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Allgemeine Zeitung. Nr. 73. Augsburg, 13. März 1840.

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gesetzt haben müsse - daß sie nach "Doppelzüngigkeit" schmeckte. Daß sie England in Erstaunen setzte, ist gewiß. All die Sicherheit, die bei diplomatischen Verpflichtungen möglich ist, scheint unsere Regierung gehabt zu haben; sie konnte daher nicht zweifeln, daß Frankreich die von England angerathene Politik gutheiße. Nun ist es für die brittische Regierung rein unmöglich, von der politischen Richtung abzuweichen, die sie von Anfang an mit Bedacht eingeschlagen. Wenn die französische Regierung es für passend hält, ihre frühern Ansichten zu ändern, so kann dieß ein Gegenstand des Bedauerns für England, aber kein Grund seyn, dem Beispiele zu folgen. Hr. Thiers findet also die brittische Regierung, im Einverständniß mit Rußland, Oesterreich und Preußen, entschlossen auch fürder die Bahn der Politik zu verfolgen, deren ersten Schritten die Regierung Frankreichs sich beigesellt hatte. Liegt etwas in der Tendenz dieser Politik, das Hrn. Thiers hindern sollte, seine Mitwirkung vorzuenthalten? Wie kann die Herstellung der Autorität des Sultans in Syrien in Conflict gerathen mit dem gesetzmäßigen Einfluß Frankreichs im Orient? Mit welcher Absicht beharrt Frankreich unter allen an der Beilegung dieser Frage betheiligten Mächten allein auf dem Begehren der Vergrößerung Mehemed Ali's? Frankreich versichert, es habe kein anderes Interesse an der orientalischen Frage, als das des europäischen Friedens und der künftigen Stabilität der Türkei, alles Andere seyen ungerechte Beschuldigungen. Allein würde der Friede Europa's mit der Politik des letzten französischen Cabinets auch nur für sechs Monate erhalten werden? Gesetzt, Frankreich und England vereint würden der Pforte rathen, den Forderungen Mehemed Ali's beizutreten, glaubt wohl Jemand, dieser Rath würde von Erfolg begleitet seyn? Rußland würde sich verbindlich machen - nur zu gern verbindlich machen - die Autorität des Sultans in Syrien aufrecht zu erhalten; und, vier Tage nach erfolgter Bitte um Schutz, würdet ihr ein russisches Heer in Kleinasien haben. Auch könnten wir den Sultan, der sich von England und Frankreich preisgegeben sähe, nicht tadeln, wenn er sich diesen Schutz zu Nutze machte. Was anders als Spott wäre es, ihm zu sagen, dieser russische Schutz werde seiner Unabhängigkeit zum Verderben gereichen? Würde er seiner Unabhängigkeit verderblicher seyn, als die durch die Theilung seines eigenen Reichs bewerkstelligte Gründung eines Staats, in dem er unter der Herrschaft eines ehrgeizigen Militärhäuptlings stets einen Nebenbuhler sehen müßte? Kein von russischem Schutz zu erwartendes Uebel wäre schlimmer, als dieses positive Uebel einer Theilung, das nicht einmal den Vortheil der Sicherheit für das Uebrige böte. Wir können daher nicht zweifeln, daß sich der Sultan, wie er es müßte, den russischen Schutz zu Nutze machen würde. Viele behaupten indeß, daß, Angesichts der vereinigten Flotten von England und Frankreich, Rußland die Erfüllung der Stipulationen seines eigenen Vertrags von Hunkiar-Skelessi nicht zu erfüllen wagen würde. Wir schenken einer solchen Hoffnung keinen Glauben. Wir hegen nicht nur die Ueberzeugung, es werde jene Stipulationen erfüllen, sondern zweifeln auch sehr an der Möglichkeit, es an der Erfüllung derselben zu hindern. Es könnte in kürzerer Zeit sein Heer nach Kleinasien und seine Flotte in den Bosporus versetzen, als erforderlich wäre, um Verhaltungsbefehle von Marseille an die Seestation in der Levante gelangen zu lassen, und höchst wahrscheinlich würden wir durch dieselben Zeitungen Kunde von dem Ansuchen des Sultans wie von der Erfüllung von Seite Rußlands