Allgemeine Zeitung. Nr. 11. Augsburg, 11. Januar 1840.
Als ächte Söhne der von jeher die Freiheit beschützenden Berge verachteten und verachten diese zahlreichen Völkerschaften und Klane die Civilisation, die ihnen mehrmalen im Laufe der Jahrhunderte in Begleitung der Sklaverei geboten ward, von Asien her wie von Europa. Ihre niedrigen, aber freien Hütten schützen sie mehr denn die Paläste, über welche ein Einzelner nach Willkür gebietet; ihre schlechte Nahrung dünkt ihnen schmackhafter, denn die Leckerbissen der Höflinge des Schahs, des Kaisers und des Czars, und sie achten ihre aus dem reinen Gefühle hervorgegangenen, von Mund zu Mund überlieferten und im treuen von Vielwisserei nicht getrübten Gedächtnisse aufbewahrten Lieder höher, als die mühsam ersonnenen und fein zugespitzten Lobpreisungen asiatischer und europäischer Hofhistoriographen. Die Schreibkunst blieb ihnen im Ganzen fremd, und wenn auch Ausländer für ihre schwierigen Idiome Lautzeichen erfanden, wie der Armenier Mesrop für die alten Albanier, oder ihre eigene Schrift ihnen brachten, wie die gebildetsten Völker der Welt dieß thaten im Laufe der vielen Jahrhunderte der Geschichte, so verschmähete es die barbarische Rohheit, von dieser wundervollen Kunst einen dauernden Gebrauch zu machen. Ohne Schreibkunst ist aber ein regelmäßiger Staat, eine Geschichte undenkbar; der Weltengeist nahm reichliche Rache an dem stolzen Uebermuthe der Barbaren. Es haben die Stämme innerhalb des Kaukasus keine Geschichte; alle ihre Thaten waren vergebens, ihr Thun und Wirken ist verschollen - das Wenige, was sich davon erhalten, ward von Fremden, häufig von ihren Feinden, der Nachwelt überliefert. Aus ihren Gesängen, wenn sie auch in der Folgezeit gesammelt und bekannt werden, wird sich aber niemals eine Geschichte in unserm Sinne des Worts herstellen lassen. Ihre gereimten und reimlosen, beim Tanz und bei andern festlichen Gelegenheiten gesungenen Lieder dienen zur Verherrlichung der Tapferkeit und der tugendhaften Thaten; bald sollen sie auch die Feigheit züchtigen und das Verbrechen. Eine Schandthat in einem Liede verewigen - dieß ist eine der größten Strafen, welche die Tscherkessen über die Schlechten verhängen. Es sollen ehemals, wie dieß auch bei den Germanen und Kelten der Fall war, die Sänger selbst mit ins Feld gezogen seyn und durch ihre Lieder das Heer zu tapfern Thaten begeistert haben. Marigny hörte viele dieser Lieder, und der Major Tausch lernte mehrere dieser umfangreichen Rhapsodien auswendig. Die Tscherkessen sind im Ganzen ein höchst poetisches Volk, voller Phantasie, lebhaften Geistes und tiefen Gefühles für die Schönheiten der Natur. "Dieß ersahen wir - so erzählen reisende Engländer, die sich längere Zeit unter ihnen aufhielten - dieß ersahen wir aus den Gesängen, die wir bei Hassan Bey hörten, und die man uns übersetzte. Es war am zweiten Tage unsers Aufenthalts bei diesem Fürsten, wo wir einem Schauspiele beiwohnten, das uns in die Heroenzeit des griechischen Alterthums zurückversetzte. Nach dem Abendessen traten drei Männer herein, die sich in den Hintergrund der Halle stellten und mit ihren flackernden Harzfackeln den ganzen Raum erhellten. Der Fürst erhob sich von seinem Sitze, warf einen suchenden Blick unter die Gäste, deren mehr denn zweihundert anwesend waren, und sprach mit lauter, ernster Stimme: "Wo ist Mensuk? Hat ihn die Begeisterung ganz verlassen? Hat er denn keinen Gesang, womit er die glückverkündende Ankunft eines Engländers in unsern heimathlichen Bergen feiern könnte?" Bei diesen Worten richteten sich die Blicke aller Gäste auf einen alten blinden Mann, welcher im Augenblick sich erhob und der Aufforderung des Herrn Folge leistete. Bald mit einer langsamen, bald mit einer schnell dahineilenden Stimme begann nun der Greis regellose Verse zu recitiren, wozu er sich selbst auf einem