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Allgemeine Zeitung. Nr. 54. Augsburg, 23. Februar 1840.

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Theater ist überhaupt kaum mehr eine Aufgabe für tüchtige Kräfte; dazu ist sein jetziger Zustand im Allgemeinen in Deutschland zu niedrig. Man kann nicht oft genug wiederholen, was ein deutscher Dichter unserer Zeit davon singt, und es nicht genug beherzigen:

"Thsepis' alte Kunst ist hin,
Hilf, o Musenvater!
Pantalon und Harlekin
Meistern das Theater;
Pierrot, das Jammerbild,
Hilft mit trüben Mienen,
Und was mehr als Alles gilt,
Sind die Columbinen!" -

Frankreich.

Der Ton in den Zeitungen, der Leute untereinander, in den Kammern und Coulissen der Kammern wird immer bitterer, verächtlicher, geringschätziger. Man empfindet überall den vollkommenen Abgang aller öffentlichen Charactere, wie den vollkommenen Mangel aller höhern Talente. Was die höhern Talente betrifft, so kann man als deren Repräsentanten in den Kammern ansehen: Guizot, Thiers, Odilon-Barrot, Lamartine, Tocquequeville; außer ihnen gibt es untergeordnetere Talente, wie Remusat, Duvergier de Hauranne und Jouffroy als Figuranten um die Persönlichkeit Guizots herum, des einzigen, welcher ein Cortege hat, denn Mignet, der bedeutendste unter den Freunden Thiers', steht außerhalb der Kammern, und obwohl Thiers in der Kammer wie in den Zeitungen eine große Clientel sich zu verschaffen gewußt hat, so ist doch kein bedeutender Kopf darunter, sondern es sind Alles Mittelmäßigkeiten Nr. 1, 2, 3, 4. Odilon-Barrot hat keine Clientel, aber er ist der erste unter Gleichen; neben ihm gibt es einige Leute von Kopf wie de Sade, aber das Meiste, was um ihn haust, gehört zu den größten Nullitäten der Kammern und des Publicums. Lamartine steht ganz excentrisch da, und Tocqueville neben seinem Freunde Gustave de Beaumont. Ich rede nicht von Berryer, noch von Royer-Collard, weil sie außer allem Einfluß sind auf den Gang der Dinge, da der frühere Royalismus hier keine Wurzeln zu schlagen bestimmt ist, und untergehen muß in Philippismus oder Republicanismus, wenn er sich nicht zu der Höhe einer politisch unabhängigen, volksmäßig gesinnten Aristokratie emporzuschwingen weiß. Guizot als Mann von Charakter ist mit seinem System nie ins Leben durchgedrungen, und unvermögend es geltend zu machen, hat er Juste-Milieu gespielt, und, auf seine Weise, politische Rouerie im Sinne des Juste-Milieu. Seine Absicht war, der allerhöchsten Person angenehm zu seyn, um sich derselben auf die Länge zum Instrument seiner Gesinnung zu bedienen, welche darauf hinausgeht eine bürgerliche Aristokratie aus wissenschaftlichen und politischen Elementen zu bilden, eine Art französischer Whigs, dienend zum Centralpunkt der Modificationen zwischen dem höhern Theil des Juste-Milieu und dem verständigern Theil der Legitimisten. Er wollte sich der allerhöchsten Person bedienen, um sich gegen seinen Nebenbuhler Thiers zu stärken, aber diese allerhöchste Person dachte nur daran, Guizot gegen Thiers zu benutzen und dann das abgestumpfte Instrument bei Seite zu legen. Trotz seiner bedeutenden Talente und seines scharfen Verstandes hat Guizot nichts Anderes gethan während seiner politischen Laufbahn als sich in Intriguen abmüden ohne Vortheil für sein System. Sein