pen hatte, ohne ihn auszusprechen; -- müßten nicht Schmerzen in mir erregt werden, wenn ich es einmal wagte? -- und keine Antwort? alles still? -- Ja Na- tur! wer so innig mit ihr vertraut wär', daß er an ihrer Seeligkeit genug hätte! -- aber ich nicht! -- Lieber, lieber Freund, erlaub's doch, daß ich Dir jetzt beide Hände küsse; zieh' sie nicht zurück, wie Du sonst gethan hast.
Wo war ich heut Nacht? -- wenn Sie's wüßten, daß ich die ganze Nacht nicht zu Hause geschlafen habe und doch so sanft geruht habe! -- Dir will ich's sa- gen; Du bist weit entfernt, wenn Du auch schmälst, -- bis hierher verhallt der Donner deiner Worte.
Gestern Abend ging ich noch allein auf den Rochus- berg, und schrieb Dir bis hierher, dann träumte ich ein wenig, und wie ich mich wieder besann und glaubte, die Sonne wolle untergehen, da war's der aufgehende Mond; ich war überrascht, ich hätte mich gefürchtet, -- die Sterne litten's nicht; diese hunderttausende und ich beisammen in dieser Nacht! -- Ja, wer bin ich, daß ich mich fürchten sollte, zähl' ich denn mit? -- Hinun- ter traute ich mich nicht, ich hätte keinen Nachen ge- funden zum Überfahren; die Nacht ist auch gar nicht lang jetzt, da legt' ich mich auf die andere Seite und
pen hatte, ohne ihn auszuſprechen; — müßten nicht Schmerzen in mir erregt werden, wenn ich es einmal wagte? — und keine Antwort? alles ſtill? — Ja Na- tur! wer ſo innig mit ihr vertraut wär', daß er an ihrer Seeligkeit genug hätte! — aber ich nicht! — Lieber, lieber Freund, erlaub's doch, daß ich Dir jetzt beide Hände küſſe; zieh' ſie nicht zurück, wie Du ſonſt gethan haſt.
Wo war ich heut Nacht? — wenn Sie's wüßten, daß ich die ganze Nacht nicht zu Hauſe geſchlafen habe und doch ſo ſanft geruht habe! — Dir will ich's ſa- gen; Du biſt weit entfernt, wenn Du auch ſchmälſt, — bis hierher verhallt der Donner deiner Worte.
Geſtern Abend ging ich noch allein auf den Rochus- berg, und ſchrieb Dir bis hierher, dann träumte ich ein wenig, und wie ich mich wieder beſann und glaubte, die Sonne wolle untergehen, da war's der aufgehende Mond; ich war überraſcht, ich hätte mich gefürchtet, — die Sterne litten's nicht; dieſe hunderttauſende und ich beiſammen in dieſer Nacht! — Ja, wer bin ich, daß ich mich fürchten ſollte, zähl' ich denn mit? — Hinun- ter traute ich mich nicht, ich hätte keinen Nachen ge- funden zum Überfahren; die Nacht iſt auch gar nicht lang jetzt, da legt' ich mich auf die andere Seite und
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pen hatte, ohne ihn auszuſprechen; — müßten nicht
Schmerzen in mir erregt werden, wenn ich es einmal
wagte? — und keine Antwort? alles ſtill? — Ja Na-
tur! wer ſo innig mit ihr vertraut wär', daß er an
ihrer Seeligkeit genug hätte! — aber ich nicht! —
Lieber, lieber Freund, erlaub's doch, daß ich Dir jetzt
beide Hände küſſe; zieh' ſie nicht zurück, wie Du ſonſt
gethan haſt.
Wo war ich heut Nacht? — wenn Sie's wüßten,
daß ich die ganze Nacht nicht zu Hauſe geſchlafen habe
und doch ſo ſanft geruht habe! — Dir will ich's ſa-
gen; Du biſt weit entfernt, wenn Du auch ſchmälſt, —
bis hierher verhallt der Donner deiner Worte.
Geſtern Abend ging ich noch allein auf den Rochus-
berg, und ſchrieb Dir bis hierher, dann träumte ich ein
wenig, und wie ich mich wieder beſann und glaubte,
die Sonne wolle untergehen, da war's der aufgehende
Mond; ich war überraſcht, ich hätte mich gefürchtet, —
die Sterne litten's nicht; dieſe hunderttauſende und ich
beiſammen in dieſer Nacht! — Ja, wer bin ich, daß
ich mich fürchten ſollte, zähl' ich denn mit? — Hinun-
ter traute ich mich nicht, ich hätte keinen Nachen ge-
funden zum Überfahren; die Nacht iſt auch gar nicht
lang jetzt, da legt' ich mich auf die andere Seite und
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 253. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/285>, abgerufen am 22.11.2024.
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