zweisaitigen Instrumente, welches einer Guitarre glich, begleitete. Von Zeit zu Zeit fiel die ganze Versammlung mit einem donnernden Chorus ein, wovon der ganze Saal erzitterte, und in welchem man bloß die Worte "Inglis" und "Ingilterra" unterscheiden konnte. Je länger der Barde sang, desto heftiger und leidenschaftlicher wurden seine Bewegungen, Ton und Stimme; in derselben Weise steigerte sich die Begeisterung seiner Zuhörer, und dieß bis zu einem unglaublichen Grade, so daß am Ende viele von ihren Sitzen aufsprangen und mit ihren Waffen hin und herfuhren. Um dieß ganze, wahrhaft erhabene Schauspiel durch einen außerordentlichen Beweis von Liebe und Ehrfurcht für England und ihre englischen Gäste zu schließen, feuerten alle anwesenden Tscherkessen ihre Pistolen und Flinten in den Kamin, so daß der ganze Saal von Rauch und Finsterniß erfüllt war. Als man wiederum etwas sehen konnte, ließ der Rhapsode nochmals seinen Gesang erklingen, der jetzt lieblicher ward und freudiger. Die jungen Leute führten eine Pantomime dazu auf, welche, wie der pyrrhichische Tanz der Alten, einen Kampf darstellte. Wir hatten niemals zuvor einem ähnlichen großartigen Schauspiele beigewohnt." Rebenius über die Wirkungen des deutschen Zollvereins. I. Fortschritte der Industrie. In dem neuesten Heft der deutschen Vierteljahrsschrift (Januar bis März 1840) bespricht der hochehrenwerthe Staatsmann, dessen Rücktritt der Wissenschaft zu Gute kommt, den Einfluß und die Entwicklung des Zollvereins, nachdem er in einem frühern Hefte dessen Geschichte entworfen hatte. Der Mann, der als Gelehrter wie als Minister aufs Nächste von den vorliegenden Fragen berührt wurde, und in denselben eine Autorität bildet, ist zum ersten Votum in denselben berechtigt, und so schied er aus dem engen Kreise Badens und seines Amtes nur, um ein höheres Amt für ganz Deutschland zu
Als ächte Söhne der von jeher die Freiheit beschützenden Berge verachteten und verachten diese zahlreichen Völkerschaften und Klane die Civilisation, die ihnen mehrmalen im Laufe der Jahrhunderte in Begleitung der Sklaverei geboten ward, von Asien her wie von Europa. Ihre niedrigen, aber freien Hütten schützen sie mehr denn die Paläste, über welche ein Einzelner nach Willkür gebietet; ihre schlechte Nahrung dünkt ihnen schmackhafter, denn die Leckerbissen der Höflinge des Schahs, des Kaisers und des Czars, und sie achten ihre aus dem reinen Gefühle hervorgegangenen, von Mund zu Mund überlieferten und im treuen von Vielwisserei nicht getrübten Gedächtnisse aufbewahrten Lieder höher, als die mühsam ersonnenen und fein zugespitzten Lobpreisungen asiatischer und europäischer Hofhistoriographen. Die Schreibkunst blieb ihnen im Ganzen fremd, und wenn auch Ausländer für ihre schwierigen Idiome Lautzeichen erfanden, wie der Armenier Mesrop für die alten Albanier, oder ihre eigene Schrift ihnen brachten, wie die gebildetsten Völker der Welt dieß thaten im Laufe der vielen Jahrhunderte der Geschichte, so verschmähete es die barbarische Rohheit, von dieser wundervollen Kunst einen dauernden Gebrauch zu machen. Ohne Schreibkunst ist aber ein regelmäßiger Staat, eine Geschichte undenkbar; der Weltengeist nahm reichliche Rache an dem stolzen Uebermuthe der Barbaren. Es haben die Stämme innerhalb des Kaukasus keine Geschichte; alle ihre Thaten waren vergebens, ihr Thun und Wirken ist verschollen – das Wenige, was sich davon erhalten, ward von Fremden, häufig von ihren Feinden, der Nachwelt überliefert. Aus ihren Gesängen, wenn sie auch in der Folgezeit gesammelt und bekannt werden, wird sich aber niemals eine Geschichte in unserm Sinne des Worts herstellen lassen. Ihre gereimten und reimlosen, beim Tanz und bei andern festlichen Gelegenheiten gesungenen Lieder dienen zur Verherrlichung der Tapferkeit und der tugendhaften Thaten; bald sollen sie auch die Feigheit