erhalten. - Sonach wäre es, wenn der Friede Europa's einer der Zwecke der französischen Politik ist, nicht sehr wahrscheinlich, daß Frankreich auf seiner jetzigen Bahn, falls England sich ihr anschlösse, ihn auch nur für den Augenblick erhalten könnte. Doch zugegeben, dem wäre so. Nehmen wir an, Rußland würde völlig eingeschüchtert, und der Sultan ertheilte den Forderungen Mehemed Ali's mit Widerstreben seine Zustimmung. Wie lange würde diese Anordnung "den Frieden Europa's" sichern? Um Syrien zu regieren, ist die Anwesenheit einer furchtbaren Armee nothwendig. Unaufhörlich werden Empörungen ausbrechen, entweder als Folge der an dem Volke verübten Grausamkeiten oder als Deckmantel für die ehrgeizigen Absichten seines Herrschers. Die Erfahrung der letzten acht Jahre beweist dieß zur Genüge. Die Anwesenheit einer ägyptischen Armee unter Ibrahim aber würde den Sultan nöthigen, ebenfalls eine Armee zu unterhalten. Welche von beiden die angreifende wäre, ist nur von geringem Belang; gewiß ist, daß unter dem Einfluß ihrer eigenen tief wurzelnden Feindschaft und bei dem großen Interesse Anderer an ihrer Feindseligkeit eine davon zum Angriff übergehen würde. So stünde es um die Sicherheit für den Frieden Europa's; so um die Sicherheit, für welche Frankreich uns beharrlich empfänglich zu machen sucht! - Diese Erwägungen ungefähr sind es, welche auf den Entschluß der brittischen Regierung Einfluß geübt haben mögen, und die sie ohne Zweifel bestimmen werden, ihm treu zu bleiben. Was kann nun die französische Regierung gewinnen, wenn sie in einem Zustande "bewaffneter Neutralität", wie man ihr vorgeschlagen, verharrt? Als die fünf Mächte einstimmig die Integrität der Türkei gewährleisteten, erhob Frankreich keine Einwendung dagegen, sondern nahm selbst an der Verpflichtung Theil. Hr. Thiers betrachtet dieß, nach seinen Ansichten über diese Frage, ohne Zweifel als einen ernsten Fehler. Wir sind weit entfernt, es als einen Fehler zu betrachten; jedenfalls aber haben dieß einmal seine Vorgänger gethan, oder vielmehr unterlassen. Was auch Hr. Thiers von dem Eindruck denken mag, den die Vorstellungen Frankreichs gemacht hätten, wenn sie gleich anfänglich gemacht worden wären, immerhin muß er fühlen, daß aller kürzlich gegen die brittische Regierung erhobene Tadel seinen Grund einzig darin hatte, daß sich England weigerte, dem letzten französischen Cabinet auf einer Bahn zu folgen, die, wie er selbst geneigt ist einzuräumen, nicht ganz dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit entgeht. Auch kann er nicht erwarten, daß das brittische Ministerium jetzt seinen Entschluß modificiren werde. In wie weit er es den Interessen Frankreichs für vortheilhaft erachtet, bei der Politik des frühern Cabinets zu verharren, wissen wir nicht. Er mag fühlen, daß irgend eine andere Ausgleichung als die vorgeschlagene wünschenswerth wäre, allein er ist nicht verantwortlich dafür, daß man zu der einzigen Zeit, wo die entfernteste Aussicht eines theilweisen Erfolgs dafür hätte vorhanden seyn können, diese Ausgleichung nicht zu sichern suchte. So ist also die Mitwirkung mit den andern Mächten - wenn er sie auch als ein Uebel betrachtet - ein Schritt, den ihm großentheils das Benehmen des frühern Cabinets auferlegt, und der gewiß der Alternative vorzuziehen ist, an die Stelle der liberalen Allianz des westlichen Europa's einen neuen Quadrupelvertrag gesetzt zu sehen."

Die Handelsverhältnisse in Aegypten.

Seit einigen Tagen wird in unserer Stadt fast von nichts als von der Handelsfreiheit gesprochen, welche der Vicekönig vor kurzem in einer Unterredung mit dem französischen Generalconsul, Hrn. Cochelet, versprochen haben soll. Diese Handelsfreiheit, heißt es, werde im künftigen Monat März ins Leben treten, die Douane sey an Hrn.

