Der tolle Invalide auf dem Fort
Ratonneau.
Erzählung
von
L. Achim von Arnim.
Graf Dürande, der gute alte Komman¬
dant von Marſeille, ſaß einſam frierend an
einem kalt ſtürmenden Oktoberabende bei
dem ſchlecht eingerichteten Kamine ſeiner
prachtvollen Kommandantenwohnung und
rückte immer näher und näher zum Feuer,
während die Kutſchen zu einem großen
Balle in der Straße vorüber rollten, und
ſein Kammerdiener Baſſet, der zugleich ſein
liebſter Geſellſchafter war, im Vorzimmer
heftig ſchnarchte. Auch im ſüdlichen Frank¬
reich iſt es nicht immer warm, dachte der
alte Herr, und ſchüttelte mit dem Kopfe, die
Menſchen bleiben auch da nicht immer jung,
aber die lebhafte geſellige Bewegung nimmt
ſo wenig Rückſicht auf das Alter, wie die
Baukunſt auf den Winter. Was ſollte er,
der Chef aller Invaliden, die damals (wäh¬
rend des ſiebenjährigen Krieges) die Beſa¬
tzung von Marſeille und ſeiner Forts aus¬
machten, mit ſeinem hölzernen Beine auf
dem Balle, nicht einmal die Lieutenants
ſeines Regiments waren zum Tanze zu brau¬
chen. Hier am Kamine ſchien ihm dagegen
ſein hölzernes Bein höchſt brauchbar, weil
er den Baſſet nicht wecken mochte, um den
Vorrath grüner Olivenäſte, den er ſich zur
Seite hatte hinlegen laſſen, allmählig in die
Flamme zu ſchieben. Ein ſolches Feuer hat
großen Reitz; die kniſternde Flamme iſt mit
dem grünen Laube wie durchflochten, halb¬
brennend, halbgrünend erſcheinen die Blät¬
ter wie verliebte Herzen. Auch der alte Herr
dachte dabei an Jugendglanz und vertiefte
ſich in den Conſtructionen jener Feuerwerke,
die er ſonſt ſchon für den Hof angeordnet
hatte und ſpeculirte auf neue, noch mannig¬
fachere Farbenſtrahlen und Drehungen,
durch welche er am Geburttage des Königs
die Marſeiller überraſchen wollte. Es ſah
nun leerer in ſeinem Kopfe als auf dem
Balle aus. Aber in der Freude des Gelin¬
gens, wie er ſchon alles ſtrahlen, ſauſen,
praſſeln, dann wieder alles in ſtiller Größe
leuchten ſah, hatte er immer mehr Oliven¬
äſte ins Feuer geſchoben und nicht bemerkt,
daß ſein hölzernes Bein Feuer gefangen
hatte und ſchon um ein Drittheil abgebrannt
war. Erſt jetzt, als er aufſpringen wollte,
weil der große Schluß, das Aufſteigen von
tauſend Raketen ſeine Einbildungskraft be¬
flügelte und entflammte, bemerkte er, in¬
dem er auf ſeinen Polſterſtuhl zurück ſank,
daß ſein hölzernes Bein verkürzt ſey und daß
der Reſt auch noch in beſorglichen Flammen
ſtehe. In der Noth, nicht gleich aufkommen
zu können, rückte er ſeinen Stuhl wie einen
Piekſchlitten mit dem flammenden Beine bis
in die Mitte des Zimmers, rief ſeinen Die¬
ner und dann nach Waſſer. Mit eifrigem Be¬
mühen ſprang ihm in dieſem Augenblicke
eine Frau zu Hülfe, die in das Zimmer ein¬
gelaſſen, lange durch ein beſcheidnes Huſten
die Aufmerkſamkeit des Kommandanten auf
ſich zu ziehen geſucht hatte, doch ohne Er¬
folg. Sie ſuchte das Feuer mit ihrer Schürze
zu löſchen, aber die glühende Kohle des
Beins ſetzte die Schürze in Flammen und
der Kommandant ſchrie nun in wirklicher
Noth nach Hülfe, nach Leuten. Bald dran¬
gen dieſe von der Gaſſe herein, auch Baſ¬
ſet war erwacht; der brennende Fuß, die
