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Allgemeine Zeitung. Nr. 36. Augsburg, 5. Februar 1840.

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dem der Kummer über diesen Schritt seines einzigen Sohnes fast das Herz brach. Als im Januar 1838 der Consul Garavini in Begleitung mehrerer Europäer, worunter die HH. Berbrugger und Bodichon, den Emir in seinem Lager zu Hamza besuchte, bat der alte Roches die Reisenden dringend, sie möchten den Fürsten der Araber bewegen, ihm sein Kind zurückzugeben. Abd-El-Kader war damals vortrefflicher Laune: er hatte seine Eroberungen bis in die Wüste ausgedehnt und überall, sogar bei den Kabylen des Dschurschura war seine Herrschaft anerkannt und der Tribut ohne Widerstreben entrichtet worden. Der Emir nahm die Reisenden gastfreundlich auf und beschenkte sie reichlich. Er versprach Hrn. Berbrugger, der das Innere bereisen und bis zum Kobla vordringen wollte, um die dortigen noch nie beschriebenen Ruinen zu untersuchen, allen Schutz und Vorschub. Einer der Reisenden brachte dem Emir schöne Grüße von dem alten provencalischen Schiffscapitän Jonas, auf dessen Fahrzeug jener als Knabe mit seinem Vater Sidi-Mahiddin die Wallfahrtsreise nach Mekka angetreten hatte. Abd-El-Kaders Augen leuchteten und sein bleiches Gesicht gewann einen noch schwärmerischeren Ausdruck bei der Erinnerung jenes Erlebnisses seiner Jugend, das auf seine Geistesrichtung und sein späteres Schicksal so bedeutenden Einfluß hatte. Als die Reisenden den Emir in so günstiger Stimmung sahen, brachten sie endlich das Gesuch des alten Roches vor. Die Miene des Emirs verfinsterte sich aber schnell und mit heftiger Stimme rief er: "Muhal! Muhal!" (Unmöglich!). Dann sich fassend sagte er: "Sidi-Omar (der Name des jungen Renegaten bei den Arabern) ist freiwillig zu mir gekommen. Er ist kein Kind mehr, das nicht wüßte, was es thue. Was ihr mir von dem Gram seines Vaters sagt, thut mir leid, aber überlegt selbst: soll ich Muselmann einem andern Muselmann befehlen: kehre zu den Ungläubigen zurück? Muhal!" Dabei hatte es sein Bewenden. Die Reisenden nahmen von Abd-El-Kader, dem es Mühe kostete, wieder freundlich zu werden, Abschied, und brachten dem gebeugten Vater den Bescheid des Emirs.

Leon Roches war einer der wenigen Renegaten, die unter den Arabern zu Ansehn gelangten und eine ziemlich bedeutende Rolle spielten. Er besaß eine ausgezeichnete körperliche Schönheit, eine Eigenschaft, die noch von keinem gering geschätzt wurde, ausgenommen vielleicht von solchen, denen sie versagt ist. Bei keinem Volk ist sie empfehlender als bei den Arabern. Abd-El-Kader ließ ihn im Schreiben des Arabischen unterrichten und lehrte ihn selbst den Koran, den der junge Sidi-Omar, durch ein seltenes Gedächtniß unterstützt, großentheils auswendig lernte. Der Emir machte ihn zu seinem Kodscha (Geheimsecretär) und suchte sich durch ihn über die europäischen Angelegenheiten, namentlich über die Politik und die Zustände Frankreichs Kenntniß zu verschaffen. Auf Sidi-Omars Rath abonnirte sich Abd-El-Kader auf einige Pariser Journale. Wahrscheinlich wurde auch die Mission Ben-Arasch's nach Paris, dessen Benehmen während der Reise, die Almosen, die er in Toulon, Lyon, Paris an die Armen spendete, die Geschenke an den König, seine Familie, die Minister, durch den jungen Renegaten anempfohlen. Im Junius 1838 begleitete letzterer den abenteuerlichen Zug Abd-El-Kaders nach der Sahara gegen den Herrscher von Ain-Maadi; er soll die acht Monat lange Belagerung dieser Stadt geleitet haben. Seitdem erfuhr man nichts Sicheres mehr über ihn. Lange glaubte man an das Gerücht, Abd-El-Kader habe ihm den Kopf abschlagen lassen, bis die Ankunft Leon Roches' in Oran jene Sage Lügen strafte. Der merkwürdige junge Mann, der während seines fast dreijährigen Aufenthalts unter den Beduinen, als fast beständiger Begleiter Abd-El-Kaders, viel erlebt und erfahren haben mag, reiste im vergangenen November nach Algier ab, wo der Marschall Valee ihn freundlich empfing und die Freude ihm beschieden war, seinen alten Vater noch am Leben zu treffen.