züchtigen und das Verbrechen. Eine Schandthat in einem Liede verewigen – dieß ist eine der größten Strafen, welche die Tscherkessen über die Schlechten verhängen. Es sollen ehemals, wie dieß auch bei den Germanen und Kelten der Fall war, die Sänger selbst mit ins Feld gezogen seyn und durch ihre Lieder das Heer zu tapfern Thaten begeistert haben. Marigny hörte viele dieser Lieder, und der Major Tausch lernte mehrere dieser umfangreichen Rhapsodien auswendig. Die Tscherkessen sind im Ganzen ein höchst poetisches Volk, voller Phantasie, lebhaften Geistes und tiefen Gefühles für die Schönheiten der Natur. „Dieß ersahen wir – so erzählen reisende Engländer, die sich längere Zeit unter ihnen aufhielten – dieß ersahen wir aus den Gesängen, die wir bei Hassan Bey hörten, und die man uns übersetzte. Es war am zweiten Tage unsers Aufenthalts bei diesem Fürsten, wo wir einem Schauspiele beiwohnten, das uns in die Heroenzeit des griechischen Alterthums zurückversetzte. Nach dem Abendessen traten drei Männer herein, die sich in den Hintergrund der Halle stellten und mit ihren flackernden Harzfackeln den ganzen Raum erhellten. Der Fürst erhob sich von seinem Sitze, warf einen suchenden Blick unter die Gäste, deren mehr denn zweihundert anwesend waren, und sprach mit lauter, ernster Stimme: „Wo ist Mensuk? Hat ihn die Begeisterung ganz verlassen? Hat er denn keinen Gesang, womit er die glückverkündende Ankunft eines Engländers in unsern heimathlichen Bergen feiern könnte?“ Bei diesen Worten richteten sich die Blicke aller Gäste auf einen alten blinden Mann, welcher im Augenblick sich erhob und der Aufforderung des Herrn Folge leistete. Bald mit einer langsamen, bald mit einer schnell dahineilenden Stimme begann nun der Greis regellose Verse zu recitiren, wozu er sich selbst auf einem zweisaitigen Instrumente, welches einer Guitarre glich, begleitete. Von Zeit zu Zeit fiel die ganze Versammlung mit einem donnernden Chorus ein, wovon der ganze Saal erzitterte, und in welchem man bloß die Worte „Inglis“ und „Ingilterra“ unterscheiden konnte. Je länger der Barde sang, desto heftiger und leidenschaftlicher wurden seine Bewegungen, Ton und Stimme; in derselben Weise steigerte sich die Begeisterung seiner Zuhörer, und dieß bis zu einem unglaublichen Grade, so daß am Ende viele von ihren Sitzen aufsprangen und mit ihren Waffen hin und herfuhren. Um dieß ganze, wahrhaft erhabene Schauspiel durch einen außerordentlichen Beweis von Liebe und Ehrfurcht für England und ihre englischen Gäste zu schließen, feuerten alle anwesenden Tscherkessen ihre Pistolen und Flinten in den Kamin, so daß der ganze Saal von Rauch und Finsterniß erfüllt war. Als man wiederum etwas sehen konnte, ließ der Rhapsode nochmals seinen Gesang erklingen, der jetzt lieblicher ward und freudiger. Die jungen Leute führten eine Pantomime dazu auf, welche, wie der pyrrhichische Tanz der Alten, einen Kampf darstellte. Wir hatten niemals zuvor einem ähnlichen großartigen Schauspiele beigewohnt.“ Rebenius über die Wirkungen des deutschen Zollvereins. I. Fortschritte der Industrie. In dem neuesten Heft der deutschen Vierteljahrsschrift (Januar bis März 1840) bespricht der hochehrenwerthe Staatsmann, dessen Rücktritt der Wissenschaft zu Gute kommt, den Einfluß und die Entwicklung des Zollvereins, nachdem er in einem frühern Hefte dessen Geschichte entworfen hatte. Der Mann, der als Gelehrter wie als Minister aufs Nächste von den vorliegenden Fragen berührt wurde, und in denselben eine Autorität bildet, ist zum ersten Votum in denselben berechtigt, und so schied er aus dem engen Kreise Badens und seines Amtes nur, um ein höheres Amt für ganz Deutschland zu <TEI> <text> <body> <div type="jSupplement" n="1"> <floatingText> <body> <div type="jArticle" n="2"> <p><pb facs="#f0011" n="0083"/><lb/> werden, unterscheidet man nach ihren Sprechweisen