Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 2. Augsburg, 2. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Beilage zur Allgemeinen Zeitung
2 Januar 1840

Europa im Jahr 1840von Wolfgang Menzel

(Fortsetzung.)

Von Oesterreich wird im 5ten Abschnitt gesagt, daß es durch die Vielheit der Volksstämme, aus welchen es zusammengesetzt ist, der Kraft Einer Nationalität entbehre, und auch das religiöse Princip nur zu einer mittleren Stellung benützen könne, daß auch sein politischer Ausgangspunkt durch die ungarische Verfassung ein doppelter sey und das Sperrsystem einen engern Anschluß an die Nachbarn hindere. Der Verfasser spricht daher die Ueberzeugung aus, daß Preußen und England die natürlichen Verbündeten Oesterreichs bilden, und dessen Anschluß an den deutschen Zollverein eigentlich eine politische Nothwendigkeit sey, und noch eigentlicher werden dürfte. Hören wir ihn selbst, wie er diese Gedanken entwickelt:

"In viele Nationalitäten einzugreifen, würde Oesterreich nur dann nützlich seyn, wenn jene alte Idee des christlichen Weltreichs noch irgend in den Völkern wieder lebendig werden könnte. Da dieß nicht der Fall ist, so ist der Umstand, daß in Oesterreich das Wohl des Herrschers in vielerlei Sprachen vom Himmel erfleht wird, weniger mehr ein Glück, als eine Sorge für diesen großen Staat. Daher ist derselbe mit Nothwendigkeit auf eine conservative und defensive Politik angewiesen, und befindet sich in dieser Beziehung nicht in der vortheilhaften Stellung, welche den Engländern, Russen und Franzosen die Offensive gestattet. Kräftige Volksstämme, in gewohnter Treue gehorchend, meist durch fröhliche und gemüthliche Sitte vergnügt, dienen dem erlauchten Kaiserhause, und haben es in allen Kriegen stark gemacht, doch umschlingt sie nicht das Band einer Nationalität.

"Inzwischen soll damit durchaus nicht gemeint seyn, als ob die nichtdeutschen Nationen im großen Kaiserstaate nur passiv gehorchten und nicht auch durch inniges, wohlverstandenes, allen Intelligenzen einleuchtendes Interesse an die deutsche Dynastie gebunden seyen. Nur ein Blinder vermöchte dieß zu mißkennen. Die Ungarn verdanken die Erhaltung ihrer Nationalität dem Hause Habsburg, ohne dessen Hülfe sie längst dem Islam verfallen wären. Sie haben auch ihre Verfassung unter dem König deutscher Abstammung behaupten können, was nicht der Fall seyn würde, wenn sie unter türkische Botmäßigkeit gekommen wären, oder je einmal, wie die Polen, unter russische kommen würden; denn wie das österreichische Princip es mit sich bringt, jede Nation in ihrer Besonderheit und bei ihren alterthümlichen Gewohnheiten zu lassen, so verlangt das russische unbedingt gleichförmige Unterwerfung unter die Alles uniformirende Autokratie. Ist aber wohl ein selbstständiges Ungarland denkbar? würde es nicht das milde Scepter Oesterreichs mit einem andern vertauschen müssen, wenn es nicht in alter Treue sein Schicksal an das deutsche knüpfte? Und die Polen? Sie incliniren offenbar in dem Maaße mehr zu Oesterreich, als sie vom Norden decliniren.

"Was die Macht des Glaubens und der Kirche betrifft, so stützt sich Oesterreich auf diese nur bedingungsweise. Bei weitem der größte Theil seiner Unterthanen ist katholisch und ist es von Herzen; es zanken sich hier keine Glaubensparteien, noch auch hat der Unglaube hier irgend eine Macht, und dieß ist sehr werthvoll für den Staat. Auch darf Oesterreich, nachdem Frankreich in Unglauben versunken und die pyrenäische Halbinsel zerrüttet ist, als die Macht betrachtet werden, die allein noch den römischen Stuhl wesentlich stützt und folglich auf dessen Dankbarkeit und Dienste Ansprüche zu machen hat. Wieder ein bedeutender Vortheil. Gleichwohl kann sich Oesterreich dieser Vortheile nur mit großer Einschränkung erfreuen. Es gewinnt dadurch nur eine schätzbare Unterstützung seiner innern Politik, nicht auch seiner auswärtigen, denn in dem Maaße, in welchem es einen schärfern Accent auf den Katholicismus legen und sich desselben auf irgend eine offensive Weise bedienen wollte, würde es nur Antipathien wecken, die es um keinen Preis wecken darf.

