Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 43. Augsburg, 12. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Gemüthslagen, geben sie sich immer selbst auf, fluthen von wildem Jähzorn in unbestimmte Weichlichkeit und umgekehrt, eben wegen der rastlosen Beweglichkeit ihres Geistes.

*

Lange schon hat man in Deutschland zwischen Gebildeten und Ungebildeten einen, wiewohl ziemlich elastischen Unterschied machen wollen, hat in geselliger Form oder Wissenschaft diese Bildung gesucht. Manchem gelehrt Gebildeten fehlte die feine Umgangsform, manchem reichen Mann von Welt selbst der Anflug von Gelehrsamkeit. Noch weniger ist in Frankreich dieser Unterschied richtig. Eigentliche Gelehrsamkeit ist der Besitz Weniger; die Colleges sind schlechte Schulanstalten; zwei Drittel der Schüler rutschen durch die Classen, ohne was Rechtes zu lernen, und vergessen in kurzer Zeit, worin sie mit Noth abgerichtet waren. Der aus der Volksschule gehende Bürgerssohn weiß seine Orthographie, sein Rechnen so gut wie jener, und bildet sich in großen Städten durch öffentliche Curse, durch Zeitungen, Zeitschriften, selbst durch Romanlecture. Nur die Gesellschaft und zwar die kostspielige Salongesellschaft bildet den Geist oder die Kenntnisse weiter; hier lernt der Franzose, bei der Beweglichkeit des Geistes und bei dem Drange sich durch Witz und Verstand geltend zu machen, am meisten. Hier auch lernt man den stets wechselnden Gebrauch in den Umgangsformen der Tracht, der Sprache, der Geste. Man könnte also, da hier Alles vom Gelde abhängt, die Franzosen in Salon-, Cafe- und Cabaretfähige theilen, was so ziemlich mit der jetzigen Unterscheidung in Wählbare, Wahlfähige und Nichtwähler zusammentreffen wird. Nur von Vermögen begleitete Intelligenz kann politische Bedeutung gewinnen; daher entspringen: Mittelmäßigkeit der Kammern; Furcht und Mangel an Energie in der Verwaltung; Geldschneidereien aller Art in Gewerben und im Handel und in der Verwaltung; Käuflichkeit der Schriftsteller; Corruption überall. Gelingt es nun der armen Intelligenz nicht, zur legalen Vertretung zu gelangen, da die Deputirtenkammer im eigenen Interesse jede Ausdehnung des Wählerbereichs als unzeitig hinausschiebt, so muß sie sich in den Journalen eine Tribune erschaffen. Tribune war der Titel des ersten antimonarchischen Journals, einer Extratribune des extralegalen Frankreichs mit extralegalen Tendenzen. Diese Deputirtenkammer der Presse muß sich also an die Masse der physischen Kräfte im Bürger- und Soldatenstande wenden und endlich, von Consequenz zu Consequenz getrieben, wie die dynastischen Oppositionsblätter sich an Coterien anschließen, so ihren Anhang in geheimen Gesellschaften zu organisiren suchen. Das ist die Geschichte der antimonarchischen Opposition. Sie zu schwächen gab es nur Ein Mittel, und die Juliusregierung hat es verschmäht oder übersehen. Statt den ärmern Volksclassen, wie dieß überall in Deutschland geschah, durch Unterstützung das Studiren und den Zutritt zu Staatsämtern zu erleichtern, dieselben nach Verdienst und nur nach strengen Prüfungen zuzulassen, werden die Boursen nach Gunst und meistens an wohlhabendere Familien vertheilt, kommen die Reicheren (und hier könnte ich viele Thatsachen anführen) noch immer mit Leichtigkeit durch die Examina, tragen bei allen Anstellungen die meisten Empfehlungen den Sieg über die größten Talente davon. Aber alle dergleichen Mißklänge vernimmt man um so stärker, je drohender die Haltung der verletzten Interessen wird. Die Reformpetitionen, durch Lafitte und seinen großen Anhang unterstützt, sind eine dieser verwirrenden Manifestationen, deren Folgen unberechenbar sind, und daher ist der noch vor einigen Tagen von Lafitte ausgesprochene Grundsatz: "die Reformen verhüten die Revolutionen" seit lange schon zu sehr Gemeinplatz, um nicht in dem Munde des Revolutionsagenten von 1830 eine ernstliche Drohung zu werden. - Auch in Lyon ist eine neue Monatschrift unter dem Titel: la Democratie lyonnaise mit Anfang dieses Jahres erschienen, deren Redacteur, Riviere cadet, Cattun- oder Crepedrucker ist, früher das Arbeiterjournal l'Echo de la Fabrique redigirte, und als Exsaintsimonist und Schüler Fourriers der Repräsentant der arbeitenden Classen war. Nach den Aprilunruhen 1834 entwischte er einer Verhaftung, stellte sich später vor der Pairskammer und ward freigesprochen. Das erste Heft seiner Zeitschrift gibt eine Geschichte der Demokratie mit der Ueberschrift: "als Adam hackt' und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?" und beginnt mit den Worten: "Ich möchte weder Sklave noch Barbar seyn, sagt Aristoteles." In acht Capiteln, von einer ruhigen geschichtlichen Entwicklung zum Ausdruck der Leidenschaft übergehend, schließt der Verfasser: "les lois de Septembre ne nous ont presque laisse a remuer que la poussiere des tombeaux," und nach einigen Zwischensätzen: "la dynastie nouvelle est fille du peuple et tout enfant est maudit qui frappe et meurtrit le sein de sa mere." Es ist evident, daß dergleichen Zeitschriften eine Fahne werden, die der Redacteur entfaltet, wenn er Zulauf hoffen darf, daß aber bei der Stockung unserer Fabriken es leicht wird, wie früher auf einen Tarif so jetzt auf die Wahlreform als auf die einzige Planke des Heils die Arbeiter hinzuweisen. Wir können nicht glauben, daß man beabsichtige, Lyon noch einmal den Gefahren eines Bürgerkriegs auszusetzen, denn das wäre unmöglich, aber ein passiver Widerstand, auf welchen schon Gazette de France und National hindeuten, würde das Gouvernement in große Verlegenheit setzen. Auf jeden Fall sind diese innern Verhältnisse von viel größerer Wichtigkeit als die äußere türkisch-ägyptische Frage. Es gibt in Hierarchie, Monarchie, Aristokratie, Constitutionalismus und Demokratie ein pentarchisches Kämpfen in Europa, das sich in dem französischen Volke nach allen Richtungen zugleich zeigt.

