Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 17. Augsburg, 17. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Besuch der Tribunen bei wichtigen Verhandlungen kund gegeben hat. Bis zu den Weihnachtsferien haben beide Kammern das erste Stadium ihrer Wirksamkeit durchlaufen, welches sich in der ersten Kammer vorzüglich durch die Berathungen über die Erläuterungen einiger Bestimmungen des neuen Criminalgesetzbuchs, über Veränderungen hinsichtlich des Staatsgutes und den Zustand des Domänenfonds, und über die Einführung der Todtenschau in Verbindung mit Anlegung von Leichenkammern, in der zweiten Kammer durch die Verhandlungen über den Antrag, die Thronrede durch eine Adresse zu beantworten, was bei uns mit dem Eintritt in die constitutionellen Formen nicht üblich geworden ist, über die provisorische Erhebung der Steuern für das Jahr 1840, über die Erläuterung einiger Verfügungen des Heimathgesetzes von 1834, ausgezeichnet hat. Nach den Weihnachtsferien hat die zweite Kammer am 3 Jan. ihre Sitzungen wieder begonnen, und mit einer noch nicht geschlossenen interessanten Verhandlung über einen, den Gewerbsbetrieb auf dem Lande betreffenden Gesetzesentwurf eröffnet, in welcher der Zwiespalt zwischen den Ansprüchen der Städte und der Dörfer scharf hervortrat, und neben den klaren und freisinnigen Ansichten einiger Mitglieder die Unentschiedenheit und Halbheit anderer unerfreulich darlegte. Es ist bei diesem Zwiespalt fast zu besorgen, daß die Absicht der Regierung, das Gewerbsverhältniß zwischen Stadt und Land zu ordnen, das sich größtentheils auf ein gänzlich veraltetes Gesetz von 1767 stützt, vereitelt werde. Keine Stimme in der Kammer hat jedoch die zeitwidrigen Anmaßungen des Zunftwesens, dem durch die Bedürfnisse der Zeit bedingten freien Gewerbsbetrieb gegenüber, so schroff ausgesprochen, als eine der Ständeversammlung überreichte Petition mehrerer Innungsvorsteher zu Leipzig, deren Verfasser der dortige Professor der Pädagogik, Dr. Lindner, ist. - Die amtlichen "Mittheilungen über die Verhandlungen des Landtags" erscheinen dießmal sehr rasch, was wir dem lebhaft ausgesprochenen Wunsche des Abg. v. Watzdorf in der zweiten Kammer verdanken, der in einer der ersten Sitzungen einen tadelnden Rückblick auf das träge Erscheinen dieser Berichte warf, die auf den frühern Landtagen den Verhandlungen langsam nachhinkten. Sie sind die zuverlässigste Quelle für die Geschichte der Ständeversammlung, und wer den Sitzungen beigewohnt hat, findet sie auch in den meisten Fällen vollständig. Neben diesen, für das größere Publicum bestimmten Berichten werden auch die eigentlichen "Landtagsacten" veröffentlicht, welche, außer den Protokollen beider Kammern, die von der Regierung an die Stände gekommenen Erlasse und die ständischen Schriften enthalten. Die von G. Bacherer und F. Philippi herausgegebenen und in Grimma erscheinenden "Landtagsblätter" folgen jenen "Mittheilungen" als ihrer Hauptquelle, und haben bis jetzt von den kritischen Erörterungen, welche die viel verheißende Ankündigung erwarten ließ, noch wenig gegeben.

Preußen.