"Aus der Macht des Princips schöpft Oesterreich, wenigstens in Bezug auf seine auswärtige Politik, auch nur einen bedingten Vortheil. Es steht auf der Seite des Absolutismus, aber nur in zweiter Linie, denn in der ersten steht Rußland. Es muß sehen, wie Rußland sich alle Vortheile dieses Systems aneignet, ohne sie theilen zu können. Einmal machen die constitutionellen Formen in Ungarn eine Ausnahme von der österreichischen Regel, während Rußland die Regel ohne alle Einschränkung handhabt. Sodann gränzt Oesterreich unmittelbar an die constitutionellen Staaten des Westens und ist mithin der Wirkung der Reibung und des Beispiels mehr ausgesetzt als Rußland, das abgeschlossen im Hintergrund Europa's steht und gegen das westliche System an Oesterreich und Preußen zwei Schutzmauern hat.

"Endlich stützt sich Oesterreich auch auf die Macht der materiellen Interessen nur mit Einschränkung. Es benutzt die reichen Hülfsquellen seines eigenen Landes, aber es gewinnt nicht verhältnißmäßig von außen, und wirbt sich keine natürlichen Bundesgenossen durch Oeffnung der Handelsschranken.

"Je conservativer nun und defensiver die Politik Oesterreichs ist, um so mehr muß ihm daran liegen, seine Stellung unüberwindlich zu machen. Dieß kann aber nur durch natürliche Allianzen geschehen.

"Eine natürliche Allianz ist für Oesterreich nicht die russische, obgleich sich Joseph II dieser Täuschung hingab, und obgleich beide Staaten im Princip des Absolutismus und der Legitimität übereinstimmen. Jede Verbindung Oesterreichs mit Rußland hilft nur, den letzteren ohnehin schon so kolossalen Staat noch mehr zu vergrößern, den Nachbar immer mächtiger und gefährlicher zu machen. Im Bunde mit Rußland griff Joseph II Polen und die Türkei an, allein der Erfolg bewies, daß nur Rußland dabei gewann, Oesterreich nicht. Statt der schwachen polnischen Republik bekam Oesterreich das mächtige, durch die polnische Beute noch mehr angeschwollene Rußland zum Nachbar, und auf der türkischen Seite bemächtigte sich Rußland der Häfen am schwarzen Meere, endlich sogar der Donaumündungen, während Oesterreich nicht einmal Belgrad wiedergewann. Rußland ist nicht der natürliche Alliirte, sondern der natürliche Rival Oesterreichs, und man wird nicht irren, wenn man annimmt, daß sogar Rußlands Stellung gegen England nicht heikler seyn kann, als die gegen Oesterreich. Englische Flotten vermögen viel, doch gegen Rußlands Landmacht nichts ohne österreichische Heere. Den Riegel im Orient vorzuschieben vermag nur Oesterreich, das so nahe, so mächtig und leicht durch Sympathien in den russischen Gränzen selbst zu verstärken ist. Deßhalb haben wir immer geglaubt und glauben noch, die Feder des Fürsten Metternich sey ein stärkerer Schutz des Orients, als Donau und Balkan und Kaukasus, und als alle englischen Flotten. Deßhalb wundern wir uns aber auch nicht, wenn wir die Depeschen des Grafen


Beilage zur Allgemeinen Zeitung
2 Januar 1840

Europa im Jahr 1840von Wolfgang Menzel

(Fortsetzung.)

