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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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solltest keine Religion haben, da doch Musik in Dich
die Anbetung pflanzt?

Horch in Dich hinein, da wirst Du in deiner Seele
der Musik lauschen, die Liebe zu Gott ist; dies ewige
Jauchzen und Wallen zur Ewigkeit, das allein Geist ist.

Ich könnte Dir Sachen sagen, die ich selbst fürchte
auszusprechen, obschon eine innere Stimme mir sagt,
sie sind wahr. Wenn Du mir bleibst, so werd' ich viel
lernen; wenn Du mir nicht bleibst, so werde ich wie
der Saame unter der Erde ruhen, bis die Zeit kommt
daß ich in Dir wieder blühe.

Mein Kopf glüht; ich hab' mich während dem
Schreiben herumgestritten mit Gedanken, deren ich nicht
mächtig werden konnte. Die Wahrheit liegt in ihrer
ganzen Unendlichkeit im Geist, aber sie im einfachsten
Begriff zu fassen, das ist so schwer; ach, es kann ja
nichts verloren gehen. Wahrheit nährt ewig den Geist,
der alles Schöne als Früchte trägt, und da es schön
ist, daß wir einander lieben, so wolle die Wahrheit
nicht länger verläugnen.

Ich will Dir lieber noch ein bischen von unserm
Zigeunerleben erzählen, das wir hier am Rhein führen,
den wir so bald verlassen werden, und wer weiß, ob
ich ihn wiederseh! -- Hier, wo die Frühlingslüfte

14**

ſollteſt keine Religion haben, da doch Muſik in Dich
die Anbetung pflanzt?

Horch in Dich hinein, da wirſt Du in deiner Seele
der Muſik lauſchen, die Liebe zu Gott iſt; dies ewige
Jauchzen und Wallen zur Ewigkeit, das allein Geiſt iſt.

Ich könnte Dir Sachen ſagen, die ich ſelbſt fürchte
auszuſprechen, obſchon eine innere Stimme mir ſagt,
ſie ſind wahr. Wenn Du mir bleibſt, ſo werd' ich viel
lernen; wenn Du mir nicht bleibſt, ſo werde ich wie
der Saame unter der Erde ruhen, bis die Zeit kommt
daß ich in Dir wieder blühe.

Mein Kopf glüht; ich hab' mich während dem
Schreiben herumgeſtritten mit Gedanken, deren ich nicht
mächtig werden konnte. Die Wahrheit liegt in ihrer
ganzen Unendlichkeit im Geiſt, aber ſie im einfachſten
Begriff zu faſſen, das iſt ſo ſchwer; ach, es kann ja
nichts verloren gehen. Wahrheit nährt ewig den Geiſt,
der alles Schöne als Früchte trägt, und da es ſchön
iſt, daß wir einander lieben, ſo wolle die Wahrheit
nicht länger verläugnen.

Ich will Dir lieber noch ein bischen von unſerm
Zigeunerleben erzählen, das wir hier am Rhein führen,
den wir ſo bald verlaſſen werden, und wer weiß, ob
ich ihn wiederſeh! — Hier, wo die Frühlingslüfte

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[321/0353] ſollteſt keine Religion haben, da doch Muſik in Dich die Anbetung pflanzt? Horch in Dich hinein, da wirſt Du in deiner Seele der Muſik lauſchen, die Liebe zu Gott iſt; dies ewige Jauchzen und Wallen zur Ewigkeit, das allein Geiſt iſt. Ich könnte Dir Sachen ſagen, die ich ſelbſt fürchte auszuſprechen, obſchon eine innere Stimme mir ſagt, ſie ſind wahr. Wenn Du mir bleibſt, ſo werd' ich viel lernen; wenn Du mir nicht bleibſt, ſo werde ich wie der Saame unter der Erde ruhen, bis die Zeit kommt daß ich in Dir wieder blühe. Mein Kopf glüht; ich hab' mich während dem Schreiben herumgeſtritten mit Gedanken, deren ich nicht mächtig werden konnte. Die Wahrheit liegt in ihrer ganzen Unendlichkeit im Geiſt, aber ſie im einfachſten Begriff zu faſſen, das iſt ſo ſchwer; ach, es kann ja nichts verloren gehen. Wahrheit nährt ewig den Geiſt, der alles Schöne als Früchte trägt, und da es ſchön iſt, daß wir einander lieben, ſo wolle die Wahrheit nicht länger verläugnen. Ich will Dir lieber noch ein bischen von unſerm Zigeunerleben erzählen, das wir hier am Rhein führen, den wir ſo bald verlaſſen werden, und wer weiß, ob ich ihn wiederſeh! — Hier, wo die Frühlingslüfte 14**

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 321. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/353>, abgerufen am 22.11.2024.