ist ihre Luft, in dem sie ihre Blüthen ausbreiten und ihren Duft; der Geist, in dem viele Gedanken ihre Blü- then treiben, der ist ein gewürziger Geist, in seiner Nähe athmen wir seine Verklärung. Die ganze Natur ist aber ein Spiegel von dem, was im Geistesleben vor- geht. Keinen Sommervogel hab' ich umsonst nachge- jagt; mein Geist empfing dadurch die Befähigung, ei- nem verborgenen, idealischen Reiz nachzujagen, und hab ich das klopfende Herz in die hohen Kräuter der blü- henden Erde gedrückt: ich lag am Busen einer göttli- chen Natur, die meiner Inbrunst, meiner Sehnsucht kühlenden Balsam zuträufelte, der alles Begehren in geistiges Schauen umwandelte. --
Die wandelnden Heerden in der Abenddämmerung mit ihrem Geläut', die ich oben von der Mauer herab mit stillem Entzücken betrachtete; die Schalmey des Schäfers der in Mondnächten seine Schafe von Triften zu Triften leitete, das Bellen des Hundes in der Ferne, die jagenden Wolken, die aufseufzenden Abendwinde, das Rauschen des Flusses, das sanfte Anklatschen der Wellen am steinigen Ufer, das Einschlafen der Pflan- zen, ihr Einsaugen des Morgenlichtes, das Kämpfen und Spielen, der Nebel, -- o sag', welcher Geist hat mir das geistig noch einmal geboten? -- Du? -- hast
iſt ihre Luft, in dem ſie ihre Blüthen ausbreiten und ihren Duft; der Geiſt, in dem viele Gedanken ihre Blü- then treiben, der iſt ein gewürziger Geiſt, in ſeiner Nähe athmen wir ſeine Verklärung. Die ganze Natur iſt aber ein Spiegel von dem, was im Geiſtesleben vor- geht. Keinen Sommervogel hab' ich umſonſt nachge- jagt; mein Geiſt empfing dadurch die Befähigung, ei- nem verborgenen, idealiſchen Reiz nachzujagen, und hab ich das klopfende Herz in die hohen Kräuter der blü- henden Erde gedrückt: ich lag am Buſen einer göttli- chen Natur, die meiner Inbrunſt, meiner Sehnſucht kühlenden Balſam zuträufelte, der alles Begehren in geiſtiges Schauen umwandelte. —
Die wandelnden Heerden in der Abenddämmerung mit ihrem Geläut', die ich oben von der Mauer herab mit ſtillem Entzücken betrachtete; die Schalmey des Schäfers der in Mondnächten ſeine Schafe von Triften zu Triften leitete, das Bellen des Hundes in der Ferne, die jagenden Wolken, die aufſeufzenden Abendwinde, das Rauſchen des Fluſſes, das ſanfte Anklatſchen der Wellen am ſteinigen Ufer, das Einſchlafen der Pflan- zen, ihr Einſaugen des Morgenlichtes, das Kämpfen und Spielen, der Nebel, — o ſag', welcher Geiſt hat mir das geiſtig noch einmal geboten? — Du? — haſt
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iſt ihre Luft, in dem ſie ihre Blüthen ausbreiten und
ihren Duft; der Geiſt, in dem viele Gedanken ihre Blü-
then treiben, der iſt ein gewürziger Geiſt, in ſeiner
Nähe athmen wir ſeine Verklärung. Die ganze Natur
iſt aber ein Spiegel von dem, was im Geiſtesleben vor-
geht. Keinen Sommervogel hab' ich umſonſt nachge-
jagt; mein Geiſt empfing dadurch die Befähigung, ei-
nem verborgenen, idealiſchen Reiz nachzujagen, und hab
ich das klopfende Herz in die hohen Kräuter der blü-
henden Erde gedrückt: ich lag am Buſen einer göttli-
chen Natur, die meiner Inbrunſt, meiner Sehnſucht
kühlenden Balſam zuträufelte, der alles Begehren in
geiſtiges Schauen umwandelte. —
Die wandelnden Heerden in der Abenddämmerung
mit ihrem Geläut', die ich oben von der Mauer herab
mit ſtillem Entzücken betrachtete; die Schalmey des
Schäfers der in Mondnächten ſeine Schafe von Triften
zu Triften leitete, das Bellen des Hundes in der Ferne,
die jagenden Wolken, die aufſeufzenden Abendwinde,
das Rauſchen des Fluſſes, das ſanfte Anklatſchen der
Wellen am ſteinigen Ufer, das Einſchlafen der Pflan-
zen, ihr Einſaugen des Morgenlichtes, das Kämpfen
und Spielen, der Nebel, — o ſag', welcher Geiſt hat
mir das geiſtig noch einmal geboten? — Du? — haſt
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/62>, abgerufen am 16.02.2025.
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