Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.wollte, schickte sie die Magd zu Bett und setzte sich an ihren Spinnrocken, um sich wach zu halten. Die Wanduhr schlug neun, die an Ketten hängenden Gewichte rasselten nieder und pochten an den Uhrkasten. Martha erhob sich und zog die Uhr auf, sie erinnerte sich, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als Diethelm noch "hauslich" war, er jeden Abend selbst zur bestimmten Stunde die Uhr aufgezogen; sie betrachtete das Zifferblatt: da stand mit großer Schrift ihr Name und der Diethelm's, so wie die Jahreszahl ihrer Hochzeit in einem Blumenkranze. Damals, als die Uhr zum Erstenmal hier hing, war große Freude, und wie viel schwere Stunden hat sie seitdem geschlagen, und wie ist sie selbst ein Erinnerungszeichen des Zerfalls geworden, denn diese einfache Uhr kostet dreitausend Gulden; Diethelm hatte für seinen Schwager, der sich mit dem Uhrenhandel beschäftigte, um diese Summe Bürgschaft geleistet, der Schwager war in der Fremde geblieben, und man konnte noch von Glück sagen, daß er seine Familie nachkommen ließ, nachdem man sie mehrere Jahre ernähren mußte. Ach! An Alles knüpften sich traurige Erinnerungen. Es war still ringsum, denn das Haus Diethelm's lag weitab vom Dorf auf einer Anhöhe. Martha öffnete das Fenster, horchte hinab und schaute hinein in die sternglitzernde Nacht, dann setzte sie sich wieder zur wachhaltenden Arbeit, und ihr ganzes Leben zog an ihrem Sinnen vorüber. Jung verheirathet an einen grämlichem, bis zum Hungerleiden geizigen Mann, der nicht umsonst der Grobbauer hieß, hatte sie ein schweres Loos; sie gebar drei Kinder, von denen sie zwei begrub, und nur das älteste, eine Tochter, war ihr geblieben, als auch ihr Mann starb. Sie verfeindete sich mit ihrer ganzen Familie, besonders aber mit ihrem Bruder, dem Schäuflerdavid, als sie ihren überaus schmucken Knecht, den Diethelm, heirathete. Die Leute sagten, der Diethelm habe um die Tochter Martha's gefreit, die Mutter aber habe ihn für sich behalten. Bald nachdem die Tochter auf den Koh- wollte, schickte sie die Magd zu Bett und setzte sich an ihren Spinnrocken, um sich wach zu halten. Die Wanduhr schlug neun, die an Ketten hängenden Gewichte rasselten nieder und pochten an den Uhrkasten. Martha erhob sich und zog die Uhr auf, sie erinnerte sich, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als Diethelm noch „hauslich“ war, er jeden Abend selbst zur bestimmten Stunde die Uhr aufgezogen; sie betrachtete das Zifferblatt: da stand mit großer Schrift ihr Name und der Diethelm's, so wie die Jahreszahl ihrer Hochzeit in einem Blumenkranze. Damals, als die Uhr zum Erstenmal hier hing, war große Freude, und wie viel schwere Stunden hat sie seitdem geschlagen, und wie ist sie selbst ein Erinnerungszeichen des Zerfalls geworden, denn diese einfache Uhr kostet dreitausend Gulden; Diethelm hatte für seinen Schwager, der sich mit dem Uhrenhandel beschäftigte, um diese Summe Bürgschaft geleistet, der Schwager war in der Fremde geblieben, und man konnte noch von Glück sagen, daß er seine Familie nachkommen ließ, nachdem man sie mehrere Jahre ernähren mußte. Ach! An Alles knüpften sich traurige Erinnerungen. Es war still ringsum, denn das Haus Diethelm's lag weitab vom Dorf auf einer Anhöhe. Martha öffnete das Fenster, horchte hinab und schaute hinein in die sternglitzernde Nacht, dann setzte sie sich wieder zur wachhaltenden Arbeit, und ihr ganzes Leben zog an ihrem Sinnen vorüber. Jung verheirathet an einen grämlichem, bis zum Hungerleiden geizigen Mann, der nicht umsonst der Grobbauer hieß, hatte sie ein schweres Loos; sie gebar drei Kinder, von denen sie zwei begrub, und nur das