Irrthum war, durch das Ministerium und Ausübung öffentlicher Gewalt erreichen zu wollen, was nur durch persönliche Unabhängigkeit erreichbar war. Thiers hat auch sein System, es ist so zu sagen ein liberaler Bonapartismus, Thiers als Bonaparte des Thiers-Parti, als Ideal eines Ministers, der den kleinen Bonaparte spielen würde ohne Welteroberungssystem, aber in der Allianz mit England. Freilich steckt in Thiers weit mehr Politik als in Guizot, welcher ein scharfsinniger, methodischer, aber ein ganz unpolitischer Kopf ist, und mehr nach Gewicht im Innern, als nach Macht nach außen strebt; aber diese Politik des Hrn. Thiers steht leider im Dienste einer unbändigen Eitelkeit, der unmännlichsten aller Leidenschaften; von Selbstlob überströmt er, und da er das große Talent besitzt in den Herzen seiner Anhänger der Kammer und der Journale große Erwartungen zukünftiger Belohnungen und Auszeichnungen zu erregen, so schweift die Vergötterung seines Genie's über alle Gränzen des Lächerlichen hinaus und wird zum Ungeheuern. Könnte man Hrn. Guizot seine Pedanterie abzapfen, und Hrn. Thiers seine Eitelkeit und beide in Eins vereinen, so käme aus der Tüchtigkeit des Verstandes des einen und der raschen Ueberschauungsgabe des andern vielleicht eine politische Capacität respectabler Art heraus. Thiers ist launiger als Guizot, weniger geduldig und intriguirt schlechter, eben weil er politisch inconsequenter ist; aber er gefällt mehr einer Masse von Leuten, er ist lebendiger, adäquater der Nationalgesinnung und hat bei weitem mehr Zukunft. Guizot und Thiers sind vielleicht die einzigen Männer in der Kammer und der Nation, welche nicht verzweifeln, die Kammer und die Journalistik nicht aufgeben, und noch immer der Meinung sind, gegen eine allerhöchste Person ihre Revanche zu nehmen und dieselbe, auf die eine oder andere Weise, zur wahren Capitulation mit ihren Persönlichkeiten zu zwingen. Bei beiden Männern ist die Liebe zur Gewalt und die Brautwerbung um das Ministerium zur höchsten Leidenschaft geworden. Schon lange ist Guizot wahrhaft krank aus Liebe, wozu noch die Verzweiflung seines Hochmuths kommt, denn er hat im Grunde die allertiefste Verachtung vor allen Talenten, die seiner Capacität nicht zu schmeicheln, nicht sich derselben aufzuopfern bereitwillig sind. Thiers nimmt seine Buhlschaft weniger eifrig: er amusirt sich mehr in seiner Rolle und putzt in derselben seine Eitelkeit heraus; er cokettirt mit der Gewalt, spielt den Kalten und schmachtet sich nicht so ab in dörrender Brünstigkeit. Seine Geistigkeit liebäugelt hin und wieder mit mehreren Schönen, obgleich im Grund auch ihm die Zeit ungeheuer lang wird. Auch er verachtet den Menschentroß, welcher nicht schwört, daß er der wahre Staatsmann, der durchtriebenste Genius sey auf Erden; aber er humanisirt sich mehr, und diejenigen, welche durch ihn verwundet sind, vergeben ihm leichter als seinem Rivalen. Guizot und Thiers beglückwünschen sich, der eine in der Hoffnung, im Herzog v. Broglie einen Standpunkt für seine Politik zu erschwingen und diesen edeln Pair in kurzem als Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu begrüßen, der andere in der Erwartung, die Abwesenheit Guizots zu benutzen, um den Doctrinärs in der Kammer und dem Publicum den Garaus zu machen.

Neu-Südwallis.