gesetzt haben müsse – daß sie nach „Doppelzüngigkeit“ schmeckte. Daß sie England in Erstaunen setzte, ist gewiß. All die Sicherheit, die bei diplomatischen Verpflichtungen möglich ist, scheint unsere Regierung gehabt zu haben; sie konnte daher nicht zweifeln, daß Frankreich die von England angerathene Politik gutheiße. Nun ist es für die brittische Regierung rein unmöglich, von der politischen Richtung abzuweichen, die sie von Anfang an mit Bedacht eingeschlagen. Wenn die französische Regierung es für passend hält, ihre frühern Ansichten zu ändern, so kann dieß ein Gegenstand des Bedauerns für England, aber kein Grund seyn, dem Beispiele zu folgen. Hr. Thiers findet also die brittische Regierung, im Einverständniß mit Rußland, Oesterreich und Preußen, entschlossen auch fürder die Bahn der Politik zu verfolgen, deren ersten Schritten die Regierung Frankreichs sich beigesellt hatte. Liegt etwas in der Tendenz dieser Politik, das Hrn. Thiers hindern sollte, seine Mitwirkung vorzuenthalten? Wie kann die Herstellung der Autorität des Sultans in Syrien in Conflict gerathen mit dem gesetzmäßigen Einfluß Frankreichs im Orient? Mit welcher Absicht beharrt Frankreich unter allen an der Beilegung dieser Frage betheiligten Mächten allein auf dem Begehren der Vergrößerung Mehemed Ali's? Frankreich versichert, es habe kein anderes Interesse an der orientalischen Frage, als das des europäischen Friedens und der künftigen Stabilität der Türkei, alles Andere seyen ungerechte Beschuldigungen. Allein würde der Friede Europa's mit der Politik des letzten französischen Cabinets auch nur für sechs Monate erhalten werden? Gesetzt, Frankreich und England vereint würden der Pforte rathen, den Forderungen Mehemed Ali's beizutreten, glaubt wohl Jemand, dieser Rath würde von Erfolg begleitet seyn? Rußland würde sich verbindlich machen – nur zu gern verbindlich machen – die Autorität des Sultans in Syrien aufrecht zu erhalten; und, vier Tage nach erfolgter Bitte um Schutz, würdet ihr ein russisches Heer in Kleinasien haben. Auch könnten wir den Sultan, der sich von England und Frankreich preisgegeben sähe, nicht tadeln, wenn er sich diesen Schutz zu Nutze machte. Was anders als Spott wäre es, ihm zu sagen, dieser russische Schutz werde seiner Unabhängigkeit zum Verderben gereichen? Würde er seiner Unabhängigkeit verderblicher seyn, als die durch die Theilung seines eigenen Reichs bewerkstelligte Gründung eines Staats, in dem er unter der Herrschaft eines ehrgeizigen Militärhäuptlings stets einen Nebenbuhler sehen müßte? Kein von russischem Schutz zu erwartendes Uebel wäre schlimmer, als dieses positive Uebel einer Theilung, das nicht einmal den Vortheil der Sicherheit für das Uebrige böte. Wir können daher nicht zweifeln, daß sich der Sultan, wie er es müßte, den russischen Schutz zu Nutze machen würde. Viele behaupten indeß, daß, Angesichts der vereinigten Flotten von England und Frankreich, Rußland die Erfüllung der Stipulationen seines eigenen Vertrags von Hunkiar-Skelessi nicht zu erfüllen wagen würde. Wir schenken einer solchen Hoffnung keinen Glauben. Wir hegen nicht nur die Ueberzeugung, es werde jene Stipulationen erfüllen, sondern zweifeln auch sehr an der Möglichkeit, es an der Erfüllung derselben zu hindern. Es könnte in kürzerer Zeit sein Heer nach Kleinasien und seine Flotte in den Bosporus versetzen, als erforderlich wäre, um Verhaltungsbefehle von Marseille an die Seestation in der Levante gelangen zu lassen, und höchst wahrscheinlich würden wir durch dieselben Zeitungen Kunde von dem Ansuchen des Sultans wie von der Erfüllung von Seite Rußlands erhalten. – Sonach wäre es, wenn der Friede Europa's einer der Zwecke der französischen