drei verschiedene Völkerschaften: die <hi rendition="#g">Tschetschenzen</hi>, <hi rendition="#g">Inguschen</hi> und <hi rendition="#g">Karabulaken</hi>, die schon Ptolemäus unter dem Namen der <hi rendition="#g">Tusken</hi> und <hi rendition="#g">Diduren</hi> kennt. Die <hi rendition="#g">Abchasen</hi> oder <hi rendition="#g">Abasen</hi> am nördlichen und südlichen Abhange des Kaukasus, zwischen dem obern Kuban, der Kuma und Malka wohnend, werden, ihren verschiedenen Dialekten gemäß, in sechzehn Stämme eingetheilt, die sämmtlich der Sprache der <hi rendition="#g">Adige</hi> oder <hi rendition="#g">Tscherkessen</hi>, die selbst wiederum in mehreren sehr abweichenden Dialekten gesprochen wird, verwandt sind. Ueberdieß findet man an verschiedenen Plätzen innerhalb des Kaukasus einzelne zersprengte tatarische und turkomanische Stämme, wie die <hi rendition="#g">Basianen</hi> und <hi rendition="#g">Chumyken</hi>, welche zum Turkstamm gehören und Dialekte der <hi rendition="#g">mongolischen Tataren</hi> sprechen. Die <hi rendition="#g">Turkomanen</hi>, von den Russen <hi rendition="#g">Truchmenen</hi> genannt, welche die Steppe zwischen der Kuma und dem Terek, wo Kislar der Hauptort ist, bewohnen, waren früher Unterthanen der Torgoten an der Wolga, und weigerten sich mit gewaffneter Hand, ihren gegen das Ende des Jahres 1770 nach China hin fliehenden Gebietern zu folgen. Sie blieben in ihren alten Wohnsitzen den Russen unterthan und wurden später, weil man befürchtete, sie möchten zu ihren Brüdern, die östlich vom kaspischen Meere nomadisirend herumziehen, entfliehen, in ihre jetzigen Wohnsitze westlich vom kaspischen Meere übergesiedelt, wo sie sich nach russischen Berichten sehr wohl befinden sollen.</p><lb/> <p>Als ächte Söhne der von jeher die Freiheit beschützenden Berge verachteten und verachten diese zahlreichen Völkerschaften und Klane die Civilisation, die ihnen mehrmalen im Laufe der Jahrhunderte in Begleitung der Sklaverei geboten ward, von Asien her wie von Europa. Ihre niedrigen, aber freien Hütten schützen sie mehr denn die Paläste, über welche ein Einzelner nach Willkür gebietet; ihre schlechte Nahrung dünkt ihnen schmackhafter, denn die Leckerbissen der Höflinge des Schahs, des Kaisers und des Czars, und sie achten ihre aus dem reinen Gefühle hervorgegangenen, von Mund zu Mund überlieferten und im treuen von Vielwisserei nicht getrübten Gedächtnisse aufbewahrten Lieder höher, als die mühsam ersonnenen und fein zugespitzten Lobpreisungen asiatischer und europäischer Hofhistoriographen. Die Schreibkunst blieb ihnen im Ganzen fremd, und wenn auch Ausländer für ihre schwierigen Idiome Lautzeichen erfanden, wie der Armenier Mesrop für die alten Albanier, oder ihre eigene Schrift ihnen brachten, wie die gebildetsten Völker der Welt dieß thaten im Laufe der vielen Jahrhunderte der Geschichte, so verschmähete es die barbarische Rohheit, von dieser wundervollen Kunst einen dauernden Gebrauch zu machen. Ohne Schreibkunst ist aber ein regelmäßiger Staat, eine Geschichte undenkbar; der Weltengeist nahm reichliche Rache an dem stolzen Uebermuthe der Barbaren. <hi rendition="#g">Es haben die Stämme innerhalb des Kaukasus keine Geschichte</hi>; alle ihre Thaten waren vergebens, ihr Thun und Wirken ist verschollen – das Wenige, was sich davon erhalten, ward von Fremden, häufig von ihren Feinden, der Nachwelt überliefert. Aus ihren Gesängen, wenn sie auch in der Folgezeit gesammelt und bekannt werden, wird sich aber niemals eine Geschichte in unserm Sinne des Worts herstellen lassen. Ihre gereimten und reimlosen, beim Tanz und bei andern festlichen Gelegenheiten gesungenen Lieder dienen zur Verherrlichung der Tapferkeit und der tugendhaften Thaten; bald sollen sie auch die Feigheit züchtigen und das Verbrechen. Eine Schandthat in einem Liede verewigen – dieß ist eine der größten Strafen, welche die Tscherkessen über die Schlechten verhängen. Es sollen ehemals, wie dieß auch bei den Germanen und Kelten der Fall war, die Sänger selbst mit ins Feld gezogen seyn und durch ihre Lieder das Heer zu tapfern Thaten begeistert haben. Marigny hörte viele dieser Lieder, und der Major Tausch lernte mehrere dieser umfangreichen Rhapsodien auswendig.