Von Oesterreich wird im 5ten Abschnitt gesagt, daß es durch die Vielheit der Volksstämme, aus welchen es zusammengesetzt ist, der Kraft Einer Nationalität entbehre, und auch das religiöse Princip nur zu einer mittleren Stellung benützen könne, daß auch sein politischer Ausgangspunkt durch die ungarische Verfassung ein doppelter sey und das Sperrsystem einen engern Anschluß an die Nachbarn hindere. Der Verfasser spricht daher die Ueberzeugung aus, daß Preußen und England die natürlichen Verbündeten Oesterreichs bilden, und dessen Anschluß an den deutschen Zollverein eigentlich eine politische Nothwendigkeit sey, und noch eigentlicher werden dürfte. Hören wir ihn selbst, wie er diese Gedanken entwickelt:

„In viele Nationalitäten einzugreifen, würde Oesterreich nur dann nützlich seyn, wenn jene alte Idee des christlichen Weltreichs noch irgend in den Völkern wieder lebendig werden könnte. Da dieß nicht der Fall ist, so ist der Umstand, daß in Oesterreich das Wohl des Herrschers in vielerlei Sprachen vom Himmel erfleht wird, weniger mehr ein Glück, als eine Sorge für diesen großen Staat. Daher ist derselbe mit Nothwendigkeit auf eine conservative und defensive Politik angewiesen, und befindet sich in dieser Beziehung nicht in der vortheilhaften Stellung, welche den Engländern, Russen und Franzosen die Offensive gestattet. Kräftige Volksstämme, in gewohnter Treue gehorchend, meist durch fröhliche und gemüthliche Sitte vergnügt, dienen dem erlauchten Kaiserhause, und haben es in allen Kriegen stark gemacht, doch umschlingt sie nicht das Band einer Nationalität.

„Inzwischen soll damit durchaus nicht gemeint seyn, als ob die nichtdeutschen Nationen im großen Kaiserstaate nur passiv gehorchten und nicht auch durch inniges, wohlverstandenes, allen Intelligenzen einleuchtendes Interesse an die deutsche Dynastie gebunden seyen. Nur ein Blinder vermöchte dieß zu mißkennen. Die Ungarn verdanken die Erhaltung ihrer Nationalität dem Hause Habsburg, ohne dessen Hülfe sie längst dem Islam verfallen wären. Sie haben auch ihre Verfassung unter dem König deutscher Abstammung behaupten können, was nicht der Fall seyn würde, wenn sie unter türkische Botmäßigkeit gekommen wären, oder je einmal, wie die Polen, unter russische kommen würden; denn wie das österreichische Princip es mit sich bringt, jede Nation in ihrer Besonderheit und bei ihren alterthümlichen Gewohnheiten zu lassen, so verlangt das russische unbedingt gleichförmige Unterwerfung unter die Alles uniformirende Autokratie. Ist aber wohl ein selbstständiges Ungarland denkbar? würde es nicht das milde Scepter Oesterreichs mit einem andern vertauschen müssen, wenn es nicht in alter Treue sein Schicksal an das deutsche knüpfte? Und die Polen? Sie incliniren offenbar in dem Maaße mehr zu Oesterreich, als sie vom Norden decliniren.

„Was die Macht des Glaubens und der Kirche betrifft, so stützt sich Oesterreich auf diese nur bedingungsweise. Bei weitem der größte Theil seiner Unterthanen ist katholisch und ist es von Herzen; es zanken sich hier keine Glaubensparteien, noch auch hat der Unglaube hier irgend eine Macht, und dieß ist sehr werthvoll für den Staat. Auch darf Oesterreich, nachdem Frankreich in Unglauben versunken und die pyrenäische Halbinsel zerrüttet ist, als die Macht betrachtet werden, die allein noch den römischen Stuhl wesentlich stützt und folglich auf dessen Dankbarkeit und Dienste Ansprüche zu machen hat. Wieder ein bedeutender Vortheil. Gleichwohl kann sich Oesterreich dieser Vortheile nur mit großer Einschränkung erfreuen. Es gewinnt dadurch nur eine schätzbare Unterstützung seiner innern Politik, nicht auch seiner auswärtigen, denn in dem Maaße, in welchem es einen schärfern Accent auf den Katholicismus legen und sich desselben auf irgend eine offensive Weise bedienen wollte, würde es nur Antipathien wecken, die es um keinen Preis wecken darf.

