Beobachtungen auf einer Reise durch die Türkei und Griechenland.
Im Archipelagus, Ende November. (Beschluß.) Was bei den Armeniern schlummert, das ist bei den Griechen der Türkei längst erwacht, und wie auf ihr Stammland blicken sie hinüber nach Griechenland. Was sie verhindert, nach dem Königreich Hellas auszuwandern, ist hauptsächlich viererlei: 1) die Schwierigkeit, welche die türkische Regierung ihnen entgegensetzt; 2) die Unmöglichkeit, ihren Besitz in der Türkei zu Geld zu machen; 3) der schlechte Erfolg, den bisher die Einwanderungsplane der Chioten, Ipsarioten und Kandioten gehabt, und 4) das geringe Vertrauen, welches in neuester Zeit diese Regierung unter den Griechen in der Türkei zu haben scheint.
Das unkluge Benehmen Englands hat die griechische Regierung allmählich auf die russische Seite hinübergetrieben – ein Versehen, das man England selbst dann nicht verzeihen könnte, wenn es gewußt hätte, sich außerhalb der ihr mißfälligen Regierung eine starke Partei zu erhalten. Allein daran fehlt viel, und die zahlreichen Gegner der jetzigen Regierung sind eben so sehr Gegner des Repräsentanten der englischen Nation in Athen. Die Griechen Kleinasiens aber sind nicht minder denn die Türken antirussisch, und je mehr die Stimmung derselben von Smyrna ausgeht, desto natürlicher ist es, daß dieselbe leicht eine französische oder englische Farbe annimmt. Dazu kommen nun noch folgende sehr zu beklagende Umstände.
Die griechische Geistlichkeit in Griechenland ist seit einiger Zeit getheilt, wenn gleich nicht zu gleichen Theilen. Bekanntlich wurde im Jahr 1834 die Kirche des Königreichs von dem Patriarchat in Konstantinopel getrennt, und statt dessen eine Synode eingesetzt. Diese große und nothwendige Maaßregel war schon früher in einer griechischen Nationalversammlung beschlossen; denn es war einleuchtend, daß dieser neue christliche Staat unmöglich von einem geistlichen Oberhaupt abhängig seyn konnte, welches gezwungen war, in der Hauptstadt der Erzfeinde des Christenthums seinen Sitz zu haben. Die Trennung vom Patriarchat in Konstantinopel wurde von sämmtlichen Bischöfen und Erzbischöfen Griechenlands einstimmig beschlossen, vom König sanctionirt und die neue Synode in Gegenwart des Königs, der Regentschaft, aller höheren Beamten und der fremden Minister eingesetzt. Nur der russische Minister erschien nicht, und man behauptete, daß er unverhohlen seine Mißbilligung äußere. Die glückliche, von den Griechen mit großem Beifall aufgenommene Durchführung dieser Maaßregel war bekanntlich hauptsächlich das Werk Maurers, und vielleicht das größte Verdienst, das er sich um Griechenland erworben. Doch muß neben ihm mit vollem Recht Konstantin Schinas genannt werden, der, mit trefflichen Kenntnissen ausgestattet, die ganze Kraft einer freien und wohlbegründeten Ueberzeugung in der Versammlung der Geistlichen geltend zu machen wußte. In neuester Zeit nun scheint es den Napisten gelungen zu seyn, einige Geistliche anders zu stimmen. Ein russischer Pensionär, griechischer Geistlicher und, wie man sagt, Freund und Compagnon im Büchermachen eines gewissen Bojaren, der einst glaubte sich der deutschen Universitäten annehmen zu müssen, spricht öffentlich mit der größten Geringschätzung von der Synode. Es ist gelungen, dieselbe so sehr im napistischen Sinne zusammen zu setzen, daß die Geistlichkeit, wenn es so fortgeht, bald der Regierung übern Kopf wachsen möchte. Geistliche verketzern bereits die obersten Personen des Staats als nicht rechtgläubig, und ich glaube wohl, daß die Geistlichkeit nicht geringen Einfluß gehabt hat auf die Verminderung des Interesses für den König von Griechenland bei den Griechen in Kleinasien seit 1833, da eine ganz andere Stimmung herrschte, und der Bischof in Smyrna eine Kirchenfeierlichkeit wegen der Anwesenheit des jungen Königs anordnete zum unbeschreiblichen Jubel der Griechen.
Wir gehen hier nicht weiter ein auf die schamlosen Mittel, welche man angewandt hat, um das Ansehen der griechischen Regierung herabzusetzen, und zu denen eine kleinliche Diplomatie, wie sie sonst in Europa nicht mehr vorkommt, und keinem Staat Ehre machen kann, wenigstens geschwiegen hat, falls sie dieselben nicht veranlaßte. Wir sind vielmehr fest überzeugt, daß die Wahrheit sowohl in Europa als bei den Griechen in der Türkei nicht verborgen bleiben wird, und daß ein gerechtes Vertrauen nothwendig die Folge einer bessern Kunde seyn müsse.