Aus den mündlichen Erzählungen der Schicksale und Beobachtungen jenes Abenteurers ist bis jetzt noch sehr wenig in französische Journale übergegangen. Man erfuhr nur, daß er sich in letzter Zeit zu Tekedemt aufgehalten habe, von wo er unter dem Vorwand, Abd-El-Kader entgegenzureiten, sich entfernte, und nach vielen Gefahren mit seinem Diener Oran erreichte. Der Beweggrund, der ihn zunächst veranlaßte, den Emir zu verlassen, soll der Neid, die Verfolgung der übrigen Häuptlinge und Marabuts gewesen seyn, welche, mißgünstig über das Vertrauen, das Abd-El-Kader diesem Fremdling schenkte, nicht müde wurden, ihn bei ihrem Gebieter anzuschwärzen. Mehrmals sollen sie versucht haben, ihn durch Meuchelmord aus dem Wege zu räumen. Diese Angabe scheint um so glaubwürdiger, als auch alle übrigen zurückgekehrten Renegaten, die eine weit untergeordnetere Stellung hatten, über den Neid und das Mißtrauen der Araber klagten. Außer Leon Roches sind dem Schreiber dieses nur drei Renegaten bekannt, die bei den Arabern zu einigem Ansehen gelangten. Der erste war der Franzose Moncel, ein Deserteur der Spahis, der zu den Hadschuten flüchtete, und durch seine Rohheit und schändlichen Gräuel unter dem berüchtigtsten Räuberstamme sich eine gewisse Celebrität erwarb. Er ermordete seinen früheren Lieutenant in einem Hinterhalt mit eigener Hand und schrieb auf dessen nackte Leiche mit seinem Dolch: Moncel 1836. Ein Jahr später wurde er von den Franzosen gefangen, vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen. Ein anderer Renegat, dem es gelang, sich aufzuschwingen, war der Deutsche Geistinger, ein Deserteur der Fremdenlegion, welcher Exerciermeister der regulären Infanterie des Emirs wurde, und diesem wesentliche Dienste leistete. Er war ein wilder, rauher Mensch. Nach harten Schicksalen und mehreren Jahren des Heimwehs gewöhnte er sich an das arabische Leben, und steht wohl noch in den Diensten Abd-El-Kaders. Der dritte, wohl der merkwürdigste von allen, war der Franzose Baudouin, von dessen Schicksalen in der Allgem. Ztg. seiner Zeit gesprochen wurde, und der jetzt spurlos verschwunden zu seyn scheint. Allen übrigen Renegaten ging es im Innern höchst traurig, und viele Deserteurs schreckte selbst die Gewißheit, erschossen zu werden, von der Rückkehr zu ihren Landsleuten nicht ab. Wie es den Renegaten in Constantine bei dem grausamen Achmet Bey ging, darüber gibt die kürzlich erschienene Broschüre Wendelin Schlosser's, der bei dem Bey als Kanonier diente, eine entsetzliche und wohl kaum übertriebene Schilderung. Unter den Stämmen Abd-El-Kaders waren die französischen Ueberläufer und die andern Europäer, welche Neugierde und Abenteuerlust ins Innere führte, etwas weniger unglücklich, als in Constantine, doch immer elend genug, um ihre Unbesonnenheit zu verwünschen. Die Illusion jener, welche das Araberleben nur von ferne sahen und von dem Glücke träumten, das ein freies ungebundenes Leben in der Wildniß bieten müsse, überlegten nicht, daß man erst ganz zum Araber geworden seyn müsse, ehe man an dessen Lebensgenüssen Gefallen finden könne. Sie bedachten nicht, daß man auch den inbrünstigen Glauben des Beduinen, seine glühende Ahnung künftiger Himmelsfreuden haben müsse, um am Gebet im Abendroth Genuß und nicht Langweile zu finden, daß seine eingewurzelte Freiheitsliebe nöthig ist, um in dem freien Leben einen Ersatz für alle geistigen und körperlichen Freuden und Zerstreuungen Europa's