Seit der Bekanntmachung des Budgets und den Debatten darüber in dem Colonialrath herrscht hier viel Mißvergnügen, weil die Ausgaben der Colonie mit einer solchen Schnelligkeit steigen, daß der Gouverneur genöthigt ist, theils neue Steuern einzuführen, theils den ganzen Landfonds zu den laufenden Ausgaben zu verwenden. Die neue Besteurung besteht vor Allem in Erhöhung der Steuer auf Destillerien; der Vorschlag des Gouverneurs ist, diese auf 6 Shilling

Theater ist überhaupt kaum mehr eine Aufgabe für tüchtige Kräfte; dazu ist sein jetziger Zustand im Allgemeinen in Deutschland zu niedrig. Man kann nicht oft genug wiederholen, was ein deutscher Dichter unserer Zeit davon singt, und es nicht genug beherzigen:

„Thsepis' alte Kunst ist hin,
Hilf, o Musenvater!
Pantalon und Harlekin
Meistern das Theater;
Pierrot, das Jammerbild,
Hilft mit trüben Mienen,
Und was mehr als Alles gilt,
Sind die Columbinen!“ –

Frankreich.

Der Ton in den Zeitungen, der Leute untereinander, in den Kammern und Coulissen der Kammern wird immer bitterer, verächtlicher, geringschätziger. Man empfindet überall den vollkommenen Abgang aller öffentlichen Charactere, wie den vollkommenen Mangel aller höhern Talente. Was die höhern Talente betrifft, so kann man als deren Repräsentanten in den Kammern ansehen: Guizot, Thiers, Odilon-Barrot, Lamartine, Tocquequeville; außer ihnen gibt es untergeordnetere Talente, wie Rémusat, Duvergier de Hauranne und Jouffroy als Figuranten um die Persönlichkeit Guizots herum, des einzigen, welcher ein Cortege hat, denn Mignet, der bedeutendste unter den Freunden Thiers', steht außerhalb der Kammern, und obwohl Thiers in der Kammer wie in den Zeitungen eine große Clientel sich zu verschaffen gewußt hat, so ist doch kein bedeutender Kopf darunter, sondern es sind Alles Mittelmäßigkeiten Nr. 1, 2, 3, 4. Odilon-Barrot hat keine Clientel, aber er ist der erste unter Gleichen; neben ihm gibt es einige Leute von Kopf wie de Sade, aber das Meiste, was um ihn haust, gehört zu den größten Nullitäten der Kammern und des Publicums. Lamartine steht ganz excentrisch da, und Tocqueville neben seinem Freunde Gustave de Beaumont. Ich rede nicht von Berryer, noch von Royer-Collard, weil sie außer allem Einfluß sind auf den Gang der Dinge, da der frühere Royalismus hier keine Wurzeln zu schlagen bestimmt ist, und untergehen muß in Philippismus oder Republicanismus, wenn er sich nicht zu der Höhe einer politisch unabhängigen, volksmäßig gesinnten Aristokratie emporzuschwingen weiß. Guizot als Mann von Charakter ist mit seinem System nie ins Leben durchgedrungen, und unvermögend es geltend zu machen, hat er Juste-Milieu gespielt, und, auf seine Weise, politische Rouerie im Sinne des Juste-Milieu. Seine Absicht war, der allerhöchsten Person angenehm zu seyn, um sich derselben auf die Länge zum Instrument seiner Gesinnung zu bedienen, welche darauf hinausgeht eine bürgerliche Aristokratie aus wissenschaftlichen und politischen Elementen zu bilden, eine Art französischer Whigs, dienend zum Centralpunkt der Modificationen zwischen dem höhern Theil des Juste-Milieu und dem verständigern Theil der Legitimisten. Er wollte sich der allerhöchsten Person bedienen, um sich gegen seinen Nebenbuhler Thiers zu stärken, aber diese allerhöchste Person dachte nur daran, Guizot gegen Thiers zu benutzen und dann das abgestumpfte Instrument bei Seite zu legen. Trotz seiner bedeutenden Talente und seines