„Aus der Macht des Princips schöpft Oesterreich, wenigstens in Bezug auf seine auswärtige Politik, auch nur einen bedingten Vortheil. Es steht auf der Seite des Absolutismus, aber nur in zweiter Linie, denn in der ersten steht Rußland. Es muß sehen, wie Rußland sich alle Vortheile dieses Systems aneignet, ohne sie theilen zu können. Einmal machen die constitutionellen Formen in Ungarn eine Ausnahme von der österreichischen Regel, während Rußland die Regel ohne alle Einschränkung handhabt. Sodann gränzt Oesterreich unmittelbar an die constitutionellen Staaten des Westens und ist mithin der Wirkung der Reibung und des Beispiels mehr ausgesetzt als Rußland, das abgeschlossen im Hintergrund Europa's steht und gegen das westliche System an Oesterreich und Preußen zwei Schutzmauern hat.

„Endlich stützt sich Oesterreich auch auf die Macht der materiellen Interessen nur mit Einschränkung. Es benutzt die reichen Hülfsquellen seines eigenen Landes, aber es gewinnt nicht verhältnißmäßig von außen, und wirbt sich keine natürlichen Bundesgenossen durch Oeffnung der Handelsschranken.

„Je conservativer nun und defensiver die Politik Oesterreichs ist, um so mehr muß ihm daran liegen, seine Stellung unüberwindlich zu machen. Dieß kann aber nur durch natürliche Allianzen geschehen.

