O, es ist eine himmlische Wohlthat Gottes, an der wir alle gesunden könnten, eine solche Revolution: er läßt abermals und abermals die Seele der Freiheit wie- der neugeboren werden.
Siehst Du, Meister, wenn Du heute in der stern- hellen kalten Nacht deine Mignon aus ihrem Bettchen holst, in dem sie gestern mit Thränen um Dich einge- schlafen war; Du sagst ihr: sei hurtig und gehe mit, ich will allein mit Dir in die Fremde ziehen; O, sie wird's verstehen, es wird ihr nicht unglaublich vorkom- men, Du thuft was sie längst von Dir verlangte und was Du unbegreiflich unterlassen hast. Du wirst ihr ein Glück schenken, daß sie deine harten Mühen theilen darf, bei Nacht auf gefahrvollen Wegen, wo jeder Schritt täuscht, da wird ihr Scharfblick, ihre kühne Zu- versicht Dich sicher leiten hinüber zum kriegbedrängten Volk; und wenn sie sieht, daß Du deine Brust den Pfeilen bietest, wird sie nicht zagen, es wird sie nicht kränken wie die Pfeile des schmeichelnden Syrenenvolks, sie wird rasch heranreifen zu dem kühnen Vertrauen, mit einzuklingen in die Harmonie der Freiheitsbegeiste- rung. Und wenn Du auch im Vordertreffen stürzen mußt, was hat sie verloren? -- was könnte ihr diesen schönen Tod ersetzen, an deiner Seite vielleicht? -- beide
O, es iſt eine himmliſche Wohlthat Gottes, an der wir alle geſunden könnten, eine ſolche Revolution: er läßt abermals und abermals die Seele der Freiheit wie- der neugeboren werden.
Siehſt Du, Meiſter, wenn Du heute in der ſtern- hellen kalten Nacht deine Mignon aus ihrem Bettchen holſt, in dem ſie geſtern mit Thränen um Dich einge- ſchlafen war; Du ſagſt ihr: ſei hurtig und gehe mit, ich will allein mit Dir in die Fremde ziehen; O, ſie wird's verſtehen, es wird ihr nicht unglaublich vorkom- men, Du thuft was ſie längſt von Dir verlangte und was Du unbegreiflich unterlaſſen haſt. Du wirſt ihr ein Glück ſchenken, daß ſie deine harten Mühen theilen darf, bei Nacht auf gefahrvollen Wegen, wo jeder Schritt täuſcht, da wird ihr Scharfblick, ihre kühne Zu- verſicht Dich ſicher leiten hinüber zum kriegbedrängten Volk; und wenn ſie ſieht, daß Du deine Bruſt den Pfeilen bieteſt, wird ſie nicht zagen, es wird ſie nicht kränken wie die Pfeile des ſchmeichelnden Syrenenvolks, ſie wird raſch heranreifen zu dem kühnen Vertrauen, mit einzuklingen in die Harmonie der Freiheitsbegeiſte- rung. Und wenn Du auch im Vordertreffen ſtürzen mußt, was hat ſie verloren? — was könnte ihr dieſen ſchönen Tod erſetzen, an deiner Seite vielleicht? — beide
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O, es iſt eine himmliſche Wohlthat Gottes, an der
wir alle geſunden könnten, eine ſolche Revolution: er
läßt abermals und abermals die Seele der Freiheit wie-
der neugeboren werden.
Siehſt Du, Meiſter, wenn Du heute in der ſtern-
hellen kalten Nacht deine Mignon aus ihrem Bettchen
holſt, in dem ſie geſtern mit Thränen um Dich einge-
ſchlafen war; Du ſagſt ihr: ſei hurtig und gehe mit,
ich will allein mit Dir in die Fremde ziehen; O, ſie
wird's verſtehen, es wird ihr nicht unglaublich vorkom-
men, Du thuft was ſie längſt von Dir verlangte und
was Du unbegreiflich unterlaſſen haſt. Du wirſt ihr
ein Glück ſchenken, daß ſie deine harten Mühen theilen
darf, bei Nacht auf gefahrvollen Wegen, wo jeder
Schritt täuſcht, da wird ihr Scharfblick, ihre kühne Zu-
verſicht Dich ſicher leiten hinüber zum kriegbedrängten
Volk; und wenn ſie ſieht, daß Du deine Bruſt den
Pfeilen bieteſt, wird ſie nicht zagen, es wird ſie nicht
kränken wie die Pfeile des ſchmeichelnden Syrenenvolks,
ſie wird raſch heranreifen zu dem kühnen Vertrauen,
mit einzuklingen in die Harmonie der Freiheitsbegeiſte-
rung. Und wenn Du auch im Vordertreffen ſtürzen
mußt, was hat ſie verloren? — was könnte ihr dieſen
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/46>, abgerufen am 23.11.2024.
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