Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 20. Augsburg, 20. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten.

(Fortsetzung.)

Niebuhr war seit zwei Jahren in Kiel. Noch hatte er sich für keinen Beruf förmlich entschieden. Die ursprüngliche Reiselust hemmte der Vater, so angenehm es ihm gewesen wäre, wenn der Sohn ihm in Durchforschung unbekannter Länder nachgeeifert hätte. Carsten hatte unausgeführte Plane, er behauptete, daß man auf dem nachmals von den Landers eingeschlagenen Weg ins Binnenland von Afrika müsse eindringen können. Da Bartholds Gesundheit in der feuchten Marschluft von Dithmarschen etwas schwächlich geworden war, so hätte er ihm lieber eine diplomatische Laufbahn eröffnet, die ja auch das Vergnügen gewähren konnte, sich in der Welt umzusehen, wenigstens in Europa 1)1). Während der Sohn sich selbst fragte, wozu ihn die Natur bestimmt habe und sich die Antwort gab, daß, wenn sein Name genannt werden sollte, man ihn, vorausgesetzt, daß seine individuelle Neigung obsiege, als Geschichtschreiber und politischen Schriftsteller, als Alterthumsforscher und Philologen kennen werde 2)2), ließ ihm der dänische Finanzminister Graf Schimmelmann die Stelle eines Privatsecretärs anbieten. So weithin ging schon von ihm der Ruf eines ausgezeichneten jungen Mannes. Die Unterbrechung seiner Studien that ihm leid; andrerseits aber hatte es ihn auf der Universität oft verdrossen, daß so viele Stunden durch die Vorlesungen zerrissen werden; er dachte an Wieland, der bloß ein halbes Jahr Vorlesungen besuchte und während derselben Verse machte, an Klopstock, der keine besuchte, an Lessing, dem sie schadeten, und war der Meinung, man sollte die fähigeren Jünglinge überhaupt nach Einreichung einer streng zu prüfenden Abhandlung im zwanzigsten Jahr vom akademischen Zwang befreien, und nur die andern in klösterlicher Zucht halten 3)3). Die Summe seiner Kenntnisse war so außerordentlich, daß er einmal die Grille hatte, die Verstärkung des Gedächtnisses schade der Urtheilskraft, und es eingehen lassen wollte 4)4). Sein Vater, Jacobi, Stolberg glaubten, daß man ihn ohne Gefahr der Selbstleitung überlassen dürfe, daß er die Stelle annehmen solle. Im Frühjahr 1796 begab sich Niebuhr nach Kopenhagen. Fast hätte er diesen Schritt wie gethan so wieder bereut. Eine reizend gelegene Seestadt, belebt durch einen Zusammenfluß von Fremden aus allen Himmelsgegenden, blühend in Handel und Schifffahrt, Schimmelmanns Haus der Mittelpunkt der großen Welt, interessante Bekanntschaften, die Gelegenheit eine Menge Nachrichten über außereuropäische Länder einzuziehen, die er seinem Vater regelmäßig mittheilte, der Graf ein Mann, der ihn mit Beweisen von Wohlwollen und Achtung überhäufte, die er mit liebevoller Anhänglichkeit erwiederte - das war die schöne Seite des Gemäldes 5)5); die Kehrseite war nicht etwa ein Ueberladenseyn mit Geschäften - die waren im Ganzen kinderleicht 6)6), und hatten dabei das Anziehende, daß der Minister die wichtigsten Staatssachen mit seinem Secretär vertraut zu besprechen pflegte, daß er ihm hie und da auch eine wichtigere Arbeit übertrug oder über einen Plan, den er vorhatte - so die Gründung eines officiellen Journals zum Behuf der Publicität in der Verwaltung - dessen Urtheil verlangte; aber er war nicht gesonnen all seine Muße der Langweile der großen Gesellschaften zu opfern, und die Gräfin, eine