</p><lb/> <p>Die Tscherkessen sind im Ganzen ein höchst poetisches Volk, voller Phantasie, lebhaften Geistes und tiefen Gefühles für die Schönheiten der Natur. „Dieß ersahen wir – so erzählen reisende Engländer, die sich längere Zeit unter ihnen aufhielten – dieß ersahen wir aus den Gesängen, die wir bei Hassan Bey hörten, und die man uns übersetzte. Es war am zweiten Tage unsers Aufenthalts bei diesem Fürsten, wo wir einem Schauspiele beiwohnten, das uns in die Heroenzeit des griechischen Alterthums zurückversetzte. Nach dem Abendessen traten drei Männer herein, die sich in den Hintergrund der Halle stellten und mit ihren flackernden Harzfackeln den ganzen Raum erhellten. Der Fürst erhob sich von seinem Sitze, warf einen suchenden Blick unter die Gäste, deren mehr denn zweihundert anwesend waren, und sprach mit lauter, ernster Stimme: „Wo ist Mensuk? Hat ihn die Begeisterung ganz verlassen? Hat er denn keinen Gesang, womit er die glückverkündende Ankunft eines Engländers in unsern heimathlichen Bergen feiern könnte?“ Bei diesen Worten richteten sich die Blicke aller Gäste auf einen alten blinden Mann, welcher im Augenblick sich erhob und der Aufforderung des Herrn Folge leistete. Bald mit einer langsamen, bald mit einer schnell dahineilenden Stimme begann nun der Greis regellose Verse zu recitiren, wozu er sich selbst auf einem zweisaitigen Instrumente, welches einer Guitarre glich, begleitete. Von Zeit zu Zeit fiel die ganze Versammlung mit einem donnernden Chorus ein, wovon der ganze Saal erzitterte, und in welchem man bloß die Worte „Inglis“ und „Ingilterra“ unterscheiden konnte. Je länger der Barde sang, desto heftiger und leidenschaftlicher wurden seine Bewegungen, Ton und Stimme; in derselben Weise steigerte sich die Begeisterung seiner Zuhörer, und dieß bis zu einem unglaublichen Grade, so daß am Ende viele von ihren Sitzen aufsprangen und mit ihren Waffen hin und herfuhren. Um dieß ganze, wahrhaft erhabene Schauspiel durch einen außerordentlichen Beweis von Liebe und Ehrfurcht für England und ihre englischen Gäste zu schließen, feuerten alle anwesenden Tscherkessen ihre Pistolen und Flinten in den Kamin, so daß der ganze Saal von Rauch und Finsterniß erfüllt war. Als man wiederum etwas sehen konnte, ließ der Rhapsode nochmals seinen Gesang erklingen, der jetzt lieblicher ward und freudiger. Die jungen Leute führten eine Pantomime dazu auf, welche, wie der pyrrhichische Tanz der Alten, einen Kampf darstellte. Wir hatten niemals zuvor einem ähnlichen großartigen Schauspiele beigewohnt.“</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Rebenius über die Wirkungen des deutschen Zollvereins</hi>.</hi> </head><lb/> <p>I. <hi rendition="#g">Fortschritte der Industrie</hi>.</p><lb/> <p>In dem neuesten Heft der <hi rendition="#g">deutschen Vierteljahrsschrift</hi> (Januar bis März 1840) bespricht der hochehrenwerthe Staatsmann, dessen Rücktritt der Wissenschaft zu Gute kommt, den Einfluß und die Entwicklung des Zollvereins, nachdem er in einem frühern Hefte dessen Geschichte entworfen hatte. Der Mann, der als Gelehrter wie als Minister aufs Nächste von den vorliegenden Fragen berührt wurde, und in denselben eine Autorität bildet, ist zum ersten Votum in denselben berechtigt, und so schied er aus dem engen Kreise Badens und seines Amtes nur, um ein höheres Amt für ganz Deutschland zu<lb/></p> </div> </body> </floatingText> </div> </body> </text> </TEI> [0083/0011]