Besuchen Sie erst die Griechen in der Türkei und gehen Sie dann nach dem Königreich Griechenland, und urtheilen Sie selbst, welch ein unendlicher Unterschied! Dort scheint die Hand und der Hauch jener rohen, lieblosen Türken, die mancher Reisende so „liebenswürdig“ gefunden, jedes Aufkeimen zu unterdrücken. Wie der kalte Reif die Saaten verdirbt, so drückt wie mit Fluch behaftet die türkische Herrschaft das griechische Volk nieder. Wo aber diese Herrschaft verjagt, wo griechisches Leben frei geworden ist, da blüht Alles auf, blüht schon auf durch sich selbst, wie auf Samos. Allein welch ein schnelles und kräftiges Aufblühen da, wo König Otto der gesegnete Mittler ist zwischen Griechenland und Europa! Mögen diejenigen, welche so eilig urtheilen, welche immer den aus Europa mitgebrachten Maaßstab anlegen, der oft selbst dort kein wirklicher ist, mögen sie Griechenland mit sich selbst, das jetzige mit dem wie es jüngst war und mit dem wie es noch ist in der Türkei, vergleichen. Gibt es in der Culturgeschichte irgend eines Volks einen solchen Fortschritt in so kurzer Zeit? Nein. Und dieser Fortschritt, dieser Segen wäre nicht ohne den König Otto und die Deutschen, die er mitbrachte. Man frage sich, wie weit Griechenland wäre, wenn es nach der Befreiung sich selbst überlassen geblieben? Es sind, Gott sey Dank, Ideen, welche die Welt regieren. Ohne die Idee des griechischen Alterthums und Athens, welche vor allen Deutschland lebendig erhalten hat, wäre kein verjüngtes Hellas, ohne die Idee der Berechtigung, der Weihung des griechischen Aufstandes durch einen europäischen Prinzen wäre kein europäisch-christlicher Staat aus den unfreien unglücklichen Sklaven antichristlicher Barbaren hervorgegangen. Und wäre etwa französische oder englische oder russische Cultur besser gewesen, als deutsche? So gern wir gestehen, daß Griechen dazu gehören, um so schnell sich zu civilisiren, so sehr berechtigt der Erfolg Deutschland, darauf stolz zu seyn, daß es in einem seiner Prinzen den thätigen Vermittler zwischen Griechenland und Europa, zwischen Alterthum und Gegenwart, zwischen Culturarmen und Culturreichen nach dem Vaterland seiner eigenen geistigen Verjüngung gesandt hat.
Eine vierte Nation, die in der Türkei zerstreut unter dem Scepter des Sultans lebt, bilden die Juden. Sie sind nicht
allein Handelsleute, wie in Europa, sondern nehmen im Ganzen eine in mancher Rücksicht mehr geachtete Stellung ein. Wie die Armenier die Financiers und Bankiers der Türken sind, die Griechen ihre Secretäre und Dragomane, so sind die Juden hauptsächlich im Besitz der Zölle. Sie haben nicht jenen europäischen Schacherjudencharakter, weil sie unter dem rohen unwissenden Volk der Türken nothwendig eine geistig höhere Stellung behaupten. Auch sie werden, je mehr der Sultan europäische Cultur einführt, desto mehr ihrer Nationalität sich erinnern und desto mehr sich aus dem Gemisch der Bevölkerung der Türkei als eine besondere Nation ausscheiden, deren Einheit anfangs in der Idee bestehen, bald aber vielleicht auch räumlich sich darstellen wird. Es gibt schon unter ihnen selbst und unter den Christen manchen, der eine Erneuerung des jüdischen Reichs in Palästina in nicht ferne Aussicht stellt. Auch diese erwarten vom Jahr 1840 Außerordentliches. Jedenfalls wäre billig, daß man bei Regulirung der orientalischen Angelegenheiten, welche den Christen in der Türkei neue Garantien geben muß, sich auch der Juden erinnere und kräftig annehme.
