so müßten sie finden, daß das, was sie jetzt als Rechte und Privilegien fordern, nur Concessionen der Gunst waren, daß kein gegenseitiger Contract dabei stattfand, und daß es ein Unrecht ist,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_073_18400313
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_073_18400313/12
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 73. Augsburg, 13. März 1840, S. 0580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_073_18400313/12>, abgerufen am 03.05.2024.