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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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ter allem diesem erst nach dem gesucht was ich lieben
möchte; gestern kam Gesellschaft zu Tiek, ich schlich mich
unbemerkt hinter einen Schirm, ich wär' auch gewiß da
eingeschlafen wenn nicht mein Name wär' ausgesprochen
worden, da hat man mich gemalt, so daß ich mich vor
mir selber fürchten müßte; ich kam auch plötzlich hervor
und sagte: Nein ich bin zu abscheulich ich mag nicht
mehr allein bei mir sein. Dies erregte eine kleine Kon-
sternation, und mir machte es viel Spaß. -- So ging
mir's auch bei Jacobi, wo Lotte und Lehne nicht be-
merkt hatten, daß ich hinter dem großen runden Tisch
saß, ich rief hervor mitten in ihre Epistel hinein: Ich
will mich bessern. Ich weiß gar nicht warum mein Herz
immer jauchzt vor Lust wenn ich mich verunglimpfen
höre, und warum ich schon im Voraus lachen muß wenn
einer mich tadelt; sie mögen mir aufbürden die aller ver-
kehrtesten Dinge, ich muß alles mit Vergnügen anhören
und gelten lassen. Es ist mein Glück; wollt ich mich
dagegen vertheidigen ich käm in des Teufels Küche;
wollte ich mit ihnen streiten ich würde dummer wie sie.
Doch diese letzte Geschichte hat mir Glück gebracht, Sai-
ler war da, dem gefiel's, daß ich Lehnen dafür beim
Kopf kriegte und ihr auf ihr böses Maul einen herzli-
chen Schmaz gab um es zu stopfen. Nachdem Sailer

ter allem dieſem erſt nach dem geſucht was ich lieben
möchte; geſtern kam Geſellſchaft zu Tiek, ich ſchlich mich
unbemerkt hinter einen Schirm, ich wär' auch gewiß da
eingeſchlafen wenn nicht mein Name wär' ausgeſprochen
worden, da hat man mich gemalt, ſo daß ich mich vor
mir ſelber fürchten müßte; ich kam auch plötzlich hervor
und ſagte: Nein ich bin zu abſcheulich ich mag nicht
mehr allein bei mir ſein. Dies erregte eine kleine Kon-
ſternation, und mir machte es viel Spaß. — So ging
mir's auch bei Jacobi, wo Lotte und Lehne nicht be-
merkt hatten, daß ich hinter dem großen runden Tiſch
ſaß, ich rief hervor mitten in ihre Epiſtel hinein: Ich
will mich beſſern. Ich weiß gar nicht warum mein Herz
immer jauchzt vor Luſt wenn ich mich verunglimpfen
höre, und warum ich ſchon im Voraus lachen muß wenn
einer mich tadelt; ſie mögen mir aufbürden die aller ver-
kehrteſten Dinge, ich muß alles mit Vergnügen anhören
und gelten laſſen. Es iſt mein Glück; wollt ich mich
dagegen vertheidigen ich käm in des Teufels Küche;
wollte ich mit ihnen ſtreiten ich würde dummer wie ſie.
Doch dieſe letzte Geſchichte hat mir Glück gebracht, Sai-
ler war da, dem gefiel's, daß ich Lehnen dafür beim
Kopf kriegte und ihr auf ihr böſes Maul einen herzli-
chen Schmaz gab um es zu ſtopfen. Nachdem Sailer

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[10/0020] ter allem dieſem erſt nach dem geſucht was ich lieben möchte; geſtern kam Geſellſchaft zu Tiek, ich ſchlich mich unbemerkt hinter einen Schirm, ich wär' auch gewiß da eingeſchlafen wenn nicht mein Name wär' ausgeſprochen worden, da hat man mich gemalt, ſo daß ich mich vor mir ſelber fürchten müßte; ich kam auch plötzlich hervor und ſagte: Nein ich bin zu abſcheulich ich mag nicht mehr allein bei mir ſein. Dies erregte eine kleine Kon- ſternation, und mir machte es viel Spaß. — So ging mir's auch bei Jacobi, wo Lotte und Lehne nicht be- merkt hatten, daß ich hinter dem großen runden Tiſch ſaß, ich rief hervor mitten in ihre Epiſtel hinein: Ich will mich beſſern. Ich weiß gar nicht warum mein Herz immer jauchzt vor Luſt wenn ich mich verunglimpfen höre, und warum ich ſchon im Voraus lachen muß wenn einer mich tadelt; ſie mögen mir aufbürden die aller ver- kehrteſten Dinge, ich muß alles mit Vergnügen anhören und gelten laſſen. Es iſt mein Glück; wollt ich mich dagegen vertheidigen ich käm in des Teufels Küche; wollte ich mit ihnen ſtreiten ich würde dummer wie ſie. Doch dieſe letzte Geſchichte hat mir Glück gebracht, Sai- ler war da, dem gefiel's, daß ich Lehnen dafür beim Kopf kriegte und ihr auf ihr böſes Maul einen herzli- chen Schmaz gab um es zu ſtopfen. Nachdem Sailer

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/20>, abgerufen am 30.04.2024.