Außer diesen Fremden besteht die Bevölkerung des türkischen Reichs hauptsächlich in Mohammedanern, die sich in Türken und Araber theilen. Die herrschende Nation unter diesen ist aber durchaus die türkische. Mehemed Ali und sein Gouvernement und die Officiere seiner Armee, mit geringen Ausnahmen, sind Türken. Die Araber in Aegypten und Syrien sind vielleicht in einem elenderen Zustande der Unterwürfigkeit, als die Christen bisher in der Türkei waren; allein ihr Haupt ist mit dem Haupt der Türken und mit der Türkei entzweit, und tritt dadurch in ein engeres Verhältniß zu den Arabern, und wie sehr auch das Volk in Knechtschaft gehalten wird, dennoch ist die wahre Bedeutung des Kampfes zwischen dem Pascha und dem Sultan die, die arabische Nation aus dem Reich der Türken auszuscheiden. Das ist überhaupt der Charakter der Auflösung des türkischen Reichs, daß die großen nationalen Individualitäten sich ihrer selbst bewußt werden, sich constituiren und sich aus dem haltlos gewordenen Gemisch aussondern. Die Türken haben das geistige und moralische Uebergewicht über ihre Unterthanen, die nichttürkischen, verloren, und werden es nie wieder gewinnen. Was immer der Sultan thue, mag er fortfahren auf seinem Wege der Reformen, oder mag eine Reaction eintreten, beides muß jene nichttürkischen Völkerschaften immer mehr zum Selbstbewußtseyn bringen, und wie sie schon längst vorzugsweise das geistige Element in diesem faulen Körper waren, so werden sie je länger desto mehr durch geistige Ueberlegenheit über ihre Herrscher sich erheben. Wie früher die kleinen nördlichen Staaten, wie dann Griechenland, wie gegenwärtig die arabische Nation sich ab- und aussondert, so werden wir noch andere Beispiele des „Unmöglichen“ sehen, daß untergegangene Nationen wieder aufleben. Nämlich, sie waren nicht untergegangen, sie schliefen nur, und jetzt erwachen sie; sie waren eingesperrt, und jetzt kommen sie hervor aus ihrem Kerker. Der Sultan selbst, zu seiner eigenen Rettung – und dennoch zum Untergang seines Reichs – muß ihnen die verriegelten Pforten öffnen. Seine letzte merkwürdige Proclamation der „Menschenrechte“ beweist es. Ja, um sich und sein Reich zu retten, muß er nicht nur das mohammedanische Reich, sondern auch die mohammedanische Religion zerstören. So hat es eine allmächtige Hand geleitet. Die Erhaltung des Mohammedanismus zerstört das Reich Mohammeds; die Erhaltung des Reichs zerstört den Mohammedanismus. Es ist aber keine Wahl zwischen beiden: denn das Reich und die Religion Mohammeds sind, Eins. Europäische Bildung, europäische Gesetze und Sitte in der Türkei einführen, heißt Christenthum einführen und Heil dem Propheten, hat er seinen Koran so eingerichtet, daß sein Nachfolger daraus, wie er angefangen, die Einführung des Christenthums rechtfertigen kann. Christen müssen die Mohammedaner werden, sey es durch Uebertritt, sey es ohne diesen, durch die Macht des Geistes. Das sey hingestellt nicht als eine Prophezeiung zum Trost frommen Glaubens, sondern als Resultat aus offen liegenden Ursachen.
Was heißt nun, das Reich des Sultans in seiner Integrität erhalten? Es kann nur heißen, daß keine der contrahirenden Mächte ein Theilchen des zerfallenden Reichs erwerben soll. Was im Innern aus diesem Reich werde, das müssen auch sie der Nothwendigkeit, welche die Vernunft Gottes ist, überlassen. Vielleicht, wenn der Muselmann christlich wird, daß auch ein verjüngtes Türkenreich aus jenem Gemisch sich aussondert, ein christlich gewordenes, auf die Nation beschränktes. Wenn nicht, so kann heute keine christliche Macht unter dem Vorwand der Legitimität das Christenthum verrathen, um dasselbe, wo es sich befreien will, unter die antichristliche Barbarei zurückzuzwängen. Hellas aber möge auf seiner Hut seyn, daß sein Christenthum nicht zu einer kümmerlich beschränkten sogenannten Orthodoxie zusammenschrumpfe, und somit unfähig werde, diejenigen Griechen zu fassen, welche außerhalb oder innerhalb des Königreichs lebend in ihrer Religion wohl gegen ihre türkischen Unterdrücker eine Wehr und Waffe hatten und haben, aber nicht gegen ihre Brüder und christlichen Befreier. Soll, während der Mohammedanismus christlich frei wird, das Christenthum mohammedanisirt werden?
Der Kaukasus und seine Bewohner.
(Beschluß.)