dem der Kummer über diesen Schritt seines einzigen Sohnes fast das Herz brach. Als im Januar 1838 der Consul Garavini in Begleitung mehrerer Europäer, worunter die HH. Berbrugger und Bodichon, den Emir in seinem Lager zu Hamza besuchte, bat der alte Roches die Reisenden dringend, sie möchten den Fürsten der Araber bewegen, ihm sein Kind zurückzugeben. Abd-El-Kader war damals vortrefflicher Laune: er hatte seine Eroberungen bis in die Wüste ausgedehnt und überall, sogar bei den Kabylen des Dschurschura war seine Herrschaft anerkannt und der Tribut ohne Widerstreben entrichtet worden. Der Emir nahm die Reisenden gastfreundlich auf und beschenkte sie reichlich. Er versprach Hrn. Berbrugger, der das Innere bereisen und bis zum Kobla vordringen wollte, um die dortigen noch nie beschriebenen Ruinen zu untersuchen, allen Schutz und Vorschub. Einer der Reisenden brachte dem Emir schöne Grüße von dem alten provençalischen Schiffscapitän Jonas, auf dessen Fahrzeug jener als Knabe mit seinem Vater Sidi-Mahiddin die Wallfahrtsreise nach Mekka angetreten hatte. Abd-El-Kaders Augen leuchteten und sein bleiches Gesicht gewann einen noch schwärmerischeren Ausdruck bei der Erinnerung jenes Erlebnisses seiner Jugend, das auf seine Geistesrichtung und sein späteres Schicksal so bedeutenden Einfluß hatte. Als die Reisenden den Emir in so günstiger Stimmung sahen, brachten sie endlich das Gesuch des alten Roches vor. Die Miene des Emirs verfinsterte sich aber schnell und mit heftiger Stimme rief er: „Muhal! Muhal!“ (Unmöglich!). Dann sich fassend sagte er: „Sidi-Omar (der Name des jungen Renegaten bei den Arabern) ist freiwillig zu mir gekommen. Er ist kein Kind mehr, das nicht wüßte, was es thue. Was ihr mir von dem Gram seines Vaters sagt, thut mir leid, aber überlegt selbst: soll ich Muselmann einem andern Muselmann befehlen: kehre zu den Ungläubigen zurück? Muhal!“ Dabei hatte es sein Bewenden. Die Reisenden nahmen von Abd-El-Kader, dem es Mühe kostete, wieder freundlich zu werden, Abschied, und brachten dem gebeugten Vater den Bescheid des Emirs.

Léon Roches war einer der wenigen Renegaten, die unter den Arabern zu Ansehn gelangten und eine ziemlich bedeutende Rolle spielten. Er besaß eine ausgezeichnete körperliche Schönheit, eine Eigenschaft, die noch von keinem gering geschätzt wurde, ausgenommen vielleicht von solchen, denen sie versagt ist. Bei keinem Volk ist sie empfehlender als bei den Arabern. Abd-El-Kader ließ ihn im Schreiben des Arabischen unterrichten und lehrte ihn selbst den Koran, den der junge Sidi-Omar, durch ein seltenes Gedächtniß unterstützt, großentheils auswendig lernte. Der Emir machte ihn zu seinem Kodscha (Geheimsecretär) und suchte sich durch ihn über die europäischen Angelegenheiten, namentlich über die Politik und die Zustände Frankreichs Kenntniß zu verschaffen. Auf Sidi-Omars Rath abonnirte sich Abd-El-Kader auf einige Pariser Journale. Wahrscheinlich wurde auch die Mission Ben-Arasch's nach Paris, dessen Benehmen während der Reise, die Almosen, die er in Toulon, Lyon, Paris an die Armen spendete, die Geschenke an den König, seine Familie, die Minister, durch den jungen Renegaten anempfohlen. Im Junius 1838 begleitete letzterer den abenteuerlichen Zug Abd-El-Kaders nach der Sahara gegen den Herrscher von Aïn-Maadi; er soll die acht Monat lange Belagerung dieser Stadt geleitet haben. Seitdem erfuhr man nichts Sicheres mehr über ihn. Lange glaubte man an das Gerücht, Abd-El-Kader habe ihm den Kopf abschlagen lassen, bis die Ankunft Léon Roches' in Oran jene Sage Lügen strafte. Der merkwürdige junge Mann, der während seines fast dreijährigen Aufenthalts unter den Beduinen, als fast beständiger Begleiter Abd-El-Kaders, viel erlebt und erfahren haben mag, reiste im vergangenen November nach Algier ab, wo der Marschall Valée ihn freundlich empfing und die Freude ihm beschieden war, seinen alten Vater noch am Leben zu treffen.

