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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Schlagschatten der übergebogenen Felsstücke durchschnei-
den ihre Strahlen; aus der Wisper, die kein ganz un-
bedeutender Fluß ist -- sie rauscht mit ziemlicher Ge-
walt -- stehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, hei-
ligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein
wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Gesicht
auf dem feuchten Stein; das stürzende Wasser bereg-
nete mich fein, die Sonnenstrahlen kamen sans rime et
raison
quer durch die Felsschichten, um mich und mein
Bett zu vergolden; über mir war Finsterniß; meinen
Strohut, den ich schon längst mit Naturmerkwürdigkei-
ten angefüllt hatte, ließ ich schwimmen, um die Wur-
zeln der Pflanzen zu tränken; -- wie wir weiter ka-
men, drängten die Berge sich nesterweise an einander,
die nur dann und wann von schroffen Felsen geschieden
wurden. Ich wär' gar zu gern hinauf geklettert, um
zu sehen, wo man war; es war zu schroff, die Zeit er-
laubte es nicht, dem gescheuten Wegweiser waren alle
Sorgen auf dem Gesichte gemalt; er versicherte jedoch,
daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unse-
rer engen Schlucht; so kühl war mir's auch innerlich;
wir trippelten immer vorwärts.

Das Ziel unserer Reise war ein Sauerbrunnen hin-
ter Weißenthurn, der in einer wüsten Wildniß liegt.

Schlagſchatten der übergebogenen Felsſtücke durchſchnei-
den ihre Strahlen; aus der Wiſper, die kein ganz un-
bedeutender Fluß iſt — ſie rauſcht mit ziemlicher Ge-
walt — ſtehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, hei-
ligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein
wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Geſicht
auf dem feuchten Stein; das ſtürzende Waſſer bereg-
nete mich fein, die Sonnenſtrahlen kamen sans rime et
raison
quer durch die Felsſchichten, um mich und mein
Bett zu vergolden; über mir war Finſterniß; meinen
Strohut, den ich ſchon längſt mit Naturmerkwürdigkei-
ten angefüllt hatte, ließ ich ſchwimmen, um die Wur-
zeln der Pflanzen zu tränken; — wie wir weiter ka-
men, drängten die Berge ſich neſterweiſe an einander,
die nur dann und wann von ſchroffen Felſen geſchieden
wurden. Ich wär' gar zu gern hinauf geklettert, um
zu ſehen, wo man war; es war zu ſchroff, die Zeit er-
laubte es nicht, dem geſcheuten Wegweiſer waren alle
Sorgen auf dem Geſichte gemalt; er verſicherte jedoch,
daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unſe-
rer engen Schlucht; ſo kühl war mir's auch innerlich;
wir trippelten immer vorwärts.

Das Ziel unſerer Reiſe war ein Sauerbrunnen hin-
ter Weißenthurn, der in einer wüſten Wildniß liegt.

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[331/0363] Schlagſchatten der übergebogenen Felsſtücke durchſchnei- den ihre Strahlen; aus der Wiſper, die kein ganz un- bedeutender Fluß iſt — ſie rauſcht mit ziemlicher Ge- walt — ſtehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, hei- ligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Geſicht auf dem feuchten Stein; das ſtürzende Waſſer bereg- nete mich fein, die Sonnenſtrahlen kamen sans rime et raison quer durch die Felsſchichten, um mich und mein Bett zu vergolden; über mir war Finſterniß; meinen Strohut, den ich ſchon längſt mit Naturmerkwürdigkei- ten angefüllt hatte, ließ ich ſchwimmen, um die Wur- zeln der Pflanzen zu tränken; — wie wir weiter ka- men, drängten die Berge ſich neſterweiſe an einander, die nur dann und wann von ſchroffen Felſen geſchieden wurden. Ich wär' gar zu gern hinauf geklettert, um zu ſehen, wo man war; es war zu ſchroff, die Zeit er- laubte es nicht, dem geſcheuten Wegweiſer waren alle Sorgen auf dem Geſichte gemalt; er verſicherte jedoch, daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unſe- rer engen Schlucht; ſo kühl war mir's auch innerlich; wir trippelten immer vorwärts. Das Ziel unſerer Reiſe war ein Sauerbrunnen hin- ter Weißenthurn, der in einer wüſten Wildniß liegt.

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/363>, abgerufen am 22.11.2024.