Die südlich des Kaukasus und längs des südöstlichen Ufers des schwarzen Meeres wohnenden Georgier oder Grusier, das heißt die Bewohner der Gegenden um den Kurfluß, von den Alten und den benachbarten Armeniern Iberer oder Wirk genannt, wozu wir auch die Lasen, Suanier, Tsanier oder Sanier rechnen, zerfallen nach den verschiedenen, mehr oder weniger unter sich abweichenden Dialekten, die sie sprechen, in vier Stämme oder Zweige. Die Lesgier, Bewohner des fruchtreichen, längs dem westlichen Gestade des kaspischen Meeres sich hineinziehenden Alpenlandes Dagestan oder des alten Albaniens – die Lesgier sind wohl selbst großentheils die Nachkommen der ehemaligen Albanier oder asiatischen Alanen – können ebenfalls am füglichsten nach ihren verschiedenen Sprachen oder Dialekten in vier Stämme abgetheilt werden. Nach andern Angaben zerfiele die lesgische Sprache in acht Dialekte, die so sehr von einander abweichen, daß man sie für besondere Sprachen halten möchte. Die Iranier oder Arier – so nennen sich die innerhalb des hohen kaukasischen Gebirges und um die Quellen des Terek wohnenden Os oder Osseten – gehören, vermöge des Idioms das sie in verschiedenen Dialekten sprechen, zur medopersischen Sprachfamilie. Sie sind wahrscheinlich ein Rest der germanischen Alanen, wie sie auch nicht selten genannt werden, und sollen nach einer neuen, wie es scheint, zuverlässigen Schätzung sich kaum auf vierzigtausend Seelen belaufen. Unter den Kistiern oder Mizdschegiern, den Bewohnern der Alpengebirge im nördlichen Kaukasus, die von der kleinen Kabardah und der Sundschah begränzt
werden, unterscheidet man nach ihren Sprechweisen drei verschiedene Völkerschaften: die Tschetschenzen, Inguschen und Karabulaken, die schon Ptolemäus unter dem Namen der Tusken und Diduren kennt. Die Abchasen oder Abasen am nördlichen und südlichen Abhange des Kaukasus, zwischen dem obern Kuban, der Kuma und Malka wohnend, werden, ihren verschiedenen Dialekten gemäß, in sechzehn Stämme eingetheilt, die sämmtlich der Sprache der Adige oder Tscherkessen, die selbst wiederum in mehreren sehr abweichenden Dialekten gesprochen wird, verwandt sind. Ueberdieß findet man an verschiedenen Plätzen innerhalb des Kaukasus einzelne zersprengte tatarische und turkomanische Stämme, wie die Basianen und Chumyken, welche zum Turkstamm gehören und Dialekte der mongolischen Tataren sprechen. Die Turkomanen, von den Russen Truchmenen genannt, welche die Steppe zwischen der Kuma und dem Terek, wo Kislar der Hauptort ist, bewohnen, waren früher Unterthanen der Torgoten an der Wolga, und weigerten sich mit gewaffneter Hand, ihren gegen das Ende des Jahres 1770 nach China hin fliehenden Gebietern zu folgen. Sie blieben in ihren alten Wohnsitzen den Russen unterthan und wurden später, weil man befürchtete, sie möchten zu ihren Brüdern, die östlich vom kaspischen Meere nomadisirend herumziehen, entfliehen, in ihre jetzigen Wohnsitze westlich vom kaspischen Meere übergesiedelt, wo sie sich nach russischen Berichten sehr wohl befinden sollen.
Als ächte Söhne der von jeher die Freiheit beschützenden Berge verachteten und verachten diese zahlreichen Völkerschaften und Klane die Civilisation, die ihnen mehrmalen im Laufe der Jahrhunderte in Begleitung der Sklaverei geboten ward, von Asien her wie von Europa. Ihre niedrigen, aber freien Hütten schützen sie mehr denn die Paläste, über welche ein Einzelner nach Willkür gebietet; ihre schlechte Nahrung dünkt ihnen schmackhafter, denn die Leckerbissen der Höflinge des Schahs, des Kaisers und des Czars, und sie achten ihre aus dem reinen Gefühle hervorgegangenen, von Mund zu Mund überlieferten und im treuen von Vielwisserei nicht getrübten Gedächtnisse aufbewahrten Lieder höher, als die mühsam ersonnenen und fein zugespitzten Lobpreisungen asiatischer und europäischer Hofhistoriographen. Die Schreibkunst blieb ihnen im Ganzen fremd, und wenn auch Ausländer für ihre schwierigen Idiome Lautzeichen erfanden, wie der Armenier Mesrop für die alten Albanier, oder ihre eigene Schrift ihnen brachten, wie die gebildetsten Völker der Welt dieß thaten im Laufe der vielen Jahrhunderte der Geschichte, so verschmähete es die barbarische Rohheit, von dieser wundervollen Kunst einen dauernden Gebrauch zu machen. Ohne Schreibkunst ist aber ein regelmäßiger Staat, eine Geschichte undenkbar; der Weltengeist nahm reichliche Rache an dem stolzen Uebermuthe der Barbaren. Es haben die Stämme innerhalb des Kaukasus keine Geschichte; alle ihre Thaten waren vergebens, ihr Thun und Wirken ist verschollen – das Wenige, was sich davon erhalten, ward von Fremden, häufig von ihren Feinden, der Nachwelt überliefert. Aus ihren Gesängen, wenn sie auch in der Folgezeit gesammelt und bekannt werden, wird sich aber niemals eine Geschichte in unserm Sinne des Worts herstellen lassen. Ihre gereimten und reimlosen, beim Tanz und bei andern festlichen Gelegenheiten gesungenen Lieder dienen zur Verherrlichung der Tapferkeit und der tugendhaften Thaten; bald sollen sie auch die Feigheit züchtigen und das Verbrechen. Eine Schandthat in einem Liede verewigen – dieß ist eine der größten Strafen, welche die Tscherkessen über die Schlechten verhängen. Es sollen ehemals, wie dieß auch bei den Germanen und Kelten der Fall war, die Sänger selbst mit ins Feld gezogen seyn und durch ihre Lieder das Heer zu tapfern Thaten begeistert haben. Marigny hörte viele dieser Lieder, und der Major Tausch lernte mehrere dieser umfangreichen Rhapsodien auswendig.