Die von der Allgem. Zeitung bereits ausführlich angezeigte Schrift von Wolfgang Menzel "Europa im Jahr 1840" nimmt auch hier die Aufmerksamkeit in Anspruch. Die patriotische Versöhnlichkeit, die deutsche Gesinnung, von der der Verfasser ausgeht, findet natürlich Anklang und läßt ganz und gar vergessen, wie sehr man sich durch seine litterarischen Ansichten in den letzten Jahren von ihm entfernt und wie wenig insbesondere seine Kritik der Philosophie dem Begriff der Wissenschaft entsprochen hatte. Wie Manches man auch noch an Einzelheiten der neuen Schrift auszusetzen haben mag - der Grundgedanke derselben kann nicht anders, als elektrisch wirken, denn das Bewußtseyn der Nothwendigkeit einer festen Vereinigung aller deutschen Stämme, im Norden wie im Süden, lebt hier mehr, als man hier und dort zu glauben scheint, wo man immer noch, trotz aller planmäßigen Vexationen und Bedrängnisse der alten preußischen Stammprovinzen, auf unbegreifliche Weise eine Vorliebe derselben für den russischen Nachbar voraussetzt. Nirgends vielleicht wie hier hat die verkehrte und undeutsche Tendenz der Schrift "die europäische Pentarchie" eingeleuchtet und eben so hat man hier auch niemals, wie anderwärts, in Pamphlets und Zeitungen die alten kirchlichen Spaltungen und die noch ältern Stammes-Antipathien der Deutschen wieder zu wecken oder zu erweitern gesucht. "Eendragt maakt magt" verdient noch bei weitem mehr der deutschen, als der niederländischen Provinzen Wahlspruch zu seyn, denn diese Eintracht muß und wird zu allen Zeiten die beste Defensive gegen eine mögliche Offensiv-Allianz unserer westlichen und östlichen Nachbarn seyn.

Schweden.

Das Aftonblad beginnt die erste Nummer dieses Jahrs mit einer ziemlich ausführlichen Darstellung der Verhandlungen in den holländischen Generalstaaten und macht dabei alsbald die Nutzanwendung auf Schweden: "Wir bitten unsere Leser, ihre Aufmerksamkeit auf die wichtige und interessante Discussion in der Kammer der Generalstaaten zu lenken. Das Beispiel einer Repräsentation, die nach langem Schlummer endlich zur Erkenntniß ihrer Kraft und ihrer Pflichten erwacht, sollte an unsern nun bald zusammentretenden Ständen nicht verloren gehen." Gleichen Inhalts ist der Neujahrswunsch, den das Blatt an Schweden richtet.

Der glänzende Ball, der alle Jahre am Neujahrstage von der Bürgerschaft der Hauptstadt im großen Börsensaal gegeben wird, und dem das diplomatische Corps und die übrige vornehme Welt immer beiwohnen, wurde auch dießmal, wie gewöhnlich, mit der Gegenwart der Königin, des Kronprinzen und der Kronprinzessin beehrt. Der Kronprinz tanzte eine Anglaise mit der Frau eines Großhändlers, die Kronprinzessin mit einem Bäcker. - Die sämmtlichen Wahlen der Bevollmächtigten zum künftigen Reichstag sind jetzt beendigt. Die Mehrzahl darunter besteht aus Leuten, welche nicht vorher Reichstagsmänner gewesen, und deren Gesinnungen daher weniger bekannt sind. Unter den übrigen besteht ungefähr die Hälfte aus alten Freunden des Hofs; die andere Hälfte rechnet unter sich viele Gegner der Regierung. Eine bestimmte Entscheidung, auf welcher Seite die Majorität ist, kann nicht gegeben werden. Die letzte Wahl war die der Bevollmächtigten des Bauernstandes im Nordlande; sie war merkwürdig, weil der zuverlässigste Freund und der heftigste Gegner der Regierung dort gewählt wurden. Dieser heißt Rutberg, und war bei den vorigen Reichstagen seit zwanzig Jahren, nebst dem verstorbenen Anders Danielsson, Führer der Opposition im Bauernstand. Jener heißt Strindlund, und war seit eben der Zeit die sicherste Stütze der Regierung in seinem Stand. Ohne Zweifel wird er beim künftigen Reichstag zum Sprecher des Bauernstands bestimmt.

Rußland und Polen.

Auf dem Landgebiete des ganzen ehemaligen Königreichs Polen in dem Umfange, welchen dasselbe vor der Theilung von 1772 hatte (12880 Quadratmeilen), leben gegenwärtig 2,119,000 Juden. Davon kommen 411,300 auf das jetzige Königreich Polen; die übrigen wohnen theils in den zu dem russischen Reiche gezogenen Provinzen, theils in den an Oesterreich