Politik ist, nicht sehr wahrscheinlich, daß Frankreich auf seiner jetzigen Bahn, falls England sich ihr anschlösse, ihn auch nur für den Augenblick erhalten könnte. Doch zugegeben, dem wäre so. Nehmen wir an, Rußland würde völlig eingeschüchtert, und der Sultan ertheilte den Forderungen Mehemed Ali's mit Widerstreben seine Zustimmung. Wie lange würde diese Anordnung „den Frieden Europa's“ sichern? Um Syrien zu regieren, ist die Anwesenheit einer furchtbaren Armee nothwendig. Unaufhörlich werden Empörungen ausbrechen, entweder als Folge der an dem Volke verübten Grausamkeiten oder als Deckmantel für die ehrgeizigen Absichten seines Herrschers. Die Erfahrung der letzten acht Jahre beweist dieß zur Genüge. Die Anwesenheit einer ägyptischen Armee unter Ibrahim aber würde den Sultan nöthigen, ebenfalls eine Armee zu unterhalten. Welche von beiden die angreifende wäre, ist nur von geringem Belang; gewiß ist, daß unter dem Einfluß ihrer eigenen tief wurzelnden Feindschaft und bei dem großen Interesse Anderer an ihrer Feindseligkeit eine davon zum Angriff übergehen würde. So stünde es um die Sicherheit für den Frieden Europa's; so um die Sicherheit, für welche Frankreich uns beharrlich empfänglich zu machen sucht! – Diese Erwägungen ungefähr sind es, welche auf den Entschluß der brittischen Regierung Einfluß geübt haben mögen, und die sie ohne Zweifel bestimmen werden, ihm treu zu bleiben. Was kann nun die französische Regierung gewinnen, wenn sie in einem Zustande „bewaffneter Neutralität“, wie man ihr vorgeschlagen, verharrt? Als die fünf Mächte einstimmig die Integrität der Türkei gewährleisteten, erhob Frankreich keine Einwendung dagegen, sondern nahm selbst an der Verpflichtung Theil. Hr. Thiers betrachtet dieß, nach seinen Ansichten über diese Frage, ohne Zweifel als einen ernsten Fehler. Wir sind weit entfernt, es als einen Fehler zu betrachten; jedenfalls aber haben dieß einmal seine Vorgänger gethan, oder vielmehr unterlassen. Was auch Hr. Thiers von dem Eindruck denken mag, den die Vorstellungen Frankreichs gemacht hätten, wenn sie gleich anfänglich gemacht worden wären, immerhin muß er fühlen, daß aller kürzlich gegen die brittische Regierung erhobene Tadel seinen Grund einzig darin hatte, daß sich England weigerte, dem letzten französischen Cabinet auf einer Bahn zu folgen, die, wie er selbst geneigt ist einzuräumen, nicht ganz dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit entgeht. Auch kann er nicht erwarten, daß das brittische Ministerium jetzt seinen Entschluß modificiren werde. In wie weit er es den Interessen Frankreichs für vortheilhaft erachtet, bei der Politik des frühern Cabinets zu verharren, wissen wir nicht. Er mag fühlen, daß irgend eine andere Ausgleichung als die vorgeschlagene wünschenswerth wäre, allein er ist nicht verantwortlich dafür, daß man zu der einzigen Zeit, wo die entfernteste Aussicht eines theilweisen Erfolgs dafür hätte vorhanden seyn können, diese Ausgleichung nicht zu sichern suchte. So ist also die Mitwirkung mit den andern Mächten – wenn er sie auch als ein Uebel betrachtet – ein Schritt, den ihm großentheils das Benehmen des frühern Cabinets auferlegt, und der gewiß der Alternative vorzuziehen ist, an die Stelle der liberalen Allianz des westlichen Europa's einen neuen Quadrupelvertrag gesetzt zu sehen.“

Die Handelsverhältnisse in Aegypten.

Seit einigen Tagen wird in unserer Stadt fast von nichts als von der Handelsfreiheit gesprochen, welche der Vicekönig vor kurzem in einer Unterredung mit dem französischen Generalconsul, Hrn. Cochelet, versprochen haben soll. Diese Handelsfreiheit, heißt es, werde im künftigen Monat März ins Leben treten, die Douane sey an Hrn.