Die Tscherkessen sind im Ganzen ein höchst poetisches Volk, voller Phantasie, lebhaften Geistes und tiefen Gefühles für die Schönheiten der Natur. „Dieß ersahen wir – so erzählen reisende Engländer, die sich längere Zeit unter ihnen aufhielten – dieß ersahen wir aus den Gesängen, die wir bei Hassan Bey hörten, und die man uns übersetzte. Es war am zweiten Tage unsers Aufenthalts bei diesem Fürsten, wo wir einem Schauspiele beiwohnten, das uns in die Heroenzeit des griechischen Alterthums zurückversetzte. Nach dem Abendessen traten drei Männer herein, die sich in den Hintergrund der Halle stellten und mit ihren flackernden Harzfackeln den ganzen Raum erhellten. Der Fürst erhob sich von seinem Sitze, warf einen suchenden Blick unter die Gäste, deren mehr denn zweihundert anwesend waren, und sprach mit lauter, ernster Stimme: „Wo ist Mensuk? Hat ihn die Begeisterung ganz verlassen? Hat er denn keinen Gesang, womit er die glückverkündende Ankunft eines Engländers in unsern heimathlichen Bergen feiern könnte?“ Bei diesen Worten richteten sich die Blicke aller Gäste auf einen alten blinden Mann, welcher im Augenblick sich erhob und der Aufforderung des Herrn Folge leistete. Bald mit einer langsamen, bald mit einer schnell dahineilenden Stimme begann nun der Greis regellose Verse zu recitiren, wozu er sich selbst auf einem zweisaitigen Instrumente, welches einer Guitarre glich, begleitete. Von Zeit zu Zeit fiel die ganze Versammlung mit einem donnernden Chorus ein, wovon der ganze Saal erzitterte, und in welchem man bloß die Worte „Inglis“ und „Ingilterra“ unterscheiden konnte. Je länger der Barde sang, desto heftiger und leidenschaftlicher wurden seine Bewegungen, Ton und Stimme; in derselben Weise steigerte sich die Begeisterung seiner Zuhörer, und dieß bis zu einem unglaublichen Grade, so daß am Ende viele von ihren Sitzen aufsprangen und mit ihren Waffen hin und herfuhren. Um dieß ganze, wahrhaft erhabene Schauspiel durch einen außerordentlichen Beweis von Liebe und Ehrfurcht für England und ihre englischen Gäste zu schließen, feuerten alle anwesenden Tscherkessen ihre Pistolen und Flinten in den Kamin, so daß der ganze Saal von Rauch und Finsterniß erfüllt war. Als man wiederum etwas sehen konnte, ließ der Rhapsode nochmals seinen Gesang erklingen, der jetzt lieblicher ward und freudiger. Die jungen Leute führten eine Pantomime dazu auf, welche, wie der pyrrhichische Tanz der Alten, einen Kampf darstellte. Wir hatten niemals zuvor einem ähnlichen großartigen Schauspiele beigewohnt.“
Rebenius über die Wirkungen des deutschen Zollvereins.
