hört. Dem Genie in der Musik steht der Gelehrte in der Musik allemal als ein Holzbock gegenüber (Zelter muß vermeiden dem Beethoven gegenüber zu stehen), das Bekannte verträgt er, nicht weil er es begreift son- dern weil er es gewohnt ist, wie der Esel den täglichen Weg. Was kann einer noch, wenn er auch alles wollte, so lang er nicht mit dem Genius sein eignes Leben führt da er nicht Rechenschaft zu geben hat, und die Gelehr- samkeit ihm nicht hinein pfuschen darf. Die Gelehrsam- keit versteht ja doch nur höchstens was schon da war, aber nicht was da kommen soll, er kann die Geister nicht lösen vom Buchstaben, vom Gesetz. Jede Kunst steht eigenmächtig da den Tod zu verdrängen, den Menschen in den Himmel zu führen; aber wo sie die Philister bewachen und als Meister lossprechen, da steht sie mit geschornem Haupt, beschämt, was freier Wille, freies Leben sein soll, ist Uhrwerk. Und da mag nun einer zuhören und glauben und hoffen, es wird doch nichts draus. Nur durch Wege konnte man dazu ge- langen, die dem Philister verschüttet sind, Gebet, Ver- schwiegenheit des Herzens im stillen Vertrauen auf die ewige Weisheit auch in dem Unbegreiflichen. -- Da stehen wir an den unübersteiglichen Bergen, und doch:
hört. Dem Genie in der Muſik ſteht der Gelehrte in der Muſik allemal als ein Holzbock gegenüber (Zelter muß vermeiden dem Beethoven gegenüber zu ſtehen), das Bekannte verträgt er, nicht weil er es begreift ſon- dern weil er es gewohnt iſt, wie der Eſel den täglichen Weg. Was kann einer noch, wenn er auch alles wollte, ſo lang er nicht mit dem Genius ſein eignes Leben führt da er nicht Rechenſchaft zu geben hat, und die Gelehr- ſamkeit ihm nicht hinein pfuſchen darf. Die Gelehrſam- keit verſteht ja doch nur höchſtens was ſchon da war, aber nicht was da kommen ſoll, er kann die Geiſter nicht löſen vom Buchſtaben, vom Geſetz. Jede Kunſt ſteht eigenmächtig da den Tod zu verdrängen, den Menſchen in den Himmel zu führen; aber wo ſie die Philiſter bewachen und als Meiſter losſprechen, da ſteht ſie mit geſchornem Haupt, beſchämt, was freier Wille, freies Leben ſein ſoll, iſt Uhrwerk. Und da mag nun einer zuhören und glauben und hoffen, es wird doch nichts draus. Nur durch Wege konnte man dazu ge- langen, die dem Philiſter verſchüttet ſind, Gebet, Ver- ſchwiegenheit des Herzens im ſtillen Vertrauen auf die ewige Weisheit auch in dem Unbegreiflichen. — Da ſtehen wir an den unüberſteiglichen Bergen, und doch:
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0295"n="285"/>
hört. Dem Genie in der Muſik ſteht der Gelehrte in<lb/>
der Muſik allemal als ein Holzbock gegenüber (Zelter<lb/>
muß vermeiden dem Beethoven gegenüber zu ſtehen),<lb/>
das Bekannte verträgt er, nicht weil er es begreift ſon-<lb/>
dern weil er es gewohnt iſt, wie der Eſel den täglichen<lb/>
Weg. Was kann einer noch, wenn er auch alles wollte,<lb/>ſo lang er nicht mit dem Genius ſein eignes Leben führt<lb/>
da er nicht Rechenſchaft zu geben hat, und die Gelehr-<lb/>ſamkeit ihm nicht hinein pfuſchen darf. Die Gelehrſam-<lb/>
keit verſteht ja doch nur höchſtens was ſchon da war,<lb/>
aber nicht was da kommen ſoll, er kann die Geiſter<lb/>
nicht löſen vom Buchſtaben, vom Geſetz. Jede Kunſt<lb/>ſteht eigenmächtig da den Tod zu verdrängen, den<lb/>
Menſchen in den Himmel zu führen; aber wo ſie die<lb/>
Philiſter bewachen und als Meiſter losſprechen, da ſteht<lb/>ſie mit geſchornem Haupt, beſchämt, was freier Wille,<lb/>
freies Leben ſein ſoll, iſt Uhrwerk. Und da mag nun<lb/>
einer zuhören und glauben und hoffen, es wird doch<lb/>
nichts draus. Nur durch Wege konnte man dazu ge-<lb/>
langen, die dem Philiſter verſchüttet ſind, Gebet, Ver-<lb/>ſchwiegenheit des Herzens im ſtillen Vertrauen auf die<lb/>
ewige Weisheit auch in dem Unbegreiflichen. — Da<lb/>ſtehen wir an den unüberſteiglichen Bergen, und doch:<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[285/0295]
hört. Dem Genie in der Muſik ſteht der Gelehrte in
der Muſik allemal als ein Holzbock gegenüber (Zelter
muß vermeiden dem Beethoven gegenüber zu ſtehen),
das Bekannte verträgt er, nicht weil er es begreift ſon-
dern weil er es gewohnt iſt, wie der Eſel den täglichen
Weg. Was kann einer noch, wenn er auch alles wollte,
ſo lang er nicht mit dem Genius ſein eignes Leben führt
da er nicht Rechenſchaft zu geben hat, und die Gelehr-
ſamkeit ihm nicht hinein pfuſchen darf. Die Gelehrſam-
keit verſteht ja doch nur höchſtens was ſchon da war,
aber nicht was da kommen ſoll, er kann die Geiſter
nicht löſen vom Buchſtaben, vom Geſetz. Jede Kunſt
ſteht eigenmächtig da den Tod zu verdrängen, den
Menſchen in den Himmel zu führen; aber wo ſie die
Philiſter bewachen und als Meiſter losſprechen, da ſteht
ſie mit geſchornem Haupt, beſchämt, was freier Wille,
freies Leben ſein ſoll, iſt Uhrwerk. Und da mag nun
einer zuhören und glauben und hoffen, es wird doch
nichts draus. Nur durch Wege konnte man dazu ge-
langen, die dem Philiſter verſchüttet ſind, Gebet, Ver-
ſchwiegenheit des Herzens im ſtillen Vertrauen auf die
ewige Weisheit auch in dem Unbegreiflichen. — Da
ſtehen wir an den unüberſteiglichen Bergen, und doch:
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/295>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.