Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Achim von: Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. In: Gaben der Milde. Bd. 4. Berlin, 1818, S. 75-124.

Bild:
<< vorherige Seite

wie sie Francoeur einst gefolgt, so entfloh
sie ihm mit dem Kinde und sagte vor sich
hin: Kind, das thue ich nur deinetwegen,
mir wäre besser mit ihm zu sterben; Hagar,
du hast nicht gelitten wie ich, denn ich ver¬
stoße mich selbst! -- Unter solchen Gedan¬
ken kam sie herab auf einem falschen Wege
und stand am sumpfigen Ufer des Flusses.
Sie konnte aus Ermattung nicht mehr ge¬
hen und setzte sich deswegen in einen Na¬
chen, der, nur leicht ans Ufer gefahren, leicht
abzustossen war und ließ sich den Fluß her¬
abtreiben; sie wagte nicht umzublicken, wenn
am Hafen ein Schuß geschah, meinte sie:
das Fort sei gesprengt, und ihr halbes Le¬
ben verloren, so verfiel sie allmählig in ei¬
nen dumpfen fieberartigen Zustand.

Unterdessen waren die beiden Soldaten,
mit Aepfeln und Trauben bepackt, in die
Nähe des Forts gekommen, aber Francoeurs
starke Stimme rief ihnen, indem er eine Flin¬
tenkugel über ihre Köpfe abfeuerte: Zurück!
dann sagte er durch das Sprachrohr: An
der hohen Mauer werde ich mit euch reden,

wie ſie Francoeur einſt gefolgt, ſo entfloh
ſie ihm mit dem Kinde und ſagte vor ſich
hin: Kind, das thue ich nur deinetwegen,
mir wäre beſſer mit ihm zu ſterben; Hagar,
du haſt nicht gelitten wie ich, denn ich ver¬
ſtoße mich ſelbſt! — Unter ſolchen Gedan¬
ken kam ſie herab auf einem falſchen Wege
und ſtand am ſumpfigen Ufer des Fluſſes.
Sie konnte aus Ermattung nicht mehr ge¬
hen und ſetzte ſich deswegen in einen Na¬
chen, der, nur leicht ans Ufer gefahren, leicht
abzuſtoſſen war und ließ ſich den Fluß her¬
abtreiben; ſie wagte nicht umzublicken, wenn
am Hafen ein Schuß geſchah, meinte ſie:
das Fort ſei geſprengt, und ihr halbes Le¬
ben verloren, ſo verfiel ſie allmählig in ei¬
nen dumpfen fieberartigen Zuſtand.

Unterdeſſen waren die beiden Soldaten,
mit Aepfeln und Trauben bepackt, in die
Nähe des Forts gekommen, aber Francoeurs
ſtarke Stimme rief ihnen, indem er eine Flin¬
tenkugel über ihre Köpfe abfeuerte: Zurück!
dann ſagte er durch das Sprachrohr: An
der hohen Mauer werde ich mit euch reden,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0035" n="103"/>
wie &#x017F;ie Francoeur ein&#x017F;t gefolgt, &#x017F;o entfloh<lb/>
&#x017F;ie ihm mit dem Kinde und &#x017F;agte vor &#x017F;ich<lb/>
hin: Kind, das thue ich nur deinetwegen,<lb/>
mir wäre be&#x017F;&#x017F;er mit ihm zu &#x017F;terben; Hagar,<lb/>
du ha&#x017F;t nicht gelitten wie ich, denn ich ver¬<lb/>
&#x017F;toße mich &#x017F;elb&#x017F;t! &#x2014; Unter &#x017F;olchen Gedan¬<lb/>
ken kam &#x017F;ie herab auf einem fal&#x017F;chen Wege<lb/>
und &#x017F;tand am &#x017F;umpfigen Ufer des Flu&#x017F;&#x017F;es.<lb/>
Sie konnte aus Ermattung nicht mehr ge¬<lb/>
hen und &#x017F;etzte &#x017F;ich deswegen in einen Na¬<lb/>
chen, der, nur leicht ans Ufer gefahren, leicht<lb/>
abzu&#x017F;to&#x017F;&#x017F;en war und ließ &#x017F;ich den Fluß her¬<lb/>
abtreiben; &#x017F;ie wagte nicht umzublicken, wenn<lb/>
am Hafen ein Schuß ge&#x017F;chah, meinte &#x017F;ie:<lb/>
das Fort &#x017F;ei ge&#x017F;prengt, und ihr halbes Le¬<lb/>
ben verloren, &#x017F;o verfiel &#x017F;ie allmählig in ei¬<lb/>
nen dumpfen fieberartigen Zu&#x017F;tand.</p><lb/>
        <p>Unterde&#x017F;&#x017F;en waren die beiden Soldaten,<lb/>
mit Aepfeln und Trauben bepackt, in die<lb/>
Nähe des Forts gekommen, aber Francoeurs<lb/>
&#x017F;tarke Stimme rief ihnen, indem er eine Flin¬<lb/>
tenkugel über ihre Köpfe abfeuerte: Zurück!<lb/>
dann &#x017F;agte er durch das Sprachrohr: An<lb/>
der hohen Mauer werde ich mit euch reden,<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0035] wie ſie Francoeur einſt gefolgt, ſo entfloh ſie ihm mit dem Kinde und ſagte vor ſich hin: Kind, das thue ich nur deinetwegen, mir wäre beſſer mit ihm zu ſterben; Hagar, du haſt nicht gelitten wie ich, denn ich ver¬ ſtoße mich ſelbſt! — Unter ſolchen Gedan¬ ken kam ſie herab auf einem falſchen Wege und ſtand am ſumpfigen Ufer des Fluſſes. Sie konnte aus Ermattung nicht mehr ge¬ hen und ſetzte ſich deswegen in einen Na¬ chen, der, nur leicht ans Ufer gefahren, leicht abzuſtoſſen war und ließ ſich den Fluß her¬ abtreiben; ſie wagte nicht umzublicken, wenn am Hafen ein Schuß geſchah, meinte ſie: das Fort ſei geſprengt, und ihr halbes Le¬ ben verloren, ſo verfiel ſie allmählig in ei¬ nen dumpfen fieberartigen Zuſtand. Unterdeſſen waren die beiden Soldaten, mit Aepfeln und Trauben bepackt, in die Nähe des Forts gekommen, aber Francoeurs ſtarke Stimme rief ihnen, indem er eine Flin¬ tenkugel über ihre Köpfe abfeuerte: Zurück! dann ſagte er durch das Sprachrohr: An der hohen Mauer werde ich mit euch reden,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Achim von Arnims Erzählung „Der tolle Invalide au… [mehr]

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnima_invalide_1818
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnima_invalide_1818/35
Zitationshilfe: Arnim, Achim von: Der tolle Invalide auf dem Fort Ratonneau. In: Gaben der Milde. Bd. 4. Berlin, 1818, S. 75-124, hier S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnima_invalide_1818/35>, abgerufen am 24.04.2024.