Italien.

Vorgestern hatte der Herzog von Bordeaux die Ehre dem Papst seinen Abschiedsbesuch in einer feierlichen Audienz abzustatten. Seine Reise nach Florenz ist auf übermorgen festgesetzt. Er wie sein Gefolge sollen von dem heiligen Vater auf das liebevollste entlassen worden seyn. Der Cardinal-Staatssecretär so wie mehrere andere Herren der hohen Geistlichkeit haben dem Herzog ihre Aufwartung gemacht, und gestern Abend war in seiner Wohnung eine zahlreich besuchte Gesellschaft versammelt. - Der Bruder Sr. Majestät des Königs beider Sicilien, Prinz Leopold, Graf v. Syrakus, ist gestern aus Neapel kommend hier eingetroffen. Der Herzog von Lucca wird schon seit mehrern Tagen erwartet. - Der vor einigen Abenden versuchte aber glücklicher Weise mißlungene Mordanfall auf einen geachteten Prälaten in einem bekannten Palast, auf der hell erleuchteten Treppe, wird vielfach besprochen, und gibt zu manchen Muthmaßungen Anlaß, zumal da gerade in demselben Palast eine Familienaffaire schon lange das Stadtgespräch bildet. - In den Nebensälen der großen Bibliothek des Collegio Romano brach vor wenigen Tagen Feuer aus und verzehrte an tausend Bände, meistens moderne Bücher, doch gingen auch einige Handschriften verloren. Der vereinten Anstrengung gelang es, weiterm Unglück vorzubeugen.

Deutschland.
*

In der heutigen Sitzung der Kammer der Abgeordneten erstattete Frhr. v. Rotenhan Bericht über den wieder vorgelegten modificirten Gesetzesentwurf die

Gemüthslagen, geben sie sich immer selbst auf, fluthen von wildem Jähzorn in unbestimmte Weichlichkeit und umgekehrt, eben wegen der rastlosen Beweglichkeit ihres Geistes.