kränkliche verwöhnte Dame, die gern einen geistreichen Cirkel um sich versammelt hielt, nahm es übel und plagte ihn mit Spötteleien, wenn er sich ihr nicht täglich widmete. Als er jedoch nach einem Jahr die Stelle bei Schimmelmann mit der eher zusagenden eines Secretärs an der Bibliothek vertauschte, wozu Graf Peter Andreas Bernstorff verhalf, wurde er aus einem Hausgenossen ein willkommener Hausfreund, das Verhältniß zu seinem alten Gönner wurde durch die Trennung nicht getrübt. Seine Studien nahmen jetzt wieder ihren ungestörten Gang. Das Amt trug keine Besoldung, und von dem Bücheraufräumen in den kalten Sälen empfand er bald nachtheiligen Einfluß auf seine Gesundheit; es kostete ihm aber auch wenig Zeit, und gestattete den freien Gebrauch aller litterarischen Mittel. Was er erzielte, war ein Lehrstuhl in Kiel. Diese Bestimmung verstand er im idealsten Sinn. Die alte Litteratur und Geschichte in ihrem ganzen Umfang wollte er sich zu eigen machen: die Geschichte auf ihrer vernünftigen und wissenschaftlichen Basis, der Astronomie, der mathematischen und physikalischen Geographie - die Philologie mit einer vollkommenen Kenntniß der classischen Sprachen, ihrer Entstehung, ihren Veränderungen und ihrer Architektonik, wie man sie aus keiner Grammatik lernt, die er sich deßhalb selbst zu schaffen vornahm, mit einer Fertigkeit im Schreiben und Sprechen, wie man sie sonst bloß in den unendlich leichtern neuen Sprachen erlangt - mit der systematischen Philosophie endlich als dem Grundpfeiler alles Wissens und alles Denkens. Ehe er, wie Milton, alle Reste des Alterthums mindestens einmal, die bedeutenderen mehrmals mit angestrengter Aufmerksamkeit durchforscht hätte - wenn er früher den Katheder besteigen wollte, käme er sich vor wie ein Einäugiger unter Blinden 7)7). Und das war ihm noch nicht genug. Während er in den Alten lebte, an der römischen Geschichte arbeitete, nebenbei aus Auftrag der Regierung eine griechische Chrestomathie für die obern Classen auszog und commentirte, oder seiner "Male", die nunmehr seine Braut wurde, die Schönheiten des Aeschylus erklärte, trieb er mit Souza, dem portugiesischen Gesandten, an den ihn eine zärtliche Freundschaft fesselte, Portugiesisch, unter Leitung des österreichischen Gesandten, Grafen Ludolf, Persisch und Arabisch 8)8).

Aussichten zu definitiver Anstellung zerschlugen sich wieder. Schimmelmann hatte ihm das Generalconsulat in Paris zugedacht: es war eine Stelle bloß auf Dauer des Kriegs; sie hätte ihn also nicht zu lange seinen Studien entfremdet, des Geschäfts wäre nicht mehr gewesen als auf der Bibliothek, und wenn der plötzliche Uebertritt in eine so große und bewegte Scene auch sein Bedenkliches hatte, so waren doch der zu hoffende Gewinn an Erfahrung und Weltkenntniß, die seltenen gelehrten Schätze des neuen Roms, der Ruf von Männern wie de Sacy, Laharpe, Fourcroy, Carnot ein zu mächtiger Magnet, und überdieß bekam der Generalconsul wahrscheinlich amtlichen Anlaß zu Bereisung der französischen

1) Bd. 1, S. 26 f.
2) Briefe aus Kiel von 1794, Bd. 1, S. 51.
3) A. a. O. S. 55.
4) A. a. O. S. 67.
5) Bd. 1, S. 71 f.
6) Briefe aus Kopenhagen von 1796, Bd. 1, S. 86-89.
7) Briefe aus Kopenhagen von 1797, Bd. 1, S. 100, 119, 120. Tagebuch von demselben Jahr, S. 155.
8) A. a. O. S. 115, 120, 121, 158-160.
Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten.

(Fortsetzung.)

