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Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

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und in CHriſtum einflieſſen muͤſſe.
[Spaltenumbruch] bens kommen wollet: Hoͤret mich euren
Vater/ und die Lehrmeiſterin/ eure mut-
ter/ die weißheit/ mercket genau drauff/
haltet eure ohren niederwarts/ und beu-
get euer hertze zum verſtande/ damit
eure ſeele durch mein rechtes wahres
erkaͤntnis das leben empfange und dem
Tod entkommen moͤge/ nach dem wil-
len und wohlgefallen GOttes durch
CHriſtum uͤber all gebenedeyet in ewig-
keit.

Das laß ich euch aus liebe zur ſeligkeit
und preiß GOTTES wiſſen/ daß ihr euch zu
dieſer zeit von der ſuͤnden der letzten zeit nicht ge-
fangen nehmen oder uͤberziehen laſſet/ denn es
iſt ihr nun (nicht wie in vorigen) viel giffti-
ger/ toͤdtlicher und ſchlimmer zu entkommen/
urſache/ weil GOTTES gerechtigkeit und
wahrheit durchgebrochen/ das licht ſeines er-
kaͤntniſſes an den tag kommen und der unter-
ſcheid des boͤſen und guten offenbahr worden iſt.
Derohalben fallen die menſchen in groͤſſer ur-
theil und ſchuld/ denn die vorige/ die des lichts
des erkaͤntniſſes in ſeinem unterſcheid geman-
gelt oder es nit gewuſt haben: wie ihr das/ weñ
ihrs bey euch ſelbſt urtheilet/ wohl verſtehen
koͤnnet/ daß die Eltern mehr uͤber einen untreu-
en aͤltern ſohn zuͤrnen/ als uͤber einen jungen/
daß ihm auch mehr ſtraffe wegen feiner ſchuld
zukommt/ als dem juͤngern.

Weil denn nun dieſe welt die vorige in allen
ſtuͤcken am verſtande uͤbertrifft/ und voll er-
kaͤntnis/ ſpiegel und warnungen iſt/ muß
ſie dahero deſto mehr verweiß und ſchuld
tragen/ das fehlet euch nicht/ alleine nach dem
worte des HERRN/ der geſagt hat/ daß der
viel ſtreiche wird leiden/ der den willen
des HERRN gewuſt und nicht gethan
hat.
So ſehet denn wohl zu/ meine liebe kin-
der/ daß ihr/ weil ihr in der zeit des alterthums
und erkaͤntniſſes ſeyd/ allerdings nicht ſuͤndi-
get/ denn ihre verdammnis iſt nun ungleich
groͤſſer und ſchaͤdlicher als zuvor/ das ſag ich
euch: eben wie ein alter/ der einen ſchwerern fall
thut/ als der juͤngere/ auch nicht ſo wohl zu hei-
len iſt als der juͤngere/ alſo wird die ſuͤnde zu un-
ſer zeit inſonderheit nicht von uns ſo abgenom-
men/ als wohl in den vorigen zeiten.