brennende Schürze brachte alle ins Lachen,
doch mit dem erſten Waſſereimer, den Baſ¬
ſet aus der Küche holte, war alles ge¬
löſcht und die Leute empfahlen ſich. Die
arme Frau triefte vom Waſſer, ſie konnte
ſich nicht gleich vom Schrecken erholen, der
Kommandant ließ ihr ſeinen warmen Rocke¬
lor umhängen, und ein Glas ſtarken Wein
reichen. Die Frau wollte aber nichts nehmen
und ſchluchzte nur über ihr Unglück und
bat den Kommandanten: mit ihm einige
Worte ins Geheim zu ſprechen. So ſchickte
er ſeinen nachläſſigen Diener fort und ſetzte
ſich ſorgſam in ihre Nähe. Ach, mein Mann,
ſagte ſie in einem fremden deutſchen Dialeckte
des Franzöſiſchen, mein Mann kommt von Sin¬
nen, wenn er die Geſchichte hört; ach, mein
armer Mann, da ſpielt ihm der Teufel ſicher
wieder einen Streich! Der Kommandant
fragte nach dem Manne und die Frau ſagte
ihm: daß ſie eben wegen dieſes ihres lieben
Mannes zu ihm gekommen, ihm einen Brief
des Oberſten vom Regiment Pikardie zu
überbringen. Der Oberſte ſetzte die Brille
auf, erkannte das Wappen ſeines Freundes
und durchlief das Schreiben, dann ſagte er: Al¬
ſo Sie ſind jene Roſalie, eine geborne Demoiſelle
Lilie aus Leipzig, die den Sergeanten Fran¬
coeur geheirathet hat, als er am Kopf ver¬
wundet in Leipzig gefangen lag? Erzählen
ſie, das iſt eine ſeltne Liebe! Was waren
ihre Eltern, legten die ihnen kein Hinderniß
in den Weg? Und was hat denn ihr Mann
für ſcherzhafte Grillen als Folge ſeiner Kopf¬
wunde behalten, die ihn zum Felddienſte un¬
tauglich machen, obgleich er als der bravſte
und geſchickteſte Sergeant, als die Seele des Re¬
giments geachtet wurde? Gnädiger Herr, ant¬
wortete die Frau mit neuer Betrübniß, meine
Liebe trägt die Schuld von allem dem Un¬
glück, ich habe meinen Mann unglücklich
gemacht und nicht jene Wunde; meine Liebe
hat den Teufel in ihn gebracht und plagt
ihn und verwirrt ſeine Sinne. Statt mit
den Soldaten zu exercieren, fängt er zuwei¬
len an, ihnen ungeheure, ihm vom Teufel
eingegebene Sprünge vor zu machen, und
verlangt; daß ſie ihm dieſe nach machen:
oder er ſchneidet ihnen Geſichter, daß ihnen
der Schreck in alle Glieder fährt, und
verlangt, daß ſie ſich dabei nicht rühren
noch regen und neulich, was endlich dem
Faſſe den Boden ausſchlug, warf er den
kommandirenden General, der in einer Affäre
den Rückzug des Regiments befahl, vom
Pferde, ſetzte ſich darauf und nahm mit dem
Regimente die Batterie fort. — Ein Teufels¬
kerl, rief der Kommandant, wenn doch ſo
ein Teufel in alle unſre kommandirende Ge¬
nerale führe, ſo hätten wir kein zweites
Roßbach zu fürchten, iſt ihre Liebe ſolche
Teufels¬
Teufelsfabrik, ſo wünſchte ich: ſie liebten un¬
ſre ganze Armee. — Leider im Fluche mei¬
ner Mutter, ſeufzte die Frau. Meinen Va¬
ter habe ich nicht gekannt. Meine Mutter
ſah viele Männer bei ſich, denen ich auf¬
warten mußte, das war meine einzige Ar¬
beit. Ich war träumerig und achtete gar
nicht der freundlichen Reden dieſer Männer,
meine Mutter ſchützte mich gegen ihre Zu¬
dringlichkeit. Der Krieg hatte dieſe Herren
meiſt zerſtreut, die meine Mutter beſuchten
und bei ihr Hazardſpiele heimlich ſpielten;
wir lebten zu ihrem Aerger ſehr einſam.