werden, unterscheidet man nach ihren Sprechweisen drei verschiedene Völkerschaften: die Tschetschenzen, Inguschen und Karabulaken, die schon Ptolemäus unter dem Namen der Tusken und Diduren kennt. Die Abchasen oder Abasen am nördlichen und südlichen Abhange des Kaukasus, zwischen dem obern Kuban, der Kuma und Malka wohnend, werden, ihren verschiedenen Dialekten gemäß, in sechzehn Stämme eingetheilt, die sämmtlich der Sprache der Adige oder Tscherkessen, die selbst wiederum in mehreren sehr abweichenden Dialekten gesprochen wird, verwandt sind. Ueberdieß findet man an verschiedenen Plätzen innerhalb des Kaukasus einzelne zersprengte tatarische und turkomanische Stämme, wie die Basianen und Chumyken, welche zum Turkstamm gehören und Dialekte der mongolischen Tataren sprechen. Die Turkomanen, von den Russen Truchmenen genannt, welche die Steppe zwischen der Kuma und dem Terek, wo Kislar der Hauptort ist, bewohnen, waren früher Unterthanen der Torgoten an der Wolga, und weigerten sich mit gewaffneter Hand, ihren gegen das Ende des Jahres 1770 nach China hin fliehenden Gebietern zu folgen. Sie blieben in ihren alten Wohnsitzen den Russen unterthan und wurden später, weil man befürchtete, sie möchten zu ihren Brüdern, die östlich vom kaspischen Meere nomadisirend herumziehen, entfliehen, in ihre jetzigen Wohnsitze westlich vom kaspischen Meere übergesiedelt, wo sie sich nach russischen Berichten sehr wohl befinden sollen.
Als ächte Söhne der von jeher die Freiheit beschützenden Berge verachteten und verachten diese zahlreichen Völkerschaften und Klane die Civilisation, die ihnen mehrmalen im Laufe der Jahrhunderte in Begleitung der Sklaverei geboten ward, von Asien her wie von Europa. Ihre niedrigen, aber freien Hütten schützen sie mehr denn die Paläste, über welche ein Einzelner nach Willkür gebietet; ihre schlechte Nahrung dünkt ihnen schmackhafter, denn die Leckerbissen der Höflinge des Schahs, des Kaisers und des Czars, und sie achten ihre aus dem reinen Gefühle hervorgegangenen, von Mund zu Mund überlieferten und im treuen von Vielwisserei nicht getrübten Gedächtnisse aufbewahrten Lieder höher, als die mühsam ersonnenen und fein zugespitzten Lobpreisungen asiatischer und europäischer Hofhistoriographen. Die Schreibkunst blieb ihnen im Ganzen fremd, und wenn auch Ausländer für ihre schwierigen Idiome Lautzeichen erfanden, wie der Armenier Mesrop für die alten Albanier, oder ihre eigene Schrift ihnen brachten, wie die gebildetsten Völker der Welt dieß thaten im Laufe der vielen Jahrhunderte der Geschichte, so verschmähete es die barbarische Rohheit, von dieser wundervollen Kunst einen dauernden Gebrauch zu machen. Ohne Schreibkunst ist aber ein regelmäßiger Staat, eine Geschichte undenkbar; der Weltengeist nahm reichliche Rache an dem stolzen Uebermuthe der Barbaren. Es haben die Stämme innerhalb des Kaukasus keine Geschichte; alle ihre Thaten waren vergebens, ihr Thun und Wirken ist verschollen – das Wenige, was sich davon erhalten, ward von Fremden, häufig von ihren Feinden, der Nachwelt überliefert. Aus ihren Gesängen, wenn sie auch in der Folgezeit gesammelt und bekannt werden, wird sich aber niemals eine Geschichte in unserm Sinne des Worts herstellen lassen. Ihre gereimten und reimlosen, beim Tanz und bei andern festlichen Gelegenheiten gesungenen Lieder dienen zur Verherrlichung der Tapferkeit und der tugendhaften Thaten; bald sollen sie auch die Feigheit züchtigen und das Verbrechen. Eine Schandthat in einem Liede verewigen – dieß ist eine der größten Strafen, welche die Tscherkessen über die Schlechten verhängen. Es sollen ehemals, wie dieß auch bei den Germanen und Kelten der Fall war, die Sänger selbst mit ins Feld gezogen seyn und durch ihre Lieder das Heer zu tapfern Thaten begeistert haben. Marigny hörte viele dieser Lieder, und der Major Tausch lernte mehrere dieser umfangreichen Rhapsodien auswendig.