Niebuhr war seit zwei Jahren in Kiel. Noch hatte er sich für keinen Beruf förmlich entschieden. Die ursprüngliche Reiselust hemmte der Vater, so angenehm es ihm gewesen wäre, wenn der Sohn ihm in Durchforschung unbekannter Länder nachgeeifert hätte. Carsten hatte unausgeführte Plane, er behauptete, daß man auf dem nachmals von den Landers eingeschlagenen Weg ins Binnenland von Afrika müsse eindringen können. Da Bartholds Gesundheit in der feuchten Marschluft von Dithmarschen etwas schwächlich geworden war, so hätte er ihm lieber eine diplomatische Laufbahn eröffnet, die ja auch das Vergnügen gewähren konnte, sich in der Welt umzusehen, wenigstens in Europa 1)1). Während der Sohn sich selbst fragte, wozu ihn die Natur bestimmt habe und sich die Antwort gab, daß, wenn sein Name genannt werden sollte, man ihn, vorausgesetzt, daß seine individuelle Neigung obsiege, als Geschichtschreiber und politischen Schriftsteller, als Alterthumsforscher und Philologen kennen werde 2)2), ließ ihm der dänische Finanzminister Graf Schimmelmann die Stelle eines Privatsecretärs anbieten. So weithin ging schon von ihm der Ruf eines ausgezeichneten jungen Mannes. Die Unterbrechung seiner Studien that ihm leid; andrerseits aber hatte es ihn auf der Universität oft verdrossen, daß so viele Stunden durch die Vorlesungen zerrissen werden; er dachte an Wieland, der bloß ein halbes Jahr Vorlesungen besuchte und während derselben Verse machte, an Klopstock, der keine besuchte, an Lessing, dem sie schadeten, und war der Meinung, man sollte die fähigeren Jünglinge überhaupt nach Einreichung einer streng zu prüfenden Abhandlung im zwanzigsten Jahr vom akademischen Zwang befreien, und nur die andern in klösterlicher Zucht halten 3)3). Die Summe seiner Kenntnisse war so außerordentlich, daß er einmal die Grille hatte, die Verstärkung des Gedächtnisses schade der Urtheilskraft, und es eingehen lassen wollte 4)4). Sein Vater, Jacobi, Stolberg glaubten, daß man ihn ohne Gefahr der Selbstleitung überlassen dürfe, daß er die Stelle annehmen solle. Im Frühjahr 1796 begab sich Niebuhr nach Kopenhagen. Fast hätte er diesen Schritt wie gethan so wieder bereut. Eine reizend gelegene Seestadt, belebt durch einen Zusammenfluß von Fremden aus allen Himmelsgegenden, blühend in Handel und Schifffahrt, Schimmelmanns Haus der Mittelpunkt der großen Welt, interessante Bekanntschaften, die Gelegenheit eine Menge Nachrichten über außereuropäische Länder einzuziehen, die er seinem Vater regelmäßig mittheilte, der Graf ein Mann, der ihn mit Beweisen von Wohlwollen und Achtung überhäufte, die er mit liebevoller Anhänglichkeit erwiederte – das war die schöne Seite des Gemäldes 5)5); die Kehrseite war nicht etwa ein Ueberladenseyn mit Geschäften – die waren im Ganzen kinderleicht 6)6), und hatten dabei das Anziehende, daß der Minister die wichtigsten Staatssachen mit seinem Secretär vertraut zu besprechen pflegte, daß er ihm hie und da auch eine wichtigere Arbeit übertrug oder über einen Plan, den er vorhatte – so die Gründung eines officiellen Journals zum Behuf der Publicität in der Verwaltung – dessen Urtheil verlangte; aber er war nicht gesonnen all seine Muße der Langweile der großen Gesellschaften zu opfern, und die Gräfin, eine kränkliche