*

Lange schon hat man in Deutschland zwischen Gebildeten und Ungebildeten einen, wiewohl ziemlich elastischen Unterschied machen wollen, hat in geselliger Form oder Wissenschaft diese Bildung gesucht. Manchem gelehrt Gebildeten fehlte die feine Umgangsform, manchem reichen Mann von Welt selbst der Anflug von Gelehrsamkeit. Noch weniger ist in Frankreich dieser Unterschied richtig. Eigentliche Gelehrsamkeit ist der Besitz Weniger; die Colléges sind schlechte Schulanstalten; zwei Drittel der Schüler rutschen durch die Classen, ohne was Rechtes zu lernen, und vergessen in kurzer Zeit, worin sie mit Noth abgerichtet waren. Der aus der Volksschule gehende Bürgerssohn weiß seine Orthographie, sein Rechnen so gut wie jener, und bildet sich in großen Städten durch öffentliche Curse, durch Zeitungen, Zeitschriften, selbst durch Romanlecture. Nur die Gesellschaft und zwar die kostspielige Salongesellschaft bildet den Geist oder die Kenntnisse weiter; hier lernt der Franzose, bei der Beweglichkeit des Geistes und bei dem Drange sich durch Witz und Verstand geltend zu machen, am meisten. Hier auch lernt man den stets wechselnden Gebrauch in den Umgangsformen der Tracht, der Sprache, der Geste. Man könnte also, da hier Alles vom Gelde abhängt, die Franzosen in Salon-, Café- und Cabaretfähige theilen, was so ziemlich mit der jetzigen Unterscheidung in Wählbare, Wahlfähige und Nichtwähler zusammentreffen wird. Nur von Vermögen begleitete Intelligenz kann politische Bedeutung gewinnen; daher entspringen: Mittelmäßigkeit der Kammern; Furcht und Mangel an Energie in der Verwaltung; Geldschneidereien aller Art in Gewerben und im Handel und in der Verwaltung; Käuflichkeit der Schriftsteller; Corruption überall. Gelingt es nun der armen Intelligenz nicht, zur legalen Vertretung zu gelangen, da die Deputirtenkammer im eigenen Interesse jede Ausdehnung des Wählerbereichs als unzeitig hinausschiebt, so muß sie sich in den Journalen eine Tribune erschaffen. Tribune war der Titel des ersten antimonarchischen Journals, einer Extratribune des extralegalen Frankreichs mit extralegalen Tendenzen. Diese Deputirtenkammer der Presse muß sich also an die Masse der physischen Kräfte im Bürger- und Soldatenstande wenden und endlich, von Consequenz zu Consequenz getrieben, wie die dynastischen Oppositionsblätter sich an Coterien anschließen, so ihren Anhang in geheimen Gesellschaften zu organisiren suchen. Das ist die Geschichte der antimonarchischen Opposition. Sie zu schwächen gab es nur Ein Mittel, und die Juliusregierung hat es verschmäht oder übersehen. Statt den ärmern Volksclassen, wie dieß überall in Deutschland geschah, durch Unterstützung das Studiren und den Zutritt zu Staatsämtern zu erleichtern, dieselben nach Verdienst und nur nach strengen Prüfungen zuzulassen, werden die Boursen nach Gunst und meistens an wohlhabendere Familien vertheilt, kommen die Reicheren (und hier könnte ich viele Thatsachen anführen) noch immer mit Leichtigkeit durch die Examina, tragen bei allen Anstellungen die meisten Empfehlungen den Sieg über die größten Talente davon. Aber alle dergleichen Mißklänge vernimmt man um so stärker, je drohender die Haltung der verletzten Interessen wird. Die Reformpetitionen, durch Lafitte und seinen großen Anhang unterstützt, sind eine dieser verwirrenden Manifestationen, deren Folgen unberechenbar sind, und daher ist der noch vor einigen Tagen von Lafitte ausgesprochene Grundsatz: „die Reformen verhüten die Revolutionen“ seit lange schon zu sehr Gemeinplatz, um nicht in dem Munde des Revolutionsagenten von 1830 eine ernstliche Drohung zu werden. – Auch in Lyon ist eine neue Monatschrift unter dem Titel: la Démocratie lyonnaise mit Anfang dieses Jahres erschienen, deren Redacteur, Riviere cadet, Cattun- oder Crepedrucker ist, früher das Arbeiterjournal l'Echo de la Fabrique redigirte, und als Exsaintsimonist und Schüler Fourriers der Repräsentant der arbeitenden Classen war. Nach den Aprilunruhen 1834 entwischte er einer Verhaftung, stellte sich später vor der Pairskammer und ward freigesprochen. Das erste Heft seiner Zeitschrift gibt eine Geschichte der Demokratie mit der Ueberschrift: „als Adam hackt' und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ und beginnt mit den Worten: „Ich möchte weder Sklave noch Barbar seyn, sagt Aristoteles.“ In acht Capiteln, von einer ruhigen geschichtlichen Entwicklung zum Ausdruck der Leidenschaft übergehend, schließt der Verfasser: „les lois de Septembre ne nous ont presque laissé á remuer que la poussière des tombeaux,“ und nach einigen Zwischensätzen: „la dynastie nouvelle est fille du peuple et tout enfant est maudit qui frappe et meurtrit le sein de sa mère.“ Es ist evident, daß dergleichen Zeitschriften eine Fahne werden, die der Redacteur entfaltet, wenn er Zulauf hoffen darf, daß aber bei der Stockung unserer Fabriken es leicht wird, wie früher auf einen Tarif so jetzt auf die Wahlreform als auf die einzige Planke des Heils die Arbeiter hinzuweisen. Wir können nicht glauben, daß man beabsichtige, Lyon noch einmal den Gefahren eines Bürgerkriegs auszusetzen, denn das wäre unmöglich, aber ein passiver Widerstand, auf welchen schon Gazette de France und National hindeuten, würde das Gouvernement in große Verlegenheit setzen. Auf jeden Fall sind diese innern Verhältnisse von viel größerer Wichtigkeit als die äußere türkisch-ägyptische Frage. Es gibt in Hierarchie, Monarchie, Aristokratie, Constitutionalismus und Demokratie ein pentarchisches Kämpfen in Europa, das sich in dem französischen Volke nach allen Richtungen zugleich zeigt.