Aus den mündlichen Erzählungen der Schicksale und Beobachtungen jenes Abenteurers ist bis jetzt noch sehr wenig in französische Journale übergegangen. Man erfuhr nur, daß er sich in letzter Zeit zu Tekedemt aufgehalten habe, von wo er unter dem Vorwand, Abd-El-Kader entgegenzureiten, sich entfernte, und nach vielen Gefahren mit seinem Diener Oran erreichte. Der Beweggrund, der ihn zunächst veranlaßte, den Emir zu verlassen, soll der Neid, die Verfolgung der übrigen Häuptlinge und Marabuts gewesen seyn, welche, mißgünstig über das Vertrauen, das Abd-El-Kader diesem Fremdling schenkte, nicht müde wurden, ihn bei ihrem Gebieter anzuschwärzen. Mehrmals sollen sie versucht haben, ihn durch Meuchelmord aus dem Wege zu räumen. Diese Angabe scheint um so glaubwürdiger, als auch alle übrigen zurückgekehrten Renegaten, die eine weit untergeordnetere Stellung hatten, über den Neid und das Mißtrauen der Araber klagten. Außer Léon Roches sind dem Schreiber dieses nur drei Renegaten bekannt, die bei den Arabern zu einigem Ansehen gelangten. Der erste war der Franzose Moncel, ein Deserteur der Spahis, der zu den Hadschuten flüchtete, und durch seine Rohheit und schändlichen Gräuel unter dem berüchtigtsten Räuberstamme sich eine gewisse Celebrität erwarb. Er ermordete seinen früheren Lieutenant in einem Hinterhalt mit eigener Hand und schrieb auf dessen nackte Leiche mit seinem Dolch: Moncel 1836. Ein Jahr später wurde er von den Franzosen gefangen, vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen. Ein anderer Renegat, dem es gelang, sich aufzuschwingen, war der Deutsche Geistinger, ein Deserteur der Fremdenlegion, welcher Exerciermeister der regulären Infanterie des Emirs wurde, und diesem wesentliche Dienste leistete. Er war ein wilder, rauher Mensch. Nach harten Schicksalen und mehreren Jahren des Heimwehs gewöhnte er sich an das arabische Leben, und steht wohl noch in den Diensten Abd-El-Kaders. Der dritte, wohl der merkwürdigste von allen, war der Franzose Baudouin, von dessen Schicksalen in der Allgem. Ztg. seiner Zeit gesprochen wurde, und der jetzt spurlos verschwunden zu seyn scheint. Allen übrigen Renegaten ging es im Innern höchst traurig, und viele Deserteurs schreckte selbst die Gewißheit, erschossen zu werden, von der Rückkehr zu ihren Landsleuten nicht ab. Wie es den Renegaten in Constantine bei dem grausamen Achmet Bey ging, darüber gibt die kürzlich erschienene Broschüre Wendelin Schlosser's, der bei dem Bey als Kanonier diente, eine entsetzliche und wohl kaum übertriebene Schilderung. Unter den Stämmen Abd-El-Kaders waren die französischen Ueberläufer und die andern Europäer, welche Neugierde und Abenteuerlust ins Innere führte, etwas weniger unglücklich, als in Constantine, doch immer elend genug, um ihre Unbesonnenheit zu verwünschen. Die Illusion jener, welche das Araberleben nur von ferne sahen und von dem Glücke träumten, das ein freies ungebundenes Leben in der Wildniß bieten müsse, überlegten nicht, daß man erst ganz zum Araber geworden seyn müsse, ehe man an dessen Lebensgenüssen Gefallen finden könne. Sie bedachten nicht, daß man auch den inbrünstigen Glauben des Beduinen, seine glühende Ahnung künftiger Himmelsfreuden haben müsse, um am Gebet im Abendroth Genuß und nicht Langweile zu finden, daß seine eingewurzelte Freiheitsliebe nöthig ist, um in dem freien Leben einen Ersatz für alle geistigen und körperlichen Freuden und Zerstreuungen Europa's

