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Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840.

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bet der Frau Hoch. Ich dachte, ob es wohl unrecht
sein möge sie zu belauschen und da fiel mir meine Ant¬
litzknospe ein, ob die vom Meelthau der Sünde hier¬
durch könne angegriffen werden, denn so gescheut war
ich wohl daß dies keine Kapitalsünde sei, aber weil ich
absolut wollt wunderschön sein, und ohne den geringsten
Tadel, so hielt ich mir die Ohren mit beiden Händen
zu um nichts zu hören, da ließ ich die Stange los vom
Brett und wär schier in den Hof gefallen. Ich konnt
mir die Ohren nicht versperren wenn ich nicht fallen
wollt, und da hört ich sie noch singen:

Wenn der güldne Morgen blinkt;
Der zu dieser Hochzeit winkt,
Wo die reinen Seraphinen
Bei der hohen Tafel dienen. --

Da sang ich die zweite Stimme, die Hoch sieht sich in
allen Ecken um, holt Licht, sucht oben auf dem Ofen,
auf dem Vorhanggestell, und überall und kann mich
nicht finden. Ich pflückte eine Nelke vom Stock und
stellte mich in den Fensterrahm, den stieß ich auf und
reicht ihr die Nelke. Da stand sie mit ihrem kleinen
Wachsstock und beleuchtet mich und meint ich wär eine
Erscheinung. Ich bin ihr aber um den Hals gefallen,

denn

bet der Frau Hoch. Ich dachte, ob es wohl unrecht
ſein möge ſie zu belauſchen und da fiel mir meine Ant¬
litzknospe ein, ob die vom Meelthau der Sünde hier¬
durch könne angegriffen werden, denn ſo geſcheut war
ich wohl daß dies keine Kapitalſünde ſei, aber weil ich
abſolut wollt wunderſchön ſein, und ohne den geringſten
Tadel, ſo hielt ich mir die Ohren mit beiden Händen
zu um nichts zu hören, da ließ ich die Stange los vom
Brett und wär ſchier in den Hof gefallen. Ich konnt
mir die Ohren nicht verſperren wenn ich nicht fallen
wollt, und da hört ich ſie noch ſingen:

Wenn der güldne Morgen blinkt;
Der zu dieſer Hochzeit winkt,
Wo die reinen Seraphinen
Bei der hohen Tafel dienen. —

Da ſang ich die zweite Stimme, die Hoch ſieht ſich in
allen Ecken um, holt Licht, ſucht oben auf dem Ofen,
auf dem Vorhanggeſtell, und überall und kann mich
nicht finden. Ich pflückte eine Nelke vom Stock und
ſtellte mich in den Fenſterrahm, den ſtieß ich auf und
reicht ihr die Nelke. Da ſtand ſie mit ihrem kleinen
Wachsſtock und beleuchtet mich und meint ich wär eine
Erſcheinung. Ich bin ihr aber um den Hals gefallen,

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[384/0400] bet der Frau Hoch. Ich dachte, ob es wohl unrecht ſein möge ſie zu belauſchen und da fiel mir meine Ant¬ litzknospe ein, ob die vom Meelthau der Sünde hier¬ durch könne angegriffen werden, denn ſo geſcheut war ich wohl daß dies keine Kapitalſünde ſei, aber weil ich abſolut wollt wunderſchön ſein, und ohne den geringſten Tadel, ſo hielt ich mir die Ohren mit beiden Händen zu um nichts zu hören, da ließ ich die Stange los vom Brett und wär ſchier in den Hof gefallen. Ich konnt mir die Ohren nicht verſperren wenn ich nicht fallen wollt, und da hört ich ſie noch ſingen: Wenn der güldne Morgen blinkt; Der zu dieſer Hochzeit winkt, Wo die reinen Seraphinen Bei der hohen Tafel dienen. — Da ſang ich die zweite Stimme, die Hoch ſieht ſich in allen Ecken um, holt Licht, ſucht oben auf dem Ofen, auf dem Vorhanggeſtell, und überall und kann mich nicht finden. Ich pflückte eine Nelke vom Stock und ſtellte mich in den Fenſterrahm, den ſtieß ich auf und reicht ihr die Nelke. Da ſtand ſie mit ihrem kleinen Wachsſtock und beleuchtet mich und meint ich wär eine Erſcheinung. Ich bin ihr aber um den Hals gefallen, denn

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Die Günderode. Bd. 1. Grünberg u. a., 1840, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_guenderode01_1840/400>, abgerufen am 27.11.2024.