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Allgemeine Zeitung. Nr. 15. Augsburg, 15. Januar 1840.

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denselben Arbeiten verwandt werden, daß mehrere, entweder nach der Beschaffenheit ihres Verbrechens, oder nach ihrer frühern Erziehung, oder hauptsächlich in Rücksicht auf ihre gute Aufführung milder behandelt würden. Wenn nun Grund zur Anwendung solcher Nachsicht vorhanden sey, so dürfte dieß hauptsächlich bei Anwendung eines Gnadenerkenntnisses und bei einem politischen Verurtheilten der Fall seyn. Uebrigens ward Hrn. Dupin durch das Murren der Kammer bewiesen, daß sie solche Procedurzwischenfragen bei den Aufregungen eines parlamenrischen Kampfes nicht liebe. Hr. Garnier-Pages und Hr. Dufaure nahmen das Ende der Sitzung ein. Hr. Garnier-Pages, der sich gleich von vornherein als sehr neugierig bekennt, richtete eine Menge Fragen an das Ministerium über dessen Ursprung, Zusammensetzung und Stellung in der Kammer. Hr. Dufaure antwortete, daß er der jetzt noch zweifelhaft scheinenden Majorität in vorkommenden Fällen vertraue.

Das Journal des Debats äußert über obige Discussion: "Die Deputirtenkammer hat heute die Berathung über den Adreßentwurf begonnen. Wenn wir unsere Eindrücke ehrlich heraussagen wollen, so müssen wir gestehen, daß wir selten einer mittelmäßigern und mattern parlamentarischen Debatte beigewohnt haben. Man hat das Ministerium ungeschickt angegriffen, und seine Vertheidigung war gleichfalls ziemlich traurig. Wenig fehlte, so sehnten wir uns nach der furchtbaren Energie der Debatten des letzten Jahrs zurück. Wir haben demnach wenig über die heutige Sitzung zu sagen, denn in der That wir fühlen den Muth nicht, die ehrenwerthen Redner, die wir gehört haben, nachzuahmen, und ein Vergrößerungsglas zu nehmen, um zu untersuchen, ob das Ministerium vom 12 Mai von den früheren Cabinetten hinreichend verschieden ist. Diese Art von Anatomie des Ministeriums war der ganze Gegenstand der Discussion. Wahrhaftig der Kammer und dem Land mag viel daran liegen, zu wissen, in wie weit die HH. Passy, Dufaure und Teste ihre Meinungen modificirt haben, seitdem sie Minister sind!"

In der Deputirtenkammersitzung vom 10 Jan. hielt zuerst Hr. v. Chambole eine ziemlich unbedeutende Rede gegen den Adresseentwurf. Er klagte, das Ministerium sey nicht homogen, nicht parlamentarisch und habe keine Majorität. Hr. De Longrais sprach für den Entwurf, drückte aber den Wunsch aus, das Ministerium möge einen Gesetzesentwurf vorlegen, der jedem Deputirten die Annahme eines mit Besoldung verbundenen Amts während der Dauer seines Mandats und zwei Jahre lang nach dessen Erlöschung verbiete. Hr. de Sade ermahnte die Kammer zur Einigkeit, da sonst keine stabile Regierung möglich sey. Hr. Duvergier de Hauranne beklagte sich gleichfalls über die Spaltung unter den Deputirten und über die Heftigkeit ihrer Reden. Selbst die Männer, welche sonst am meisten zur Versöhnung geneigt seyen, überließen sich dieser Leidenschaftlichkeit, stimmten aber dann doch für die Adresse. Hr. Odilon Barrot erklärte, er und seine Freunde gehörten fortwährend zur Opposition; er wolle die Nationaldynastie, aber auch die parlamentarische Regierung und die Consequenzen zweier Revolutionen, das einzige Mittel, die constitutionelle Monarchie zu constituiren. Der Redner endigte mit einem heftigen Ausfall gegen das Ministerium, das er ein unmächtiges nennt. Der Minister Villemain und Hr. Salvandy folgten Hrn. Barrot auf der Rednerbühne. (Abgang der Post.)

