Ja laß das wilde Reis seine Wurzeln mit den deinen verstricken, verzehre es wenn Du es nicht dulden magst.
Ja wohl! ich bin zu heftig, siehe da, der Damm ist verschüttet welchen Gewohnheit baut, und Ungewohn- tes überströmt Herz und Papier. Ja ungewohnte Thrä- nen, Ihr überströmt mein Gesicht, das heute die Sonne sucht und vor Thränen nicht sieht, und auch nicht weil sie mir heute nicht scheinen will.
Den 23. November.
Alle Blumen die noch im Garten stehen einsam- meln, Rosen und frische Trauben noch in der späten Jahrszeit zusammenbringen ist kein unsittlich Geschäft und verdient nicht den Zorn dessen dem sie angeboten sind. Warum soll ich mich fürchten vor Dir? -- daß Du mich zurückgestoßen hast mit der Hand, die ich küs- sen wollte, das ist schon lange her, und heut bist Du anders gesinnt. -- Dem Becher aus dem Du heute ge- trunken sei dieser Strauß in den Kelch gepflanzt, er übernachte diese letzte Blumen, er sei ein Grab diesen Blumen, morgen wirf den Strauß weg und fülle den Becher nach Gewohnheit. -- So hast Du mir's auch gemacht, Du hast mich weggeworfen aus dem Gefäß das Du an die Lippen zu setzen gewohnt bist.
Ja laß das wilde Reis ſeine Wurzeln mit den deinen verſtricken, verzehre es wenn Du es nicht dulden magſt.
Ja wohl! ich bin zu heftig, ſiehe da, der Damm iſt verſchüttet welchen Gewohnheit baut, und Ungewohn- tes überſtrömt Herz und Papier. Ja ungewohnte Thrä- nen, Ihr überſtrömt mein Geſicht, das heute die Sonne ſucht und vor Thränen nicht ſieht, und auch nicht weil ſie mir heute nicht ſcheinen will.
Den 23. November.
Alle Blumen die noch im Garten ſtehen einſam- meln, Roſen und friſche Trauben noch in der ſpäten Jahrszeit zuſammenbringen iſt kein unſittlich Geſchäft und verdient nicht den Zorn deſſen dem ſie angeboten ſind. Warum ſoll ich mich fürchten vor Dir? — daß Du mich zurückgeſtoßen haſt mit der Hand, die ich küſ- ſen wollte, das iſt ſchon lange her, und heut biſt Du anders geſinnt. — Dem Becher aus dem Du heute ge- trunken ſei dieſer Strauß in den Kelch gepflanzt, er übernachte dieſe letzte Blumen, er ſei ein Grab dieſen Blumen, morgen wirf den Strauß weg und fülle den Becher nach Gewohnheit. — So haſt Du mir's auch gemacht, Du haſt mich weggeworfen aus dem Gefäß das Du an die Lippen zu ſetzen gewohnt biſt.
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Ja laß das wilde Reis ſeine Wurzeln mit den deinen
verſtricken, verzehre es wenn Du es nicht dulden magſt.
Ja wohl! ich bin zu heftig, ſiehe da, der Damm
iſt verſchüttet welchen Gewohnheit baut, und Ungewohn-
tes überſtrömt Herz und Papier. Ja ungewohnte Thrä-
nen, Ihr überſtrömt mein Geſicht, das heute die Sonne
ſucht und vor Thränen nicht ſieht, und auch nicht weil
ſie mir heute nicht ſcheinen will.
Den 23. November.
Alle Blumen die noch im Garten ſtehen einſam-
meln, Roſen und friſche Trauben noch in der ſpäten
Jahrszeit zuſammenbringen iſt kein unſittlich Geſchäft
und verdient nicht den Zorn deſſen dem ſie angeboten
ſind. Warum ſoll ich mich fürchten vor Dir? — daß
Du mich zurückgeſtoßen haſt mit der Hand, die ich küſ-
ſen wollte, das iſt ſchon lange her, und heut biſt Du
anders geſinnt. — Dem Becher aus dem Du heute ge-
trunken ſei dieſer Strauß in den Kelch gepflanzt, er
übernachte dieſe letzte Blumen, er ſei ein Grab dieſen
Blumen, morgen wirf den Strauß weg und fülle den
Becher nach Gewohnheit. — So haſt Du mir's auch
gemacht, Du haſt mich weggeworfen aus dem Gefäß
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/318>, abgerufen am 23.11.2024.
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