I. Fortschritte der Industrie.
In dem neuesten Heft der deutschen Vierteljahrsschrift (Januar bis März 1840) bespricht der hochehrenwerthe Staatsmann, dessen Rücktritt der Wissenschaft zu Gute kommt, den Einfluß und die Entwicklung des Zollvereins, nachdem er in einem frühern Hefte dessen Geschichte entworfen hatte. Der Mann, der als Gelehrter wie als Minister aufs Nächste von den vorliegenden Fragen berührt wurde, und in denselben eine Autorität bildet, ist zum ersten Votum in denselben berechtigt, und so schied er aus dem engen Kreise Badens und seines Amtes nur, um ein höheres Amt für ganz Deutschland zu
übernehmen – einer der leitenden Führer zu seyn auf dem Wege nationaler Entwicklung. Wir werden in einzelnen Abschnitten die Resultate der vorliegenden Abhandlung kurz zusammenfassen.
„Wenn man erwägt (sagt er), welche mannichfaltigen Interessen in entgegengesetzter Weise durch die Zollvereinigung berührt wurden, so wird man das ganze Gewicht des Zeugnisses erkennen, welches für die wohlthätigen Folgen der großen Maaßregel in der einzigen Thatsache liegt, daß, seitdem der Verein in seinem gegenwärtigen Umfange besteht, und unter seinem Gesetz über 26 Millionen Menschen in 23 Staaten leben, von der Weichsel bis zum Rhein und von der Ostsee bis zu den Höhen des Schwarzwaldes sich nicht Eine Stimme gegen die Fortdauer dieses Zustandes erhoben hat, und bereits der ursprüngliche Vertrag unter einhelliger Zustimmung der ständischen Kammern, wo man solcher Zustimmung bedurfte, und überall unter freudiger Billigung des Publicums, dem Buchstaben nach für eine Reihe von Jahren, der That nach aber wohl für immer erneuert wurde.
„Unter den Wirkungen des Zollvereins sind es die Fortschritte der Manufacturindustrie zunächst, welche ein höheres Interesse in Anspruch nehmen. Man weiß, daß der Vereinstarif dem Princip des Schutzes ungleich weniger als die Tarife der größern Staaten huldigt und Prohibitionen ganz verwirft. Gleichwohl sind seine Zölle hoch genug, um der einheimischen Industrie in mehreren Zweigen, wie namentlich im Gebiete der Wollen- und Baumwollenwaarenfabrication, einen sehr bedeutenden und in vielen andern wenigstens einigen Vortheil, der fremden Mitbewerbung gegenüber, zu gewähren.
„Welch' bedeutende Fortschritte insbesondere die Production der Baumwollenwaaren gemacht hat, geht aus dem Umstande hervor, daß die Einfuhr, welche in dem preußisch-hessischen Verein in den Jahren 1829 bis 1831 im Durchschnitt 12,150 Centner und in den beiden folgenden Jahren 14,159 und 12,953 Centner betrug, in dem Zeitraum von 1834 bis 1836 in einem erweiterten, fast doppelt so großen Marktgebiete, nur zwischen 13,808 und 13,507 Centnern schwankte; während die Ausfuhr von 18,422 Centnern im Durchschnitt der Jahre 1829 bis 1831 (im preußisch-hessischen Verein) bis zu den Jahren 1836 und 1837 (im großen Verein) nach dem Durchschnitt dieser beiden Jahre auf 79,734 Centner stieg. Es ist zwar möglich, aber kaum glaublich, daß diesem Zuwachs von ungefähr 61,000 Centnern, den die Ausfuhr erhielt, der Betrag der Baumwollenwaaren gleichkam, den die dem preußisch-hessischen Verein beigetretenen Länder (hauptsächlich Sachsen) in ihrem frühern isolirten Zustand in andere, dem großen deutschen Verein nicht angehörige Staaten ausführten, und daß nicht jenes Steigen der Ausfuhr zum großen Theil von einer vermehrten Production herrührte. Weit weniger lassen aber die Resultate der Einfuhrlisten und der Umstand, daß die Länder, durch welche sich der preußisch-hessische Verein in den Jahren 1834 und 1836 erweiterte, früher zu den besten Märkten für brittische Waaren gehörten, im mindesten daran zweifeln, daß der innere Bedarf, seit der Gründung der Vereine in einem weit größern Verhältnisse von den einheimischen Manufacturen geliefert werde, als ehedem, und daß sich also der Bezug der fremden, vorzüglich aber der brittischen Baumwollenwaaren bedeutend vermindert habe.
„Ungeachtet die Production der Baumwollengespinnste in dem Vereinstarif mit Ungunst behandelt ist, machte sie doch erhebliche Fortschritte. Nebst dieser Vermehrung der einheimischen Garnerzeugnisse, die man vorzüglich den im Süden und in Sachsen entstandenen neuen, zum Theil sehr bedeutenden Anstalten verdankte, zeigt sich eine rasche Zunahme der Einfuhr an ungezwirntem Baumwollengarn; sie stieg vom Jahr 1834 bis 1836 von 251,148 auf 307,867 Centner, und nach Abzug der Ausfuhr von 210,453 auf 279,925, also um 56,719 und beziehungsweise um 70,000 Centner.