Die rechte ſuͤnde aber/ die da toͤdtet und ver-
derbt in ewigkeit/ iſt/ (daß ihrs wiſſet) nicht ſo
plump oder grob/ ſondern ſehr ſcharffſchneidig/
welche von keinen plumpen/ unverſtaͤndigen
unwiſſenden leuten/ als menſchlicher weiſe zu
reden/ von groben fiſchern/ bauers-volcke und
andern geringen menſchen oder kindern/ ſon-
dern von den geiſtloſen leuten/ von den hoff-raͤ-
then/ hoͤfflingen/ edelleuten/ kriegs-leuten und
und andern verſchlagenen/ liſtigen/ ſubtilen/
ſchalckhafften/ ſtudierten und behenden hertzen
gethan wird: inſonderheit wird ſie zu unſrer zeit
von denſelben mit dem hertzen/ mit ihrem ſinn
und willen mehr in luſt und begierde auff einen
tag vollbracht/ als von den rohen und groben/
plumpen und albern geſellen in einem gantzen
jahr/ denn dieſe kennen die ſuͤnde auffs hoͤchſte
und beſte oder in ihrem heßlichen weſen nit/ wie
koͤnten ſie ſie deñ in dem ſinn erfuͤllen oder ihr zu
willen ſeyn. Sie ſind zwar (es iſt wahr) auch
eins mit ihr/ aber nicht ſo gantz mit dem geſich-
te des erkaͤntniſſes: daher koͤnnen ſie ſelbe nicht
[Spaltenumbruch] wie ihre art und und krafft iſt/ vorbringen oder
mit dem hertzen vollkoͤmmlich thun/ und auch
mit der hand aͤuſſerlich beweiſen/ wie die kluͤg-
ſten Teuffel und heuchler/ die da ſchaͤrffer am
gehoͤr/ geſichte/ geruch/ geſchmack/ taſten und
fuͤhlen als die andere ſind/ welche keine ſuͤnde er-
kennen oder vor boͤſe halten/ wenn ſie nicht mit
der hand groͤblich vollbracht und mit haͤnden
und fuͤſſen zu greiffen iſt: aber die ſuͤnde iſt viel
ſchneller/ und wird eher gethan/ als geſehen.
Jener wird ſie auch eher/ gleich wie mit einer na-
delſpitzen eine feder zu fuͤhlen iſt/ verſtehen/ als
dieſer mit ſeinen ellenbogen taſten/ ehe er ſie fuͤh-
len oder empfinden ſolte. Es iſt ihr nicht zu ent-
kommen/ als durch die innerliche ſcharffſichtig-
keit der gutwilligkeit in dem geiſt des allerhei-
ligſten glaubens. Daher man ſich nun (ich ſags
euch) vor ſolchem verderben (wie weit mehr vor
den ſpitzigen und ſcharffen als vor den plumpen
und thoͤrichten) huͤten muß/ in dieſem letztem al-
ter der welt/ als in welchemdie alte ſchlange/ wel-
che hernach ein groſſer Drache mit ſieben haͤub-
tern worden iſt/ ihr regiment hat/ nemlich daß
die ſuͤnde in dem menſchen/ und nicht auffer ihm
verſiebenfaͤltiget iſt. Der HERR laſſe doch
ſolches erkennen/ damit niemand durch unwiſ-
ſenheit verfallen und in jammer kommen moͤge.
Aber das alles thut der einige Heilige Geiſt der
ewigen liebe CHriſti/ zu deſſen zeit/ das ſieben-
faͤltige licht zu kriegen/ wirkommen ſind. Alle
ſuͤnden/ die in den Vater/ ja in den Sohn
JESUM nach dem fleiſch geſchehen/ werden
vergeben/ warum? darum/ daß ſie ſolchen un-
terſcheid des wahrhafften erkaͤntniſſes nicht ha-
ben/ als in dem ewigen ſiebenfaͤltigen licht des
wahren Heiligen Geiſtes CHriſti oder art der
vollkommenheit/ in welchen und durch welchen
GOTT die welt oder die menſchen hat verneu-
ren/ ſegnen und benedeyen wollen zu ſeiner glo-
rie/ damit alle dinge ihre veraͤnderung nach ſei-
nem willen bekaͤmen/ deswegen er ſein wort ge-
ſandt hat.

Darum wer in dem H. Geiſt ſuͤndiget/ dem
ſolls weder hier noch hernachmals (wie es denen
andern geſchehen iſt) nicht vergeben werden.
Denn Gott iſt nicht ungerecht/ es muß alſo und
nicht anders ſeyn. Darum/ iſt nun die ſuͤnde (das
ihr wiſſet) nicht gleich/ ſo muͤſſen die ſuͤnder auch
unterſchiedlich und nicht einerley oder gleich
gros ſeyn. Und diß zeiget der HErr klar an mit
der einigen parabel von dem ſtarcken/ der uͤber-
wunden und ausgetrieben worden/ und wenn er
weggehet/ ſieben aͤrgere geiſter mit ſich bringet/
und mit den pallaſt oder hauß (aus welchem er
getrieben worden/ ſo ers nicht beſetzet und die
ſtaͤtte wohl bewahret/ ſondern leer findet) wie-
derum ein/ daher denn der letzte irrthum oder
thorheit viel groͤſſer iſt/ als der erſte/ ſpricht der
HErr. Dieſe worte des letzten irrthums zeigen
uns das groͤſſeſte uͤbel oder die meiſte ſuͤnde an/
beſonders durch das alter und durch die groͤſſe
des abgruͤndlichen erkaͤntniſſes/ da ſich die kraͤff-
te und tieffen der hoͤllen auffthun/ in welchen
die allergroͤſſeſten/ toͤdtlichſten und dickſten
finſterniſſen gegruͤndet ſind/ und die groͤſſeſte
boßheit drauß auffſteiget: darinn denn einer
oder der andere gefallene lieget oder gezogen
wird/ und jeder nach ſeiner geburth ſeine ver-
dammnis oder ſeligkeit hat.

Denn gleichwie die hoͤlle ihre graden oder

ſtuffen
A. K. H. Vierter Theil. Z z 2

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Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 363. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/659>, abgerufen am 07.01.2025.