„Eine natürliche Allianz ist für Oesterreich nicht die russische, obgleich sich Joseph II dieser Täuschung hingab, und obgleich beide Staaten im Princip des Absolutismus und der Legitimität übereinstimmen. Jede Verbindung Oesterreichs mit Rußland hilft nur, den letzteren ohnehin schon so kolossalen Staat noch mehr zu vergrößern, den Nachbar immer mächtiger und gefährlicher zu machen. Im Bunde mit Rußland griff Joseph II Polen und die Türkei an, allein der Erfolg bewies, daß nur Rußland dabei gewann, Oesterreich nicht. Statt der schwachen polnischen Republik bekam Oesterreich das mächtige, durch die polnische Beute noch mehr angeschwollene Rußland zum Nachbar, und auf der türkischen Seite bemächtigte sich Rußland der Häfen am schwarzen Meere, endlich sogar der Donaumündungen, während Oesterreich nicht einmal Belgrad wiedergewann. Rußland ist nicht der natürliche Alliirte, sondern der natürliche Rival Oesterreichs, und man wird nicht irren, wenn man annimmt, daß sogar Rußlands Stellung gegen England nicht heikler seyn kann, als die gegen Oesterreich. Englische Flotten vermögen viel, doch gegen Rußlands Landmacht nichts ohne österreichische Heere. Den Riegel im Orient vorzuschieben vermag nur Oesterreich, das so nahe, so mächtig und leicht durch Sympathien in den russischen Gränzen selbst zu verstärken ist. Deßhalb haben wir immer geglaubt und glauben noch, die Feder des Fürsten Metternich sey ein stärkerer Schutz des Orients, als Donau und Balkan und Kaukasus, und als alle englischen Flotten. Deßhalb wundern wir uns aber auch nicht, wenn wir die Depeschen des Grafen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <pb facs="#f0009" n="0009"/><lb/>
          <div type="jSupplement" n="1">
            <floatingText>
              <front>
                <titlePage type="heading">
                  <docTitle>
                    <titlePart type="main">Beilage zur Allgemeinen Zeitung</titlePart>
                  </docTitle>
                  <docImprint>
                    <docDate>2 Januar 1840</docDate>
                  </docImprint>
                </titlePage>
              </front>
              <body><lb/>
                <div type="jArticle" n="2">
                  <head> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Europa im Jahr 1840</hi> </hi> <hi rendition="#g">von Wolfgang Menzel</hi> </head><lb/>
                  <p>(Fortsetzung.)</p><lb/>
                  <p>Von <hi rendition="#g">Oesterreich</hi> wird im 5ten Abschnitt gesagt, daß es durch die Vielheit der Volksstämme, aus welchen es zusammengesetzt ist, der Kraft Einer Nationalität entbehre, und auch das religiöse Princip nur zu einer mittleren Stellung benützen könne, daß auch sein politischer Ausgangspunkt durch die ungarische Verfassung ein doppelter sey und das Sperrsystem einen engern Anschluß an die Nachbarn hindere. Der Verfasser spricht daher die Ueberzeugung aus, daß Preußen und England die natürlichen Verbündeten Oesterreichs bilden, und dessen Anschluß an den deutschen Zollverein eigentlich eine politische Nothwendigkeit sey, und noch eigentlicher werden dürfte. Hören wir ihn selbst, wie er diese Gedanken entwickelt:</p><lb/>
                  <p>&#x201E;In viele Nationalitäten einzugreifen, würde Oesterreich nur dann nützlich seyn, wenn jene alte Idee des christlichen Weltreichs noch irgend in den Völkern wieder lebendig werden könnte. Da dieß nicht der Fall ist, so ist der Umstand, daß in Oesterreich das Wohl des Herrschers in vielerlei Sprachen vom Himmel erfleht wird, weniger mehr ein Glück, als eine Sorge für diesen großen Staat. Daher ist derselbe mit Nothwendigkeit auf eine conservative und defensive Politik angewiesen, und befindet sich in dieser Beziehung nicht in der vortheilhaften Stellung, welche den Engländern, Russen und Franzosen die Offensive gestattet. Kräftige Volksstämme, in gewohnter Treue gehorchend, meist durch fröhliche und gemüthliche Sitte vergnügt, dienen dem erlauchten Kaiserhause, und haben es in allen Kriegen stark gemacht, doch umschlingt sie nicht das Band <hi rendition="#g">einer</hi> Nationalität.</p><lb/>