Aus den Verhandlungen der Pairskammer vom 6 und 7 Jan. bringen wir noch einige Nachträge in Betreff der in der Pairskammeradresse vorgeschlagenen Amendements für Polen: Graf Tascher erhob sich in der Sitzung vom 6 mit folgenden Worten: "Das Princip, welches der Adresse-Entwurf durch die Worte ausdrückt: daß die Friedensverträge jene Bedingungen der Dauer erhalten sollen, ohne welche der Zweck Europa's nicht erreicht würde, gibt mir die Hoffnung, daß die Kammer nicht müde werde, die Klage zu hören, die ich meinerseits unermüdlich zu Gunsten eines Volkes wiederhole, dessen Erhaltung Frankreich feierlich in seinem Interesse, wie im Interesse der Gerechtigkeit, unter dem Siegel der Verträge garantirt hatte. Heute ertönt die Klage noch weit schmerzlicher, denn die Reste der polnischen Nationalität erhielten eine neue, tiefe Wunde. Es ist Ihnen allen bekannt, welche heimliche Gewaltthat dem System, das seit zehn Jahren einen solchen Ausgang vorbereitete, die Krone aufgesetzt hat. In seiner religiösen Grundfeste geschickt untergraben wurde das katholische Polen gewaltsam aus dem Schooß der katholischen Kirche gerissen und der griechisch-moskowischen Kirche einverleibt. *)*) Ich will über diesen traurigen Gegenstand mich nicht weiter aussprechen. Die discreteste und zugleich gewichtvollste Stimme, die in der Welt ertönen kann, hat den Triumph des Mißbrauchs der Gewalt über das innigste und heiligste Besitzthum des Geistes verkündet, sie hat ihr die Schmach verkündet, die an der neuen Civilisation, welche die Gewissensfreiheit vor alle übrigen Freiheiten stellt, verübt worden ist. Ich will nicht fortfahren, denn ich fürchte, den tiefen Eindruck nur zu schwächen, den ein soches Document auf die ganze katholische Welt machen mußte. Uebrigens darf man zweifeln, daß das Oberhaupt einer herrschenden Religion bloß aus Glaubenseifer einen verdienstlichen Act des Proselytismus üben wollte. .. Was Krakau anbelangt, so kennt die Welt das Loos, das ihm unter der Aegide der Schutzmächte geworden. Die Stille des Grabes herrscht um dieses letzte Asyl der polnischen Nationalität, und gleichwohl ist ein Jahr bereits verflossen, seitdem Graf Mole den Repräsentanten des Landes die Hoffnung, die feste Hoffnung kund gab, daß Krakau bald geräumt würde! Warum sollte ich die Nachfolger des damaligen Ministeriums nicht fragen, was aus jenen Hoffnungen geworden? Ich sehe auf der Bank der Minister den beredtesten Vertheidiger der Sache, für die ich in diesem Augenblick das Wort führe, denselben, der vor zwei Jahren auf dieser Tribune erklärte, daß, wenn die Thatsachen ernster geworden, die Protestationen nicht schwächer werden dürften, und der in derselben Sitzung die Beharrlichkeit meiner Gesinnungen für die polnische Nationalität anrief. Das Pfand, das damals jener Freund Polens von mir verlangte, vertraue ich heute dem Rath der Krone an." Der Conseilpräsident, Marschall Soult, antwortete: "Ich bemerke dem ehrenwerthen Redner sowohl hinsichtlich der Aufhebung der Union in Polen, als hinsichtlich Krakau's, daß Frankreich keine Verletzung der Verträge sanctionirt oder billigt. Frankreich denkt und handelt in dem Sinne der Wiederherstellung jener Verträge, wenn die Zeit es gestattet, wenn die Umstände günstig sind; selbst sein Stillschweigen ist eine Mißbilligung dessen, was geschah." Graf d'Harcourt unterstützte den Antrag des Grafen Tascher, und verwarf die Argumente jener, welche nichts von Protestationen wissen wollten, die nicht Waffengewalt unterstütze. "Nein! rief der Redner, wir wollen keinen Krieg. Nicht der Geist der Verwirrung bezeichnet unsere Zeit, sondern der des Siegs der Vernunft, der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, und wir haben glänzende Beispiele dieses Siegs. Blickt auf Griechenland, das sich aus einer fünfhundertjährigen Sklaverei erhoben! Seht die Sklaverei der Schwarzen, die sich von

*) Wir brauchen unsere Leser nicht erst darauf aufmerksam zu machen, daß hier Graf Tascher die katholische Kirche Polens mit der griechisch-unirten von Rußland verwechselt.

