Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

der Erwartung. Da denk ich an den Rhein bei Bin-
gen, wie da plötzlich seine lichte, majestätische Breite sich
einengt zwischen düsteren Felsen zischend und brausend,
sich durch Schluchten windet, und nie werden die Ufer
wieder so ruhig, so kindlich schön wie sie vor der Bin-
ger Untiefe waren; solche Untiefen stehen mir also be-
vor, wo sich der Lebensgeist durch schauerliche Schluch-
ten winden muß. Muth! die Welt ist rund, wir kehren
zurück mit erhöhten Kräften und doppeltem Reiz, die
Sehnsucht streut gleich beim Abschied schon den Saamen
der Wiederkehr; so bin ich nie von Dir geschieden, ohne
zugleich mit Begeisterung der Zukunft zu gedenken, die
mich in deinen Armen wieder empfangen werde, so mag
wohl alle Trauer um die Abgeschiednen ein bescheidner
Vorgenuß einer zukünftigen Wiedervereinigung sein, ge-
wiß, sonst würden keine solche Empfindungen der Sehn-
sucht das Herz durchdringen.


Am Ende März war's wohl wie ich Dir zum letz-
tenmal von Landshut aus schrieb; ja, ich hab lange ge-
schwiegen, beinah zwei Monate, heute erhielt ich durch
Sailer von Landshut deine liebe Zeilen vom 10. Mai,

der Erwartung. Da denk ich an den Rhein bei Bin-
gen, wie da plötzlich ſeine lichte, majeſtätiſche Breite ſich
einengt zwiſchen düſteren Felſen ziſchend und brauſend,
ſich durch Schluchten windet, und nie werden die Ufer
wieder ſo ruhig, ſo kindlich ſchön wie ſie vor der Bin-
ger Untiefe waren; ſolche Untiefen ſtehen mir alſo be-
vor, wo ſich der Lebensgeiſt durch ſchauerliche Schluch-
ten winden muß. Muth! die Welt iſt rund, wir kehren
zurück mit erhöhten Kräften und doppeltem Reiz, die
Sehnſucht ſtreut gleich beim Abſchied ſchon den Saamen
der Wiederkehr; ſo bin ich nie von Dir geſchieden, ohne
zugleich mit Begeiſterung der Zukunft zu gedenken, die
mich in deinen Armen wieder empfangen werde, ſo mag
wohl alle Trauer um die Abgeſchiednen ein beſcheidner
Vorgenuß einer zukünftigen Wiedervereinigung ſein, ge-
wiß, ſonſt würden keine ſolche Empfindungen der Sehn-
ſucht das Herz durchdringen.


Am Ende März war's wohl wie ich Dir zum letz-
tenmal von Landshut aus ſchrieb; ja, ich hab lange ge-
ſchwiegen, beinah zwei Monate, heute erhielt ich durch
Sailer von Landshut deine liebe Zeilen vom 10. Mai,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0189" n="179"/>
der Erwartung. Da denk ich an den Rhein bei Bin-<lb/>
gen, wie da plötzlich &#x017F;eine lichte, maje&#x017F;täti&#x017F;che Breite &#x017F;ich<lb/>
einengt zwi&#x017F;chen dü&#x017F;teren Fel&#x017F;en zi&#x017F;chend und brau&#x017F;end,<lb/>
&#x017F;ich durch Schluchten windet, und nie werden die Ufer<lb/>
wieder &#x017F;o ruhig, &#x017F;o kindlich &#x017F;chön wie &#x017F;ie vor der Bin-<lb/>
ger Untiefe waren; &#x017F;olche Untiefen &#x017F;tehen mir al&#x017F;o be-<lb/>
vor, wo &#x017F;ich der Lebensgei&#x017F;t durch &#x017F;chauerliche Schluch-<lb/>
ten winden muß. Muth! die Welt i&#x017F;t rund, wir kehren<lb/>
zurück mit erhöhten Kräften und doppeltem Reiz, die<lb/>
Sehn&#x017F;ucht &#x017F;treut gleich beim Ab&#x017F;chied &#x017F;chon den Saamen<lb/>
der Wiederkehr; &#x017F;o bin ich nie von Dir ge&#x017F;chieden, ohne<lb/>
zugleich mit Begei&#x017F;terung der Zukunft zu gedenken, die<lb/>
mich in deinen Armen wieder empfangen werde, &#x017F;o mag<lb/>
wohl alle Trauer um die Abge&#x017F;chiednen ein be&#x017F;cheidner<lb/>
Vorgenuß einer zukünftigen Wiedervereinigung &#x017F;ein, ge-<lb/>
wiß, &#x017F;on&#x017F;t würden keine &#x017F;olche Empfindungen der Sehn-<lb/>
&#x017F;ucht das Herz durchdringen.</p>
        </div><lb/>
        <div n="2">
          <dateline> <hi rendition="#et">20. Mai.</hi> </dateline><lb/>
          <p>Am Ende März war's wohl wie ich Dir zum letz-<lb/>
tenmal von Landshut aus &#x017F;chrieb; ja, ich hab lange ge-<lb/>
&#x017F;chwiegen, beinah zwei Monate, heute erhielt ich durch<lb/>
Sailer von Landshut deine liebe Zeilen vom 10. Mai,<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0189] der Erwartung. Da denk ich an den Rhein bei Bin- gen, wie da plötzlich ſeine lichte, majeſtätiſche Breite ſich einengt zwiſchen düſteren Felſen ziſchend und brauſend, ſich durch Schluchten windet, und nie werden die Ufer wieder ſo ruhig, ſo kindlich ſchön wie ſie vor der Bin- ger Untiefe waren; ſolche Untiefen ſtehen mir alſo be- vor, wo ſich der Lebensgeiſt durch ſchauerliche Schluch- ten winden muß. Muth! die Welt iſt rund, wir kehren zurück mit erhöhten Kräften und doppeltem Reiz, die Sehnſucht ſtreut gleich beim Abſchied ſchon den Saamen der Wiederkehr; ſo bin ich nie von Dir geſchieden, ohne zugleich mit Begeiſterung der Zukunft zu gedenken, die mich in deinen Armen wieder empfangen werde, ſo mag wohl alle Trauer um die Abgeſchiednen ein beſcheidner Vorgenuß einer zukünftigen Wiedervereinigung ſein, ge- wiß, ſonſt würden keine ſolche Empfindungen der Sehn- ſucht das Herz durchdringen. 20. Mai. Am Ende März war's wohl wie ich Dir zum letz- tenmal von Landshut aus ſchrieb; ja, ich hab lange ge- ſchwiegen, beinah zwei Monate, heute erhielt ich durch Sailer von Landshut deine liebe Zeilen vom 10. Mai,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/189
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/189>, abgerufen am 25.11.2024.