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Rußland würde sich verbindlich machen &#x2013; nur zu gern verbindlich machen &#x2013; die Autorität des Sultans in Syrien aufrecht zu erhalten; und, vier Tage nach erfolgter Bitte um Schutz, würdet ihr ein russisches Heer in Kleinasien haben. Auch könnten wir den Sultan, der sich von England und Frankreich preisgegeben sähe, nicht tadeln, wenn er sich diesen Schutz zu Nutze machte. Was anders als Spott wäre es, ihm zu sagen, dieser russische Schutz werde seiner Unabhängigkeit zum Verderben gereichen? Würde er seiner Unabhängigkeit verderblicher seyn, als die durch die Theilung seines eigenen Reichs bewerkstelligte Gründung eines Staats, in dem er unter der Herrschaft eines ehrgeizigen Militärhäuptlings stets einen Nebenbuhler sehen müßte? Kein von russischem Schutz zu erwartendes Uebel wäre schlimmer, als dieses positive Uebel einer Theilung, das nicht einmal den Vortheil der Sicherheit für das Uebrige böte. Wir können daher nicht zweifeln, daß sich der Sultan, wie er es müßte, den russischen Schutz zu Nutze machen würde. Viele behaupten indeß, daß, Angesichts der vereinigten Flotten von England und Frankreich, Rußland die Erfüllung der Stipulationen seines eigenen Vertrags von Hunkiar-Skelessi nicht zu erfüllen wagen würde. Wir schenken einer solchen Hoffnung keinen Glauben. Wir hegen nicht nur die Ueberzeugung, es werde jene Stipulationen erfüllen, sondern zweifeln auch sehr an der Möglichkeit, es an der Erfüllung derselben zu hindern. Es könnte in kürzerer Zeit sein Heer nach Kleinasien und seine Flotte in den Bosporus versetzen, als erforderlich wäre, um Verhaltungsbefehle von Marseille an die Seestation in der Levante gelangen zu lassen, und höchst wahrscheinlich würden wir durch dieselben Zeitungen Kunde von dem Ansuchen des Sultans wie von der Erfüllung von Seite Rußlands erhalten. &#x2013; Sonach wäre es, wenn der Friede Europa's einer der Zwecke der französischen Politik ist, nicht sehr wahrscheinlich, daß Frankreich auf seiner jetzigen Bahn, falls England sich ihr anschlösse, ihn auch nur für den Augenblick erhalten könnte. Doch zugegeben, dem wäre so. Nehmen wir an, Rußland würde völlig eingeschüchtert, und der Sultan ertheilte den Forderungen Mehemed Ali's mit Widerstreben seine Zustimmung. Wie lange würde diese Anordnung &#x201E;den Frieden Europa's&#x201C; sichern? Um Syrien zu regieren, ist die Anwesenheit einer furchtbaren Armee nothwendig. Unaufhörlich werden Empörungen ausbrechen, entweder als Folge der an dem Volke verübten Grausamkeiten oder als Deckmantel für die ehrgeizigen Absichten seines Herrschers. Die Erfahrung der letzten acht Jahre beweist dieß zur Genüge. Die Anwesenheit einer ägyptischen Armee unter Ibrahim aber würde den Sultan nöthigen, ebenfalls eine Armee zu unterhalten. Welche von beiden die angreifende wäre, ist nur von geringem Belang; gewiß ist, daß unter dem Einfluß ihrer eigenen tief wurzelnden Feindschaft und bei dem großen Interesse Anderer an ihrer Feindseligkeit eine davon zum Angriff übergehen würde. So stünde es um die Sicherheit für den Frieden Europa's; so um die Sicherheit, für welche Frankreich uns beharrlich empfänglich zu machen sucht! &#x2013; Diese Erwägungen ungefähr sind es, welche auf den Entschluß der brittischen Regierung Einfluß geübt haben mögen, und die sie ohne Zweifel bestimmen werden, ihm treu zu bleiben. Was kann nun die französische Regierung gewinnen, wenn sie in einem Zustande &#x201E;bewaffneter Neutralität&#x201C;, wie man ihr vorgeschlagen, verharrt? Als die fünf Mächte einstimmig die Integrität der Türkei gewährleisteten, erhob Frankreich keine Einwendung dagegen, sondern nahm selbst an der Verpflichtung Theil. Hr. Thiers betrachtet dieß, nach seinen Ansichten über diese Frage, ohne Zweifel als