älteste, eine Tochter, war ihr geblieben, als auch ihr Mann starb. Sie verfeindete sich mit ihrer ganzen Familie, besonders aber mit ihrem Bruder, dem Schäuflerdavid, als sie ihren überaus schmucken Knecht, den Diethelm, heirathete. Die Leute sagten, der Diethelm habe um die Tochter Martha's gefreit, die Mutter aber habe ihn für sich behalten. Bald nachdem die Tochter auf den Koh- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="6"> <p><pb facs="#f0044"/> wollte, schickte sie die Magd zu Bett und setzte sich an ihren Spinnrocken, um sich wach zu halten. Die Wanduhr schlug neun, die an Ketten hängenden Gewichte rasselten nieder und pochten an den Uhrkasten. Martha erhob sich und zog die Uhr auf, sie erinnerte sich, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als Diethelm noch „hauslich“ war, er jeden Abend selbst zur bestimmten Stunde die Uhr aufgezogen; sie betrachtete das Zifferblatt: da stand mit großer Schrift ihr Name und der Diethelm's, so wie die Jahreszahl ihrer Hochzeit in einem Blumenkranze. Damals, als die Uhr zum Erstenmal hier hing, war große Freude, und wie viel schwere Stunden hat sie seitdem geschlagen, und wie ist sie selbst ein Erinnerungszeichen des Zerfalls geworden, denn diese einfache Uhr kostet dreitausend Gulden; Diethelm hatte für seinen Schwager, der sich mit dem Uhrenhandel beschäftigte, um diese Summe Bürgschaft geleistet, der Schwager war in der Fremde geblieben, und man konnte noch von Glück sagen, daß er seine Familie nachkommen ließ, nachdem man sie mehrere Jahre ernähren mußte.</p><lb/> <p>Ach! 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wollte, schickte sie die Magd zu Bett und setzte sich an ihren Spinnrocken, um sich wach zu halten. Die Wanduhr schlug neun, die an Ketten hängenden Gewichte rasselten nieder und pochten an den Uhrkasten. Martha erhob sich und zog die Uhr auf, sie erinnerte sich, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als Diethelm noch „hauslich“ war, er jeden Abend selbst zur bestimmten Stunde die Uhr aufgezogen; sie betrachtete das Zifferblatt: da stand mit großer Schrift ihr Name und der Diethelm's, so wie die Jahreszahl ihrer Hochzeit in einem Blumenkranze. Damals, als die Uhr zum Erstenmal hier hing, war große Freude, und wie viel schwere Stunden hat sie seitdem geschlagen, und wie ist sie selbst ein Erinnerungszeichen des Zerfalls geworden, denn diese einfache Uhr kostet dreitausend Gulden; Diethelm hatte für seinen Schwager, der sich mit dem Uhrenhandel beschäftigte, um diese Summe Bürgschaft geleistet, der Schwager war in der Fremde geblieben, und man konnte noch von Glück sagen, daß er seine Familie nachkommen ließ, nachdem man sie mehrere Jahre ernähren mußte.
Ach! An Alles knüpften sich traurige Erinnerungen.
Es war still ringsum, denn das Haus Diethelm's lag weitab vom Dorf auf einer Anhöhe. Martha öffnete das Fenster, horchte hinab und schaute hinein in die sternglitzernde Nacht, dann setzte sie sich wieder zur wachhaltenden Arbeit, und ihr ganzes Leben zog an ihrem Sinnen vorüber. Jung verheirathet an einen grämlichem, bis zum Hungerleiden geizigen Mann, der nicht umsonst der Grobbauer hieß, hatte sie ein schweres Loos; sie gebar drei Kinder, von denen sie zwei begrub, und nur das älteste, eine Tochter, war ihr geblieben, als auch ihr Mann starb. Sie verfeindete sich mit ihrer ganzen Familie, besonders aber mit ihrem Bruder, dem Schäuflerdavid, als sie ihren überaus schmucken Knecht, den Diethelm, heirathete. Die Leute sagten, der Diethelm habe um die Tochter Martha's gefreit, die Mutter aber habe ihn für sich behalten. Bald nachdem die Tochter auf den Koh-
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