Die Tscherkessen sind im Ganzen ein höchst poetisches Volk, voller Phantasie, lebhaften Geistes und tiefen Gefühles für die Schönheiten der Natur. „Dieß ersahen wir – so erzählen reisende Engländer, die sich längere Zeit unter ihnen aufhielten – dieß ersahen wir aus den Gesängen, die wir bei Hassan Bey hörten, und die man uns übersetzte. Es war am zweiten Tage unsers Aufenthalts bei diesem Fürsten, wo wir einem Schauspiele beiwohnten, das uns in die Heroenzeit des griechischen Alterthums zurückversetzte. Nach dem Abendessen traten drei Männer herein, die sich in den Hintergrund der Halle stellten und mit ihren flackernden Harzfackeln den ganzen Raum erhellten. Der Fürst erhob sich von seinem Sitze, warf einen suchenden Blick unter die Gäste, deren mehr denn zweihundert anwesend waren, und sprach mit lauter, ernster Stimme: „Wo ist Mensuk? Hat ihn die Begeisterung ganz verlassen? Hat er denn keinen Gesang, womit er die glückverkündende Ankunft eines Engländers in unsern heimathlichen Bergen feiern könnte?“ Bei diesen Worten richteten sich die Blicke aller Gäste auf einen alten blinden Mann, welcher im Augenblick sich erhob und der Aufforderung des Herrn Folge leistete. Bald mit einer langsamen, bald mit einer schnell dahineilenden Stimme begann nun der Greis regellose Verse zu recitiren, wozu er sich selbst auf einem zweisaitigen Instrumente, welches einer Guitarre glich, begleitete. Von Zeit zu Zeit fiel die ganze Versammlung mit einem donnernden Chorus ein, wovon der ganze Saal erzitterte, und in welchem man bloß die Worte „Inglis“ und „Ingilterra“ unterscheiden konnte. Je länger der Barde sang, desto heftiger und leidenschaftlicher wurden seine Bewegungen, Ton und Stimme; in derselben Weise steigerte sich die Begeisterung seiner Zuhörer, und dieß bis zu einem unglaublichen Grade, so daß am Ende viele von ihren Sitzen aufsprangen und mit ihren Waffen hin und herfuhren. Um dieß ganze, wahrhaft erhabene Schauspiel durch einen außerordentlichen Beweis von Liebe und Ehrfurcht für England und ihre englischen Gäste zu schließen, feuerten alle anwesenden Tscherkessen ihre Pistolen und Flinten in den Kamin, so daß der ganze Saal von Rauch und Finsterniß erfüllt war. Als man wiederum etwas sehen konnte, ließ der Rhapsode nochmals seinen Gesang erklingen, der jetzt lieblicher ward und freudiger. Die jungen Leute führten eine Pantomime dazu auf, welche, wie der pyrrhichische Tanz der Alten, einen Kampf darstellte. Wir hatten niemals zuvor einem ähnlichen großartigen Schauspiele beigewohnt.“
Rebenius über die Wirkungen des deutschen Zollvereins.
I. Fortschritte der Industrie.
In dem neuesten Heft der deutschen Vierteljahrsschrift (Januar bis März 1840) bespricht der hochehrenwerthe Staatsmann, dessen Rücktritt der Wissenschaft zu Gute kommt, den Einfluß und die Entwicklung des Zollvereins, nachdem er in einem frühern Hefte dessen Geschichte entworfen hatte. Der Mann, der als Gelehrter wie als Minister aufs Nächste von den vorliegenden Fragen berührt wurde, und in denselben eine Autorität bildet, ist zum ersten Votum in denselben berechtigt, und so schied er aus dem engen Kreise Badens und seines Amtes nur, um ein höheres Amt für ganz Deutschland zu
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2016-06-28T11:37:15Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |