derte er zu den Pforten unseres republikanischen Hauses hinaus; hab' ihn auch von Herzen umarmt, zur Erin- nerung für mich an Dich; weil Du mich aber vergessen zu haben scheinst, und mir nur immer von dem Volk schreibst welches verflucht ist, und es Dir lieb ist wenn Jacobson heimgeschickt wird, aber nicht wenn ich heim- lich mit Dir bin, so schreib' ich's zur Erinnerung für Dich an mich, die Dich trotz deiner Kälte doch immer lieb haben muß -- halt, weil sie muß.
Dem Primas hüt' ich mich wohl, deine Ansichten über die Juden mitzutheilen, denn einmal geb' ich Dir nicht recht, und hab' auch meine Gründe; ich läugne auch nicht, die Juden sind ein heißhungriges, unbeschei- denes Volk; wenn man ihnen den Finger reicht, so reißen sie einem bei der Hand an sich, daß man um und um purtzeln möchte; das kommt eben daher, daß sie so lang in der Noth gesteckt haben; ihre Gattung ist doch Menschenart, und diese soll doch einmal der Freiheit theilhaftig sein, zu Christen will man sie abso- lut machen, aber aus ihrem engen Fegfeuer der über- füllten Judengasse will man sie nicht heraus lassen; das hat nicht wenig Überwindung der Vorurtheile gekostet, bis die Christen sich entschlossen hatten ihre Kinder mit den armen Judenkindern in eine Schule zu schicken,
derte er zu den Pforten unſeres republikaniſchen Hauſes hinaus; hab' ihn auch von Herzen umarmt, zur Erin- nerung für mich an Dich; weil Du mich aber vergeſſen zu haben ſcheinſt, und mir nur immer von dem Volk ſchreibſt welches verflucht iſt, und es Dir lieb iſt wenn Jacobſon heimgeſchickt wird, aber nicht wenn ich heim- lich mit Dir bin, ſo ſchreib' ich's zur Erinnerung für Dich an mich, die Dich trotz deiner Kälte doch immer lieb haben muß — halt, weil ſie muß.
Dem Primas hüt' ich mich wohl, deine Anſichten über die Juden mitzutheilen, denn einmal geb' ich Dir nicht recht, und hab' auch meine Gründe; ich läugne auch nicht, die Juden ſind ein heißhungriges, unbeſchei- denes Volk; wenn man ihnen den Finger reicht, ſo reißen ſie einem bei der Hand an ſich, daß man um und um purtzeln möchte; das kommt eben daher, daß ſie ſo lang in der Noth geſteckt haben; ihre Gattung iſt doch Menſchenart, und dieſe ſoll doch einmal der Freiheit theilhaftig ſein, zu Chriſten will man ſie abſo- lut machen, aber aus ihrem engen Fegfeuer der über- füllten Judengaſſe will man ſie nicht heraus laſſen; das hat nicht wenig Überwindung der Vorurtheile gekoſtet, bis die Chriſten ſich entſchloſſen hatten ihre Kinder mit den armen Judenkindern in eine Schule zu ſchicken,
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derte er zu den Pforten unſeres republikaniſchen Hauſes
hinaus; hab' ihn auch von Herzen umarmt, zur Erin-
nerung für mich an Dich; weil Du mich aber vergeſſen
zu haben ſcheinſt, und mir nur immer von dem Volk
ſchreibſt welches verflucht iſt, und es Dir lieb iſt wenn
Jacobſon heimgeſchickt wird, aber nicht wenn ich heim-
lich mit Dir bin, ſo ſchreib' ich's zur Erinnerung für
Dich an mich, die Dich trotz deiner Kälte doch immer
lieb haben muß — halt, weil ſie muß.
Dem Primas hüt' ich mich wohl, deine Anſichten
über die Juden mitzutheilen, denn einmal geb' ich Dir
nicht recht, und hab' auch meine Gründe; ich läugne
auch nicht, die Juden ſind ein heißhungriges, unbeſchei-
denes Volk; wenn man ihnen den Finger reicht, ſo
reißen ſie einem bei der Hand an ſich, daß man um
und um purtzeln möchte; das kommt eben daher, daß
ſie ſo lang in der Noth geſteckt haben; ihre Gattung
iſt doch Menſchenart, und dieſe ſoll doch einmal der
Freiheit theilhaftig ſein, zu Chriſten will man ſie abſo-
lut machen, aber aus ihrem engen Fegfeuer der über-
füllten Judengaſſe will man ſie nicht heraus laſſen; das
hat nicht wenig Überwindung der Vorurtheile gekoſtet,
bis die Chriſten ſich entſchloſſen hatten ihre Kinder mit
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/250>, abgerufen am 22.11.2024.
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