ster gestorben; sie war jünger als ich, Du hast sie nie gesehen; sie starb an der schnellen Auszehrung; -- warum sagst Du mir dies heute erst, fragte ich? -- nun was könnte Dich dies interessieren? Du hast sie nicht gekannt, ich muß so was allein tragen, sagte sie mit trocknen Augen. Mir war dies doch etwas sonderbar, mir jungen Natur waren alle Geschwister so lieb, daß ich glaubte, ich würde verzweifeln müssen, wenn einer stürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelassen hätte; sie fuhr fort: nun denk': vor drei Nächten ist mir diese Schwester erschienen; ich lag im Bett und die Nacht- lampe brannte auf jenem Tisch; sie kam herein in wei- ßem Gewand langsam, und blieb an dem Tisch stehen; sie wendete den Kopf nach mir und senkte ihn und sah mich an; erst war ich erschrocken, aber bald war ich ganz ruhig, ich setzte mich im Bett auf, um mich zu überzeugen, daß ich nicht schlafe. Ich sah sie auch an und es war, als ob sie etwas bejahend nickte; und sie nahm dort den Dolch und hob' ihn gen Himmel mit der rechten Hand, als ob sie mir ihn zeigen wolle, und legte ihn wieder sanft und klanglos nieder, und dann nahm sie die Nachtlampe, und hob sie auch in die Höhe, und zeigte sie mir, und als ob sie mir bezeich[n]en wolle, daß ich sie verstehe, nickte sie sanft, führte die Lampe zu
ihren
ſter geſtorben; ſie war jünger als ich, Du haſt ſie nie geſehen; ſie ſtarb an der ſchnellen Auszehrung; — warum ſagſt Du mir dies heute erſt, fragte ich? — nun was könnte Dich dies intereſſieren? Du haſt ſie nicht gekannt, ich muß ſo was allein tragen, ſagte ſie mit trocknen Augen. Mir war dies doch etwas ſonderbar, mir jungen Natur waren alle Geſchwiſter ſo lieb, daß ich glaubte, ich würde verzweifeln müſſen, wenn einer ſtürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelaſſen hätte; ſie fuhr fort: nun denk': vor drei Nächten iſt mir dieſe Schweſter erſchienen; ich lag im Bett und die Nacht- lampe brannte auf jenem Tiſch; ſie kam herein in wei- ßem Gewand langſam, und blieb an dem Tiſch ſtehen; ſie wendete den Kopf nach mir und ſenkte ihn und ſah mich an; erſt war ich erſchrocken, aber bald war ich ganz ruhig, ich ſetzte mich im Bett auf, um mich zu überzeugen, daß ich nicht ſchlafe. Ich ſah ſie auch an und es war, als ob ſie etwas bejahend nickte; und ſie nahm dort den Dolch und hob' ihn gen Himmel mit der rechten Hand, als ob ſie mir ihn zeigen wolle, und legte ihn wieder ſanft und klanglos nieder, und dann nahm ſie die Nachtlampe, und hob ſie auch in die Höhe, und zeigte ſie mir, und als ob ſie mir bezeich[n]en wolle, daß ich ſie verſtehe, nickte ſie ſanft, führte die Lampe zu
ihren
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ſter geſtorben; ſie war jünger als ich, Du haſt ſie nie
geſehen; ſie ſtarb an der ſchnellen Auszehrung; —
warum ſagſt Du mir dies heute erſt, fragte ich? — nun
was könnte Dich dies intereſſieren? Du haſt ſie nicht
gekannt, ich muß ſo was allein tragen, ſagte ſie mit
trocknen Augen. Mir war dies doch etwas ſonderbar,
mir jungen Natur waren alle Geſchwiſter ſo lieb, daß
ich glaubte, ich würde verzweifeln müſſen, wenn einer
ſtürbe, und daß ich mein Leben für jeden gelaſſen hätte;
ſie fuhr fort: nun denk': vor drei Nächten iſt mir dieſe
Schweſter erſchienen; ich lag im Bett und die Nacht-
lampe brannte auf jenem Tiſch; ſie kam herein in wei-
ßem Gewand langſam, und blieb an dem Tiſch ſtehen;
ſie wendete den Kopf nach mir und ſenkte ihn und ſah
mich an; erſt war ich erſchrocken, aber bald war ich
ganz ruhig, ich ſetzte mich im Bett auf, um mich zu
überzeugen, daß ich nicht ſchlafe. Ich ſah ſie auch an
und es war, als ob ſie etwas bejahend nickte; und ſie
nahm dort den Dolch und hob' ihn gen Himmel mit der
rechten Hand, als ob ſie mir ihn zeigen wolle, und legte
ihn wieder ſanft und klanglos nieder, und dann nahm
ſie die Nachtlampe, und hob ſie auch in die Höhe, und
zeigte ſie mir, und als ob ſie mir bezeichnen wolle, daß
ich ſie verſtehe, nickte ſie ſanft, führte die Lampe zu
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/128>, abgerufen am 25.11.2024.
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