einen ernsten Fehler. Wir sind weit entfernt, es als einen Fehler zu betrachten; jedenfalls aber haben dieß einmal seine Vorgänger gethan, oder vielmehr unterlassen. Was auch Hr. Thiers von dem Eindruck denken mag, den die Vorstellungen Frankreichs gemacht hätten, wenn sie gleich anfänglich gemacht worden wären, immerhin muß er fühlen, daß aller kürzlich gegen die brittische Regierung erhobene Tadel seinen Grund einzig darin hatte, daß sich England weigerte, dem letzten französischen Cabinet auf einer Bahn zu folgen, die, wie er selbst geneigt ist einzuräumen, nicht ganz dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit entgeht. <hi rendition="#g">Auch kann er nicht erwarten</hi>, <hi rendition="#g">daß das brittische Ministerium jetzt seinen Entschluß modificiren werde</hi>. In wie weit er es den Interessen Frankreichs für vortheilhaft erachtet, bei der Politik des frühern Cabinets zu verharren, wissen wir nicht. 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Thiers hindern sollte, seine Mitwirkung vorzuenthalten? Wie kann die Herstellung der Autorität des Sultans in Syrien in Conflict gerathen mit dem gesetzmäßigen Einfluß Frankreichs im Orient? Mit welcher Absicht beharrt Frankreich unter allen an der Beilegung dieser Frage betheiligten Mächten allein auf dem Begehren der Vergrößerung Mehemed Ali's? Frankreich versichert, es habe kein anderes Interesse an der orientalischen Frage, als das des europäischen Friedens und der künftigen Stabilität der Türkei, alles Andere seyen ungerechte Beschuldigungen. Allein würde der Friede Europa's mit der Politik des letzten französischen Cabinets auch nur für sechs Monate erhalten werden? Gesetzt, Frankreich und England vereint würden der Pforte rathen, den Forderungen Mehemed Ali's beizutreten, glaubt wohl Jemand, dieser Rath würde von Erfolg begleitet seyn? Rußland würde sich verbindlich machen – nur zu gern verbindlich machen – die Autorität des Sultans in Syrien aufrecht zu erhalten; und, vier Tage nach erfolgter Bitte um Schutz, würdet ihr ein russisches Heer in Kleinasien haben. Auch könnten wir den Sultan, der sich von England und Frankreich preisgegeben sähe, nicht tadeln, wenn er sich diesen Schutz zu Nutze machte. Was anders als Spott wäre es, ihm zu sagen, dieser russische Schutz werde seiner Unabhängigkeit zum Verderben gereichen? Würde er seiner Unabhängigkeit verderblicher seyn, als die durch die Theilung seines eigenen Reichs bewerkstelligte Gründung eines Staats, in dem er unter der Herrschaft eines ehrgeizigen Militärhäuptlings stets einen Nebenbuhler sehen müßte? Kein von russischem Schutz zu erwartendes Uebel wäre schlimmer, als dieses positive Uebel einer Theilung, das nicht einmal den Vortheil der Sicherheit für das Uebrige böte. Wir können daher nicht zweifeln, daß sich der Sultan, wie er es müßte, den russischen Schutz zu Nutze machen würde. Viele behaupten indeß, daß, Angesichts der vereinigten Flotten von England und Frankreich, Rußland die Erfüllung der Stipulationen seines eigenen Vertrags von Hunkiar-Skelessi nicht zu erfüllen wagen würde. Wir schenken einer solchen Hoffnung keinen Glauben. Wir hegen nicht nur die Ueberzeugung, es werde jene Stipulationen erfüllen, sondern zweifeln auch sehr an der Möglichkeit, es an der Erfüllung derselben zu hindern. Es könnte in kürzerer Zeit sein Heer nach Kleinasien und seine Flotte in den Bosporus versetzen, als erforderlich wäre, um Verhaltungsbefehle von Marseille an die Seestation in der Levante gelangen zu lassen, und höchst wahrscheinlich würden wir durch dieselben Zeitungen Kunde von dem Ansuchen des Sultans wie von der Erfüllung von Seite Rußlands erhalten. – Sonach wäre es, wenn der Friede Europa's einer der Zwecke der französischen Politik ist, nicht sehr wahrscheinlich, daß Frankreich auf seiner