scharfen Verstandes hat Guizot nichts Anderes gethan während seiner politischen Laufbahn als sich in Intriguen abmüden ohne Vortheil für sein System. Sein Irrthum war, durch das Ministerium und Ausübung öffentlicher Gewalt erreichen zu wollen, was nur durch persönliche Unabhängigkeit erreichbar war. Thiers hat auch sein System, es ist so zu sagen ein liberaler Bonapartismus, Thiers als Bonaparte des Thiers-Parti, als Ideal eines Ministers, der den kleinen Bonaparte spielen würde ohne Welteroberungssystem, aber in der Allianz mit England. Freilich steckt in Thiers weit mehr Politik als in Guizot, welcher ein scharfsinniger, methodischer, aber ein ganz unpolitischer Kopf ist, und mehr nach Gewicht im Innern, als nach Macht nach außen strebt; aber diese Politik des Hrn. Thiers steht leider im Dienste einer unbändigen Eitelkeit, der unmännlichsten aller Leidenschaften; von Selbstlob überströmt er, und da er das große Talent besitzt in den Herzen seiner Anhänger der Kammer und der Journale große Erwartungen zukünftiger Belohnungen und Auszeichnungen zu erregen, so schweift die Vergötterung seines Genie's über alle Gränzen des Lächerlichen hinaus und wird zum Ungeheuern. Könnte man Hrn. Guizot seine Pedanterie abzapfen, und Hrn. Thiers seine Eitelkeit und beide in Eins vereinen, so käme aus der Tüchtigkeit des Verstandes des einen und der raschen Ueberschauungsgabe des andern vielleicht eine politische Capacität respectabler Art heraus. Thiers ist launiger als Guizot, weniger geduldig und intriguirt schlechter, eben weil er politisch inconsequenter ist; aber er gefällt mehr einer Masse von Leuten, er ist lebendiger, adäquater der Nationalgesinnung und hat bei weitem mehr Zukunft. Guizot und Thiers sind vielleicht die einzigen Männer in der Kammer und der Nation, welche nicht verzweifeln, die Kammer und die Journalistik nicht aufgeben, und noch immer der Meinung sind, gegen eine allerhöchste Person ihre Revanche zu nehmen und dieselbe, auf die eine oder andere Weise, zur wahren Capitulation mit ihren Persönlichkeiten zu zwingen. Bei beiden Männern ist die Liebe zur Gewalt und die Brautwerbung um das Ministerium zur höchsten Leidenschaft geworden. Schon lange ist Guizot wahrhaft krank aus Liebe, wozu noch die Verzweiflung seines Hochmuths kommt, denn er hat im Grunde die allertiefste Verachtung vor allen Talenten, die seiner Capacität nicht zu schmeicheln, nicht sich derselben aufzuopfern bereitwillig sind. Thiers nimmt seine Buhlschaft weniger eifrig: er amusirt sich mehr in seiner Rolle und putzt in derselben seine Eitelkeit heraus; er cokettirt mit der Gewalt, spielt den Kalten und schmachtet sich nicht so ab in dörrender Brünstigkeit. Seine Geistigkeit liebäugelt hin und wieder mit mehreren Schönen, obgleich im Grund auch ihm die Zeit ungeheuer lang wird. Auch er verachtet den Menschentroß, welcher nicht schwört, daß er der wahre Staatsmann, der durchtriebenste Genius sey auf Erden; aber er humanisirt sich mehr, und diejenigen, welche durch ihn verwundet sind, vergeben ihm leichter als seinem Rivalen. Guizot und Thiers beglückwünschen sich, der eine in der Hoffnung, im Herzog v. Broglie einen Standpunkt für seine Politik zu erschwingen und diesen edeln Pair in kurzem als Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu begrüßen, der andere in der Erwartung, die Abwesenheit Guizots zu benutzen, um den Doctrinärs in der Kammer und dem Publicum den Garaus zu machen.