Italien.

Vorgestern hatte der Herzog von Bordeaux die Ehre dem Papst seinen Abschiedsbesuch in einer feierlichen Audienz abzustatten. Seine Reise nach Florenz ist auf übermorgen festgesetzt. Er wie sein Gefolge sollen von dem heiligen Vater auf das liebevollste entlassen worden seyn. Der Cardinal-Staatssecretär so wie mehrere andere Herren der hohen Geistlichkeit haben dem Herzog ihre Aufwartung gemacht, und gestern Abend war in seiner Wohnung eine zahlreich besuchte Gesellschaft versammelt. – Der Bruder Sr. Majestät des Königs beider Sicilien, Prinz Leopold, Graf v. Syrakus, ist gestern aus Neapel kommend hier eingetroffen. Der Herzog von Lucca wird schon seit mehrern Tagen erwartet. – Der vor einigen Abenden versuchte aber glücklicher Weise mißlungene Mordanfall auf einen geachteten Prälaten in einem bekannten Palast, auf der hell erleuchteten Treppe, wird vielfach besprochen, und gibt zu manchen Muthmaßungen Anlaß, zumal da gerade in demselben Palast eine Familienaffaire schon lange das Stadtgespräch bildet. – In den Nebensälen der großen Bibliothek des Collegio Romano brach vor wenigen Tagen Feuer aus und verzehrte an tausend Bände, meistens moderne Bücher, doch gingen auch einige Handschriften verloren. Der vereinten Anstrengung gelang es, weiterm Unglück vorzubeugen.

Deutschland.