jetzigen Bahn, falls England sich ihr anschlösse, ihn auch nur für den Augenblick erhalten könnte. Doch zugegeben, dem wäre so. Nehmen wir an, Rußland würde völlig eingeschüchtert, und der Sultan ertheilte den Forderungen Mehemed Ali's mit Widerstreben seine Zustimmung. Wie lange würde diese Anordnung „den Frieden Europa's“ sichern? Um Syrien zu regieren, ist die Anwesenheit einer furchtbaren Armee nothwendig. Unaufhörlich werden Empörungen ausbrechen, entweder als Folge der an dem Volke verübten Grausamkeiten oder als Deckmantel für die ehrgeizigen Absichten seines Herrschers. Die Erfahrung der letzten acht Jahre beweist dieß zur Genüge. Die Anwesenheit einer ägyptischen Armee unter Ibrahim aber würde den Sultan nöthigen, ebenfalls eine Armee zu unterhalten. Welche von beiden die angreifende wäre, ist nur von geringem Belang; gewiß ist, daß unter dem Einfluß ihrer eigenen tief wurzelnden Feindschaft und bei dem großen Interesse Anderer an ihrer Feindseligkeit eine davon zum Angriff übergehen würde. So stünde es um die Sicherheit für den Frieden Europa's; so um die Sicherheit, für welche Frankreich uns beharrlich empfänglich zu machen sucht! – Diese Erwägungen ungefähr sind es, welche auf den Entschluß der brittischen Regierung Einfluß geübt haben mögen, und die sie ohne Zweifel bestimmen werden, ihm treu zu bleiben. Was kann nun die französische Regierung gewinnen, wenn sie in einem Zustande „bewaffneter Neutralität“, wie man ihr vorgeschlagen, verharrt? Als die fünf Mächte einstimmig die Integrität der Türkei gewährleisteten, erhob Frankreich keine Einwendung dagegen, sondern nahm selbst an der Verpflichtung Theil. Hr. Thiers betrachtet dieß, nach seinen Ansichten über diese Frage, ohne Zweifel als einen ernsten Fehler. Wir sind weit entfernt, es als einen Fehler zu betrachten; jedenfalls aber haben dieß einmal seine Vorgänger gethan, oder vielmehr unterlassen. Was auch Hr. Thiers von dem Eindruck denken mag, den die Vorstellungen Frankreichs gemacht hätten, wenn sie gleich anfänglich gemacht worden wären, immerhin muß er fühlen, daß aller kürzlich gegen die brittische Regierung erhobene Tadel seinen Grund einzig darin hatte, daß sich England weigerte, dem letzten französischen Cabinet auf einer Bahn zu folgen, die, wie er selbst geneigt ist einzuräumen, nicht ganz dem Vorwurf der Doppelzüngigkeit entgeht. Auch kann er nicht erwarten, daß das brittische Ministerium jetzt seinen Entschluß modificiren werde. In wie weit er es den Interessen Frankreichs für vortheilhaft erachtet, bei der Politik des frühern Cabinets zu verharren, wissen wir nicht. Er mag fühlen, daß irgend eine andere Ausgleichung als die vorgeschlagene wünschenswerth wäre, allein er ist nicht verantwortlich dafür, daß man zu der einzigen Zeit, wo die entfernteste Aussicht eines theilweisen Erfolgs dafür hätte vorhanden seyn können, diese Ausgleichung nicht zu sichern suchte. So ist also die Mitwirkung mit den andern Mächten – wenn er sie auch als ein Uebel betrachtet – ein Schritt, den ihm großentheils das Benehmen des frühern Cabinets auferlegt, und der gewiß der Alternative vorzuziehen ist, an die Stelle der liberalen Allianz des westlichen Europa's einen neuen Quadrupelvertrag gesetzt zu sehen.“ Die Handelsverhältnisse in Aegypten. Alexandria, 6 Febr. Seit einigen Tagen wird in unserer Stadt fast von nichts als von der Handelsfreiheit gesprochen, welche der Vicekönig vor kurzem in einer Unterredung mit dem französischen Generalconsul, Hrn. Cochelet, versprochen haben soll. Diese Handelsfreiheit, heißt es, werde im künftigen Monat März ins Leben treten, die Douane sey an Hrn.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 73. Augsburg, 13. März 1840, S. 0579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_073_18400313/11>, abgerufen am 24.11.2024.