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[0283/0010] dem der Kummer über diesen Schritt seines einzigen Sohnes fast das Herz brach. Als im Januar 1838 der Consul Garavini in Begleitung mehrerer Europäer, worunter die HH. Berbrugger und Bodichon, den Emir in seinem Lager zu Hamza besuchte, bat der alte Roches die Reisenden dringend, sie möchten den Fürsten der Araber bewegen, ihm sein Kind zurückzugeben. Abd-El-Kader war damals vortrefflicher Laune: er hatte seine Eroberungen bis in die Wüste ausgedehnt und überall, sogar bei den Kabylen des Dschurschura war seine Herrschaft anerkannt und der Tribut ohne Widerstreben entrichtet worden. Der Emir nahm die Reisenden gastfreundlich auf und beschenkte sie reichlich. Er versprach Hrn. Berbrugger, der das Innere bereisen und bis zum Kobla vordringen wollte, um die dortigen noch nie beschriebenen Ruinen zu untersuchen, allen Schutz und Vorschub. Einer der Reisenden brachte dem Emir schöne Grüße von dem alten provençalischen Schiffscapitän Jonas, auf dessen Fahrzeug jener als Knabe mit seinem Vater Sidi-Mahiddin die Wallfahrtsreise nach Mekka angetreten hatte. Abd-El-Kaders Augen leuchteten und sein bleiches Gesicht gewann einen noch schwärmerischeren Ausdruck bei der Erinnerung jenes Erlebnisses seiner Jugend, das auf seine Geistesrichtung und sein späteres Schicksal so bedeutenden Einfluß hatte. Als die Reisenden den Emir in so günstiger Stimmung sahen, brachten sie endlich das Gesuch des alten Roches vor. Die Miene des Emirs verfinsterte sich aber schnell und mit heftiger Stimme rief er: „Muhal! Muhal!“ (Unmöglich!). Dann sich fassend sagte er: „Sidi-Omar (der Name des jungen Renegaten bei den Arabern) ist freiwillig zu mir gekommen. Er ist kein Kind mehr, das nicht wüßte, was es thue. Was ihr mir von dem Gram seines Vaters sagt, thut mir leid, aber überlegt selbst: soll ich Muselmann einem andern Muselmann befehlen: kehre zu den Ungläubigen zurück? Muhal!“ Dabei hatte es sein Bewenden. Die Reisenden nahmen von Abd-El-Kader, dem es Mühe kostete, wieder freundlich zu werden, Abschied, und brachten dem gebeugten Vater den Bescheid des Emirs. Léon Roches war einer der wenigen Renegaten, die unter den Arabern zu Ansehn gelangten und eine ziemlich bedeutende Rolle spielten. Er besaß eine ausgezeichnete körperliche Schönheit, eine Eigenschaft, die noch von keinem gering geschätzt wurde, ausgenommen vielleicht von solchen, denen sie versagt ist. Bei keinem Volk ist sie empfehlender als bei den Arabern. Abd-El-Kader ließ ihn im Schreiben des Arabischen unterrichten und lehrte ihn selbst den Koran, den der junge Sidi-Omar, durch ein seltenes Gedächtniß unterstützt, großentheils auswendig lernte. Der Emir machte ihn zu seinem Kodscha (Geheimsecretär) und suchte sich durch ihn über die europäischen Angelegenheiten, namentlich über die Politik und die Zustände Frankreichs Kenntniß zu verschaffen. Auf Sidi-Omars Rath abonnirte sich Abd-El-Kader auf einige Pariser Journale. Wahrscheinlich wurde auch die Mission Ben-Arasch's nach Paris, dessen Benehmen während der Reise, die Almosen, die er in Toulon, Lyon, Paris an die Armen spendete, die Geschenke an den König, seine Familie, die Minister, durch den jungen Renegaten anempfohlen. Im Junius 1838 begleitete letzterer den abenteuerlichen Zug Abd-El-Kaders nach der Sahara gegen den Herrscher von Aïn-Maadi; er soll die acht Monat lange Belagerung dieser Stadt geleitet haben. Seitdem erfuhr man nichts Sicheres mehr über ihn. Lange glaubte man an das Gerücht, Abd-El-Kader habe ihm den Kopf abschlagen lassen, bis die Ankunft Léon Roches' in Oran jene Sage Lügen strafte. Der merkwürdige junge Mann, der während seines fast dreijährigen Aufenthalts unter den Beduinen, als fast beständiger Begleiter Abd-El-Kaders, viel erlebt und erfahren haben mag, reiste im vergangenen November nach Algier ab, wo der Marschall Valée ihn freundlich empfing und die Freude