Freund und Feind waren ihr darum gleich
verhaßt, ich durfte keinem eine Gabe brin¬
gen, der verwundet oder hungrig vor dem
Hauſe vorüberging. Das that mir ſehr leid
und einſtmals war ich ganz allein und be¬
ſorgte unſer Mittagseſſen, als viele Wagen
mit Verwundeten vorüberzogen, die ich an
der Sprache für Franzoſen erkannte, die
von den Preußen gefangen worden. Im¬
mer wollte ich mit dem fertigen Eſſen zu
jenen hinunter, doch ich fürchtete die Mut¬
IV. [6]
ter, als ich aber Francoeur mit verbundenem
Kopfe auf dem letzten Wagen liegen geſe¬
hen, da weiß ich nicht wie mir geſchah; die
Mutter war vergeſſen, ich nahm Suppe und
Löffel, und, ohne unſre Wohnung abzuſchlie¬
ßen, eilte ich dem Wagen nach in die Plei¬
ßenburg. Ich fand ihn; er war ſchon ab¬
geſtiegen, dreiſt redete ich die Aufſeher an,
und wußte dem Verwundeten gleich das
beſte Strohlager zu erflehen. Und als er
darauf gelegt, welche Seligkeit, dem Noth¬
leidenden die warme Suppe zu reichen! Er
wurde munter in den Augen und ſchwor
mir, daß ich einen Heiligenſchein um mei¬
nen Kopf trage. Ich antwortete ihm, daßdas
ſei meine Haube, die ſich im eiligen Bemü¬
hen um ihn aufgeſchlagen. Er ſagte: der
Heiligenſchein komme aus meinen Augen!
Ach, das Wort konnte ich gar nicht vergeſ¬
ſen, und hätte er mein Herz nicht ſchon ge¬
habt, ich hätte es ihm dafür ſchenken müſ¬
ſen. Ein wahres, ein ſchönes Wort! ſagte
der Kommandant, und Roſalie fuhr fort:
Das war die ſchönſte Stunde meines Le¬
bens, ich ſah ihn immer eifriger an, weil
er behauptete, daß es ihm wohlthue und als
er mir endlich einen kleinen Ring an den
Finger ſteckte, fühlte ich mich ſo reich, wie
ich noch niemals geweſen. In dieſe glück¬
liche Stille trat meine Mutter ſcheltend und
fluchend ein; ich kann nicht nachſagen, wie
ſie mich nannte, ich ſchämte mich auch nicht,
denn ich wußte, daß ich ſchuldlos war und
daß er Böſes nicht glauben würde. Sie
wollte mich fortreiſſen, aber er hielt mich
feſt und ſagte ihr: daß wir verlobt wären,
ich trüge ſchon ſeinen Ring. Wie verzog ſich
das Geſicht meiner Mutter; mir wars, als
ob eine Flamme aus ihrem Halſe brenne,
und ihre Augen kehrte ſie in ſich, ſie ſahen
ganz weiß aus; ſie verfluchte mich und über¬
gab mich mit feierlicher Rede dem Teufel.