Besuch der Tribunen bei wichtigen Verhandlungen kund gegeben hat. Bis zu den Weihnachtsferien haben beide Kammern das erste Stadium ihrer Wirksamkeit durchlaufen, welches sich in der ersten Kammer vorzüglich durch die Berathungen über die Erläuterungen einiger Bestimmungen des neuen Criminalgesetzbuchs, über Veränderungen hinsichtlich des Staatsgutes und den Zustand des Domänenfonds, und über die Einführung der Todtenschau in Verbindung mit Anlegung von Leichenkammern, in der zweiten Kammer durch die Verhandlungen über den Antrag, die Thronrede durch eine Adresse zu beantworten, was bei uns mit dem Eintritt in die constitutionellen Formen nicht üblich geworden ist, über die provisorische Erhebung der Steuern für das Jahr 1840, über die Erläuterung einiger Verfügungen des Heimathgesetzes von 1834, ausgezeichnet hat. Nach den Weihnachtsferien hat die zweite Kammer am 3 Jan. ihre Sitzungen wieder begonnen, und mit einer noch nicht geschlossenen interessanten Verhandlung über einen, den Gewerbsbetrieb auf dem Lande betreffenden Gesetzesentwurf eröffnet, in welcher der Zwiespalt zwischen den Ansprüchen der Städte und der Dörfer scharf hervortrat, und neben den klaren und freisinnigen Ansichten einiger Mitglieder die Unentschiedenheit und Halbheit anderer unerfreulich darlegte. Es ist bei diesem Zwiespalt fast zu besorgen, daß die Absicht der Regierung, das Gewerbsverhältniß zwischen Stadt und Land zu ordnen, das sich größtentheils auf ein gänzlich veraltetes Gesetz von 1767 stützt, vereitelt werde. Keine Stimme in der Kammer hat jedoch die zeitwidrigen Anmaßungen des Zunftwesens, dem durch die Bedürfnisse der Zeit bedingten freien Gewerbsbetrieb gegenüber, so schroff ausgesprochen, als eine der Ständeversammlung überreichte Petition mehrerer Innungsvorsteher zu Leipzig, deren Verfasser der dortige Professor der Pädagogik, Dr. Lindner, ist. – Die amtlichen „Mittheilungen über die Verhandlungen des Landtags“ erscheinen dießmal sehr rasch, was wir dem lebhaft ausgesprochenen Wunsche des Abg. v. Watzdorf in der zweiten Kammer verdanken, der in einer der ersten Sitzungen einen tadelnden Rückblick auf das träge Erscheinen dieser Berichte warf, die auf den frühern Landtagen den Verhandlungen langsam nachhinkten. Sie sind die zuverlässigste Quelle für die Geschichte der Ständeversammlung, und wer den Sitzungen beigewohnt hat, findet sie auch in den meisten Fällen vollständig. Neben diesen, für das größere Publicum bestimmten Berichten werden auch die eigentlichen „Landtagsacten“ veröffentlicht, welche, außer den Protokollen beider Kammern, die von der Regierung an die Stände gekommenen Erlasse und die ständischen Schriften enthalten. Die von G. Bacherer und F. Philippi herausgegebenen und in Grimma erscheinenden „Landtagsblätter“ folgen jenen „Mittheilungen“ als ihrer Hauptquelle, und haben bis jetzt von den kritischen Erörterungen, welche die viel verheißende Ankündigung erwarten ließ, noch wenig gegeben.

Preußen.

Die von der Allgem. Zeitung bereits ausführlich angezeigte Schrift von Wolfgang Menzel „Europa im Jahr 1840“ nimmt auch hier die Aufmerksamkeit in Anspruch. Die patriotische Versöhnlichkeit, die deutsche Gesinnung, von der der Verfasser ausgeht, findet natürlich Anklang und läßt ganz und gar vergessen, wie sehr man sich durch seine litterarischen Ansichten in den letzten Jahren von ihm entfernt und wie wenig insbesondere seine Kritik der Philosophie dem Begriff der Wissenschaft entsprochen hatte. Wie Manches man auch noch an Einzelheiten der neuen Schrift auszusetzen haben mag – der Grundgedanke derselben kann nicht anders, als elektrisch wirken, denn das Bewußtseyn der Nothwendigkeit einer festen Vereinigung aller deutschen Stämme, im Norden wie im Süden, lebt hier mehr, als man hier und dort zu glauben scheint, wo man immer noch, trotz aller planmäßigen Vexationen und Bedrängnisse der alten preußischen Stammprovinzen, auf unbegreifliche Weise eine Vorliebe derselben für den russischen Nachbar voraussetzt. Nirgends vielleicht wie hier hat die verkehrte und undeutsche Tendenz der Schrift „die europäische Pentarchie“ eingeleuchtet und eben so hat man hier auch niemals, wie anderwärts, in Pamphlets und Zeitungen die alten kirchlichen Spaltungen und die noch ältern Stammes-Antipathien der Deutschen wieder zu wecken oder zu erweitern gesucht. „Eendragt maakt magt“ verdient noch bei weitem mehr der deutschen, als der niederländischen Provinzen Wahlspruch zu seyn, denn diese Eintracht muß und wird zu allen Zeiten die beste Defensive gegen eine mögliche Offensiv-Allianz unserer westlichen und östlichen Nachbarn seyn.