                  <p>&#x201E;Inzwischen soll damit durchaus nicht gemeint seyn, als ob die nichtdeutschen Nationen im großen Kaiserstaate nur passiv gehorchten und nicht auch durch inniges, wohlverstandenes, allen Intelligenzen einleuchtendes Interesse an die deutsche Dynastie gebunden seyen. Nur ein Blinder vermöchte dieß zu mißkennen. Die Ungarn verdanken die Erhaltung ihrer Nationalität dem Hause Habsburg, ohne dessen Hülfe sie längst dem Islam verfallen wären. Sie haben auch ihre Verfassung unter dem König deutscher Abstammung behaupten können, was nicht der Fall seyn würde, wenn sie unter türkische Botmäßigkeit gekommen wären, oder je einmal, wie die Polen, unter russische kommen würden; denn wie das österreichische Princip es mit sich bringt, jede Nation in ihrer Besonderheit und bei ihren alterthümlichen Gewohnheiten zu lassen, so verlangt das russische unbedingt gleichförmige Unterwerfung unter die Alles uniformirende Autokratie. Ist aber wohl ein selbstständiges Ungarland denkbar? würde es nicht das milde Scepter Oesterreichs mit einem andern vertauschen müssen, wenn es nicht in alter Treue sein Schicksal an das deutsche knüpfte? Und die Polen? Sie incliniren offenbar in dem Maaße mehr zu Oesterreich, als sie vom Norden decliniren.</p><lb/>
                  <p>&#x201E;Was die Macht des Glaubens und der Kirche betrifft, so stützt sich Oesterreich auf diese nur bedingungsweise. Bei weitem der größte Theil seiner Unterthanen ist katholisch und ist es von Herzen; es zanken sich hier keine Glaubensparteien, noch auch hat der Unglaube hier irgend eine Macht, und dieß ist sehr werthvoll für den Staat. Auch darf Oesterreich, nachdem Frankreich in Unglauben versunken und die pyrenäische Halbinsel zerrüttet ist, als die Macht betrachtet werden, die allein noch den römischen Stuhl wesentlich stützt und folglich auf dessen Dankbarkeit und Dienste Ansprüche zu machen hat. Wieder ein bedeutender Vortheil. Gleichwohl kann sich Oesterreich dieser Vortheile nur mit großer Einschränkung erfreuen. Es gewinnt dadurch nur eine schätzbare Unterstützung seiner innern Politik, nicht auch seiner auswärtigen, denn in dem Maaße, in welchem es einen schärfern Accent auf den Katholicismus legen und sich desselben auf irgend eine offensive Weise bedienen wollte, würde es nur Antipathien wecken, die es um keinen Preis wecken darf.</p><lb/>
                  <p>&#x201E;Aus der Macht des Princips schöpft Oesterreich, wenigstens in Bezug auf seine auswärtige Politik, auch nur einen bedingten Vortheil. Es steht auf der Seite des Absolutismus, aber nur in zweiter Linie, denn in der ersten steht Rußland. Es muß sehen, wie Rußland sich alle Vortheile dieses Systems aneignet, ohne sie theilen zu können. Einmal machen die constitutionellen Formen in Ungarn eine Ausnahme von der österreichischen Regel, während Rußland die Regel ohne alle Einschränkung handhabt. Sodann gränzt Oesterreich unmittelbar an die constitutionellen Staaten des Westens und ist mithin der Wirkung der Reibung und des Beispiels mehr ausgesetzt als Rußland, das abgeschlossen im Hintergrund Europa's steht und gegen das westliche System an Oesterreich und Preußen zwei Schutzmauern hat.</p><lb/>
                  <p>&#x201E;Endlich stützt sich Oesterreich auch auf die Macht der materiellen Interessen nur mit Einschränkung. Es benutzt die reichen Hülfsquellen seines eigenen Landes, aber es gewinnt nicht verhältnißmäßig von außen, und wirbt sich keine natürlichen Bundesgenossen durch Oeffnung der Handelsschranken.</p><lb/>
                  <p>&#x201E;Je conservativer nun und defensiver die Politik Oesterreichs ist, um so mehr muß ihm daran liegen, seine Stellung unüberwindlich zu machen. Dieß kann aber nur durch <hi rendition="#g">natürliche</hi> Allianzen geschehen.</p><lb/>