Und wie ſo ein heller Schein durch meine
Augen am Morgen gelaufen, als ich Fran¬
coeur geſehen, ſo war mir jetzt als ob eine
ſchwarze Fledermaus ihre durchſichtigen Flü¬
geldecken über meine Augen legte; die Welt
war mir halb verſchloſſen, und ich gehörte
mir nicht mehr ganz. Mein Herz verzwei¬
felte und ich mußte lachen. Hörſt du, der
Teufel lacht ſchon aus dir! ſagte die Mut¬
ter und ging triumphirend fort, während
ich ohnmächtig niederſtürzte. Als ich wieder
zu mir gekommen, wagte ich nicht zu ihr
zu gehen und den Verwundeten zu verlaſ¬
ſen, auf den der Vorfall ſchlimm gewirkt
hatte; ja ich trotzte heimlich der Mutter we¬
gen des Schadens, den ſie dem Unglückli¬
chen gethan. Erſt am dritten Tage ſchlich
ich, ohne es Francoeur zu ſagen, Abends nach
dem Hauſe, wagte nicht an zu klopfen, end¬
lich trat eine Frau die uns bedient hatte,
heraus und berichtete, die Mutter habe
ihre Sachen ſchnell verkauft, und ſei mit
einem fremden Herrn, der ein Spieler ſein
ſollte, fortgefahren, und niemand wiſſe wo¬
hin. So war ich nun von aller Welt aus¬
geſtoſſen und es that mir wohl, ſo entfeſſelt
von jeder Rückſicht in die Arme meines
Francoeur zu fallen. Auch meine jugendli¬
chen Bekanntinnen in der Stadt wollten mich
nicht mehr kennen, ſo konnte ich ganz ihm
und ſeiner Pflege leben. Für ihn arbeitete
ich; bisher hatte ich nur mit dem Spitzenklöp¬
peln zu meinem Putze geſpielt, ich ſchämte
mich nicht, dieſe meine Handarbeiten zu ver¬
kaufen, ihm brachte es Bequemlichkeit und
Erquickung. Aber immer mußte ich der
Mutter denken, wenn ſeine Lebendigkeit im
Erzählen mich nicht zerſtreute; die Mutter
erſchien mir ſchwarz mit flammenden Au¬
gen, immer fluchend vor meinen inneren
Augen und ich konnte ſie nicht los werden.
Meinem Francoeur wollte ich nichts ſagen,
um ihm nicht das Herz ſchwer zu machen;
ich klagte über Kopfweh, daßdas ich nicht hatte,
über Zahnweh, das ich nicht fühlte, um
weinen zu kennenkönnen wie ich mußte. Ach hätte
ich damals mehr Vertrauen zu ihm gehabt,
ich hätte ſein Unglück nicht gemacht, aber
jedesmal, wenn ich ihm erzählen wollte: daß
ich durch den Fluch der Mutter vom Teufel
beſeſſen zu ſeyn glaubte, ſchloß mir der Teufel
den Mund, auch fürchtete ich, daß er mich dann
nicht mehr lieben könne, daß er mich ver¬
laſſen würde und den bloßen Gedanken
konnte ich kaum überleben. Dieſe innere
Qual, vielleicht auch die angeſtrengte Ar¬
beit zerrüttete endlich meinen Körper, heftige
Krämpfe, die ich ihm verheimlichte, drohten
mich zu erſticken, und Arzeneien ſchienen
dieſe Uebel nur zu mehren. Kaum war er
hergeſtellt, ſo wurde die Hochzeit von ihm
angeordnet. Ein alter Geiſtlicher hielt eine
feierliche Rede, in der er meinem Francoeur
alles ans Herz legte, was ich für ihn ge¬
than, wie ich ihm Vaterland, Wohlſtand
und Freundſchaft zum Opfer gebracht, ſelbſt
den mütterlichen Fluch auf mich geladen, alle
dieſe Noth müſſe er mit mir theilen, alles
Unglück gemeinſam tragen. Meinem Manne
ſchauderte bei den Worten, aber er ſprach
doch ein vernehmliches Ja, und wir wurden
vermählt. Selig waren die erſten Wochen,
ich fühlte mich zur Hälfte von meinen Lei¬
den erleichtert und ahnete nicht gleich, daß