„Der Gebietszuwachs, den der Verein im Jahr 1836 erhielt, vermochte diese Vermehrung des Verbrauchs an fremden Garnen bei weitem nicht, auch nicht zu 1/10 zu erklären. Noch ist die Garneinfuhr im Steigen begriffen, indem sie (ohne Abzug der Ausfuhr) im Jahr 1837 321,940 und im Jahr 1838 357,301 Centner, also 106,116 Centner mehr, als im Jahr 1834 betrug. Man wird daher nicht viel irren, wenn man mit Rücksicht auf die Vermehrung der einheimischen Gespinnste das Quantum, welches unsere Bleichereien, Webereien, Färbereien und Druckereien der auswärtigen Industrie abgewonnen haben, auf nahe 150,000 Centner schätzt. Man sah auch die gemeinen und mittlern Gattungen der weißen und gedruckten fremden Baumwollenzeuge fast gänzlich von unsern Märkten verschwinden, und die auswärtige Mitbewerbung auf feinere Gewebe (Tüll) und kostbarere gedruckte Waare und Baumwollensammet beschränkt.
„Aehnliche, nur nicht gleich bedeutende Resultate bietet das Feld der Wollenwaarenmanufacturen dar. Der Ueberschuß der Ausfuhr an wollenen Zeugen und Strumpfwaaren und an Teppichen aus Wolle und andern Thierhaaren stieg von 1834 bis 1836 von 39,685 auf 55,427, also um 15,742 Centner, ungeachtet jene Staaten, welche dem Verein mit dem Anfang des Jahres 1836 beitraten, in dem Zustand der Isolirung, bei weitem den größten Theil ihres Bedarfs aus andern deutschen oder fremden Ländern bezogen, und sich daher nach ihrem Beitritt eine nicht unbeträchtliche Verminderung der Mehrausfuhr hätte zeigen müssen, wenn die Production des Vereins stationär geblieben wäre.
„Auch bei diesem Artikel zeigt sich jedoch bei den Einfuhren von 1837 und 1838 (wovon uns die Ausfuhren nicht bekannt sind) wohl aus der gleichen Ursache, wie bei den Baumwollenwaaren, eine mäßige Erhöhung. Uebrigens hat die einheimische Industrie die fast ausschließliche Versorgung des innern Marktes mit Wollentüchern gewonnen. Bekannt sind die Fortschritte, welche die preußischen Manufacturen in der Fabrication der feinern Tücher gemacht haben, und nur sehr weniges wird an solchen aus Belgien und aus Frankreich noch bezogen. Mit den sächsischen Merinos stehen die geringern englischen Tibets und wohlfeilere geringere Gewebe dieser Art und die französischen Ternaux noch in lebhafterer Mitbewerbung, und wie England noch einige andere Artikel (namentlich verschiedene, der Mode unterworfene Hosenzeuge), so sendet Frankreich noch seine Wollenmusseline. Aber die Massen des großen Verbrauchs an Wollenwaaren aller Art sind der einheimischen Production gesichert.
„Nicht minder zeugen bestimmte Thatsachen von den Fortschritten, welche die Verarbeitung der Seide gemacht hat. Im Durchschnitt der Jahre 1832 und 1833 betrug in dem preußisch-hessischen Verein die Einfuhr an seidenen Waaren 1288 Centner, die Ausfuhr 5140 Centner; im Jahr 1836 die Einfuhr 1911 Centner, die Ausfuhr 7182 Centner. Die Einfuhr erhöhte sich daher um 623 Centner und die Ausfuhr um 2042 Centner, der auswärtige Handel in halbseidenen Waaren blieb dagegen von 1832 an, ungeachtet der Erweiterung des Vereinsgebiets, ziemlich stationär, da die Einfuhr von diesem Jahr an bis 1835 zwischen 819 und 957 Centnern, die Ausfuhr zwischen 2745 Centnern und 3564 Centnern schwankte, und im Jahr 1836 jene 1027 Centner und diese 3426 betrug. ... Bayern, Würtemberg
und Baden allein hatten aber in ihrem frühern Zustande der Isolirung zusammen eine Einfuhr an seidenen und halbseidenen Waaren (nach Abzug der Ausfuhr) von ungefähr 3000 Centnern. Sie bezogen ihren Bedarf größtentheils aus nichtdeutschen Staaten, theils direct, theils durch Vermittlung der deutschen Messen. Es ist daher kein Zweifel, daß die Industrie der preußischen Provinzen (Rheinland, Westphalen und Brandenburg), welche den Hauptsitz der Seidenmanufacturen des Vereins bilden, der fremden Concurrenz die Befriedigung des einheimischen Bedarfs in größerem Umfang abgewonnen haben, und in so weit sie vor der Gründung des großen Vereins auf dem mittel- und süddeutschen Markte sich bereits eines beträchtlichen Absatzes erfreute, der nach der Vereinigung nicht mehr in den Ausfuhrlisten erscheinen konnte, läßt die, dessen ungeachtet, eingetretene Vermehrung der Gesammtausfuhr des Vereins auf eine beträchtliche Erweiterung der einheimischen Production schließen, da die süddeutschen Staaten bei ihrem Eintritt in die Gemeinschaft keine oder nur eine höchst unbedeutende Ausfuhr hatten.