verwöhnte Dame, die gern einen geistreichen Cirkel um sich versammelt hielt, nahm es übel und plagte ihn mit Spötteleien, wenn er sich ihr nicht täglich widmete. Als er jedoch nach einem Jahr die Stelle bei Schimmelmann mit der eher zusagenden eines Secretärs an der Bibliothek vertauschte, wozu Graf Peter Andreas Bernstorff verhalf, wurde er aus einem Hausgenossen ein willkommener Hausfreund, das Verhältniß zu seinem alten Gönner wurde durch die Trennung nicht getrübt. Seine Studien nahmen jetzt wieder ihren ungestörten Gang. Das Amt trug keine Besoldung, und von dem Bücheraufräumen in den kalten Sälen empfand er bald nachtheiligen Einfluß auf seine Gesundheit; es kostete ihm aber auch wenig Zeit, und gestattete den freien Gebrauch aller litterarischen Mittel. Was er erzielte, war ein Lehrstuhl in Kiel. Diese Bestimmung verstand er im idealsten Sinn. Die alte Litteratur und Geschichte in ihrem ganzen Umfang wollte er sich zu eigen machen: die Geschichte auf ihrer vernünftigen und wissenschaftlichen Basis, der Astronomie, der mathematischen und physikalischen Geographie – die Philologie mit einer vollkommenen Kenntniß der classischen Sprachen, ihrer Entstehung, ihren Veränderungen und ihrer Architektonik, wie man sie aus keiner Grammatik lernt, die er sich deßhalb selbst zu schaffen vornahm, mit einer Fertigkeit im Schreiben und Sprechen, wie man sie sonst bloß in den unendlich leichtern neuen Sprachen erlangt – mit der systematischen Philosophie endlich als dem Grundpfeiler alles Wissens und alles Denkens. Ehe er, wie Milton, alle Reste des Alterthums mindestens einmal, die bedeutenderen mehrmals mit angestrengter Aufmerksamkeit durchforscht hätte – wenn er früher den Katheder besteigen wollte, käme er sich vor wie ein Einäugiger unter Blinden 7)7). Und das war ihm noch nicht genug. Während er in den Alten lebte, an der römischen Geschichte arbeitete, nebenbei aus Auftrag der Regierung eine griechische Chrestomathie für die obern Classen auszog und commentirte, oder seiner „Male“, die nunmehr seine Braut wurde, die Schönheiten des Aeschylus erklärte, trieb er mit Souza, dem portugiesischen Gesandten, an den ihn eine zärtliche Freundschaft fesselte, Portugiesisch, unter Leitung des österreichischen Gesandten, Grafen Ludolf, Persisch und Arabisch 8)8).

Aussichten zu definitiver Anstellung zerschlugen sich wieder. Schimmelmann hatte ihm das Generalconsulat in Paris zugedacht: es war eine Stelle bloß auf Dauer des Kriegs; sie hätte ihn also nicht zu lange seinen Studien entfremdet, des Geschäfts wäre nicht mehr gewesen als auf der Bibliothek, und wenn der plötzliche Uebertritt in eine so große und bewegte Scene auch sein Bedenkliches hatte, so waren doch der zu hoffende Gewinn an Erfahrung und Weltkenntniß, die seltenen gelehrten Schätze des neuen Roms, der Ruf von Männern wie de Sacy, Laharpe, Fourcroy, Carnot ein zu mächtiger Magnet, und überdieß bekam der Generalconsul wahrscheinlich amtlichen Anlaß zu Bereisung der französischen

1) Bd. 1, S. 26 f.
2) Briefe aus Kiel von 1794, Bd. 1, S. 51.
3) A. a. O. S. 55.
4) A. a. O. S. 67.
5) Bd. 1, S. 71 f.
6) Briefe aus Kopenhagen von 1796, Bd. 1, S. 86-89.
7) Briefe aus Kopenhagen von 1797, Bd. 1, S. 100, 119, 120. Tagebuch von demselben Jahr, S. 155.
8) A. a. O. S. 115, 120, 121, 158-160.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0009" n="0153"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten</hi>.</hi> </head><lb/>
        <p>(Fortsetzung.)</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Niebuhr</hi> war seit zwei Jahren in <hi rendition="#g">Kiel</hi>. Noch hatte er sich für keinen Beruf förmlich entschieden. Die ursprüngliche Reiselust hemmte der Vater, so angenehm es ihm gewesen wäre, wenn der Sohn ihm in Durchforschung unbekannter Länder nachgeeifert hätte. <hi rendition="#g">Carsten</hi> hatte unausgeführte Plane, er behauptete, daß man auf dem nachmals von den <hi rendition="#g">Landers</hi> eingeschlagenen Weg ins Binnenland von <hi rendition="#g">Afrika</hi> müsse eindringen können. Da <hi rendition="#g">Bartholds</hi> Gesundheit in der feuchten Marschluft von <hi rendition="#g">Dithmarschen</hi> etwas schwächlich geworden war, so hätte er ihm lieber eine diplomatische Laufbahn eröffnet, die ja auch das Vergnügen gewähren konnte, sich in der Welt umzusehen, wenigstens in Europa <hi rendition="#sup">1)</hi><note place="foot" n="1)"> Bd. 1, S. 26 f.</note>. Während der Sohn sich selbst fragte, wozu ihn die Natur bestimmt habe und sich die Antwort gab, daß, wenn sein Name genannt werden sollte, man ihn, vorausgesetzt, daß seine individuelle Neigung obsiege, als Geschichtschreiber und politischen Schriftsteller, als Alterthumsforscher und Philologen kennen werde <hi rendition="#sup">2)</hi><note place="foot" n="2)"> Briefe aus <hi rendition="#g">Kiel</hi> von 1794, Bd. 1, S. 51.</note>, ließ ihm der dänische Finanzminister Graf <hi rendition="#g">Schimmelmann</hi> die Stelle eines Privatsecretärs anbieten. So weithin ging schon von ihm der Ruf eines ausgezeichneten jungen Mannes. Die Unterbrechung seiner Studien that ihm leid; andrerseits aber hatte es ihn auf der Universität oft verdrossen, daß so viele Stunden durch die Vorlesungen zerrissen werden; er dachte an <hi rendition="#g">Wieland</hi>, der bloß ein halbes Jahr Vorlesungen besuchte und während derselben Verse machte, an <hi rendition="#g">Klopstock</hi>, der keine besuchte, an <hi rendition="#g">Lessing</hi>, dem sie schadeten, und war der Meinung, man sollte die fähigeren Jünglinge überhaupt nach Einreichung einer streng zu prüfenden Abhandlung im zwanzigsten Jahr vom akademischen Zwang befreien, und nur die andern in klösterlicher Zucht halten <hi rendition="#sup">3)</hi><note place="foot" n="3)"> A. a. O. S. 55.</note>. Die Summe seiner Kenntnisse war so außerordentlich, daß er einmal die Grille hatte, die Verstärkung des Gedächtnisses schade der Urtheilskraft, und es eingehen lassen wollte <hi rendition="#sup">4)</hi><note place="foot" n="4)"> A. a. O. S. 67.</note>. Sein Vater, <hi rendition="#g">Jacobi</hi>, <hi rendition="#g">Stolberg</hi> glaubten, daß man ihn ohne Gefahr der Selbstleitung überlassen dürfe, daß er die Stelle annehmen solle. Im Frühjahr 1796 begab sich Niebuhr nach <hi rendition="#g">Kopenhagen</hi>. Fast hätte er diesen Schritt wie gethan so wieder bereut. Eine reizend gelegene Seestadt, belebt durch einen Zusammenfluß von Fremden aus allen Himmelsgegenden, blühend in Handel und Schifffahrt, Schimmelmanns Haus der Mittelpunkt der großen Welt, interessante Bekanntschaften, die Gelegenheit eine Menge Nachrichten über außereuropäische Länder einzuziehen, die er seinem Vater regelmäßig mittheilte, der Graf ein Mann, der ihn mit Beweisen von Wohlwollen und Achtung überhäufte, die er mit liebevoller Anhänglichkeit erwiederte &#x2013; das war die schöne Seite des Gemäldes <hi rendition="#sup">5)</hi><note place="foot" n="5)"> Bd. 1, S. 71 f.</note>; die Kehrseite war nicht etwa ein Ueberladenseyn mit Geschäften &#x2013; die waren im Ganzen kinderleicht <hi rendition="#sup">6)</hi><note place="foot" n="6)"> Briefe aus <hi rendition="#g">Kopenhagen</hi> von 1796, Bd. 1, S. 86-89.</note>, und hatten dabei das Anziehende, daß der Minister die wichtigsten Staatssachen mit seinem Secretär vertraut zu besprechen pflegte, daß er ihm hie und da auch eine wichtigere Arbeit übertrug oder über einen Plan, den er vorhatte &#x2013; so die Gründung eines officiellen Journals zum Behuf der Publicität in der Verwaltung &#x2013; dessen Urtheil verlangte; aber er war nicht gesonnen all seine Muße der Langweile der großen Gesellschaften zu opfern, und die Gräfin, eine kränkliche verwöhnte Dame, die gern einen geistreichen Cirkel um sich versammelt hielt, nahm es übel und plagte ihn mit Spötteleien, wenn er sich ihr nicht täglich widmete. Als er jedoch nach einem Jahr die Stelle bei Schimmelmann mit der eher zusagenden eines Secretärs an der Bibliothek vertauschte, wozu Graf Peter Andreas <hi rendition="#g">Bernstorff</hi> verhalf, wurde er aus einem Hausgenossen ein willkommener Hausfreund, das Verhältniß zu seinem alten Gönner wurde durch die Trennung nicht getrübt. Seine Studien nahmen jetzt wieder ihren ungestörten Gang. Das Amt trug keine Besoldung, und von dem Bücheraufräumen in den kalten Sälen empfand er bald nachtheiligen Einfluß auf seine Gesundheit; es kostete ihm aber auch wenig Zeit, und gestattete den freien Gebrauch aller litterarischen Mittel. Was er erzielte, war ein Lehrstuhl in <hi rendition="#g">Kiel</hi>. Diese Bestimmung verstand er im idealsten Sinn. Die alte Litteratur und Geschichte in ihrem ganzen Umfang wollte er sich zu eigen machen: die Geschichte auf ihrer vernünftigen und wissenschaftlichen Basis, der Astronomie, der mathematischen und physikalischen Geographie &#x2013; die Philologie mit einer vollkommenen Kenntniß der classischen Sprachen, ihrer Entstehung, ihren Veränderungen und ihrer Architektonik, wie man sie aus keiner Grammatik lernt, die er sich deßhalb selbst zu schaffen vornahm, mit einer Fertigkeit im Schreiben und Sprechen, wie man sie sonst bloß in den unendlich leichtern neuen Sprachen erlangt &#x2013; mit der systematischen Philosophie endlich als dem Grundpfeiler alles Wissens und alles Denkens. Ehe er, wie <hi rendition="#g">Milton</hi>, alle Reste des Alterthums mindestens einmal, die bedeutenderen mehrmals mit angestrengter Aufmerksamkeit durchforscht hätte &#x2013; wenn er früher den Katheder besteigen wollte, käme er sich vor wie ein Einäugiger unter Blinden <hi rendition="#sup">7)</hi><note place="foot" n="7)"> Briefe aus <hi rendition="#g">Kopenhagen</hi> von 1797, Bd. 1, S. 100, 119, 120. <hi rendition="#g">Tagebuch</hi> von demselben Jahr, S. 155.</note>. Und das war ihm noch nicht genug. Während er in den Alten lebte, an der römischen Geschichte arbeitete, nebenbei aus Auftrag der Regierung eine griechische Chrestomathie für die obern Classen auszog und commentirte, oder seiner &#x201E;<hi rendition="#g">Male</hi>&#x201C;, die nunmehr seine Braut wurde, die Schönheiten des Aeschylus erklärte, trieb er mit <hi rendition="#g">Souza</hi>, dem portugiesischen Gesandten, an den ihn eine zärtliche Freundschaft fesselte, <hi rendition="#g">Portugiesisch</hi>, unter Leitung des österreichischen Gesandten, Grafen <hi rendition="#g">Ludolf</hi>, <hi rendition="#g">Persisch</hi> und <hi rendition="#g">Arabisch</hi> <hi rendition="#sup">8)</hi><note place="foot" n="8)"> A. a. O. S. 115, 120, 121, 158-160.</note>.</p><lb/>
        <p>Aussichten zu definitiver Anstellung zerschlugen sich wieder. Schimmelmann hatte ihm das <hi rendition="#g">Generalconsulat in Paris</hi> zugedacht: es war eine Stelle bloß auf Dauer des Kriegs; sie hätte ihn also nicht zu lange seinen Studien entfremdet, des Geschäfts wäre nicht mehr gewesen als auf der Bibliothek, und wenn der plötzliche Uebertritt in eine so große und bewegte Scene auch sein Bedenkliches hatte, so waren doch der zu hoffende Gewinn an Erfahrung und Weltkenntniß, die seltenen gelehrten Schätze des neuen Roms, der Ruf von Männern wie <hi rendition="#g">de Sacy</hi>, <hi rendition="#g">Laharpe</hi>, <hi rendition="#g">Fourcroy</hi>, <hi rendition="#g">Carnot</hi> ein zu mächtiger Magnet, und überdieß bekam der Generalconsul wahrscheinlich amtlichen Anlaß zu Bereisung der französischen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0153/0009] Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten. (Fortsetzung.) Niebuhr war seit zwei Jahren in Kiel. Noch hatte er sich für keinen Beruf förmlich entschieden. Die ursprüngliche Reiselust hemmte der Vater, so angenehm es ihm gewesen wäre, wenn der Sohn ihm in Durchforschung unbekannter Länder nachgeeifert hätte. Carsten hatte unausgeführte Plane, er behauptete, daß man auf dem nachmals von den Landers eingeschlagenen Weg ins Binnenland von Afrika müsse eindringen können. Da Bartholds Gesundheit in der feuchten Marschluft von Dithmarschen etwas schwächlich geworden war, so hätte er ihm lieber eine diplomatische Laufbahn eröffnet, die ja auch das Vergnügen gewähren konnte, sich in der Welt umzusehen, wenigstens in Europa 1) 1). Während der Sohn sich selbst fragte, wozu ihn die Natur bestimmt habe und sich die Antwort gab, daß, wenn sein Name genannt werden sollte, man ihn, vorausgesetzt, daß seine individuelle Neigung obsiege, als Geschichtschreiber und politischen Schriftsteller, als Alterthumsforscher und Philologen kennen werde 2) 2), ließ ihm der dänische Finanzminister Graf Schimmelmann die Stelle eines Privatsecretärs anbieten. So weithin ging schon von ihm der Ruf eines ausgezeichneten jungen Mannes. Die Unterbrechung seiner Studien that ihm leid; andrerseits aber hatte es ihn auf der Universität oft verdrossen, daß so viele Stunden durch die Vorlesungen zerrissen werden; er dachte an Wieland, der bloß ein halbes Jahr Vorlesungen besuchte und während derselben Verse machte, an Klopstock, der keine besuchte, an Lessing, dem sie schadeten, und war der Meinung, man sollte die fähigeren Jünglinge überhaupt nach Einreichung einer streng zu prüfenden Abhandlung im zwanzigsten Jahr vom akademischen Zwang befreien, und nur die andern in klösterlicher Zucht halten 3) 3). Die Summe seiner Kenntnisse war so außerordentlich, daß er einmal die Grille hatte, die Verstärkung des Gedächtnisses schade der Urtheilskraft, und es eingehen lassen wollte 4) 4). Sein Vater, Jacobi, Stolberg glaubten, daß man ihn ohne Gefahr der Selbstleitung überlassen dürfe, daß er die Stelle annehmen solle. Im Frühjahr 1796 begab sich Niebuhr nach Kopenhagen. Fast hätte er diesen Schritt wie gethan so wieder bereut. Eine reizend gelegene Seestadt, belebt durch einen Zusammenfluß von Fremden aus allen Himmelsgegenden, blühend in Handel und Schifffahrt, Schimmelmanns Haus der Mittelpunkt der großen Welt, interessante Bekanntschaften, die Gelegenheit eine Menge Nachrichten über außereuropäische Länder einzuziehen, die er seinem Vater regelmäßig mittheilte, der Graf ein Mann, der ihn mit Beweisen von Wohlwollen und Achtung überhäufte, die er mit liebevoller Anhänglichkeit erwiederte – das war die schöne Seite des Gemäldes 5) 5); die Kehrseite war nicht etwa ein Ueberladenseyn mit Geschäften – die waren im Ganzen kinderleicht 6) 6), und hatten dabei das Anziehende, daß der Minister die wichtigsten Staatssachen mit seinem Secretär vertraut zu besprechen pflegte, daß er ihm hie und da auch eine wichtigere Arbeit übertrug oder über einen Plan, den er vorhatte – so die Gründung eines officiellen Journals zum Behuf der Publicität in der Verwaltung – dessen Urtheil verlangte; aber er war nicht gesonnen all seine Muße der Langweile der großen Gesellschaften zu opfern, und die Gräfin, eine kränkliche verwöhnte Dame, die gern einen geistreichen Cirkel um sich versammelt hielt, nahm es übel und plagte ihn mit Spötteleien, wenn er sich ihr nicht täglich widmete. Als er jedoch nach einem Jahr die Stelle bei Schimmelmann mit der eher zusagenden eines Secretärs an der Bibliothek vertauschte, wozu Graf Peter Andreas Bernstorff verhalf, wurde er aus einem Hausgenossen ein willkommener Hausfreund, das Verhältniß zu seinem alten Gönner wurde durch die Trennung nicht getrübt. Seine Studien nahmen jetzt wieder ihren ungestörten Gang. Das Amt trug keine Besoldung, und von dem Bücheraufräumen in den kalten Sälen empfand er bald nachtheiligen Einfluß auf seine Gesundheit; es kostete ihm aber auch wenig Zeit, und gestattete den freien Gebrauch aller litterarischen Mittel. Was er erzielte, war ein Lehrstuhl in Kiel. Diese Bestimmung verstand er im idealsten Sinn. Die alte Litteratur und Geschichte in ihrem ganzen Umfang wollte er sich zu eigen machen: die Geschichte auf ihrer vernünftigen und wissenschaftlichen Basis, der Astronomie, der mathematischen und physikalischen Geographie – die Philologie mit einer vollkommenen Kenntniß der classischen Sprachen, ihrer Entstehung, ihren Veränderungen und ihrer Architektonik, wie man sie aus keiner Grammatik lernt, die er sich deßhalb selbst zu schaffen vornahm, mit einer Fertigkeit im Schreiben und Sprechen, wie man sie sonst bloß in den unendlich leichtern neuen Sprachen erlangt – mit der systematischen Philosophie endlich als dem Grundpfeiler alles Wissens und alles Denkens. Ehe er, wie Milton, alle Reste des Alterthums mindestens einmal, die bedeutenderen mehrmals mit angestrengter Aufmerksamkeit durchforscht hätte – wenn er früher den Katheder besteigen wollte, käme er sich vor wie ein Einäugiger unter Blinden 7) 7). Und das war ihm noch nicht genug. Während er in den Alten lebte, an der römischen Geschichte arbeitete, nebenbei aus Auftrag der Regierung eine griechische Chrestomathie für die obern Classen auszog und commentirte, oder seiner „Male“, die nunmehr seine Braut wurde, die Schönheiten des Aeschylus erklärte, trieb er mit Souza, dem portugiesischen Gesandten, an den ihn eine zärtliche Freundschaft fesselte, Portugiesisch, unter Leitung des österreichischen Gesandten, Grafen Ludolf, Persisch und Arabisch 8) 8). Aussichten zu definitiver Anstellung zerschlugen sich wieder. Schimmelmann hatte ihm das Generalconsulat in Paris zugedacht: es war eine Stelle bloß auf Dauer des Kriegs; sie hätte ihn also nicht zu lange seinen Studien entfremdet, des Geschäfts wäre nicht mehr gewesen als auf der Bibliothek, und wenn der plötzliche Uebertritt in eine so große und bewegte Scene auch sein Bedenkliches hatte, so waren doch der zu hoffende Gewinn an Erfahrung und Weltkenntniß, die seltenen gelehrten Schätze des neuen Roms, der Ruf von Männern wie de Sacy, Laharpe, Fourcroy, Carnot ein zu mächtiger Magnet, und überdieß bekam der Generalconsul wahrscheinlich amtlichen Anlaß zu Bereisung der französischen 1) Bd. 1, S. 26 f. 2) Briefe aus Kiel von 1794, Bd. 1, S. 51. 3) A. a. O. S. 55. 4) A. a. O. S. 67. 5) Bd. 1, S. 71 f. 6) Briefe aus Kopenhagen von 1796, Bd. 1, S. 86-89. 7) Briefe aus Kopenhagen von 1797, Bd. 1, S. 100, 119, 120. Tagebuch von demselben Jahr, S. 155. 8) A. a. O. S. 115, 120, 121, 158-160.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_020_18400120
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_020_18400120/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 20. Augsburg, 20. Januar 1840, S. 0153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_020_18400120/9>, abgerufen am 24.11.2024.