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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Mir sagte der Schiffer gute Nacht, ich sprang in
mein großes Bett unter die damastene Decke; sie knarrte
mir so vor den Ohren; -- ich konnte nicht schlafen, --
ich wollte still liegen, -- da hörte ich in den gewunde-
nen Säulen der Bettstelle die Todtenwürmchen picken;
eins nach dem andern legte los, wie geschäftige Ge-
sellen in einer Waffenschmiede. --

Ich muß mich schämen vor Dir; -- ich fürchte mich
zuweilen, wenn ich so allein bin in der Nacht und in's
Dunkel sehe; es ist nichts, aber ich kann mich nicht da-
gegen wehren; dann möcht' ich nicht allein sein, und
blos darum denke ich manchmal, ich müsse heirathen,
damit ich einen Beschützer habe gegen diese verwirrte
angstvolle Gespensterwelt. Ach Goethe! -- nimmst Du
mir das übel? -- Ja wenn der Tag anbricht, dann bin
ich selbst ganz unzufrieden über solche alberne Verzagt-
heit. -- Ich kann in der Nacht gehen im Freien und
im Wald, wo jeder Busch, jeder Ast ein ander Gesicht
schneidet; mein wunderlicher, der Gefahr trotzender Muth-
wille bezwingt die Angst. -- Draußen ist es auch was
ganz andres, -- da sind sie nicht so zudringlich; man
fühlt das Leben der Natur als ewiges, göttliches Wir-
ken, das alles und einem selbst durchströmt; -- wer
kann sich da fürchten? -- Vorgestern auf dem Rochus,

Mir ſagte der Schiffer gute Nacht, ich ſprang in
mein großes Bett unter die damaſtene Decke; ſie knarrte
mir ſo vor den Ohren; — ich konnte nicht ſchlafen, —
ich wollte ſtill liegen, — da hörte ich in den gewunde-
nen Säulen der Bettſtelle die Todtenwürmchen picken;
eins nach dem andern legte los, wie geſchäftige Ge-
ſellen in einer Waffenſchmiede. —

Ich muß mich ſchämen vor Dir; — ich fürchte mich
zuweilen, wenn ich ſo allein bin in der Nacht und in's
Dunkel ſehe; es iſt nichts, aber ich kann mich nicht da-
gegen wehren; dann möcht' ich nicht allein ſein, und
blos darum denke ich manchmal, ich müſſe heirathen,
damit ich einen Beſchützer habe gegen dieſe verwirrte
angſtvolle Geſpenſterwelt. Ach Goethe! — nimmſt Du
mir das übel? — Ja wenn der Tag anbricht, dann bin
ich ſelbſt ganz unzufrieden über ſolche alberne Verzagt-
heit. — Ich kann in der Nacht gehen im Freien und
im Wald, wo jeder Buſch, jeder Aſt ein ander Geſicht
ſchneidet; mein wunderlicher, der Gefahr trotzender Muth-
wille bezwingt die Angſt. — Draußen iſt es auch was
ganz andres, — da ſind ſie nicht ſo zudringlich; man
fühlt das Leben der Natur als ewiges, göttliches Wir-
ken, das alles und einem ſelbſt durchſtrömt; — wer
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[261/0293] Mir ſagte der Schiffer gute Nacht, ich ſprang in mein großes Bett unter die damaſtene Decke; ſie knarrte mir ſo vor den Ohren; — ich konnte nicht ſchlafen, — ich wollte ſtill liegen, — da hörte ich in den gewunde- nen Säulen der Bettſtelle die Todtenwürmchen picken; eins nach dem andern legte los, wie geſchäftige Ge- ſellen in einer Waffenſchmiede. — Ich muß mich ſchämen vor Dir; — ich fürchte mich zuweilen, wenn ich ſo allein bin in der Nacht und in's Dunkel ſehe; es iſt nichts, aber ich kann mich nicht da- gegen wehren; dann möcht' ich nicht allein ſein, und blos darum denke ich manchmal, ich müſſe heirathen, damit ich einen Beſchützer habe gegen dieſe verwirrte angſtvolle Geſpenſterwelt. Ach Goethe! — nimmſt Du mir das übel? — Ja wenn der Tag anbricht, dann bin ich ſelbſt ganz unzufrieden über ſolche alberne Verzagt- heit. — Ich kann in der Nacht gehen im Freien und im Wald, wo jeder Buſch, jeder Aſt ein ander Geſicht ſchneidet; mein wunderlicher, der Gefahr trotzender Muth- wille bezwingt die Angſt. — Draußen iſt es auch was ganz andres, — da ſind ſie nicht ſo zudringlich; man fühlt das Leben der Natur als ewiges, göttliches Wir- ken, das alles und einem ſelbſt durchſtrömt; — wer kann ſich da fürchten? — Vorgeſtern auf dem Rochus,

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/293>, abgerufen am 22.11.2024.