der Ruhm meiner Erzählungskunst bald verbreitete, so daß endlich alt und jung daran Theil nahm, sind mir eine sehr erquickliche Erinnerung. Das Welttheater war nicht so reichhaltig, obschon es die Quelle war zu immer neuen Erfindungen, that, durch seine grausenhafte Wirk- lichkeit, die alles Fabelhafte überstieg, für's erste der Mährchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von Lissabon; alle Zeitungen waren davon erfüllt, alle Men- schen argumentirten in wunderlicher Verwirrung, kurz, es war ein Weltereigniß, das bis in die entferntesten Gegenden alle Herzen erschütterte, der kleine Wolfgang, der damals im siebenten Jahr war, hatte keine Ruhe mehr; das brausende Meer, das in einem Nu alle Schiffe niederschluckte und dann hinaufstieg am Ufer, um den ungeheuern königlichen Pallast zu verschlingen, die hohen Thürme, die zuvörderst unter dem Schutt der kleinern Häuser begraben wurden, die Flammen, die überall aus den Ruinen heraus, endlich zusammenschla- gen und ein großes Feuermeer verbreiten, während eine Schaar von Teufeln aus der Erde hervorsteigt, um al- len bösen Unfug an den Unglücklichen auszuüben, die von vielen tausend zu Grunde gegangnen noch übrig waren, machten ihm einen ungeheuren Eindruck. Jeden Abend enthielt die Zeitung neue Mähr, bestimmtere Er-
der Ruhm meiner Erzählungskunſt bald verbreitete, ſo daß endlich alt und jung daran Theil nahm, ſind mir eine ſehr erquickliche Erinnerung. Das Welttheater war nicht ſo reichhaltig, obſchon es die Quelle war zu immer neuen Erfindungen, that, durch ſeine grauſenhafte Wirk- lichkeit, die alles Fabelhafte überſtieg, für's erſte der Mährchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von Liſſabon; alle Zeitungen waren davon erfüllt, alle Men- ſchen argumentirten in wunderlicher Verwirrung, kurz, es war ein Weltereigniß, das bis in die entfernteſten Gegenden alle Herzen erſchütterte, der kleine Wolfgang, der damals im ſiebenten Jahr war, hatte keine Ruhe mehr; das brauſende Meer, das in einem Nu alle Schiffe niederſchluckte und dann hinaufſtieg am Ufer, um den ungeheuern königlichen Pallaſt zu verſchlingen, die hohen Thürme, die zuvörderſt unter dem Schutt der kleinern Häuſer begraben wurden, die Flammen, die überall aus den Ruinen heraus, endlich zuſammenſchla- gen und ein großes Feuermeer verbreiten, während eine Schaar von Teufeln aus der Erde hervorſteigt, um al- len böſen Unfug an den Unglücklichen auszuüben, die von vielen tauſend zu Grunde gegangnen noch übrig waren, machten ihm einen ungeheuren Eindruck. Jeden Abend enthielt die Zeitung neue Mähr, beſtimmtere Er-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0263"n="253"/>
der Ruhm meiner Erzählungskunſt bald verbreitete, ſo<lb/>
daß endlich alt und jung daran Theil nahm, ſind mir<lb/>
eine ſehr erquickliche Erinnerung. Das Welttheater war<lb/>
nicht ſo reichhaltig, obſchon es die Quelle war zu immer<lb/>
neuen Erfindungen, that, durch ſeine grauſenhafte Wirk-<lb/>
lichkeit, die alles Fabelhafte überſtieg, für's erſte der<lb/>
Mährchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von<lb/>
Liſſabon; alle Zeitungen waren davon erfüllt, alle Men-<lb/>ſchen argumentirten in wunderlicher Verwirrung, kurz,<lb/>
es war ein Weltereigniß, das bis in die entfernteſten<lb/>
Gegenden alle Herzen erſchütterte, der kleine Wolfgang,<lb/>
der damals im ſiebenten Jahr war, hatte keine Ruhe<lb/>
mehr; das brauſende Meer, das in einem Nu alle<lb/>
Schiffe niederſchluckte und dann hinaufſtieg am Ufer,<lb/>
um den ungeheuern königlichen Pallaſt zu verſchlingen,<lb/>
die hohen Thürme, die zuvörderſt unter dem Schutt der<lb/>
kleinern Häuſer begraben wurden, die Flammen, die<lb/>
überall aus den Ruinen heraus, endlich zuſammenſchla-<lb/>
gen und ein großes Feuermeer verbreiten, während eine<lb/>
Schaar von Teufeln aus der Erde hervorſteigt, um al-<lb/>
len böſen Unfug an den Unglücklichen auszuüben, die<lb/>
von vielen tauſend zu Grunde gegangnen noch übrig<lb/>
waren, machten ihm einen ungeheuren Eindruck. Jeden<lb/>
Abend enthielt die Zeitung neue Mähr, beſtimmtere Er-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[253/0263]
der Ruhm meiner Erzählungskunſt bald verbreitete, ſo
daß endlich alt und jung daran Theil nahm, ſind mir
eine ſehr erquickliche Erinnerung. Das Welttheater war
nicht ſo reichhaltig, obſchon es die Quelle war zu immer
neuen Erfindungen, that, durch ſeine grauſenhafte Wirk-
lichkeit, die alles Fabelhafte überſtieg, für's erſte der
Mährchenwelt Abbruch, das war das Erdbeben von
Liſſabon; alle Zeitungen waren davon erfüllt, alle Men-
ſchen argumentirten in wunderlicher Verwirrung, kurz,
es war ein Weltereigniß, das bis in die entfernteſten
Gegenden alle Herzen erſchütterte, der kleine Wolfgang,
der damals im ſiebenten Jahr war, hatte keine Ruhe
mehr; das brauſende Meer, das in einem Nu alle
Schiffe niederſchluckte und dann hinaufſtieg am Ufer,
um den ungeheuern königlichen Pallaſt zu verſchlingen,
die hohen Thürme, die zuvörderſt unter dem Schutt der
kleinern Häuſer begraben wurden, die Flammen, die
überall aus den Ruinen heraus, endlich zuſammenſchla-
gen und ein großes Feuermeer verbreiten, während eine
Schaar von Teufeln aus der Erde hervorſteigt, um al-
len böſen Unfug an den Unglücklichen auszuüben, die
von vielen tauſend zu Grunde gegangnen noch übrig
waren, machten ihm einen ungeheuren Eindruck. Jeden
Abend enthielt die Zeitung neue Mähr, beſtimmtere Er-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/263>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.