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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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mich an und sagt: ich bin Leibhusar des Königs, kein
Mensch hat arges gegen mich, und doch hab ich nichts
im Sinn als nur wie ich meinen Leuten helfen will,
und nun hast Du mich in Händen und wirst nicht fürch-
ten daß ein Tyroler auch ein Verräther sein könne.

Wie die Tyroler weg waren, war ich wie betäubt,
mein Herz schlug hoch vor Entzücken, daß sie mir dies
Zutrauen geschenkt haben; am andern Tag war Char-
freitag, da holte mich der Stadion ab, um mir eine
stille Messe zu lesen. Ich gab ihm meine Depeschen
und erzählte ihm alles, und äußerte ihm voll Beschä-
mung die große Sehnsucht, daß ich fort möchte zu den
Tyrolern; Stadion sagt, ich soll mich auf ihn verlassen,
er wolle einen Stutzen auf den Rücken nehmen und in's
Tyrol gehen, und alles was ich möchte, das wolle er
für mich ausrichten, und es sei die letzte Messe, die er
mir lesen werde, denn in wenig Tagen sei seine Abreise
bestimmt. Ach, Gott, es fiel mir schwer auf's Herz daß
ich so bald den lieben Freund verlieren sollte.

Nach der Messe ging ich auf's Chor, Winter ließ
die Lamentation singen, ich warf ein Chorhemd über
und sang mit, unterdessen kam der Kronprinz mit sei-
nem Bruder, das Kruzifix lag an der Erde, das beide
Brüder küßten, nachher umarmten sie sich; sie waren

mich an und ſagt: ich bin Leibhuſar des Königs, kein
Menſch hat arges gegen mich, und doch hab ich nichts
im Sinn als nur wie ich meinen Leuten helfen will,
und nun haſt Du mich in Händen und wirſt nicht fürch-
ten daß ein Tyroler auch ein Verräther ſein könne.

Wie die Tyroler weg waren, war ich wie betäubt,
mein Herz ſchlug hoch vor Entzücken, daß ſie mir dies
Zutrauen geſchenkt haben; am andern Tag war Char-
freitag, da holte mich der Stadion ab, um mir eine
ſtille Meſſe zu leſen. Ich gab ihm meine Depeſchen
und erzählte ihm alles, und äußerte ihm voll Beſchä-
mung die große Sehnſucht, daß ich fort möchte zu den
Tyrolern; Stadion ſagt, ich ſoll mich auf ihn verlaſſen,
er wolle einen Stutzen auf den Rücken nehmen und in's
Tyrol gehen, und alles was ich möchte, das wolle er
für mich ausrichten, und es ſei die letzte Meſſe, die er
mir leſen werde, denn in wenig Tagen ſei ſeine Abreiſe
beſtimmt. Ach, Gott, es fiel mir ſchwer auf's Herz daß
ich ſo bald den lieben Freund verlieren ſollte.

Nach der Meſſe ging ich auf's Chor, Winter ließ
die Lamentation ſingen, ich warf ein Chorhemd über
und ſang mit, unterdeſſen kam der Kronprinz mit ſei-
nem Bruder, das Kruzifix lag an der Erde, das beide
Brüder küßten, nachher umarmten ſie ſich; ſie waren

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[46/0056] mich an und ſagt: ich bin Leibhuſar des Königs, kein Menſch hat arges gegen mich, und doch hab ich nichts im Sinn als nur wie ich meinen Leuten helfen will, und nun haſt Du mich in Händen und wirſt nicht fürch- ten daß ein Tyroler auch ein Verräther ſein könne. Wie die Tyroler weg waren, war ich wie betäubt, mein Herz ſchlug hoch vor Entzücken, daß ſie mir dies Zutrauen geſchenkt haben; am andern Tag war Char- freitag, da holte mich der Stadion ab, um mir eine ſtille Meſſe zu leſen. Ich gab ihm meine Depeſchen und erzählte ihm alles, und äußerte ihm voll Beſchä- mung die große Sehnſucht, daß ich fort möchte zu den Tyrolern; Stadion ſagt, ich ſoll mich auf ihn verlaſſen, er wolle einen Stutzen auf den Rücken nehmen und in's Tyrol gehen, und alles was ich möchte, das wolle er für mich ausrichten, und es ſei die letzte Meſſe, die er mir leſen werde, denn in wenig Tagen ſei ſeine Abreiſe beſtimmt. Ach, Gott, es fiel mir ſchwer auf's Herz daß ich ſo bald den lieben Freund verlieren ſollte. Nach der Meſſe ging ich auf's Chor, Winter ließ die Lamentation ſingen, ich warf ein Chorhemd über und ſang mit, unterdeſſen kam der Kronprinz mit ſei- nem Bruder, das Kruzifix lag an der Erde, das beide Brüder küßten, nachher umarmten ſie ſich; ſie waren

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/56>, abgerufen am 24.11.2024.