Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

dessen Schutz ich eine so schöne Nacht verschlafen habe; am
Beichtstuhl pflanz' ich Kaiserkronen und Je länger je
lieber
, Deiner Mutter zu Ehren; -- vielleicht, wenn mir's
um's Herz ist, beicht' ich Dir da oben, da ich zum letz-
tenmal dort sein werde; um doch den Ablaß des Pri-
mas in Wirkung zu setzen; aber ich glaube wohl,
ich habe nichts Verborgnes mehr in mir; du siehst in
mich hinein, und außer dem ist nichts in mir zu finden.

Den gestrigen Tag wollen wir zum Schluß noch
hierher malen, denn er war schön. Wir gingen mit ei-
nem irreführenden Wegweiser durch eine Thalschlucht
einem Fluß entlang, den man die Wisper nennt, wahr-
scheinlich wegen dem Rauschen des Wassers, das über
lauter platte Felssteine sich windet, und in den Lücken
schäumt und flüstert. Auf beiden Seiten gehen hohe
Felsen her, auf denen zerfallene Burgen stehen, mit al-
ten Eichen umwachsen. Das Thal wird endlich so enge,
daß man genöthigt ist, im Fluß zu gehen. Da kann
man nicht besser thun, als barfuß und etwas hochge-
schürzt, von Stein zu Stein zu springen, bald hüben,
bald drüben am Ufer sich fort zu helfen. Es wird im-
mer enger und enger hoch über uns; die Felsen und
Berge umklammern sich endlich; die Sonne kann nur
noch die Hälfte der Berge beleuchten; die schwarzen

deſſen Schutz ich eine ſo ſchöne Nacht verſchlafen habe; am
Beichtſtuhl pflanz' ich Kaiſerkronen und Je länger je
lieber
, Deiner Mutter zu Ehren; — vielleicht, wenn mir's
um's Herz iſt, beicht' ich Dir da oben, da ich zum letz-
tenmal dort ſein werde; um doch den Ablaß des Pri-
mas in Wirkung zu ſetzen; aber ich glaube wohl,
ich habe nichts Verborgnes mehr in mir; du ſiehſt in
mich hinein, und außer dem iſt nichts in mir zu finden.

Den geſtrigen Tag wollen wir zum Schluß noch
hierher malen, denn er war ſchön. Wir gingen mit ei-
nem irreführenden Wegweiſer durch eine Thalſchlucht
einem Fluß entlang, den man die Wiſper nennt, wahr-
ſcheinlich wegen dem Rauſchen des Waſſers, das über
lauter platte Felsſteine ſich windet, und in den Lücken
ſchäumt und flüſtert. Auf beiden Seiten gehen hohe
Felſen her, auf denen zerfallene Burgen ſtehen, mit al-
ten Eichen umwachſen. Das Thal wird endlich ſo enge,
daß man genöthigt iſt, im Fluß zu gehen. Da kann
man nicht beſſer thun, als barfuß und etwas hochge-
ſchürzt, von Stein zu Stein zu ſpringen, bald hüben,
bald drüben am Ufer ſich fort zu helfen. Es wird im-
mer enger und enger hoch über uns; die Felſen und
Berge umklammern ſich endlich; die Sonne kann nur
noch die Hälfte der Berge beleuchten; die ſchwarzen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0362" n="330"/>
de&#x017F;&#x017F;en Schutz ich eine &#x017F;o &#x017F;chöne Nacht ver&#x017F;chlafen habe; am<lb/>
Beicht&#x017F;tuhl pflanz' ich Kai&#x017F;erkronen und <hi rendition="#g">Je länger je<lb/>
lieber</hi>, Deiner Mutter zu Ehren; &#x2014; vielleicht, wenn mir's<lb/>
um's Herz i&#x017F;t, beicht' ich Dir da oben, da ich zum letz-<lb/>
tenmal dort &#x017F;ein werde; um doch den Ablaß des Pri-<lb/>
mas in Wirkung zu &#x017F;etzen; aber ich glaube wohl,<lb/>
ich habe nichts Verborgnes mehr in mir; du &#x017F;ieh&#x017F;t in<lb/>
mich hinein, und außer dem i&#x017F;t nichts in mir zu finden.</p><lb/>
          <p>Den ge&#x017F;trigen Tag wollen wir zum Schluß noch<lb/>
hierher malen, denn er war &#x017F;chön. Wir gingen mit ei-<lb/>
nem irreführenden Wegwei&#x017F;er durch eine Thal&#x017F;chlucht<lb/>
einem Fluß entlang, den man die Wi&#x017F;per nennt, wahr-<lb/>
&#x017F;cheinlich wegen dem Rau&#x017F;chen des Wa&#x017F;&#x017F;ers, das über<lb/>
lauter platte Fels&#x017F;teine &#x017F;ich windet, und in den Lücken<lb/>
&#x017F;chäumt und flü&#x017F;tert. Auf beiden Seiten gehen hohe<lb/>
Fel&#x017F;en her, auf denen zerfallene Burgen &#x017F;tehen, mit al-<lb/>
ten Eichen umwach&#x017F;en. Das Thal wird endlich &#x017F;o enge,<lb/>
daß man genöthigt i&#x017F;t, im Fluß zu gehen. Da kann<lb/>
man nicht be&#x017F;&#x017F;er thun, als barfuß und etwas hochge-<lb/>
&#x017F;chürzt, von Stein zu Stein zu &#x017F;pringen, bald hüben,<lb/>
bald drüben am Ufer &#x017F;ich fort zu helfen. Es wird im-<lb/>
mer enger und enger hoch über uns; die Fel&#x017F;en und<lb/>
Berge umklammern &#x017F;ich endlich; die Sonne kann nur<lb/>
noch die Hälfte der Berge beleuchten; die &#x017F;chwarzen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[330/0362] deſſen Schutz ich eine ſo ſchöne Nacht verſchlafen habe; am Beichtſtuhl pflanz' ich Kaiſerkronen und Je länger je lieber, Deiner Mutter zu Ehren; — vielleicht, wenn mir's um's Herz iſt, beicht' ich Dir da oben, da ich zum letz- tenmal dort ſein werde; um doch den Ablaß des Pri- mas in Wirkung zu ſetzen; aber ich glaube wohl, ich habe nichts Verborgnes mehr in mir; du ſiehſt in mich hinein, und außer dem iſt nichts in mir zu finden. Den geſtrigen Tag wollen wir zum Schluß noch hierher malen, denn er war ſchön. Wir gingen mit ei- nem irreführenden Wegweiſer durch eine Thalſchlucht einem Fluß entlang, den man die Wiſper nennt, wahr- ſcheinlich wegen dem Rauſchen des Waſſers, das über lauter platte Felsſteine ſich windet, und in den Lücken ſchäumt und flüſtert. Auf beiden Seiten gehen hohe Felſen her, auf denen zerfallene Burgen ſtehen, mit al- ten Eichen umwachſen. Das Thal wird endlich ſo enge, daß man genöthigt iſt, im Fluß zu gehen. Da kann man nicht beſſer thun, als barfuß und etwas hochge- ſchürzt, von Stein zu Stein zu ſpringen, bald hüben, bald drüben am Ufer ſich fort zu helfen. Es wird im- mer enger und enger hoch über uns; die Felſen und Berge umklammern ſich endlich; die Sonne kann nur noch die Hälfte der Berge beleuchten; die ſchwarzen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/362
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/362>, abgerufen am 23.11.2024.