Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

gerathen; alle Augenblick hatt' ich ein kleines Aben-
theuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt
zu errathen gab; meistens löste sie es auf eine kindlich-
lustige Weise auf. Einmal hatte ich ihr ein Häschen,
was mir auf wildem, einsamem Waldweg begegnet
war, als einen zierlichen Ritter beschrieben, ich nannte
es la petite perfection und daß er mir mein Herz ein-
genommen habe; -- sie antwortete gleich: auf einem
schönen grünen Rasen, da ließ ein Held zur Mahlzeit
blasen, da flüchteten sich alle Hasen; so hoff' ich wird
ein Held einst kommen, Dein Herz, von Hasen einge-
nommen, von diesen Wichten zu befreien und seine
Gluthen zu erneuen; -- dies waren Anspielungen auf
kleine Liebesabentheuer. -- So verging ein Theil des
Winters; ich war in einer sehr glücklichen Geistesver-
fassung, andre würden sie Überspannung nennen, aber
mir war sie eigen. An der Festungsmauer, die den
großen Garten umgab, war eine Thurmwarte, eine zer-
brochne Leiter stand drinn; -- dicht bei uns war ein-
gebrochen worden, man konnte den Spitzbuben nicht
auf die Spur kommen, man glaubte, sie versteckten sich
auf jenem Thurm; ich hatte ihn bei Tag in Augen-
schein genommen und erkannt', daß es für einen starken
Mann unmöglich war, an dieser morschen, beinah stu-

5*

gerathen; alle Augenblick hatt' ich ein kleines Aben-
theuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt
zu errathen gab; meiſtens löſte ſie es auf eine kindlich-
luſtige Weiſe auf. Einmal hatte ich ihr ein Häschen,
was mir auf wildem, einſamem Waldweg begegnet
war, als einen zierlichen Ritter beſchrieben, ich nannte
es la petite perfection und daß er mir mein Herz ein-
genommen habe; — ſie antwortete gleich: auf einem
ſchönen grünen Raſen, da ließ ein Held zur Mahlzeit
blaſen, da flüchteten ſich alle Haſen; ſo hoff' ich wird
ein Held einſt kommen, Dein Herz, von Haſen einge-
nommen, von dieſen Wichten zu befreien und ſeine
Gluthen zu erneuen; — dies waren Anſpielungen auf
kleine Liebesabentheuer. — So verging ein Theil des
Winters; ich war in einer ſehr glücklichen Geiſtesver-
faſſung, andre würden ſie Überſpannung nennen, aber
mir war ſie eigen. An der Feſtungsmauer, die den
großen Garten umgab, war eine Thurmwarte, eine zer-
brochne Leiter ſtand drinn; — dicht bei uns war ein-
gebrochen worden, man konnte den Spitzbuben nicht
auf die Spur kommen, man glaubte, ſie verſteckten ſich
auf jenem Thurm; ich hatte ihn bei Tag in Augen-
ſchein genommen und erkannt', daß es für einen ſtarken
Mann unmöglich war, an dieſer morſchen, beinah ſtu-

5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0131" n="99"/>
gerathen; alle Augenblick hatt' ich ein kleines Aben-<lb/>
theuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt<lb/>
zu errathen gab; mei&#x017F;tens lö&#x017F;te &#x017F;ie es auf eine kindlich-<lb/>
lu&#x017F;tige Wei&#x017F;e auf. Einmal hatte ich ihr ein Häschen,<lb/>
was mir auf wildem, ein&#x017F;amem Waldweg begegnet<lb/>
war, als einen zierlichen Ritter be&#x017F;chrieben, ich nannte<lb/>
es <hi rendition="#aq">la petite perfection</hi> und daß er mir mein Herz ein-<lb/>
genommen habe; &#x2014; &#x017F;ie antwortete gleich: auf einem<lb/>
&#x017F;chönen grünen Ra&#x017F;en, da ließ ein Held zur Mahlzeit<lb/>
bla&#x017F;en, da flüchteten &#x017F;ich alle Ha&#x017F;en; &#x017F;o hoff' ich wird<lb/>
ein Held ein&#x017F;t kommen, Dein Herz, von Ha&#x017F;en einge-<lb/>
nommen, von die&#x017F;en Wichten zu befreien und &#x017F;eine<lb/>
Gluthen zu erneuen; &#x2014; dies waren An&#x017F;pielungen auf<lb/>
kleine Liebesabentheuer. &#x2014; So verging ein Theil des<lb/>
Winters; ich war in einer &#x017F;ehr glücklichen Gei&#x017F;tesver-<lb/>
fa&#x017F;&#x017F;ung, andre würden &#x017F;ie Über&#x017F;pannung nennen, aber<lb/>
mir war &#x017F;ie eigen. An der Fe&#x017F;tungsmauer, die den<lb/>
großen Garten umgab, war eine Thurmwarte, eine zer-<lb/>
brochne Leiter &#x017F;tand drinn; &#x2014; dicht bei uns war ein-<lb/>
gebrochen worden, man konnte den Spitzbuben nicht<lb/>
auf die Spur kommen, man glaubte, &#x017F;ie ver&#x017F;teckten &#x017F;ich<lb/>
auf jenem Thurm; ich hatte ihn bei Tag in Augen-<lb/>
&#x017F;chein genommen und erkannt', daß es für einen &#x017F;tarken<lb/>
Mann unmöglich war, an die&#x017F;er mor&#x017F;chen, beinah &#x017F;tu-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5*</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[99/0131] gerathen; alle Augenblick hatt' ich ein kleines Aben- theuer auf meinen Spazierwegen, was ich ihr verbrämt zu errathen gab; meiſtens löſte ſie es auf eine kindlich- luſtige Weiſe auf. Einmal hatte ich ihr ein Häschen, was mir auf wildem, einſamem Waldweg begegnet war, als einen zierlichen Ritter beſchrieben, ich nannte es la petite perfection und daß er mir mein Herz ein- genommen habe; — ſie antwortete gleich: auf einem ſchönen grünen Raſen, da ließ ein Held zur Mahlzeit blaſen, da flüchteten ſich alle Haſen; ſo hoff' ich wird ein Held einſt kommen, Dein Herz, von Haſen einge- nommen, von dieſen Wichten zu befreien und ſeine Gluthen zu erneuen; — dies waren Anſpielungen auf kleine Liebesabentheuer. — So verging ein Theil des Winters; ich war in einer ſehr glücklichen Geiſtesver- faſſung, andre würden ſie Überſpannung nennen, aber mir war ſie eigen. An der Feſtungsmauer, die den großen Garten umgab, war eine Thurmwarte, eine zer- brochne Leiter ſtand drinn; — dicht bei uns war ein- gebrochen worden, man konnte den Spitzbuben nicht auf die Spur kommen, man glaubte, ſie verſteckten ſich auf jenem Thurm; ich hatte ihn bei Tag in Augen- ſchein genommen und erkannt', daß es für einen ſtarken Mann unmöglich war, an dieſer morſchen, beinah ſtu- 5*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/131
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/131>, abgerufen am 18.05.2024.