In der heutigen Sitzung der Kammer der Abgeordneten erstattete Frhr. v. Rotenhan Bericht über den wieder vorgelegten modificirten Gesetzesentwurf die

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0004" n="0340"/>
Gemüthslagen, geben sie sich immer selbst auf, fluthen von wildem Jähzorn in unbestimmte Weichlichkeit und umgekehrt, eben wegen der rastlosen Beweglichkeit ihres Geistes.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <head>*</head>
          <dateline><hi rendition="#b">Lyon,</hi> im Febr.</dateline>
          <p> Lange schon hat man in Deutschland zwischen Gebildeten und Ungebildeten einen, wiewohl ziemlich elastischen Unterschied machen wollen, hat in geselliger Form oder Wissenschaft diese Bildung gesucht. Manchem gelehrt Gebildeten fehlte die feine Umgangsform, manchem reichen Mann von Welt selbst der Anflug von Gelehrsamkeit. Noch weniger ist in Frankreich dieser Unterschied richtig. Eigentliche Gelehrsamkeit ist der Besitz Weniger; die Colléges sind schlechte Schulanstalten; zwei Drittel der Schüler rutschen durch die Classen, ohne was Rechtes zu lernen, und vergessen in kurzer Zeit, worin sie mit Noth abgerichtet waren. Der aus der Volksschule gehende Bürgerssohn weiß seine Orthographie, sein Rechnen so gut wie jener, und bildet sich in großen Städten durch öffentliche Curse, durch Zeitungen, Zeitschriften, selbst durch Romanlecture. Nur die Gesellschaft und zwar die kostspielige Salongesellschaft bildet den Geist oder die Kenntnisse weiter; hier lernt der Franzose, bei der Beweglichkeit des Geistes und bei dem Drange sich durch Witz und Verstand geltend zu machen, am meisten. Hier auch lernt man den stets wechselnden Gebrauch in den Umgangsformen der Tracht, der Sprache, der Geste. Man könnte also, da hier Alles vom Gelde abhängt, die Franzosen in Salon-, Café- und Cabaretfähige theilen, was so ziemlich mit der jetzigen Unterscheidung in Wählbare, Wahlfähige und Nichtwähler zusammentreffen wird. Nur von Vermögen begleitete Intelligenz kann politische Bedeutung gewinnen; daher entspringen: Mittelmäßigkeit der Kammern; Furcht und Mangel an Energie in der Verwaltung; Geldschneidereien aller Art in Gewerben und im Handel und in der Verwaltung; Käuflichkeit der Schriftsteller; Corruption überall. Gelingt es nun der armen Intelligenz nicht, zur legalen Vertretung zu gelangen, da die Deputirtenkammer im eigenen Interesse jede Ausdehnung des Wählerbereichs als unzeitig hinausschiebt, so muß sie sich in den Journalen eine Tribune erschaffen. Tribune war der Titel des ersten antimonarchischen Journals, einer Extratribune des extralegalen Frankreichs mit extralegalen Tendenzen. Diese Deputirtenkammer der Presse muß sich also an die Masse der physischen Kräfte im Bürger- und Soldatenstande wenden und endlich, von Consequenz zu Consequenz getrieben, wie die dynastischen Oppositionsblätter sich an Coterien anschließen, so ihren Anhang in geheimen Gesellschaften zu organisiren suchen. Das ist die Geschichte der antimonarchischen Opposition. Sie zu schwächen gab es nur Ein Mittel, und die Juliusregierung hat es verschmäht oder übersehen. Statt den ärmern Volksclassen, wie dieß überall in Deutschland geschah, durch Unterstützung das Studiren und den Zutritt zu Staatsämtern zu erleichtern, dieselben nach Verdienst und nur nach strengen Prüfungen zuzulassen, werden die Boursen nach Gunst und meistens an wohlhabendere Familien vertheilt, kommen die Reicheren (und hier könnte ich viele Thatsachen anführen) noch immer mit Leichtigkeit durch die Examina, tragen bei allen Anstellungen die meisten Empfehlungen den Sieg über die größten Talente davon. Aber alle dergleichen Mißklänge vernimmt man um so stärker, je drohender die Haltung der verletzten Interessen wird. Die Reformpetitionen, durch Lafitte und seinen großen Anhang unterstützt, sind eine dieser verwirrenden Manifestationen, deren Folgen unberechenbar sind, und daher