mehrmals sehr herablassend neigte, sagte sie mit erha- bener Stimme, daß man es durch's ganze Zimmer hö- ren konnte: "Je suis la mere de Goethe:" "ah, je suis charmee" sagte die Schriftstellerin, und hier folgte eine feierliche Stille. Dann folgte die Präsentation ihres geistreichen Gefolges, welches eben auch begierig war, Goethe's Mutter kennen zu lernen. Die Mutter beant- wortete ihre Höflichkeiten mit einem französischen Neu- jahrswunsch, welchen sie mit feierlichen Verbeugungen zwischen den Zähnen murmelte, -- kurz, ich glaube die Audienz war vollkommen, und gab einen schönen Be- weis von der Deutschen Grandezza. Bald winkte mich die Mutter herbei, ich mußte den Dolmetscher zwischen beiden machen; da war denn die Rede nur von Dir, von deiner Jugend, das Portrait auf der Tabatiere wurde betrachtet es war gemalt in Leipzig, eh' Du so krank warst, aber schon sehr mager, man erkennt je- doch deine ganze jetzige Größe in jenen kindlichen Zü- gen, und besonders den Autor des Werther. Die Stael sprach über deine Briefe, und daß sie gern lesen möchte wie Du an deine Mutter schreibst, und die Mut- ter versprach es ihr auch, ich dachte daß sie von mir gewiß deine Briefe nicht zu lesen bekommen würde, denn ich bin ihr nicht grün, so oft deine Name von
mehrmals ſehr herablaſſend neigte, ſagte ſie mit erha- bener Stimme, daß man es durch's ganze Zimmer hö- ren konnte: „Je suis la mère de Goethe:” „ah, je suis charmée” ſagte die Schriftſtellerin, und hier folgte eine feierliche Stille. Dann folgte die Präſentation ihres geiſtreichen Gefolges, welches eben auch begierig war, Goethe's Mutter kennen zu lernen. Die Mutter beant- wortete ihre Höflichkeiten mit einem franzöſiſchen Neu- jahrswunſch, welchen ſie mit feierlichen Verbeugungen zwiſchen den Zähnen murmelte, — kurz, ich glaube die Audienz war vollkommen, und gab einen ſchönen Be- weis von der Deutſchen Grandezza. Bald winkte mich die Mutter herbei, ich mußte den Dolmetſcher zwiſchen beiden machen; da war denn die Rede nur von Dir, von deiner Jugend, das Portrait auf der Tabatiere wurde betrachtet es war gemalt in Leipzig, eh' Du ſo krank warſt, aber ſchon ſehr mager, man erkennt je- doch deine ganze jetzige Größe in jenen kindlichen Zü- gen, und beſonders den Autor des Werther. Die Staël ſprach über deine Briefe, und daß ſie gern leſen möchte wie Du an deine Mutter ſchreibſt, und die Mut- ter verſprach es ihr auch, ich dachte daß ſie von mir gewiß deine Briefe nicht zu leſen bekommen würde, denn ich bin ihr nicht grün, ſo oft deine Name von
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mehrmals ſehr herablaſſend neigte, ſagte ſie mit erha-
bener Stimme, daß man es durch's ganze Zimmer hö-
ren konnte: „Je suis la mère de Goethe:” „ah, je suis
charmée” ſagte die Schriftſtellerin, und hier folgte eine
feierliche Stille. Dann folgte die Präſentation ihres
geiſtreichen Gefolges, welches eben auch begierig war,
Goethe's Mutter kennen zu lernen. Die Mutter beant-
wortete ihre Höflichkeiten mit einem franzöſiſchen Neu-
jahrswunſch, welchen ſie mit feierlichen Verbeugungen
zwiſchen den Zähnen murmelte, — kurz, ich glaube die
Audienz war vollkommen, und gab einen ſchönen Be-
weis von der Deutſchen Grandezza. Bald winkte mich
die Mutter herbei, ich mußte den Dolmetſcher zwiſchen
beiden machen; da war denn die Rede nur von Dir,
von deiner Jugend, das Portrait auf der Tabatiere
wurde betrachtet es war gemalt in Leipzig, eh' Du ſo
krank warſt, aber ſchon ſehr mager, man erkennt je-
doch deine ganze jetzige Größe in jenen kindlichen Zü-
gen, und beſonders den Autor des Werther. Die Staël
ſprach über deine Briefe, und daß ſie gern leſen
möchte wie Du an deine Mutter ſchreibſt, und die Mut-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/349>, abgerufen am 23.11.2024.
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