                  <p>&#x201E;Eine natürliche Allianz ist für Oesterreich <hi rendition="#g">nicht</hi> die russische, obgleich sich Joseph II dieser Täuschung hingab, und obgleich beide Staaten im Princip des Absolutismus und der Legitimität übereinstimmen. Jede Verbindung Oesterreichs mit Rußland hilft nur, den letzteren ohnehin schon so kolossalen Staat noch mehr zu vergrößern, den Nachbar immer mächtiger und gefährlicher zu machen. Im Bunde mit Rußland griff Joseph II Polen und die Türkei an, allein der Erfolg bewies, daß nur Rußland dabei gewann, Oesterreich nicht. Statt der schwachen polnischen Republik bekam Oesterreich das mächtige, durch die polnische Beute noch mehr angeschwollene Rußland zum Nachbar, und auf der türkischen Seite bemächtigte sich Rußland der Häfen am schwarzen Meere, endlich sogar der Donaumündungen, während Oesterreich nicht einmal Belgrad wiedergewann. Rußland ist nicht der natürliche Alliirte, sondern der natürliche Rival Oesterreichs, und man wird nicht irren, wenn man annimmt, daß sogar Rußlands Stellung gegen England nicht heikler seyn kann, als die gegen Oesterreich. Englische Flotten vermögen viel, doch gegen Rußlands Landmacht nichts ohne österreichische Heere. Den Riegel im Orient vorzuschieben vermag nur Oesterreich, das so nahe, so mächtig und leicht durch Sympathien in den russischen Gränzen selbst zu verstärken ist. Deßhalb haben wir immer geglaubt und glauben noch, die Feder des Fürsten Metternich sey ein stärkerer Schutz des Orients, als Donau und Balkan und Kaukasus, und als alle englischen Flotten. Deßhalb wundern wir uns aber auch nicht, wenn wir die Depeschen des Grafen<lb/></p>
                </div>
              </body>
            </floatingText>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0009/0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung 2 Januar 1840 Europa im Jahr 1840von Wolfgang Menzel (Fortsetzung.) Von Oesterreich wird im 5ten Abschnitt gesagt, daß es durch die Vielheit der Volksstämme, aus welchen es zusammengesetzt ist, der Kraft Einer Nationalität entbehre, und auch das religiöse Princip nur zu einer mittleren Stellung benützen könne, daß auch sein politischer Ausgangspunkt durch die ungarische Verfassung ein doppelter sey und das Sperrsystem einen engern Anschluß an die Nachbarn hindere. Der Verfasser spricht daher die Ueberzeugung aus, daß Preußen und England die natürlichen Verbündeten Oesterreichs bilden, und dessen Anschluß an den deutschen Zollverein eigentlich eine politische Nothwendigkeit sey, und noch eigentlicher werden dürfte. Hören wir ihn selbst, wie er diese Gedanken entwickelt: „In viele Nationalitäten einzugreifen, würde Oesterreich nur dann nützlich seyn, wenn jene alte Idee des christlichen Weltreichs noch irgend in den Völkern wieder lebendig werden könnte. Da dieß nicht der Fall ist, so ist der Umstand, daß in Oesterreich das Wohl des Herrschers in vielerlei Sprachen vom Himmel erfleht wird, weniger mehr ein Glück, als eine Sorge für diesen großen Staat. Daher ist derselbe mit Nothwendigkeit auf eine conservative und defensive Politik angewiesen, und befindet sich in dieser Beziehung nicht in der vortheilhaften Stellung, welche den Engländern, Russen und Franzosen die Offensive gestattet. Kräftige Volksstämme, in gewohnter Treue gehorchend, meist durch fröhliche und gemüthliche Sitte vergnügt, dienen dem erlauchten Kaiserhause, und haben es in allen Kriegen stark gemacht, doch umschlingt sie nicht das Band einer Nationalität. „Inzwischen soll damit durchaus nicht gemeint seyn, als ob die nichtdeutschen Nationen im großen Kaiserstaate nur passiv gehorchten und nicht auch durch inniges, wohlverstandenes, allen Intelligenzen einleuchtendes Interesse an die deutsche Dynastie gebunden seyen. Nur ein Blinder vermöchte dieß zu mißkennen. Die Ungarn verdanken die Erhaltung ihrer Nationalität dem Hause Habsburg, ohne dessen Hülfe sie längst dem Islam verfallen wären. Sie haben auch ihre Verfassung unter dem König deutscher Abstammung behaupten können, was nicht der Fall seyn würde, wenn sie unter türkische Botmäßigkeit gekommen wären, oder je einmal, wie die Polen, unter russische kommen würden; denn wie das österreichische Princip es mit sich bringt, jede Nation in ihrer Besonderheit und bei ihren alterthümlichen Gewohnheiten zu lassen, so verlangt das russische unbedingt gleichförmige Unterwerfung unter die Alles uniformirende Autokratie. Ist aber wohl ein selbstständiges Ungarland denkbar? würde es nicht das milde Scepter Oesterreichs mit einem andern vertauschen müssen, wenn es nicht in alter Treue sein Schicksal an das deutsche knüpfte? Und die Polen? Sie incliniren offenbar in dem Maaße mehr zu Oesterreich, als sie vom Norden decliniren. „Was die Macht des Glaubens und der