Neu-Südwallis.

Seit der Bekanntmachung des Budgets und den Debatten darüber in dem Colonialrath herrscht hier viel Mißvergnügen, weil die Ausgaben der Colonie mit einer solchen Schnelligkeit steigen, daß der Gouverneur genöthigt ist, theils neue Steuern einzuführen, theils den ganzen Landfonds zu den laufenden Ausgaben zu verwenden. Die neue Besteurung besteht vor Allem in Erhöhung der Steuer auf Destillerien; der Vorschlag des Gouverneurs ist, diese auf 6 Shilling

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Odilon-Barrot hat keine Clientel, aber er ist der erste unter Gleichen; neben ihm gibt es einige Leute von Kopf wie de Sade, aber das Meiste, was um ihn haust, gehört zu den größten Nullitäten der Kammern und des Publicums. Lamartine steht ganz excentrisch da, und Tocqueville neben seinem Freunde Gustave de Beaumont. Ich rede nicht von Berryer, noch von Royer-Collard, weil sie außer allem Einfluß sind auf den Gang der Dinge, da der frühere Royalismus hier keine Wurzeln zu schlagen bestimmt ist, und untergehen muß in Philippismus oder Republicanismus, wenn er sich nicht zu der Höhe einer politisch unabhängigen, volksmäßig gesinnten Aristokratie emporzuschwingen weiß. Guizot als Mann von Charakter ist mit seinem System <hi rendition="#g">nie</hi> ins Leben durchgedrungen, und unvermögend es geltend zu machen, hat er Juste-Milieu gespielt, und, auf seine Weise, politische Rouerie im Sinne des Juste-Milieu. 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Thiers steht leider im Dienste einer unbändigen Eitelkeit, der unmännlichsten aller Leidenschaften; von Selbstlob überströmt er, und da er das große Talent besitzt in den Herzen seiner Anhänger der Kammer und der Journale große Erwartungen zukünftiger Belohnungen und Auszeichnungen zu erregen, so schweift die Vergötterung seines Genie's über alle Gränzen des Lächerlichen hinaus und wird zum Ungeheuern. Könnte man Hrn. Guizot seine Pedanterie abzapfen, und Hrn. Thiers seine Eitelkeit und beide in Eins vereinen, so käme aus der Tüchtigkeit des Verstandes des einen und der raschen Ueberschauungsgabe des andern vielleicht eine politische Capacität respectabler Art heraus. Thiers ist launiger als Guizot, weniger geduldig und intriguirt schlechter, eben weil er politisch inconsequenter ist; aber er gefällt mehr einer Masse von Leuten, er ist lebendiger, adäquater der Nationalgesinnung und hat bei weitem mehr Zukunft. Guizot und Thiers sind vielleicht die einzigen Männer in der Kammer und der Nation, welche nicht verzweifeln, die Kammer und die Journalistik nicht aufgeben, und noch immer der Meinung sind, gegen eine allerhöchste Person ihre Revanche zu nehmen und dieselbe, auf die eine oder andere Weise, zur wahren Capitulation mit ihren Persönlichkeiten zu zwingen. Bei beiden Männern ist die Liebe zur Gewalt und die Brautwerbung um das Ministerium zur höchsten Leidenschaft geworden. Schon lange ist Guizot wahrhaft krank aus Liebe, wozu noch die Verzweiflung seines Hochmuths kommt, denn er hat im Grunde die allertiefste Verachtung vor allen Talenten, die seiner Capacität nicht zu schmeicheln, nicht sich derselben aufzuopfern bereitwillig sind. Thiers nimmt seine Buhlschaft weniger eifrig: er amusirt sich mehr in seiner Rolle und putzt in derselben seine Eitelkeit heraus; er cokettirt mit der Gewalt, spielt den Kalten und schmachtet sich nicht so ab in dörrender Brünstigkeit. Seine Geistigkeit liebäugelt hin und wieder mit mehreren Schönen, obgleich im Grund auch ihm die Zeit ungeheuer lang wird. Auch er verachtet den Menschentroß, welcher nicht schwört, daß er der wahre Staatsmann, der durchtriebenste Genius sey auf Erden; aber er humanisirt sich mehr, und diejenigen, welche durch ihn verwundet sind, vergeben ihm leichter als seinem Rivalen. Guizot und Thiers beglückwünschen sich, der eine in der Hoffnung, im Herzog v. Broglie einen Standpunkt für seine Politik zu erschwingen und diesen edeln Pair in kurzem als Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu begrüßen, der andere in der Erwartung, die Abwesenheit Guizots zu benutzen, um den Doctrinärs in der Kammer und dem Publicum den Garaus zu machen.</p><lb/>
