allen Thieren, und nicht Dich kümmerst um das gewal- tige Geschick jenes Bergvolks? Vor wenig Wochen, wie das Eis brach und der Fluß überschwoll, da setztest Du alles dran eine Katze aus der Wassersnoth zu retten. Vorgestern hast Du einem todgeschlagnen Hund, der am Wege lag, mit eignen Händen eine Grube gemacht und mit Erde bedeckt, obschon Du in seidnen Strümpfen warst, und einen Klaque in Händen hattest. Heute Morgen hast Du mit Thränen geklagt, daß die Nach- barn ein Schwalbennest zerstörten trotz deinen Bitten und Einreden. Warum gefällt Dir's nicht, deine Lange- weile, deine melancholische Laune zu verkaufen um ei- nen Stutzen, Du bist so leicht und schlank wie eine Birke, Du könntest Sätze thun über die Abgründe, von einem Fels zum andern, aber faul bist Du und furcht- bar krank an Neutralität. -- Da steh ich allein auf der Wiese, Rumohr schnarcht, daß die Blumen erzittern, und ich denk an die Sturmglocke, deren Geläut so fürchter- lich in den Ohren der Feinde erklingt, und auf deren Ruf alle mit Trommel und Pfeifen ausziehen, ob auch die Stürme brausen, ob Nacht oder Tag, -- und Ru- mohr, im Schatten eines jungbelaubten Baumes, einge- wiegt von scherzenden Lüftchen und singenden Mückchen, schläft fest; was geht den Edelmann das Schicksal derer
allen Thieren, und nicht Dich kümmerſt um das gewal- tige Geſchick jenes Bergvolks? Vor wenig Wochen, wie das Eis brach und der Fluß überſchwoll, da ſetzteſt Du alles dran eine Katze aus der Waſſersnoth zu retten. Vorgeſtern haſt Du einem todgeſchlagnen Hund, der am Wege lag, mit eignen Händen eine Grube gemacht und mit Erde bedeckt, obſchon Du in ſeidnen Strümpfen warſt, und einen Klaque in Händen hatteſt. Heute Morgen haſt Du mit Thränen geklagt, daß die Nach- barn ein Schwalbenneſt zerſtörten trotz deinen Bitten und Einreden. Warum gefällt Dir's nicht, deine Lange- weile, deine melancholiſche Laune zu verkaufen um ei- nen Stutzen, Du biſt ſo leicht und ſchlank wie eine Birke, Du könnteſt Sätze thun über die Abgründe, von einem Fels zum andern, aber faul biſt Du und furcht- bar krank an Neutralität. — Da ſteh ich allein auf der Wieſe, Rumohr ſchnarcht, daß die Blumen erzittern, und ich denk an die Sturmglocke, deren Geläut ſo fürchter- lich in den Ohren der Feinde erklingt, und auf deren Ruf alle mit Trommel und Pfeifen ausziehen, ob auch die Stürme brauſen, ob Nacht oder Tag, — und Ru- mohr, im Schatten eines jungbelaubten Baumes, einge- wiegt von ſcherzenden Lüftchen und ſingenden Mückchen, ſchläft feſt; was geht den Edelmann das Schickſal derer
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allen Thieren, und nicht Dich kümmerſt um das gewal-
tige Geſchick jenes Bergvolks? Vor wenig Wochen, wie
das Eis brach und der Fluß überſchwoll, da ſetzteſt Du
alles dran eine Katze aus der Waſſersnoth zu retten.
Vorgeſtern haſt Du einem todgeſchlagnen Hund, der
am Wege lag, mit eignen Händen eine Grube gemacht
und mit Erde bedeckt, obſchon Du in ſeidnen Strümpfen
warſt, und einen Klaque in Händen hatteſt. Heute
Morgen haſt Du mit Thränen geklagt, daß die Nach-
barn ein Schwalbenneſt zerſtörten trotz deinen Bitten
und Einreden. Warum gefällt Dir's nicht, deine Lange-
weile, deine melancholiſche Laune zu verkaufen um ei-
nen Stutzen, Du biſt ſo leicht und ſchlank wie eine
Birke, Du könnteſt Sätze thun über die Abgründe, von
einem Fels zum andern, aber faul biſt Du und furcht-
bar krank an Neutralität. — Da ſteh ich allein auf der
Wieſe, Rumohr ſchnarcht, daß die Blumen erzittern, und
ich denk an die Sturmglocke, deren Geläut ſo fürchter-
lich in den Ohren der Feinde erklingt, und auf deren
Ruf alle mit Trommel und Pfeifen ausziehen, ob auch
die Stürme brauſen, ob Nacht oder Tag, — und Ru-
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wiegt von ſcherzenden Lüftchen und ſingenden Mückchen,
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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