Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

darum, daß, was bei der Mutter so kräftig Wurzeln
schlug und bei mir Blüthen trieb, endlich auch in süßer
Frucht vom hohen Stamm an die Erde niederrollen
möchte. Nun höre! -- da lernte ich in München einen
jungen Arzt kennen, verbranntes, von Blattern zerrisse-
nes Gesicht, arm wie Hiob, fremd mit Allen, große aus-
gebreitete Natur, aber grade darum in sich fertig und
geschlossen, konnte den Teufel nicht als das absolut Böse
erfassen, aber wohl als einen Kerl mit zwei Hörnern
und Bocksfüßen (natürlich an den Hörnern läßt sich ei-
ner packen, wenn man Courage hat), der Weg seiner
Begeisterung ging nicht auf einer Himmels-, aber wohl
auf einer Hühnerleiter in seine Kammer, allwo er auf
eigne Kosten mit Armen, Kranken darbte und freudig
das Seinige mit ihnen theilte, seine junge, enthusiastische
Kunst an ihnen gedeihen machte; -- er war stumm
durch Krankheit bis in sein viertes Jahr, ein Donner-
schlag löste ihm die Zunge, mit funfzehn Jahren sollte
er Soldat werden, dafür, daß er des Generals wildes
Pferd zähmte, gab ihn dieser frei, dadurch, daß er ei-
nen Wahnwitzigen kurirte, bekam er eine kleine unbe-
queme Stelle in München, in dieser Lage lernte ich ihn
kennen, bald ging er bei mir aus und ein, dieser gute
Geist, reich an Edelmuth, der außerdem nichts hatte als

darum, daß, was bei der Mutter ſo kräftig Wurzeln
ſchlug und bei mir Blüthen trieb, endlich auch in ſüßer
Frucht vom hohen Stamm an die Erde niederrollen
möchte. Nun höre! — da lernte ich in München einen
jungen Arzt kennen, verbranntes, von Blattern zerriſſe-
nes Geſicht, arm wie Hiob, fremd mit Allen, große aus-
gebreitete Natur, aber grade darum in ſich fertig und
geſchloſſen, konnte den Teufel nicht als das abſolut Böſe
erfaſſen, aber wohl als einen Kerl mit zwei Hörnern
und Bocksfüßen (natürlich an den Hörnern läßt ſich ei-
ner packen, wenn man Courage hat), der Weg ſeiner
Begeiſterung ging nicht auf einer Himmels-, aber wohl
auf einer Hühnerleiter in ſeine Kammer, allwo er auf
eigne Koſten mit Armen, Kranken darbte und freudig
das Seinige mit ihnen theilte, ſeine junge, enthuſiaſtiſche
Kunſt an ihnen gedeihen machte; — er war ſtumm
durch Krankheit bis in ſein viertes Jahr, ein Donner-
ſchlag löſte ihm die Zunge, mit funfzehn Jahren ſollte
er Soldat werden, dafür, daß er des Generals wildes
Pferd zähmte, gab ihn dieſer frei, dadurch, daß er ei-
nen Wahnwitzigen kurirte, bekam er eine kleine unbe-
queme Stelle in München, in dieſer Lage lernte ich ihn
kennen, bald ging er bei mir aus und ein, dieſer gute
Geiſt, reich an Edelmuth, der außerdem nichts hatte als

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0248" n="238"/>
darum, daß, was bei der Mutter &#x017F;o kräftig Wurzeln<lb/>
&#x017F;chlug und bei mir Blüthen trieb, endlich auch in &#x017F;üßer<lb/>
Frucht vom hohen Stamm an die Erde niederrollen<lb/>
möchte. Nun höre! &#x2014; da lernte ich in München einen<lb/>
jungen Arzt kennen, verbranntes, von Blattern zerri&#x017F;&#x017F;e-<lb/>
nes Ge&#x017F;icht, arm wie Hiob, fremd mit Allen, große aus-<lb/>
gebreitete Natur, aber grade darum in &#x017F;ich fertig und<lb/>
ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en, konnte den Teufel nicht als das ab&#x017F;olut Bö&#x017F;e<lb/>
erfa&#x017F;&#x017F;en, aber wohl als einen Kerl mit zwei Hörnern<lb/>
und Bocksfüßen (natürlich an den Hörnern läßt &#x017F;ich ei-<lb/>
ner packen, wenn man Courage hat), der Weg &#x017F;einer<lb/>
Begei&#x017F;terung ging nicht auf einer Himmels-, aber wohl<lb/>
auf einer Hühnerleiter in &#x017F;eine Kammer, allwo er auf<lb/>
eigne Ko&#x017F;ten mit Armen, Kranken darbte und freudig<lb/>
das Seinige mit ihnen theilte, &#x017F;eine junge, enthu&#x017F;ia&#x017F;ti&#x017F;che<lb/>
Kun&#x017F;t an ihnen gedeihen machte; &#x2014; er war &#x017F;tumm<lb/>
durch Krankheit bis in &#x017F;ein viertes Jahr, ein Donner-<lb/>
&#x017F;chlag lö&#x017F;te ihm die Zunge, mit funfzehn Jahren &#x017F;ollte<lb/>
er Soldat werden, dafür, daß er des Generals wildes<lb/>
Pferd zähmte, gab ihn die&#x017F;er frei, dadurch, daß er ei-<lb/>
nen Wahnwitzigen kurirte, bekam er eine kleine unbe-<lb/>
queme Stelle in München, in die&#x017F;er Lage lernte ich ihn<lb/>
kennen, bald ging er bei mir aus und ein, die&#x017F;er gute<lb/>
Gei&#x017F;t, reich an Edelmuth, der außerdem nichts hatte als<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[238/0248] darum, daß, was bei der Mutter ſo kräftig Wurzeln ſchlug und bei mir Blüthen trieb, endlich auch in ſüßer Frucht vom hohen Stamm an die Erde niederrollen möchte. Nun höre! — da lernte ich in München einen jungen Arzt kennen, verbranntes, von Blattern zerriſſe- nes Geſicht, arm wie Hiob, fremd mit Allen, große aus- gebreitete Natur, aber grade darum in ſich fertig und geſchloſſen, konnte den Teufel nicht als das abſolut Böſe erfaſſen, aber wohl als einen Kerl mit zwei Hörnern und Bocksfüßen (natürlich an den Hörnern läßt ſich ei- ner packen, wenn man Courage hat), der Weg ſeiner Begeiſterung ging nicht auf einer Himmels-, aber wohl auf einer Hühnerleiter in ſeine Kammer, allwo er auf eigne Koſten mit Armen, Kranken darbte und freudig das Seinige mit ihnen theilte, ſeine junge, enthuſiaſtiſche Kunſt an ihnen gedeihen machte; — er war ſtumm durch Krankheit bis in ſein viertes Jahr, ein Donner- ſchlag löſte ihm die Zunge, mit funfzehn Jahren ſollte er Soldat werden, dafür, daß er des Generals wildes Pferd zähmte, gab ihn dieſer frei, dadurch, daß er ei- nen Wahnwitzigen kurirte, bekam er eine kleine unbe- queme Stelle in München, in dieſer Lage lernte ich ihn kennen, bald ging er bei mir aus und ein, dieſer gute Geiſt, reich an Edelmuth, der außerdem nichts hatte als

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/248
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/248>, abgerufen am 27.11.2024.