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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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der Ruhm meiner Erzählungskunst bald verbreitete, so
daß endlich alt und jung daran Theil nahm, sind mir
eine sehr erquickliche Erinnerung. Das Welttheater war
nicht so reichhaltig, obschon es die Quelle war zu immer
neuen Erfindungen, that, durch seine grausenhafte Wirk-
lichkeit, die alles Fabelhafte überstieg, für's erste der
Mährchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von
Lissabon; alle Zeitungen waren davon erfüllt, alle Men-
schen argumentirten in wunderlicher Verwirrung, kurz,
es war ein Weltereigniß, das bis in die entferntesten
Gegenden alle Herzen erschütterte, der kleine Wolfgang,
der damals im siebenten Jahr war, hatte keine Ruhe
mehr; das brausende Meer, das in einem Nu alle
Schiffe niederschluckte und dann hinaufstieg am Ufer,
um den ungeheuern königlichen Pallast zu verschlingen,
die hohen Thürme, die zuvörderst unter dem Schutt der
kleinern Häuser begraben wurden, die Flammen, die
überall aus den Ruinen heraus, endlich zusammenschla-
gen und ein großes Feuermeer verbreiten, während eine
Schaar von Teufeln aus der Erde hervorsteigt, um al-
len bösen Unfug an den Unglücklichen auszuüben, die
von vielen tausend zu Grunde gegangnen noch übrig
waren, machten ihm einen ungeheuren Eindruck. Jeden
Abend enthielt die Zeitung neue Mähr, bestimmtere Er-

der Ruhm meiner Erzählungskunſt bald verbreitete, ſo
daß endlich alt und jung daran Theil nahm, ſind mir
eine ſehr erquickliche Erinnerung. Das Welttheater war
nicht ſo reichhaltig, obſchon es die Quelle war zu immer
neuen Erfindungen, that, durch ſeine grauſenhafte Wirk-
lichkeit, die alles Fabelhafte überſtieg, für's erſte der
Mährchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von
Liſſabon; alle Zeitungen waren davon erfüllt, alle Men-
ſchen argumentirten in wunderlicher Verwirrung, kurz,
es war ein Weltereigniß, das bis in die entfernteſten
Gegenden alle Herzen erſchütterte, der kleine Wolfgang,
der damals im ſiebenten Jahr war, hatte keine Ruhe
mehr; das brauſende Meer, das in einem Nu alle
Schiffe niederſchluckte und dann hinaufſtieg am Ufer,
um den ungeheuern königlichen Pallaſt zu verſchlingen,
die hohen Thürme, die zuvörderſt unter dem Schutt der
kleinern Häuſer begraben wurden, die Flammen, die
überall aus den Ruinen heraus, endlich zuſammenſchla-
gen und ein großes Feuermeer verbreiten, während eine
Schaar von Teufeln aus der Erde hervorſteigt, um al-
len böſen Unfug an den Unglücklichen auszuüben, die
von vielen tauſend zu Grunde gegangnen noch übrig
waren, machten ihm einen ungeheuren Eindruck. Jeden
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[253/0263] der Ruhm meiner Erzählungskunſt bald verbreitete, ſo daß endlich alt und jung daran Theil nahm, ſind mir eine ſehr erquickliche Erinnerung. Das Welttheater war nicht ſo reichhaltig, obſchon es die Quelle war zu immer neuen Erfindungen, that, durch ſeine grauſenhafte Wirk- lichkeit, die alles Fabelhafte überſtieg, für's erſte der Mährchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von Liſſabon; alle Zeitungen waren davon erfüllt, alle Men- ſchen argumentirten in wunderlicher Verwirrung, kurz, es war ein Weltereigniß, das bis in die entfernteſten Gegenden alle Herzen erſchütterte, der kleine Wolfgang, der damals im ſiebenten Jahr war, hatte keine Ruhe mehr; das brauſende Meer, das in einem Nu alle Schiffe niederſchluckte und dann hinaufſtieg am Ufer, um den ungeheuern königlichen Pallaſt zu verſchlingen, die hohen Thürme, die zuvörderſt unter dem Schutt der kleinern Häuſer begraben wurden, die Flammen, die überall aus den Ruinen heraus, endlich zuſammenſchla- gen und ein großes Feuermeer verbreiten, während eine Schaar von Teufeln aus der Erde hervorſteigt, um al- len böſen Unfug an den Unglücklichen auszuüben, die von vielen tauſend zu Grunde gegangnen noch übrig waren, machten ihm einen ungeheuren Eindruck. Jeden Abend enthielt die Zeitung neue Mähr, beſtimmtere Er-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/263>, abgerufen am 25.11.2024.