Schweden.

Das Aftonblad beginnt die erste Nummer dieses Jahrs mit einer ziemlich ausführlichen Darstellung der Verhandlungen in den holländischen Generalstaaten und macht dabei alsbald die Nutzanwendung auf Schweden: „Wir bitten unsere Leser, ihre Aufmerksamkeit auf die wichtige und interessante Discussion in der Kammer der Generalstaaten zu lenken. Das Beispiel einer Repräsentation, die nach langem Schlummer endlich zur Erkenntniß ihrer Kraft und ihrer Pflichten erwacht, sollte an unsern nun bald zusammentretenden Ständen nicht verloren gehen.“ Gleichen Inhalts ist der Neujahrswunsch, den das Blatt an Schweden richtet.

Der glänzende Ball, der alle Jahre am Neujahrstage von der Bürgerschaft der Hauptstadt im großen Börsensaal gegeben wird, und dem das diplomatische Corps und die übrige vornehme Welt immer beiwohnen, wurde auch dießmal, wie gewöhnlich, mit der Gegenwart der Königin, des Kronprinzen und der Kronprinzessin beehrt. Der Kronprinz tanzte eine Anglaise mit der Frau eines Großhändlers, die Kronprinzessin mit einem Bäcker. – Die sämmtlichen Wahlen der Bevollmächtigten zum künftigen Reichstag sind jetzt beendigt. Die Mehrzahl darunter besteht aus Leuten, welche nicht vorher Reichstagsmänner gewesen, und deren Gesinnungen daher weniger bekannt sind. Unter den übrigen besteht ungefähr die Hälfte aus alten Freunden des Hofs; die andere Hälfte rechnet unter sich viele Gegner der Regierung. Eine bestimmte Entscheidung, auf welcher Seite die Majorität ist, kann nicht gegeben werden. Die letzte Wahl war die der Bevollmächtigten des Bauernstandes im Nordlande; sie war merkwürdig, weil der zuverlässigste Freund und der heftigste Gegner der Regierung dort gewählt wurden. Dieser heißt Rutberg, und war bei den vorigen Reichstagen seit zwanzig Jahren, nebst dem verstorbenen Anders Danielsson, Führer der Opposition im Bauernstand. Jener heißt Strindlund, und war seit eben der Zeit die sicherste Stütze der Regierung in seinem Stand. Ohne Zweifel wird er beim künftigen Reichstag zum Sprecher des Bauernstands bestimmt.

Rußland und Polen.