ist der noch vor einigen Tagen von Lafitte ausgesprochene Grundsatz: &#x201E;die Reformen verhüten die Revolutionen&#x201C; seit lange schon zu sehr Gemeinplatz, um nicht in dem Munde des Revolutionsagenten von 1830 eine ernstliche Drohung zu werden. &#x2013; Auch in Lyon ist eine neue Monatschrift unter dem Titel: la Démocratie lyonnaise mit Anfang dieses Jahres erschienen, deren Redacteur, Riviere cadet, Cattun- oder Crepedrucker ist, früher das Arbeiterjournal l'Echo de la Fabrique redigirte, und als Exsaintsimonist und Schüler Fourriers der Repräsentant der arbeitenden Classen war. Nach den Aprilunruhen 1834 entwischte er einer Verhaftung, stellte sich später vor der Pairskammer und ward freigesprochen. Das erste Heft seiner Zeitschrift gibt eine Geschichte der Demokratie mit der Ueberschrift: &#x201E;als Adam hackt' und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?&#x201C; und beginnt mit den Worten: &#x201E;Ich möchte weder Sklave noch Barbar seyn, sagt Aristoteles.&#x201C; In acht Capiteln, von einer ruhigen geschichtlichen Entwicklung zum Ausdruck der Leidenschaft übergehend, schließt der Verfasser: &#x201E;les lois de Septembre ne nous ont presque laissé á remuer que la poussière des tombeaux,&#x201C; und nach einigen Zwischensätzen: &#x201E;la dynastie nouvelle est fille du peuple et tout enfant est maudit qui frappe et meurtrit le sein de sa mère.&#x201C; Es ist evident, daß dergleichen Zeitschriften eine Fahne werden, die der Redacteur entfaltet, wenn er Zulauf hoffen darf, daß aber bei der Stockung unserer Fabriken es leicht wird, wie früher auf einen Tarif so jetzt auf die Wahlreform als auf die einzige Planke des Heils die Arbeiter hinzuweisen. Wir können nicht glauben, daß man beabsichtige, Lyon noch einmal den Gefahren eines Bürgerkriegs auszusetzen, denn das wäre unmöglich, aber ein passiver Widerstand, auf welchen schon Gazette de France und National hindeuten, würde das Gouvernement in große Verlegenheit setzen. Auf jeden Fall sind diese innern Verhältnisse von viel größerer Wichtigkeit als die äußere türkisch-ägyptische Frage. Es gibt in Hierarchie, Monarchie, Aristokratie, Constitutionalismus und Demokratie ein pentarchisches Kämpfen in Europa, das sich in dem französischen Volke nach allen Richtungen zugleich zeigt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Rom,</hi> 3 Febr.</dateline>
          <p> Vorgestern hatte der Herzog von Bordeaux die Ehre dem Papst seinen Abschiedsbesuch in einer feierlichen Audienz abzustatten. Seine Reise nach Florenz ist auf übermorgen festgesetzt. Er wie sein Gefolge sollen von dem heiligen Vater auf das liebevollste entlassen worden seyn. Der Cardinal-Staatssecretär so wie mehrere andere Herren der hohen Geistlichkeit haben dem Herzog ihre Aufwartung gemacht, und gestern Abend war in seiner Wohnung eine zahlreich besuchte Gesellschaft versammelt. &#x2013; Der Bruder Sr. Majestät des Königs beider Sicilien, Prinz Leopold, Graf v. Syrakus, ist gestern aus Neapel kommend hier eingetroffen. Der Herzog von Lucca wird schon seit mehrern Tagen erwartet. &#x2013; Der vor einigen Abenden versuchte aber glücklicher Weise mißlungene Mordanfall auf einen geachteten Prälaten in einem bekannten Palast, auf der hell erleuchteten Treppe, wird vielfach besprochen, und gibt zu manchen Muthmaßungen Anlaß, zumal da gerade in demselben Palast eine Familienaffaire schon lange das Stadtgespräch bildet. &#x2013; In den Nebensälen der großen Bibliothek des Collegio Romano brach vor wenigen Tagen Feuer aus und verzehrte an tausend Bände, meistens moderne Bücher, doch gingen auch einige Handschriften verloren. Der vereinten Anstrengung gelang es, weiterm Unglück vorzubeugen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Deutschland.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <head>*&#x0332;</head>
          <dateline><hi rendition="#b">München,</hi> 10 Febr.</dateline>
