sonderbar, daß das, was wir für uns selbst fordern, gewöhnlich auch das ist, was uns unserer Freiheit be- raubt; wir wollen gebunden sein mit Banden, die uns süß deuchten, und unserer Schwachheit eine Stütze, eine Versicherung sind; wir wollen getragen sein, gehoben durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und ahnden nicht, daß wir dieser Forderung das Ruhmwürdige und die Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt sein, wo wir Anregung zur Liebe haben, und erkennen's nicht, daß wir den liebenden Genius darum in uns ver- drängen. Wo bleibt die Freiheit, wenn die Seele Be- dürfnisse hat, und sie befriedigt wissen will durch äußere Vermittlung? --
Was ist die Forderung, die wir außer uns machen anders, als der Beweis eines Mangels in uns? und was bewirkt ihre Befriedigung, als nur die Beförde- rung dieser Schwäche, die Gebundenheit unserer Freiheit in dieser. Der Genius will, daß die Seele lieber ent- behre, als daß sie von der Befriedigung eines Triebes, einer Neigung, eines Bedürfnisses abhänge.
Wir alle sollen Könige sein, und je widerspenstiger, je herrischer der Knecht in uns, je herrlicher wird sich die Herrscherwürde entfalten, je kühner und gewaltiger der Geist, der überwindet.
ſonderbar, daß das, was wir für uns ſelbſt fordern, gewöhnlich auch das iſt, was uns unſerer Freiheit be- raubt; wir wollen gebunden ſein mit Banden, die uns ſüß deuchten, und unſerer Schwachheit eine Stütze, eine Verſicherung ſind; wir wollen getragen ſein, gehoben durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und ahnden nicht, daß wir dieſer Forderung das Ruhmwürdige und die Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt ſein, wo wir Anregung zur Liebe haben, und erkennen's nicht, daß wir den liebenden Genius darum in uns ver- drängen. Wo bleibt die Freiheit, wenn die Seele Be- dürfniſſe hat, und ſie befriedigt wiſſen will durch äußere Vermittlung? —
Was iſt die Forderung, die wir außer uns machen anders, als der Beweis eines Mangels in uns? und was bewirkt ihre Befriedigung, als nur die Beförde- rung dieſer Schwäche, die Gebundenheit unſerer Freiheit in dieſer. Der Genius will, daß die Seele lieber ent- behre, als daß ſie von der Befriedigung eines Triebes, einer Neigung, eines Bedürfniſſes abhänge.
Wir alle ſollen Könige ſein, und je widerſpenſtiger, je herriſcher der Knecht in uns, je herrlicher wird ſich die Herrſcherwürde entfalten, je kühner und gewaltiger der Geiſt, der überwindet.
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ſonderbar, daß das, was wir für uns ſelbſt fordern,
gewöhnlich auch das iſt, was uns unſerer Freiheit be-
raubt; wir wollen gebunden ſein mit Banden, die uns
ſüß deuchten, und unſerer Schwachheit eine Stütze, eine
Verſicherung ſind; wir wollen getragen ſein, gehoben
durch Anerkenntniß, durch Ruhm, und ahnden nicht,
daß wir dieſer Forderung das Ruhmwürdige und die
Nahrung des Höheren aufopfern; wir wollen geliebt
ſein, wo wir Anregung zur Liebe haben, und erkennen's
nicht, daß wir den liebenden Genius darum in uns ver-
drängen. Wo bleibt die Freiheit, wenn die Seele Be-
dürfniſſe hat, und ſie befriedigt wiſſen will durch äußere
Vermittlung? —
Was iſt die Forderung, die wir außer uns machen
anders, als der Beweis eines Mangels in uns? und
was bewirkt ihre Befriedigung, als nur die Beförde-
rung dieſer Schwäche, die Gebundenheit unſerer Freiheit
in dieſer. Der Genius will, daß die Seele lieber ent-
behre, als daß ſie von der Befriedigung eines Triebes,
einer Neigung, eines Bedürfniſſes abhänge.
Wir alle ſollen Könige ſein, und je widerſpenſtiger,
je herriſcher der Knecht in uns, je herrlicher wird ſich
die Herrſcherwürde entfalten, je kühner und gewaltiger
der Geiſt, der überwindet.
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[Arnim, Bettina von]: Tagebuch. Berlin, 1835, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe03_1835/113>, abgerufen am 29.06.2024.
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