Wenn wir hier bleiben, dann schreib' ich dir mehr heute Nachmittag, denn ich wollte Dir von Musik sagen, und von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zusammen- hängt -- das bohrt mir schon lange im Kopf.
Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß schlafen.
Am Abend.
Ich bin sehr müde, lieber Freund, und würde Dir nicht schreiben, aber ich seh', daß diese Blätter auf die- ser wunderlichen Kreuz- und Querreise sich zu etwas ganzem bilden, und da will ich doch nicht versäumen, wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages fest zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechselnd ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in St. Goarshausen geblieben, und haben den Rheinfels erstiegen; meine Hände sind von Dornen geritzt und meine Kniee zittern noch von der Anstrengung, denn ich war voran und wählte den kürzesten und steilsten Weg. Hier oben sieht es so feierlich und düster aus: eine Reihe nackter Felsen schieben sich gedrängt hinter einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten Burgtrümmern gekrönt; und so treten sie keck ins Fluß- bett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen
Wenn wir hier bleiben, dann ſchreib' ich dir mehr heute Nachmittag, denn ich wollte Dir von Muſik ſagen, und von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zuſammen- hängt — das bohrt mir ſchon lange im Kopf.
Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß ſchlafen.
Am Abend.
Ich bin ſehr müde, lieber Freund, und würde Dir nicht ſchreiben, aber ich ſeh', daß dieſe Blätter auf die- ſer wunderlichen Kreuz- und Querreiſe ſich zu etwas ganzem bilden, und da will ich doch nicht verſäumen, wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages feſt zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechſelnd ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in St. Goarshauſen geblieben, und haben den Rheinfels erſtiegen; meine Hände ſind von Dornen geritzt und meine Kniee zittern noch von der Anſtrengung, denn ich war voran und wählte den kürzeſten und ſteilſten Weg. Hier oben ſieht es ſo feierlich und düſter aus: eine Reihe nackter Felſen ſchieben ſich gedrängt hinter einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten Burgtrümmern gekrönt; und ſo treten ſie keck ins Fluß- bett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0306"n="274"/>
Wenn wir hier bleiben, dann ſchreib' ich dir mehr heute<lb/>
Nachmittag, denn ich wollte Dir von Muſik ſagen,<lb/>
und von Schiller und Dir, wie Ihr mit <hirendition="#g">der</hi> zuſammen-<lb/>
hängt — das bohrt mir ſchon lange im Kopf.</p><lb/><p>Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß ſchlafen.</p></div><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#et">Am Abend.</hi></dateline><lb/><p>Ich bin ſehr müde, lieber Freund, und würde Dir<lb/>
nicht ſchreiben, aber ich ſeh', daß dieſe Blätter auf die-<lb/>ſer wunderlichen Kreuz- und Querreiſe ſich zu etwas<lb/>
ganzem bilden, und da will ich doch nicht verſäumen,<lb/>
wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages<lb/>
feſt zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechſelnd<lb/>
ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in<lb/>
St. Goarshauſen geblieben, und haben den Rheinfels<lb/>
erſtiegen; meine Hände ſind von Dornen geritzt und<lb/>
meine Kniee zittern noch von der Anſtrengung, denn<lb/>
ich war voran und wählte den kürzeſten und ſteilſten<lb/>
Weg. Hier oben ſieht es ſo feierlich und düſter aus:<lb/>
eine Reihe nackter Felſen ſchieben ſich gedrängt hinter<lb/>
einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten<lb/>
Burgtrümmern gekrönt; und ſo treten ſie keck ins Fluß-<lb/>
bett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[274/0306]
Wenn wir hier bleiben, dann ſchreib' ich dir mehr heute
Nachmittag, denn ich wollte Dir von Muſik ſagen,
und von Schiller und Dir, wie Ihr mit der zuſammen-
hängt — das bohrt mir ſchon lange im Kopf.
Ich bin müde, lieber Goethe, ich muß ſchlafen.
Am Abend.
Ich bin ſehr müde, lieber Freund, und würde Dir
nicht ſchreiben, aber ich ſeh', daß dieſe Blätter auf die-
ſer wunderlichen Kreuz- und Querreiſe ſich zu etwas
ganzem bilden, und da will ich doch nicht verſäumen,
wenn auch nur in wenig Zeilen, das Bild des Tages
feſt zu halten: lauter Sturm und Wetter, abwechſelnd
ein einzelner Sonnenblick. Wir waren bis Mittag in
St. Goarshauſen geblieben, und haben den Rheinfels
erſtiegen; meine Hände ſind von Dornen geritzt und
meine Kniee zittern noch von der Anſtrengung, denn
ich war voran und wählte den kürzeſten und ſteilſten
Weg. Hier oben ſieht es ſo feierlich und düſter aus:
eine Reihe nackter Felſen ſchieben ſich gedrängt hinter
einander hervor, mit Weingärten, Wäldern und alten
Burgtrümmern gekrönt; und ſo treten ſie keck ins Fluß-
bett dem Lauf des Rheins entgegen, der aus dem tiefen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/306>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.