Auf dem Landgebiete des ganzen ehemaligen Königreichs Polen in dem Umfange, welchen dasselbe vor der Theilung von 1772 hatte (12880 Quadratmeilen), leben gegenwärtig 2,119,000 Juden. Davon kommen 411,300 auf das jetzige Königreich Polen; die übrigen wohnen theils in den zu dem russischen Reiche gezogenen Provinzen, theils in den an Oesterreich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0006" n="0134"/>
Besuch der Tribunen bei wichtigen Verhandlungen kund gegeben hat. Bis zu den Weihnachtsferien haben beide Kammern das erste Stadium ihrer Wirksamkeit durchlaufen, welches sich in der ersten Kammer vorzüglich durch die Berathungen über die Erläuterungen einiger Bestimmungen des neuen Criminalgesetzbuchs, über Veränderungen hinsichtlich des Staatsgutes und den Zustand des Domänenfonds, und über die Einführung der Todtenschau in Verbindung mit Anlegung von Leichenkammern, in der zweiten Kammer durch die Verhandlungen über den Antrag, die Thronrede durch eine Adresse zu beantworten, was bei uns mit dem Eintritt in die constitutionellen Formen <hi rendition="#g">nicht</hi> üblich geworden ist, über die provisorische Erhebung der Steuern für das Jahr 1840, über die Erläuterung einiger Verfügungen des Heimathgesetzes von 1834, ausgezeichnet hat. Nach den Weihnachtsferien hat die zweite Kammer am 3 Jan. ihre Sitzungen wieder begonnen, und mit einer noch nicht geschlossenen interessanten Verhandlung über einen, den Gewerbsbetrieb auf dem Lande betreffenden Gesetzesentwurf eröffnet, in welcher der Zwiespalt zwischen den Ansprüchen der Städte und der Dörfer scharf hervortrat, und neben den klaren und freisinnigen Ansichten einiger Mitglieder die Unentschiedenheit und Halbheit anderer unerfreulich darlegte. Es ist bei diesem Zwiespalt fast zu besorgen, daß die Absicht der Regierung, das Gewerbsverhältniß zwischen Stadt und Land zu ordnen, das sich größtentheils auf ein gänzlich veraltetes Gesetz von 1767 stützt, vereitelt werde. Keine Stimme in der Kammer hat jedoch die zeitwidrigen Anmaßungen des Zunftwesens, dem durch die Bedürfnisse der Zeit bedingten freien Gewerbsbetrieb gegenüber, so schroff ausgesprochen, als eine der Ständeversammlung überreichte Petition mehrerer Innungsvorsteher zu Leipzig, deren Verfasser der dortige Professor der Pädagogik, Dr. Lindner, ist. &#x2013; Die amtlichen &#x201E;Mittheilungen über die Verhandlungen des Landtags&#x201C; erscheinen dießmal sehr rasch, was wir dem lebhaft ausgesprochenen Wunsche des Abg. v. Watzdorf in der zweiten Kammer verdanken, der in einer der ersten Sitzungen einen tadelnden Rückblick auf das träge Erscheinen dieser Berichte warf, die auf den frühern Landtagen den Verhandlungen langsam nachhinkten. Sie sind die zuverlässigste Quelle für die Geschichte der Ständeversammlung, und wer den Sitzungen beigewohnt hat, findet sie auch in den meisten Fällen vollständig. Neben diesen, für das größere Publicum bestimmten Berichten werden auch die eigentlichen &#x201E;Landtagsacten&#x201C; veröffentlicht, welche, außer den Protokollen beider Kammern, die von der Regierung an die Stände gekommenen Erlasse und die ständischen Schriften enthalten. Die von G. Bacherer und F. Philippi herausgegebenen und in Grimma erscheinenden &#x201E;Landtagsblätter&#x201C; folgen jenen &#x201E;Mittheilungen&#x201C; als ihrer <hi rendition="#g">Hauptquelle</hi>, und haben bis jetzt von den <hi rendition="#g">kritischen</hi> Erörterungen, welche die viel verheißende Ankündigung erwarten ließ, noch wenig gegeben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Preußen.</hi> </head><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <dateline><hi rendition="#b">Berlin,</hi> 11 Jan.</dateline>