denselben Arbeiten verwandt werden, daß mehrere, entweder nach der Beschaffenheit ihres Verbrechens, oder nach ihrer frühern Erziehung, oder hauptsächlich in Rücksicht auf ihre gute Aufführung milder behandelt würden. Wenn nun Grund zur Anwendung solcher Nachsicht vorhanden sey, so dürfte dieß hauptsächlich bei Anwendung eines Gnadenerkenntnisses und bei einem politischen Verurtheilten der Fall seyn. Uebrigens ward Hrn. Dupin durch das Murren der Kammer bewiesen, daß sie solche Procedurzwischenfragen bei den Aufregungen eines parlamenrischen Kampfes nicht liebe. Hr. Garnier-Pages und Hr. Dufaure nahmen das Ende der Sitzung ein. Hr. Garnier-Pagès, der sich gleich von vornherein als sehr neugierig bekennt, richtete eine Menge Fragen an das Ministerium über dessen Ursprung, Zusammensetzung und Stellung in der Kammer. Hr. Dufaure antwortete, daß er der jetzt noch zweifelhaft scheinenden Majorität in vorkommenden Fällen vertraue.

Das Journal des Débats äußert über obige Discussion: „Die Deputirtenkammer hat heute die Berathung über den Adreßentwurf begonnen. Wenn wir unsere Eindrücke ehrlich heraussagen wollen, so müssen wir gestehen, daß wir selten einer mittelmäßigern und mattern parlamentarischen Debatte beigewohnt haben. Man hat das Ministerium ungeschickt angegriffen, und seine Vertheidigung war gleichfalls ziemlich traurig. Wenig fehlte, so sehnten wir uns nach der furchtbaren Energie der Debatten des letzten Jahrs zurück. Wir haben demnach wenig über die heutige Sitzung zu sagen, denn in der That wir fühlen den Muth nicht, die ehrenwerthen Redner, die wir gehört haben, nachzuahmen, und ein Vergrößerungsglas zu nehmen, um zu untersuchen, ob das Ministerium vom 12 Mai von den früheren Cabinetten hinreichend verschieden ist. Diese Art von Anatomie des Ministeriums war der ganze Gegenstand der Discussion. Wahrhaftig der Kammer und dem Land mag viel daran liegen, zu wissen, in wie weit die HH. Passy, Dufaure und Teste ihre Meinungen modificirt haben, seitdem sie Minister sind!“

In der Deputirtenkammersitzung vom 10 Jan. hielt zuerst Hr. v. Chambole eine ziemlich unbedeutende Rede gegen den Adresseentwurf. Er klagte, das Ministerium sey nicht homogen, nicht parlamentarisch und habe keine Majorität. Hr. De Longrais sprach für den Entwurf, drückte aber den Wunsch aus, das Ministerium möge einen Gesetzesentwurf vorlegen, der jedem Deputirten die Annahme eines mit Besoldung verbundenen Amts während der Dauer seines Mandats und zwei Jahre lang nach dessen Erlöschung verbiete. Hr. de Sade ermahnte die Kammer zur Einigkeit, da sonst keine stabile Regierung möglich sey. Hr. Duvergier de Hauranne beklagte sich gleichfalls über die Spaltung unter den Deputirten und über die Heftigkeit ihrer Reden. Selbst die Männer, welche sonst am meisten zur Versöhnung geneigt seyen, überließen sich dieser Leidenschaftlichkeit, stimmten aber dann doch für die Adresse. Hr. Odilon Barrot erklärte, er und seine Freunde gehörten fortwährend zur Opposition; er wolle die Nationaldynastie, aber auch die parlamentarische Regierung und die Consequenzen zweier Revolutionen, das einzige Mittel, die constitutionelle Monarchie zu constituiren. Der Redner endigte mit einem heftigen Ausfall gegen das Ministerium, das er ein unmächtiges nennt. Der Minister Villemain und Hr. Salvandy folgten Hrn. Barrot auf der Rednerbühne. (Abgang der Post.)