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[0428/0012] Theater ist überhaupt kaum mehr eine Aufgabe für tüchtige Kräfte; dazu ist sein jetziger Zustand im Allgemeinen in Deutschland zu niedrig. Man kann nicht oft genug wiederholen, was ein deutscher Dichter unserer Zeit davon singt, und es nicht genug beherzigen: „Thsepis' alte Kunst ist hin, Hilf, o Musenvater! Pantalon und Harlekin Meistern das Theater; Pierrot, das Jammerbild, Hilft mit trüben Mienen, Und was mehr als Alles gilt, Sind die Columbinen!“ – Frankreich. _ Paris, 13 Febr. Der Ton in den Zeitungen, der Leute untereinander, in den Kammern und Coulissen der Kammern wird immer bitterer, verächtlicher, geringschätziger. Man empfindet überall den vollkommenen Abgang aller öffentlichen Charactere, wie den vollkommenen Mangel aller höhern Talente. Was die höhern Talente betrifft, so kann man als deren Repräsentanten in den Kammern ansehen: Guizot, Thiers, Odilon-Barrot, Lamartine, Tocquequeville; außer ihnen gibt es untergeordnetere Talente, wie Rémusat, Duvergier de Hauranne und Jouffroy als Figuranten um die Persönlichkeit Guizots herum, des einzigen, welcher ein Cortege hat, denn Mignet, der bedeutendste unter den Freunden Thiers', steht außerhalb der Kammern, und obwohl Thiers in der Kammer wie in den Zeitungen eine große Clientel sich zu verschaffen gewußt hat, so ist doch kein bedeutender Kopf darunter, sondern es sind Alles Mittelmäßigkeiten Nr. 1, 2, 3, 4. Odilon-Barrot hat keine Clientel, aber er ist der erste unter Gleichen; neben ihm gibt es einige Leute von Kopf wie de Sade, aber das Meiste, was um ihn haust, gehört zu den größten Nullitäten der Kammern und des Publicums. Lamartine steht ganz excentrisch da, und Tocqueville neben seinem Freunde Gustave de Beaumont. Ich rede nicht von Berryer, noch von Royer-Collard, weil sie außer allem Einfluß sind auf den Gang der Dinge, da der frühere Royalismus hier keine Wurzeln zu schlagen bestimmt ist, und untergehen muß in Philippismus oder Republicanismus, wenn er sich nicht zu der Höhe einer politisch unabhängigen, volksmäßig gesinnten Aristokratie emporzuschwingen weiß. Guizot als Mann von Charakter ist mit seinem System nie ins Leben durchgedrungen, und unvermögend es geltend zu machen, hat er Juste-Milieu gespielt, und, auf seine Weise, politische Rouerie im Sinne des Juste-Milieu. Seine Absicht war, der allerhöchsten Person angenehm zu seyn, um sich derselben auf die Länge zum Instrument seiner Gesinnung zu bedienen, welche darauf hinausgeht eine bürgerliche Aristokratie aus wissenschaftlichen und politischen Elementen zu bilden, eine Art französischer Whigs, dienend zum Centralpunkt der Modificationen zwischen dem höhern Theil des Juste-Milieu und dem verständigern Theil der Legitimisten. Er wollte sich der allerhöchsten Person bedienen, um sich gegen seinen Nebenbuhler Thiers zu stärken, aber diese allerhöchste Person dachte nur daran, Guizot gegen Thiers zu benutzen und dann das abgestumpfte Instrument bei Seite zu legen. Trotz seiner bedeutenden Talente und seines scharfen Verstandes hat Guizot nichts Anderes gethan während seiner politischen Laufbahn als sich in Intriguen abmüden ohne Vortheil für sein System. Sein Irrthum war, durch das Ministerium und Ausübung öffentlicher Gewalt erreichen zu wollen, was nur durch persönliche Unabhängigkeit erreichbar war. Thiers hat auch sein System, es ist