          <p> In der heutigen Sitzung der Kammer der Abgeordneten erstattete Frhr. v. <hi rendition="#g">Rotenhan</hi> Bericht über den wieder vorgelegten modificirten Gesetzesentwurf die<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340/0004] Gemüthslagen, geben sie sich immer selbst auf, fluthen von wildem Jähzorn in unbestimmte Weichlichkeit und umgekehrt, eben wegen der rastlosen Beweglichkeit ihres Geistes. * Lyon, im Febr. Lange schon hat man in Deutschland zwischen Gebildeten und Ungebildeten einen, wiewohl ziemlich elastischen Unterschied machen wollen, hat in geselliger Form oder Wissenschaft diese Bildung gesucht. Manchem gelehrt Gebildeten fehlte die feine Umgangsform, manchem reichen Mann von Welt selbst der Anflug von Gelehrsamkeit. Noch weniger ist in Frankreich dieser Unterschied richtig. Eigentliche Gelehrsamkeit ist der Besitz Weniger; die Colléges sind schlechte Schulanstalten; zwei Drittel der Schüler rutschen durch die Classen, ohne was Rechtes zu lernen, und vergessen in kurzer Zeit, worin sie mit Noth abgerichtet waren. Der aus der Volksschule gehende Bürgerssohn weiß seine Orthographie, sein Rechnen so gut wie jener, und bildet sich in großen Städten durch öffentliche Curse, durch Zeitungen, Zeitschriften, selbst durch Romanlecture. Nur die Gesellschaft und zwar die kostspielige Salongesellschaft bildet den Geist oder die Kenntnisse weiter; hier lernt der Franzose, bei der Beweglichkeit des Geistes und bei dem Drange sich durch Witz und Verstand geltend zu machen, am meisten. Hier auch lernt man den stets wechselnden Gebrauch in den Umgangsformen der Tracht, der Sprache, der Geste. Man könnte also, da hier Alles vom Gelde abhängt, die Franzosen in Salon-, Café- und Cabaretfähige theilen, was so ziemlich mit der jetzigen Unterscheidung in Wählbare, Wahlfähige und Nichtwähler zusammentreffen wird. Nur von Vermögen begleitete Intelligenz kann politische Bedeutung gewinnen; daher entspringen: Mittelmäßigkeit der Kammern; Furcht und Mangel an Energie in der Verwaltung; Geldschneidereien aller Art in Gewerben und im Handel und in der Verwaltung; Käuflichkeit der Schriftsteller; Corruption überall. Gelingt es nun der armen Intelligenz nicht, zur legalen Vertretung zu gelangen, da die Deputirtenkammer im eigenen Interesse jede Ausdehnung des Wählerbereichs als unzeitig hinausschiebt, so muß sie sich in den Journalen eine Tribune erschaffen. Tribune war der Titel des ersten antimonarchischen Journals, einer Extratribune des extralegalen Frankreichs mit extralegalen Tendenzen. Diese Deputirtenkammer der Presse muß sich also an die Masse der physischen Kräfte im Bürger- und Soldatenstande wenden und endlich, von Consequenz zu Consequenz getrieben, wie die dynastischen Oppositionsblätter sich an Coterien anschließen, so ihren Anhang in geheimen Gesellschaften zu organisiren suchen. Das ist die Geschichte der antimonarchischen Opposition. Sie zu schwächen gab es nur Ein Mittel, und die Juliusregierung hat es verschmäht oder übersehen. Statt den ärmern Volksclassen, wie dieß überall in Deutschland geschah, durch Unterstützung das Studiren und den Zutritt zu Staatsämtern zu erleichtern, dieselben nach Verdienst und nur nach strengen Prüfungen zuzulassen, werden die Boursen nach Gunst und meistens an wohlhabendere Familien vertheilt, kommen die Reicheren (und hier könnte ich viele Thatsachen anführen) noch immer mit Leichtigkeit durch die Examina, tragen bei allen Anstellungen die meisten Empfehlungen den Sieg über die größten Talente davon. Aber alle dergleichen Mißklänge vernimmt man um so stärker, je drohender die Haltung der verletzten Interessen wird. Die Reformpetitionen, durch Lafitte und seinen großen Anhang unterstützt, sind eine dieser verwirrenden Manifestationen, deren Folgen unberechenbar sind, und daher ist der noch vor einigen Tagen von Lafitte ausgesprochene Grundsatz: „die Reformen verhüten die Revolutionen“ seit lange schon zu sehr Gemeinplatz, um nicht in dem Munde des Revolutionsagenten von 1830 eine ernstliche Drohung zu werden. – Auch in Lyon ist eine neue Monatschrift unter dem Titel: la Démocratie lyonnaise mit Anfang dieses Jahres erschienen, deren Redacteur, Riviere cadet, Cattun- oder Crepedrucker ist, früher das Arbeiterjournal l'Echo de la Fabrique redigirte, und als Exsaintsimonist und Schüler Fourriers der Repräsentant der arbeitenden Classen war. Nach den Aprilunruhen 1834 entwischte er einer Verhaftung, stellte sich später vor der Pairskammer und ward freigesprochen. Das erste Heft seiner Zeitschrift gibt eine Geschichte der Demokratie mit der Ueberschrift: „als Adam hackt' und Eva spann, wo war denn da der Edelmann?“ und beginnt mit den Worten: „Ich möchte weder Sklave noch Barbar seyn, sagt Aristoteles.“ In acht Capiteln, von einer ruhigen geschichtlichen Entwicklung zum Ausdruck der Leidenschaft übergehend, schließt der Verfasser: „les lois de Septembre ne nous ont presque laissé á remuer que la poussière des tombeaux,“ und nach einigen Zwischensätzen: „la dynastie nouvelle est fille du peuple et tout enfant est maudit qui frappe et meurtrit le sein de sa mère.“ Es ist evident, daß dergleichen Zeitschriften eine Fahne werden, die der Redacteur entfaltet, wenn er Zulauf hoffen darf, daß aber bei der Stockung unserer Fabriken es leicht wird, wie früher auf einen Tarif so jetzt auf die Wahlreform als auf die einzige Planke des Heils die Arbeiter hinzuweisen. Wir können nicht glauben, daß man beabsichtige, Lyon noch einmal den Gefahren eines Bürgerkriegs auszusetzen, denn das wäre unmöglich, aber ein passiver Widerstand, auf welchen schon Gazette de France und National hindeuten, würde das Gouvernement in große Verlegenheit setzen. Auf jeden Fall sind diese innern Verhältnisse von viel größerer Wichtigkeit als die äußere türkisch-ägyptische Frage. Es gibt in Hierarchie, Monarchie, Aristokratie, Constitutionalismus und Demokratie ein pentarchisches Kämpfen in Europa, das sich in dem französischen Volke nach allen Richtungen zugleich zeigt. Italien. _ Rom, 3 Febr. Vorgestern hatte der Herzog von Bordeaux die Ehre dem Papst seinen Abschiedsbesuch in einer feierlichen Audienz abzustatten. Seine Reise nach Florenz ist auf übermorgen festgesetzt. Er wie sein Gefolge sollen von dem heiligen Vater auf das liebevollste entlassen worden seyn. Der Cardinal-Staatssecretär so wie mehrere andere Herren der hohen Geistlichkeit haben dem Herzog ihre Aufwartung gemacht, und gestern Abend war in seiner Wohnung eine zahlreich besuchte Gesellschaft versammelt. – Der Bruder Sr. Majestät des Königs beider Sicilien, Prinz Leopold, Graf v. Syrakus, ist gestern aus Neapel kommend hier eingetroffen. Der Herzog von Lucca wird schon seit mehrern Tagen erwartet. – Der vor einigen Abenden versuchte aber glücklicher Weise mißlungene Mordanfall auf einen geachteten Prälaten in einem bekannten Palast, auf der hell erleuchteten Treppe, wird vielfach besprochen, und gibt zu manchen Muthmaßungen Anlaß, zumal da gerade in demselben Palast eine Familienaffaire schon lange das Stadtgespräch bildet. – In den Nebensälen der großen Bibliothek des Collegio Romano brach vor wenigen Tagen Feuer aus und verzehrte an tausend Bände, meistens moderne Bücher, doch gingen auch einige Handschriften verloren. Der vereinten Anstrengung gelang es, weiterm Unglück vorzubeugen. Deutschland. *̲München, 10 Febr. In der heutigen Sitzung der Kammer der Abgeordneten erstattete Frhr. v. Rotenhan Bericht über den wieder vorgelegten modificirten Gesetzesentwurf die

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_043_18400212
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_043_18400212/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 43. Augsburg, 12. Februar 1840, S. 0340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_043_18400212/4>, abgerufen am 24.11.2024.