Aus den Verhandlungen der Pairskammer vom 6 und 7 Jan. bringen wir noch einige Nachträge in Betreff der in der Pairskammeradresse vorgeschlagenen Amendements für Polen: Graf Tascher erhob sich in der Sitzung vom 6 mit folgenden Worten: „Das Princip, welches der Adresse-Entwurf durch die Worte ausdrückt: daß die Friedensverträge jene Bedingungen der Dauer erhalten sollen, ohne welche der Zweck Europa's nicht erreicht würde, gibt mir die Hoffnung, daß die Kammer nicht müde werde, die Klage zu hören, die ich meinerseits unermüdlich zu Gunsten eines Volkes wiederhole, dessen Erhaltung Frankreich feierlich in seinem Interesse, wie im Interesse der Gerechtigkeit, unter dem Siegel der Verträge garantirt hatte. Heute ertönt die Klage noch weit schmerzlicher, denn die Reste der polnischen Nationalität erhielten eine neue, tiefe Wunde. Es ist Ihnen allen bekannt, welche heimliche Gewaltthat dem System, das seit zehn Jahren einen solchen Ausgang vorbereitete, die Krone aufgesetzt hat. In seiner religiösen Grundfeste geschickt untergraben wurde das katholische Polen gewaltsam aus dem Schooß der katholischen Kirche gerissen und der griechisch-moskowischen Kirche einverleibt. *)*) Ich will über diesen traurigen Gegenstand mich nicht weiter aussprechen. Die discreteste und zugleich gewichtvollste Stimme, die in der Welt ertönen kann, hat den Triumph des Mißbrauchs der Gewalt über das innigste und heiligste Besitzthum des Geistes verkündet, sie hat ihr die Schmach verkündet, die an der neuen Civilisation, welche die Gewissensfreiheit vor alle übrigen Freiheiten stellt, verübt worden ist. Ich will nicht fortfahren, denn ich fürchte, den tiefen Eindruck nur zu schwächen, den ein soches Document auf die ganze katholische Welt machen mußte. Uebrigens darf man zweifeln, daß das Oberhaupt einer herrschenden Religion bloß aus Glaubenseifer einen verdienstlichen Act des Proselytismus üben wollte. .. Was Krakau anbelangt, so kennt die Welt das Loos, das ihm unter der Aegide der Schutzmächte geworden. Die Stille des Grabes herrscht um dieses letzte Asyl der polnischen Nationalität, und gleichwohl ist ein Jahr bereits verflossen, seitdem Graf Molé den Repräsentanten des Landes die Hoffnung, die feste Hoffnung kund gab, daß Krakau bald geräumt würde! Warum sollte ich die Nachfolger des damaligen Ministeriums nicht fragen, was aus jenen Hoffnungen geworden? Ich sehe auf der Bank der Minister den beredtesten Vertheidiger der Sache, für die ich in diesem Augenblick das Wort führe, denselben, der vor zwei Jahren auf dieser Tribune erklärte, daß, wenn die Thatsachen ernster geworden, die Protestationen nicht schwächer werden dürften, und der in derselben Sitzung die Beharrlichkeit meiner Gesinnungen für die polnische Nationalität anrief. Das Pfand, das damals jener Freund Polens von mir verlangte, vertraue ich heute dem Rath der Krone an.“ Der Conseilpräsident, Marschall Soult, antwortete: „Ich bemerke dem ehrenwerthen Redner sowohl hinsichtlich der Aufhebung der Union in Polen, als hinsichtlich Krakau's, daß Frankreich keine Verletzung der Verträge sanctionirt oder billigt. Frankreich denkt und handelt in dem Sinne der Wiederherstellung jener Verträge, wenn die Zeit es gestattet, wenn die Umstände günstig sind; selbst sein Stillschweigen ist eine Mißbilligung dessen, was geschah.“ Graf d'Harcourt unterstützte den Antrag des Grafen Tascher, und verwarf die Argumente jener, welche nichts von Protestationen wissen wollten, die nicht Waffengewalt unterstütze. „Nein! rief der Redner, wir wollen keinen Krieg. Nicht der Geist der Verwirrung bezeichnet unsere Zeit, sondern der des Siegs der Vernunft, der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, und wir haben glänzende Beispiele dieses Siegs. Blickt auf Griechenland, das sich aus einer fünfhundertjährigen Sklaverei erhoben! Seht die Sklaverei der Schwarzen, die sich von

*) Wir brauchen unsere Leser nicht erst darauf aufmerksam zu machen, daß hier Graf Tascher die katholische Kirche Polens mit der griechisch-unirten von Rußland verwechselt.