„Leicht begreiflich konnte der Verein auf die Leinwandproduction keinen wesentlichen Einfluß ausüben, da in diesem Zweige keine erhebliche Concurrenz des Auslandes auf dem einheimischen Markt abzuwehren war. Nur in einigen Gegenden war die fremde Einfuhr von einiger Bedeutung. Im Allgemeinen deuten die Zolllisten auf eine Abnahme der Gesammteinfuhr und auf eine mäßige Zunahme der Ausfuhr von 1834 bis 1836.
„Was das rohe Leinengarn betrifft, so theilen wir hierüber folgende Uebersicht mit:
„Wir werden auf diese Erscheinung zurückkommen, die bei dem gezwirnten Garn um so auffallender ist, als der Eingangszoll im Jahr 1837 etwas erhöht wurde.
Zu den Zweigen, welche durch die Gründung des großen Vereins einen höhern Aufschwung genommen, gehören in erster Linie die Zuckersiedereien. Hatten in dem preußisch-hessischen Vereine die schon früher oder seit 1828 neu entstandenen Raffinerien nahe das ganze Bedürfniß für den innern Verbrauch geliefert, so verdrängten sie wetteifernd mit den jüngern Anstalten im Süden auch in dem erweiterten Vereinsgebiete fast gänzlich jede fremde Mitbewerbung. Noch vor wenigen Jahren wurden allein in das Großherzogthum Baden jährlich an fremdem, fast ausschließlich holländischem, raffinirtem Zucker 70,000 bis 80,000 Centner und in einzelnen Jahren noch weit mehr eingeführt, und im Jahr 1836 betrug die gesammte Einfuhr des großen Vereins an Raffinade und Kochzucker nur noch 7669 Centner, neben einer Einfuhr von 986,809 Centnern Schmelzlumpen und Rohzucker. Die Zahl der preußischen Raffinerien, die sich von 1829 bis 1831 von 42 auf 49 vermehrt hatte, stieg bis zum Jahr 1835 auf 74; in den übrigen Vereinsländern bestanden damals 12, im Ganzen daher 86, zu welchen in der nächsten Zeit noch eine beträchtliche Anzahl (in Baden allein 5) hinzukamen.
„Neben ihnen erhoben sich vom Jahr 1835 an im Süden wie im Norden ganze Reihen von Anstalten, welche ausschließlich mit der Bereitung von Zucker aus Runkelrüben oder zugleich mit der Verarbeitung von Colonialzucker oder Lumpen sich beschäftigten.
„Im Jahr 1836 zählte man bereits in Preußen ungefähr 90 und in den übrigen Vereinsstaaten ungefähr 32 solcher Fabriken, die ihren Betrieb begonnen hatten, oder in der Anlage begriffen waren. Ihre Zahl stieg bis zum Jahr 1839 auf 159, wovon 123, deren Production bekannt war, ungefähr 145,000 Centner Rohzucker lieferten. Wie dieser neue Zweig, auf den wir weiter unten zurückkommen werden, verdankten manche andere ihr Emporblühen nicht ausschließlich dem Reize, den hohe Zölle zu industriellen Unternehmungen geben, sondern zugleich den Fortschritten in der Kunst zu produciren.
„Die Rückwirkung der vermehrten Gewerbsthätigkeit auf den Ackerbau konnte nicht ausbleiben. Er lebt von der Nachfrage nach seinen Producten, und diese Nachfrage wächst mit den Fortschritten der Industrie, welche seine Erzeugnisse in ihren Werkstätten veredelt, umwandelt oder verzehrt; sie wächst mit der Zahl der Arbeiter, welche die Unternehmer beschäftigen, und mit den Löhnen, die sie bezahlen. Daß aber die Production des Ackerbaues wirklich in fast allen Theilen des Vereinsgebiets im steten erfreulichen Fortschreiten begriffen sey, ist eine Thatsache, wofür es nicht schwer fällt, aus den Verhandlungen der zahlreichen landwirthschaftlichen Vereine der verschiedenen Länder die unzweideutigsten Belege beizubringen.
(Ein zweiter Artikel folgt.)