          <p> Die von der Allgem. Zeitung bereits ausführlich angezeigte Schrift von Wolfgang Menzel &#x201E;Europa im Jahr 1840&#x201C; nimmt auch hier die Aufmerksamkeit in Anspruch. Die patriotische Versöhnlichkeit, die deutsche Gesinnung, von der der Verfasser ausgeht, findet natürlich Anklang und läßt ganz und gar vergessen, wie sehr man sich durch seine litterarischen Ansichten in den letzten Jahren von ihm entfernt und wie wenig insbesondere seine Kritik der Philosophie dem Begriff der Wissenschaft entsprochen hatte. Wie Manches man auch noch an Einzelheiten der neuen Schrift auszusetzen haben mag &#x2013; der Grundgedanke derselben kann nicht anders, als elektrisch wirken, denn das Bewußtseyn der Nothwendigkeit einer festen Vereinigung aller deutschen Stämme, im Norden wie im Süden, lebt hier mehr, als man hier und dort zu glauben scheint, wo man immer noch, trotz aller planmäßigen Vexationen und Bedrängnisse der alten preußischen Stammprovinzen, auf unbegreifliche Weise eine Vorliebe derselben für den russischen Nachbar voraussetzt. Nirgends vielleicht wie hier hat die verkehrte und undeutsche Tendenz der Schrift &#x201E;die europäische Pentarchie&#x201C; eingeleuchtet und eben so hat man hier auch niemals, wie anderwärts, in Pamphlets und Zeitungen die alten kirchlichen Spaltungen und die noch ältern Stammes-Antipathien der Deutschen wieder zu wecken oder zu erweitern gesucht. &#x201E;Eendragt maakt magt&#x201C; verdient noch bei weitem mehr der deutschen, als der niederländischen Provinzen Wahlspruch zu seyn, denn diese Eintracht muß und wird zu allen Zeiten die beste Defensive gegen eine mögliche Offensiv-Allianz unserer westlichen und östlichen Nachbarn seyn.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Schweden.</hi> </head><lb/>
        <p>Das <hi rendition="#g">Aftonblad</hi> beginnt die erste Nummer dieses Jahrs mit einer ziemlich ausführlichen Darstellung der Verhandlungen in den holländischen Generalstaaten und macht dabei alsbald die Nutzanwendung auf Schweden: &#x201E;Wir bitten unsere Leser, ihre Aufmerksamkeit auf die wichtige und interessante Discussion in der Kammer der Generalstaaten zu lenken. Das Beispiel einer Repräsentation, die nach langem Schlummer endlich zur Erkenntniß ihrer Kraft und ihrer Pflichten erwacht, sollte an unsern nun bald zusammentretenden Ständen nicht verloren gehen.&#x201C; Gleichen Inhalts ist der Neujahrswunsch, den das Blatt an Schweden richtet.</p><lb/>
        <div type="jArticle" n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Stockholm,</hi> 3 Jan.</dateline>
          <p> Der glänzende Ball, der alle Jahre am Neujahrstage von der Bürgerschaft der Hauptstadt im großen Börsensaal gegeben wird, und dem das diplomatische Corps und die übrige vornehme Welt immer beiwohnen, wurde auch dießmal, wie gewöhnlich, mit der Gegenwart der Königin, des Kronprinzen und der Kronprinzessin beehrt. Der Kronprinz tanzte eine Anglaise mit der Frau eines Großhändlers, die Kronprinzessin mit einem Bäcker. &#x2013; Die sämmtlichen Wahlen der Bevollmächtigten zum künftigen Reichstag sind jetzt beendigt. Die Mehrzahl darunter besteht aus Leuten, welche nicht vorher Reichstagsmänner gewesen, und deren Gesinnungen daher weniger bekannt sind. Unter den übrigen besteht ungefähr die Hälfte aus alten Freunden des Hofs; die andere Hälfte rechnet unter sich viele Gegner der Regierung. Eine bestimmte Entscheidung, auf welcher Seite die Majorität ist, kann nicht gegeben werden. Die letzte Wahl war die der Bevollmächtigten des Bauernstandes im Nordlande; sie war merkwürdig, weil der zuverlässigste Freund und der heftigste Gegner der Regierung dort gewählt wurden. Dieser heißt Rutberg, und war bei den vorigen Reichstagen seit zwanzig Jahren, nebst dem verstorbenen Anders Danielsson, Führer der Opposition im Bauernstand. Jener heißt Strindlund, und war seit eben der Zeit die sicherste Stütze der Regierung in seinem Stand. Ohne Zweifel wird er beim künftigen Reichstag zum Sprecher des Bauernstands bestimmt.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Rußland und Polen.</hi> </head><lb/>
        <p>Auf dem Landgebiete des ganzen ehemaligen Königreichs Polen in dem Umfange, welchen dasselbe vor der Theilung von 1772 hatte (12880 Quadratmeilen), leben gegenwärtig 2,119,000 Juden. Davon kommen 411,300 auf das jetzige Königreich Polen; die übrigen wohnen theils in den zu dem russischen Reiche gezogenen Provinzen, theils in den an Oesterreich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0134/0006] Besuch der Tribunen bei wichtigen Verhandlungen kund gegeben hat. Bis zu den Weihnachtsferien haben beide Kammern das erste Stadium ihrer Wirksamkeit durchlaufen, welches sich in der ersten Kammer vorzüglich durch die Berathungen über die Erläuterungen einiger Bestimmungen des neuen Criminalgesetzbuchs, über Veränderungen hinsichtlich des Staatsgutes und den Zustand des Domänenfonds, und über die Einführung der Todtenschau in Verbindung mit Anlegung von Leichenkammern, in der zweiten Kammer durch die Verhandlungen über den Antrag, die Thronrede durch eine Adresse zu beantworten, was bei uns mit dem Eintritt in die constitutionellen Formen nicht üblich geworden ist, über die provisorische Erhebung der Steuern für das Jahr 1840, über die Erläuterung einiger Verfügungen des Heimathgesetzes von 1834, ausgezeichnet hat. Nach den Weihnachtsferien hat die zweite Kammer am 3 Jan. ihre Sitzungen wieder begonnen, und mit einer noch nicht geschlossenen interessanten Verhandlung über einen, den Gewerbsbetrieb auf dem Lande betreffenden Gesetzesentwurf eröffnet, in welcher der Zwiespalt zwischen den Ansprüchen der Städte und der Dörfer scharf hervortrat, und neben den klaren und freisinnigen Ansichten einiger Mitglieder die Unentschiedenheit und Halbheit anderer unerfreulich darlegte. Es ist bei diesem Zwiespalt fast zu besorgen, daß die Absicht der Regierung, das Gewerbsverhältniß zwischen Stadt und Land zu ordnen, das sich größtentheils auf ein gänzlich veraltetes Gesetz von 1767 stützt, vereitelt werde. Keine Stimme in der Kammer hat jedoch die zeitwidrigen Anmaßungen des Zunftwesens, dem durch die Bedürfnisse der Zeit bedingten freien Gewerbsbetrieb gegenüber, so schroff ausgesprochen, als eine der Ständeversammlung überreichte Petition mehrerer Innungsvorsteher zu Leipzig, deren Verfasser der dortige Professor der Pädagogik, Dr. Lindner, ist. – Die amtlichen „Mittheilungen über die Verhandlungen des Landtags“ erscheinen dießmal sehr rasch, was wir dem lebhaft ausgesprochenen Wunsche des Abg. v. Watzdorf in der zweiten Kammer verdanken, der in einer der ersten Sitzungen einen tadelnden Rückblick auf das träge Erscheinen dieser Berichte warf, die auf den frühern Landtagen den Verhandlungen langsam nachhinkten. Sie sind die zuverlässigste Quelle für die Geschichte der Ständeversammlung, und wer den Sitzungen beigewohnt hat, findet sie auch in den meisten Fällen vollständig. Neben diesen, für das größere Publicum bestimmten Berichten werden auch die eigentlichen „Landtagsacten“ veröffentlicht, welche, außer den Protokollen beider Kammern, die von der Regierung an die Stände gekommenen Erlasse und die ständischen Schriften enthalten. Die von G. Bacherer und F. Philippi herausgegebenen und in Grimma erscheinenden „Landtagsblätter“ folgen jenen „Mittheilungen“ als ihrer Hauptquelle, und haben bis jetzt von den kritischen Erörterungen, welche die viel verheißende Ankündigung erwarten ließ, noch wenig gegeben. Preußen. Berlin, 11 Jan. Die von der Allgem. Zeitung bereits ausführlich angezeigte Schrift von Wolfgang Menzel „Europa im Jahr 1840“ nimmt auch hier die Aufmerksamkeit in Anspruch. Die patriotische Versöhnlichkeit, die deutsche Gesinnung, von der der Verfasser ausgeht, findet natürlich Anklang und läßt ganz und gar vergessen, wie sehr man sich durch seine litterarischen Ansichten in den letzten Jahren von ihm entfernt und wie wenig insbesondere seine Kritik der Philosophie dem Begriff der Wissenschaft entsprochen hatte. Wie Manches man auch noch an Einzelheiten der neuen Schrift auszusetzen haben mag – der Grundgedanke derselben kann nicht anders, als elektrisch wirken, denn das Bewußtseyn der Nothwendigkeit einer festen Vereinigung aller deutschen Stämme, im Norden wie im Süden, lebt hier mehr, als man hier und dort zu glauben scheint, wo man immer noch, trotz aller planmäßigen Vexationen und Bedrängnisse der alten preußischen Stammprovinzen, auf unbegreifliche Weise eine Vorliebe derselben für den russischen Nachbar voraussetzt. Nirgends vielleicht wie hier hat die verkehrte und undeutsche Tendenz der Schrift „die europäische Pentarchie“ eingeleuchtet und eben so hat man hier auch niemals, wie anderwärts, in Pamphlets und Zeitungen die alten kirchlichen Spaltungen und die noch ältern Stammes-Antipathien der Deutschen wieder zu wecken oder zu erweitern gesucht. „Eendragt maakt magt“ verdient noch bei weitem mehr der deutschen, als der niederländischen Provinzen Wahlspruch zu seyn, denn diese Eintracht muß und wird zu allen Zeiten die beste Defensive gegen eine mögliche Offensiv-Allianz unserer westlichen und östlichen Nachbarn seyn. Schweden. Das Aftonblad beginnt die erste Nummer dieses Jahrs mit einer ziemlich ausführlichen Darstellung der Verhandlungen in den holländischen Generalstaaten und macht dabei alsbald die Nutzanwendung auf Schweden: „Wir bitten unsere Leser, ihre Aufmerksamkeit auf die wichtige und interessante Discussion in der Kammer der Generalstaaten zu lenken. Das Beispiel einer Repräsentation, die nach langem Schlummer endlich zur Erkenntniß ihrer Kraft und ihrer Pflichten erwacht, sollte an unsern nun bald zusammentretenden Ständen nicht verloren gehen.“ Gleichen Inhalts ist der Neujahrswunsch, den das Blatt an Schweden richtet. _ Stockholm, 3 Jan. Der glänzende Ball, der alle Jahre am Neujahrstage von der Bürgerschaft der Hauptstadt im großen Börsensaal gegeben wird, und dem das diplomatische Corps und die übrige vornehme Welt immer beiwohnen, wurde auch dießmal, wie gewöhnlich, mit der Gegenwart der Königin, des Kronprinzen und der Kronprinzessin beehrt. Der Kronprinz tanzte eine Anglaise mit der Frau eines Großhändlers, die Kronprinzessin mit einem Bäcker. – Die sämmtlichen Wahlen der Bevollmächtigten zum künftigen Reichstag sind jetzt beendigt. Die Mehrzahl darunter besteht aus Leuten, welche nicht vorher Reichstagsmänner gewesen, und deren Gesinnungen daher weniger bekannt sind. Unter den übrigen besteht ungefähr die Hälfte aus alten Freunden des Hofs; die andere Hälfte rechnet unter sich viele Gegner der Regierung. Eine bestimmte Entscheidung, auf welcher Seite die Majorität ist, kann nicht gegeben werden. Die letzte Wahl war die der Bevollmächtigten des Bauernstandes im Nordlande; sie war merkwürdig, weil der zuverlässigste Freund und der heftigste Gegner der Regierung dort gewählt wurden. Dieser heißt Rutberg, und war bei den vorigen Reichstagen seit zwanzig Jahren, nebst dem verstorbenen Anders Danielsson, Führer der Opposition im Bauernstand. Jener heißt Strindlund, und war seit eben der Zeit die sicherste Stütze der Regierung in seinem Stand. Ohne Zweifel wird er beim künftigen Reichstag zum Sprecher des Bauernstands bestimmt. Rußland und Polen. Auf dem Landgebiete des ganzen ehemaligen Königreichs Polen in dem Umfange, welchen dasselbe vor der Theilung von 1772 hatte (12880 Quadratmeilen), leben gegenwärtig 2,119,000 Juden. Davon kommen 411,300 auf das jetzige Königreich Polen; die übrigen wohnen theils in den zu dem russischen Reiche gezogenen Provinzen, theils in den an Oesterreich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_017_18400117
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_017_18400117/6
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 17. Augsburg, 17. Januar 1840, S. 0134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_017_18400117/6>, abgerufen am 21.11.2024.