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[0115/0003] denselben Arbeiten verwandt werden, daß mehrere, entweder nach der Beschaffenheit ihres Verbrechens, oder nach ihrer frühern Erziehung, oder hauptsächlich in Rücksicht auf ihre gute Aufführung milder behandelt würden. Wenn nun Grund zur Anwendung solcher Nachsicht vorhanden sey, so dürfte dieß hauptsächlich bei Anwendung eines Gnadenerkenntnisses und bei einem politischen Verurtheilten der Fall seyn. Uebrigens ward Hrn. Dupin durch das Murren der Kammer bewiesen, daß sie solche Procedurzwischenfragen bei den Aufregungen eines parlamenrischen Kampfes nicht liebe. Hr. Garnier-Pages und Hr. Dufaure nahmen das Ende der Sitzung ein. Hr. Garnier-Pagès, der sich gleich von vornherein als sehr neugierig bekennt, richtete eine Menge Fragen an das Ministerium über dessen Ursprung, Zusammensetzung und Stellung in der Kammer. Hr. Dufaure antwortete, daß er der jetzt noch zweifelhaft scheinenden Majorität in vorkommenden Fällen vertraue. Das Journal des Débats äußert über obige Discussion: „Die Deputirtenkammer hat heute die Berathung über den Adreßentwurf begonnen. Wenn wir unsere Eindrücke ehrlich heraussagen wollen, so müssen wir gestehen, daß wir selten einer mittelmäßigern und mattern parlamentarischen Debatte beigewohnt haben. Man hat das Ministerium ungeschickt angegriffen, und seine Vertheidigung war gleichfalls ziemlich traurig. Wenig fehlte, so sehnten wir uns nach der furchtbaren Energie der Debatten des letzten Jahrs zurück. Wir haben demnach wenig über die heutige Sitzung zu sagen, denn in der That wir fühlen den Muth nicht, die ehrenwerthen Redner, die wir gehört haben, nachzuahmen, und ein Vergrößerungsglas zu nehmen, um zu untersuchen, ob das Ministerium vom 12 Mai von den früheren Cabinetten hinreichend verschieden ist. Diese Art von Anatomie des Ministeriums war der ganze Gegenstand der Discussion. Wahrhaftig der Kammer und dem Land mag viel daran liegen, zu wissen, in wie weit die HH. Passy, Dufaure und Teste ihre Meinungen modificirt haben, seitdem sie Minister sind!“ In der Deputirtenkammersitzung vom 10 Jan. hielt zuerst Hr. v. Chambole eine ziemlich unbedeutende Rede gegen den Adresseentwurf. Er klagte, das Ministerium sey nicht homogen, nicht parlamentarisch und habe keine Majorität. Hr. De Longrais sprach für den Entwurf, drückte aber den Wunsch aus, das Ministerium möge einen Gesetzesentwurf vorlegen, der jedem Deputirten die Annahme eines mit Besoldung verbundenen Amts während der Dauer seines Mandats und zwei Jahre lang nach dessen Erlöschung verbiete. Hr. de Sade ermahnte die Kammer zur Einigkeit, da sonst keine stabile Regierung möglich sey. Hr. Duvergier de Hauranne beklagte sich gleichfalls über die Spaltung unter den Deputirten und über die Heftigkeit ihrer Reden. Selbst die Männer, welche sonst am meisten zur Versöhnung geneigt seyen, überließen sich dieser Leidenschaftlichkeit, stimmten aber dann doch für die Adresse. Hr. Odilon Barrot erklärte, er und seine Freunde gehörten fortwährend zur Opposition; er wolle die Nationaldynastie, aber auch die parlamentarische Regierung und die Consequenzen zweier Revolutionen, das einzige Mittel, die constitutionelle Monarchie zu constituiren. Der Redner endigte mit einem heftigen Ausfall gegen das Ministerium, das er ein unmächtiges nennt. Der Minister Villemain und Hr. Salvandy folgten Hrn. Barrot auf der Rednerbühne. (Abgang der Post.) Aus den Verhandlungen der Pairskammer vom 6 und 7 Jan. bringen wir noch einige Nachträge in Betreff der in der Pairskammeradresse vorgeschlagenen Amendements für Polen: Graf Tascher erhob sich in der Sitzung vom 6 mit folgenden Worten: „Das Princip, welches der Adresse-Entwurf durch die Worte ausdrückt: daß die Friedensverträge jene Bedingungen der Dauer erhalten sollen, ohne welche der