Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.gut, man sähe es ihm ja an den Augen an; sie segnete ihm jeden Bissen und jeden Trunk, den er zum Mund führte. Von nun an kam der Amtsverweser jeden Tag später als gewöhnlich in die Kanzlei, denn er trank seinen Kaffee und rauchte seine Cigarre in der Wohnstube der Postmeisterin und unterhielt sich eifrig mit Fränz, die redegewandt und schelmisch war und der die verhüllende Trauer noch einen besonderen Reiz verlieh. Dennoch kam es nicht weiter als zu einer gewissen gefallsamen Annäherung zwischen Fränz und dem Amtsverweser, denn beide hüteten sich in Betracht der Umstände vor jeder ausgesprochenen Zuneigung. Was Wunder, daß unter solchen Verhältnissen die Untersuchung gegen Diethelm nur mangelhaft geführt wurde, zumal keine rechten Beweise vorlagen. Der Verweis, den der Amtsverweser darob von dem neubestallten Richter erhielt, nützte nicht mehr viel, und der Richter versuchte nun selbst den rechten Haken zu finden. In der Wohnstube der Postmeisterin war große Trauer, als der Amtsverweser seine Versetzung nach einem viel besuchten Badeort ankündigte. Als er bald Abschied nahm, reichte ihm Fränz mit einem vielsagenden Blicke die Hand; der Amtsverweser bot nun auch Martha die Abschiedshand, sie reichte sie und spürte dabei mächtig ein Jucken in der Hand, über das sie seit Wochen schon oft geklagt hatte. Fränz war nun selbst damit einverstanden, daß man von der Gasttafel wegblieb, sie war ungewöhnlich viel still und sinnend; sie sang oft still vor sich hin und unterbrach sich dann plötzlich, wenn sie dachte, in welcher Lage sie war. Die Mutter ermahnte sie nun selbst oft, zur Wirthin hinabzugehen, während sie einsam spann. Eines Tages kam Fränz athemlos in das Zimmmer gestürzt. Mutter, schrie sie, Mutter, er ist da! Wer? Um Gotteswillen, der Vater? Ja, der Vater, keuchte Fränz und wollte sich eben wieder umwenden, um dem Kommenden entgegen zu gehen, als die gut, man sähe es ihm ja an den Augen an; sie segnete ihm jeden Bissen und jeden Trunk, den er zum Mund führte. Von nun an kam der Amtsverweser jeden Tag später als gewöhnlich in die Kanzlei, denn er trank seinen Kaffee und rauchte seine Cigarre in der Wohnstube der Postmeisterin und unterhielt sich eifrig mit Fränz, die redegewandt und schelmisch war und der die verhüllende Trauer noch einen besonderen Reiz verlieh. Dennoch kam es nicht weiter als zu einer gewissen gefallsamen Annäherung zwischen Fränz und dem Amtsverweser, denn beide hüteten sich in Betracht der Umstände vor jeder ausgesprochenen Zuneigung. Was Wunder, daß unter solchen Verhältnissen die Untersuchung gegen Diethelm nur mangelhaft geführt wurde, zumal keine rechten Beweise vorlagen. Der Verweis, den der Amtsverweser darob von dem neubestallten Richter erhielt, nützte nicht mehr viel, und der Richter versuchte nun selbst den rechten Haken zu finden. In der Wohnstube der Postmeisterin war große Trauer, als der Amtsverweser seine Versetzung nach einem viel besuchten Badeort ankündigte. Als er bald Abschied nahm, reichte ihm Fränz mit einem vielsagenden Blicke die Hand; der Amtsverweser bot nun auch Martha die Abschiedshand, sie reichte sie und spürte dabei mächtig ein Jucken in der Hand, über das sie seit Wochen schon oft geklagt hatte. Fränz war nun selbst damit einverstanden, daß man von der Gasttafel wegblieb, sie war ungewöhnlich viel still und sinnend; sie sang oft still vor sich hin und unterbrach sich dann plötzlich, wenn sie dachte, in welcher Lage sie war. Die Mutter ermahnte sie nun selbst oft, zur Wirthin hinabzugehen, während sie einsam spann. Eines Tages kam Fränz athemlos in das Zimmmer gestürzt. Mutter, schrie sie, Mutter, er ist da! Wer? Um Gotteswillen, der Vater? Ja, der Vater, keuchte Fränz und wollte sich eben wieder umwenden, um dem Kommenden entgegen zu gehen, als die <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="20"> <p><pb facs="#f0144"/> gut, man sähe es ihm ja an den Augen an; sie segnete ihm jeden Bissen und jeden Trunk, den er zum Mund führte. Von nun an kam der Amtsverweser jeden Tag später als gewöhnlich in die Kanzlei, denn er trank seinen Kaffee und rauchte seine Cigarre in der Wohnstube der Postmeisterin und unterhielt sich eifrig mit Fränz, die redegewandt und schelmisch war und der die verhüllende Trauer noch einen besonderen Reiz verlieh. Dennoch kam es nicht weiter als zu einer gewissen gefallsamen Annäherung zwischen Fränz und dem Amtsverweser, denn beide hüteten sich in Betracht der Umstände vor jeder ausgesprochenen Zuneigung. Was Wunder, daß unter solchen Verhältnissen die Untersuchung gegen Diethelm nur mangelhaft geführt wurde, zumal keine rechten Beweise vorlagen. Der Verweis, den der Amtsverweser darob von dem neubestallten Richter erhielt, nützte nicht mehr viel, und der Richter versuchte nun selbst den rechten Haken zu finden.</p><lb/> <p>In der Wohnstube der Postmeisterin war große Trauer, als der Amtsverweser seine Versetzung nach einem viel besuchten Badeort ankündigte. 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In der Wohnstube der Postmeisterin war große Trauer, als der Amtsverweser seine Versetzung nach einem viel besuchten Badeort ankündigte. Als er bald Abschied nahm, reichte ihm Fränz mit einem vielsagenden Blicke die Hand; der Amtsverweser bot nun auch Martha die Abschiedshand, sie reichte sie und spürte dabei mächtig ein Jucken in der Hand, über das sie seit Wochen schon oft geklagt hatte.
Fränz war nun selbst damit einverstanden, daß man von der Gasttafel wegblieb, sie war ungewöhnlich viel still und sinnend; sie sang oft still vor sich hin und unterbrach sich dann plötzlich, wenn sie dachte, in welcher Lage sie war. Die Mutter ermahnte sie nun selbst oft, zur Wirthin hinabzugehen, während sie einsam spann.
Eines Tages kam Fränz athemlos in das Zimmmer gestürzt.
Mutter, schrie sie, Mutter, er ist da!
Wer? Um Gotteswillen, der Vater?
Ja, der Vater, keuchte Fränz und wollte sich eben wieder umwenden, um dem Kommenden entgegen zu gehen, als die
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Zitationshilfe: | Auerbach, Berthold: Die Geschichte des Diethelm von Buchenberg. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 7. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 45–268. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/auerbach_diethelm_1910/144>, abgerufen am 25.07.2024. |