so zu sagen ein liberaler Bonapartismus, Thiers als Bonaparte des Thiers-Parti, als Ideal eines Ministers, der den kleinen Bonaparte spielen würde ohne Welteroberungssystem, aber in der Allianz mit England. Freilich steckt in Thiers weit mehr Politik als in Guizot, welcher ein scharfsinniger, methodischer, aber ein ganz unpolitischer Kopf ist, und mehr nach Gewicht im Innern, als nach Macht nach außen strebt; aber diese Politik des Hrn. Thiers steht leider im Dienste einer unbändigen Eitelkeit, der unmännlichsten aller Leidenschaften; von Selbstlob überströmt er, und da er das große Talent besitzt in den Herzen seiner Anhänger der Kammer und der Journale große Erwartungen zukünftiger Belohnungen und Auszeichnungen zu erregen, so schweift die Vergötterung seines Genie's über alle Gränzen des Lächerlichen hinaus und wird zum Ungeheuern. Könnte man Hrn. Guizot seine Pedanterie abzapfen, und Hrn. Thiers seine Eitelkeit und beide in Eins vereinen, so käme aus der Tüchtigkeit des Verstandes des einen und der raschen Ueberschauungsgabe des andern vielleicht eine politische Capacität respectabler Art heraus. Thiers ist launiger als Guizot, weniger geduldig und intriguirt schlechter, eben weil er politisch inconsequenter ist; aber er gefällt mehr einer Masse von Leuten, er ist lebendiger, adäquater der Nationalgesinnung und hat bei weitem mehr Zukunft. Guizot und Thiers sind vielleicht die einzigen Männer in der Kammer und der Nation, welche nicht verzweifeln, die Kammer und die Journalistik nicht aufgeben, und noch immer der Meinung sind, gegen eine allerhöchste Person ihre Revanche zu nehmen und dieselbe, auf die eine oder andere Weise, zur wahren Capitulation mit ihren Persönlichkeiten zu zwingen. Bei beiden Männern ist die Liebe zur Gewalt und die Brautwerbung um das Ministerium zur höchsten Leidenschaft geworden. Schon lange ist Guizot wahrhaft krank aus Liebe, wozu noch die Verzweiflung seines Hochmuths kommt, denn er hat im Grunde die allertiefste Verachtung vor allen Talenten, die seiner Capacität nicht zu schmeicheln, nicht sich derselben aufzuopfern bereitwillig sind. Thiers nimmt seine Buhlschaft weniger eifrig: er amusirt sich mehr in seiner Rolle und putzt in derselben seine Eitelkeit heraus; er cokettirt mit der Gewalt, spielt den Kalten und schmachtet sich nicht so ab in dörrender Brünstigkeit. Seine Geistigkeit liebäugelt hin und wieder mit mehreren Schönen, obgleich im Grund auch ihm die Zeit ungeheuer lang wird. Auch er verachtet den Menschentroß, welcher nicht schwört, daß er der wahre Staatsmann, der durchtriebenste Genius sey auf Erden; aber er humanisirt sich mehr, und diejenigen, welche durch ihn verwundet sind, vergeben ihm leichter als seinem Rivalen. Guizot und Thiers beglückwünschen sich, der eine in der Hoffnung, im Herzog v. Broglie einen Standpunkt für seine Politik zu erschwingen und diesen edeln Pair in kurzem als Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu begrüßen, der andere in der Erwartung, die Abwesenheit Guizots zu benutzen, um den Doctrinärs in der Kammer und dem Publicum den Garaus zu machen. Neu-Südwallis. _ Sidney, 25 Aug. Seit der Bekanntmachung des Budgets und den Debatten darüber in dem Colonialrath herrscht hier viel Mißvergnügen, weil die Ausgaben der Colonie mit einer solchen Schnelligkeit steigen, daß der Gouverneur genöthigt ist, theils neue Steuern einzuführen, theils den ganzen Landfonds zu den laufenden Ausgaben zu verwenden. Die neue Besteurung besteht vor Allem in Erhöhung der Steuer auf Destillerien; der Vorschlag des Gouverneurs ist, diese auf 6 Shilling

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 54. Augsburg, 23. Februar 1840, S. 0428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_054_18400223/12>, abgerufen am 01.05.2024.