Zweck Europa's nicht erreicht würde, gibt mir die Hoffnung, daß die Kammer nicht müde werde, die Klage zu hören, die ich meinerseits unermüdlich zu Gunsten eines Volkes wiederhole, dessen Erhaltung Frankreich feierlich in seinem Interesse, wie im Interesse der Gerechtigkeit, unter dem Siegel der Verträge garantirt hatte. Heute ertönt die Klage noch weit schmerzlicher, denn die Reste der polnischen Nationalität erhielten eine neue, tiefe Wunde. Es ist Ihnen allen bekannt, welche heimliche Gewaltthat dem System, das seit zehn Jahren einen solchen Ausgang vorbereitete, die Krone aufgesetzt hat. In seiner religiösen Grundfeste geschickt untergraben wurde das katholische Polen gewaltsam aus dem Schooß der katholischen Kirche gerissen und der griechisch-moskowischen Kirche einverleibt. *) *) Ich will über diesen traurigen Gegenstand mich nicht weiter aussprechen. Die discreteste und zugleich gewichtvollste Stimme, die in der Welt ertönen kann, hat den Triumph des Mißbrauchs der Gewalt über das innigste und heiligste Besitzthum des Geistes verkündet, sie hat ihr die Schmach verkündet, die an der neuen Civilisation, welche die Gewissensfreiheit vor alle übrigen Freiheiten stellt, verübt worden ist. Ich will nicht fortfahren, denn ich fürchte, den tiefen Eindruck nur zu schwächen, den ein soches Document auf die ganze katholische Welt machen mußte. Uebrigens darf man zweifeln, daß das Oberhaupt einer herrschenden Religion bloß aus Glaubenseifer einen verdienstlichen Act des Proselytismus üben wollte. .. Was Krakau anbelangt, so kennt die Welt das Loos, das ihm unter der Aegide der Schutzmächte geworden. Die Stille des Grabes herrscht um dieses letzte Asyl der polnischen Nationalität, und gleichwohl ist ein Jahr bereits verflossen, seitdem Graf Molé den Repräsentanten des Landes die Hoffnung, die feste Hoffnung kund gab, daß Krakau bald geräumt würde! Warum sollte ich die Nachfolger des damaligen Ministeriums nicht fragen, was aus jenen Hoffnungen geworden? Ich sehe auf der Bank der Minister den beredtesten Vertheidiger der Sache, für die ich in diesem Augenblick das Wort führe, denselben, der vor zwei Jahren auf dieser Tribune erklärte, daß, wenn die Thatsachen ernster geworden, die Protestationen nicht schwächer werden dürften, und der in derselben Sitzung die Beharrlichkeit meiner Gesinnungen für die polnische Nationalität anrief. Das Pfand, das damals jener Freund Polens von mir verlangte, vertraue ich heute dem Rath der Krone an.“ Der Conseilpräsident, Marschall Soult, antwortete: „Ich bemerke dem ehrenwerthen Redner sowohl hinsichtlich der Aufhebung der Union in Polen, als hinsichtlich Krakau's, daß Frankreich keine Verletzung der Verträge sanctionirt oder billigt. Frankreich denkt und handelt in dem Sinne der Wiederherstellung jener Verträge, wenn die Zeit es gestattet, wenn die Umstände günstig sind; selbst sein Stillschweigen ist eine Mißbilligung dessen, was geschah.“ Graf d'Harcourt unterstützte den Antrag des Grafen Tascher, und verwarf die Argumente jener, welche nichts von Protestationen wissen wollten, die nicht Waffengewalt unterstütze. „Nein! rief der Redner, wir wollen keinen Krieg. Nicht der Geist der Verwirrung bezeichnet unsere Zeit, sondern der des Siegs der Vernunft, der Gerechtigkeit und Menschlichkeit, und wir haben glänzende Beispiele dieses Siegs. Blickt auf Griechenland, das sich aus einer fünfhundertjährigen Sklaverei erhoben! Seht die Sklaverei der Schwarzen, die sich von *) Wir brauchen unsere Leser nicht erst darauf aufmerksam zu machen, daß hier Graf Tascher die katholische Kirche Polens mit der griechisch-unirten von Rußland verwechselt.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 15. Augsburg, 15. Januar 1840, S. 0115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_015_18400115/3>, abgerufen am 25.11.2024.