ihm beschieden war, seinen alten Vater noch am Leben zu treffen. Aus den mündlichen Erzählungen der Schicksale und Beobachtungen jenes Abenteurers ist bis jetzt noch sehr wenig in französische Journale übergegangen. Man erfuhr nur, daß er sich in letzter Zeit zu Tekedemt aufgehalten habe, von wo er unter dem Vorwand, Abd-El-Kader entgegenzureiten, sich entfernte, und nach vielen Gefahren mit seinem Diener Oran erreichte. Der Beweggrund, der ihn zunächst veranlaßte, den Emir zu verlassen, soll der Neid, die Verfolgung der übrigen Häuptlinge und Marabuts gewesen seyn, welche, mißgünstig über das Vertrauen, das Abd-El-Kader diesem Fremdling schenkte, nicht müde wurden, ihn bei ihrem Gebieter anzuschwärzen. Mehrmals sollen sie versucht haben, ihn durch Meuchelmord aus dem Wege zu räumen. Diese Angabe scheint um so glaubwürdiger, als auch alle übrigen zurückgekehrten Renegaten, die eine weit untergeordnetere Stellung hatten, über den Neid und das Mißtrauen der Araber klagten. Außer Léon Roches sind dem Schreiber dieses nur drei Renegaten bekannt, die bei den Arabern zu einigem Ansehen gelangten. Der erste war der Franzose Moncel, ein Deserteur der Spahis, der zu den Hadschuten flüchtete, und durch seine Rohheit und schändlichen Gräuel unter dem berüchtigtsten Räuberstamme sich eine gewisse Celebrität erwarb. Er ermordete seinen früheren Lieutenant in einem Hinterhalt mit eigener Hand und schrieb auf dessen nackte Leiche mit seinem Dolch: Moncel 1836. Ein Jahr später wurde er von den Franzosen gefangen, vor ein Kriegsgericht gestellt und erschossen. Ein anderer Renegat, dem es gelang, sich aufzuschwingen, war der Deutsche Geistinger, ein Deserteur der Fremdenlegion, welcher Exerciermeister der regulären Infanterie des Emirs wurde, und diesem wesentliche Dienste leistete. Er war ein wilder, rauher Mensch. Nach harten Schicksalen und mehreren Jahren des Heimwehs gewöhnte er sich an das arabische Leben, und steht wohl noch in den Diensten Abd-El-Kaders. Der dritte, wohl der merkwürdigste von allen, war der Franzose Baudouin, von dessen Schicksalen in der Allgem. Ztg. seiner Zeit gesprochen wurde, und der jetzt spurlos verschwunden zu seyn scheint. Allen übrigen Renegaten ging es im Innern höchst traurig, und viele Deserteurs schreckte selbst die Gewißheit, erschossen zu werden, von der Rückkehr zu ihren Landsleuten nicht ab. Wie es den Renegaten in Constantine bei dem grausamen Achmet Bey ging, darüber gibt die kürzlich erschienene Broschüre Wendelin Schlosser's, der bei dem Bey als Kanonier diente, eine entsetzliche und wohl kaum übertriebene Schilderung. Unter den Stämmen Abd-El-Kaders waren die französischen Ueberläufer und die andern Europäer, welche Neugierde und Abenteuerlust ins Innere führte, etwas weniger unglücklich, als in Constantine, doch immer elend genug, um ihre Unbesonnenheit zu verwünschen. Die Illusion jener, welche das Araberleben nur von ferne sahen und von dem Glücke träumten, das ein freies ungebundenes Leben in der Wildniß bieten müsse, überlegten nicht, daß man erst ganz zum Araber geworden seyn müsse, ehe man an dessen Lebensgenüssen Gefallen finden könne. Sie bedachten nicht, daß man auch den inbrünstigen Glauben des Beduinen, seine glühende Ahnung künftiger Himmelsfreuden haben müsse, um am Gebet im Abendroth Genuß und nicht Langweile zu finden, daß seine eingewurzelte Freiheitsliebe nöthig ist, um in dem freien Leben einen Ersatz für alle geistigen und körperlichen Freuden und Zerstreuungen Europa's

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 36. Augsburg, 5. Februar 1840, S. 0283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_036_18400205/10>, abgerufen am 22.11.2024.