Kirche betrifft, so stützt sich Oesterreich auf diese nur bedingungsweise. Bei weitem der größte Theil seiner Unterthanen ist katholisch und ist es von Herzen; es zanken sich hier keine Glaubensparteien, noch auch hat der Unglaube hier irgend eine Macht, und dieß ist sehr werthvoll für den Staat. Auch darf Oesterreich, nachdem Frankreich in Unglauben versunken und die pyrenäische Halbinsel zerrüttet ist, als die Macht betrachtet werden, die allein noch den römischen Stuhl wesentlich stützt und folglich auf dessen Dankbarkeit und Dienste Ansprüche zu machen hat. Wieder ein bedeutender Vortheil. Gleichwohl kann sich Oesterreich dieser Vortheile nur mit großer Einschränkung erfreuen. Es gewinnt dadurch nur eine schätzbare Unterstützung seiner innern Politik, nicht auch seiner auswärtigen, denn in dem Maaße, in welchem es einen schärfern Accent auf den Katholicismus legen und sich desselben auf irgend eine offensive Weise bedienen wollte, würde es nur Antipathien wecken, die es um keinen Preis wecken darf. „Aus der Macht des Princips schöpft Oesterreich, wenigstens in Bezug auf seine auswärtige Politik, auch nur einen bedingten Vortheil. Es steht auf der Seite des Absolutismus, aber nur in zweiter Linie, denn in der ersten steht Rußland. Es muß sehen, wie Rußland sich alle Vortheile dieses Systems aneignet, ohne sie theilen zu können. Einmal machen die constitutionellen Formen in Ungarn eine Ausnahme von der österreichischen Regel, während Rußland die Regel ohne alle Einschränkung handhabt. Sodann gränzt Oesterreich unmittelbar an die constitutionellen Staaten des Westens und ist mithin der Wirkung der Reibung und des Beispiels mehr ausgesetzt als Rußland, das abgeschlossen im Hintergrund Europa's steht und gegen das westliche System an Oesterreich und Preußen zwei Schutzmauern hat. „Endlich stützt sich Oesterreich auch auf die Macht der materiellen Interessen nur mit Einschränkung. Es benutzt die reichen Hülfsquellen seines eigenen Landes, aber es gewinnt nicht verhältnißmäßig von außen, und wirbt sich keine natürlichen Bundesgenossen durch Oeffnung der Handelsschranken. „Je conservativer nun und defensiver die Politik Oesterreichs ist, um so mehr muß ihm daran liegen, seine Stellung unüberwindlich zu machen. Dieß kann aber nur durch natürliche Allianzen geschehen. „Eine natürliche Allianz ist für Oesterreich nicht die russische, obgleich sich Joseph II dieser Täuschung hingab, und obgleich beide Staaten im Princip des Absolutismus und der Legitimität übereinstimmen. Jede Verbindung Oesterreichs mit Rußland hilft nur, den letzteren ohnehin schon so kolossalen Staat noch mehr zu vergrößern, den Nachbar immer mächtiger und gefährlicher zu machen. Im Bunde mit Rußland griff Joseph II Polen und die Türkei an, allein der Erfolg bewies, daß nur Rußland dabei gewann, Oesterreich nicht. Statt der schwachen polnischen Republik bekam Oesterreich das mächtige, durch die polnische Beute noch mehr angeschwollene Rußland zum Nachbar, und auf der türkischen Seite bemächtigte sich Rußland der Häfen am schwarzen Meere, endlich sogar der Donaumündungen, während Oesterreich nicht einmal Belgrad wiedergewann. Rußland ist nicht der natürliche Alliirte, sondern der natürliche Rival Oesterreichs, und man wird nicht irren, wenn man annimmt, daß sogar Rußlands Stellung gegen England nicht heikler seyn kann, als die gegen Oesterreich. Englische Flotten vermögen viel, doch gegen Rußlands Landmacht nichts ohne österreichische Heere. Den Riegel im Orient vorzuschieben vermag nur Oesterreich, das so nahe, so mächtig und leicht durch Sympathien in den russischen Gränzen selbst zu verstärken ist. Deßhalb haben wir immer geglaubt und glauben noch, die Feder des Fürsten Metternich sey ein stärkerer Schutz des Orients, als Donau und Balkan und Kaukasus, und als alle englischen Flotten. Deßhalb wundern wir uns aber auch nicht, wenn wir die Depeschen des Grafen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_002_18400102
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_002_18400102/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 2. Augsburg, 2. Januar 1840, S. 0009. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_002_18400102/9>, abgerufen am 03.12.2024.