eine Hälfte des Fluchs zu meinem Manne
übergegangen ſei. Bald aber klagte er, daß
jener Prediger in ſeinem ſchwarzen Kleide
ihm immer vor Augen ſtehe und ihm drohe,
daß er dadurch einen ſo heftigen Zorn und
Widerwillen gegen Geiſtliche, Kirchen und
heilige Bilder empfinde, daß er ihnen flu¬
chen müſſe und wiſſe nicht warum, und um
ſich dieſen Gedanken zu entſchlagen, überlaſſe
er ſich jedem Einfall, er tanze und trinke
und ſo in dem Umtriebe des Bluts werde
ihm beſſer. Ich ſchob alles auf die Gefan¬
genſchaft, obgleich ich wohl ahnete, daß
es der Teufel ſei, der ihn plage. Er wurde
ausgewechſelt durch die Vorſorge ſeines
Oberſten, der ihn beim Regimente wohl ver¬
mißt hatte, denn Francoeur iſt ein außeror¬
dentlicher Soldat. Mit leichtem Herzen zo¬
gen wir aus Leipzig und bildeten eine ſchöne
Zukunft in unſern Geſprächen aus. Kaum
waren wir aber aus der Noth, ums tägli¬
che Bedürfniß, zum Wohlleben der gut ver¬
ſorgten Armee in die Winterquartiere ge¬
kommen, ſo ſtieg die Heftigkeit meines Man¬
nes mit jedem Tage, er trommelte Tage¬
lang, um ſich zu zerſtreuen, zankte, machte
Händel, der Oberſt konnte ihn nicht begrei¬
fen; nur mit mir war er ſanft wie ein Kind.
Ich wurde von einem Knaben entbunden,
als der Feldzug ſich wieder eröffnete, und
mit der Qual der Geburt ſchien der Teufel,
der mich geplagt, ganz von mir gebannt.
Francoeur wurde immer muthwilliger und
heftiger. Der Oberſte ſchrieb mir: er ſei toll¬
kühn wie ein Raſender, aber bisher immer
glücklich geweſen; ſeine Kammeraden mein¬
ten, er ſei zuweilen wahnſinnig und er fürchte
ihn unter die Kranken oder Invaliden ab¬
geben zu müſſen. Der Oberſt hatte einige
Achtung gegen mich, er hörte auf meine
Vorbitte, bis endlich ſeine Wildheit gegen den
kommandirenden General dieſer Abtheilung,
die ich ſchon erzählte, ihn in Arreſt brachte,
wo der Wundarzt erklärte, er leide wegen
der Kopfwunde, die ihm in der Gefangenſchaft
vernachläßigt worden, an Wahnſinn und
müſſe wenigſtens ein paar Jahre im war¬
men Klima bei den Invaliden zubringen,
ob ſich dieſes Uebel vielleicht ausſcheide.
Ihm wurde geſagt, daß er zur Strafe we¬
gen ſeines Vergehens unter die Invaliden
komme und er ſchied mit Verwünſchungen
vom Regimente. Ich bat mir das Schrei¬
ben vom Oberſten aus, ich beſchloß ihnen
zutraulich alles zu eröffnen, damit er nicht
nach der Strenge des Geſetzes, ſondern nach
ſeinem Unglück, deſſen einzige Urſache meine
Liebe war, beurtheilt werde, und daß ſie ihn zu
ſeinem Beſten in eine kleine abgelegene Ort¬
ſchaft legen, damit er hier in der großen
Stadt nicht zum Gerede der Leute wird.
Aber, gnädiger Herr, ihr Ehrenwort darf
eine Frau ſchon fordern, die ihnen heut einen
kleinen Dienſt erwieſen, daß Sie dies Ge¬
heimniß ſeiner Krankheit, welches er ſelbſt
nicht ahnet, und das ſeinen Stolz empö¬
ren würde, unverbrüchlich bewahren. Hier
meine Hand, rief der Kommandant, der die
eifrige Frau mit Wohlgefallen angehört
hatte, noch mehr, ich will ihre Vorbitte
dreimal erhören, wenn Francoeur dumme
Streiche macht. Das Beſte aber iſt, dieſe
zu vermeiden, und darum ſchicke ich ihn
gleich zur Ablöſung nach einem Fort, das
nur drei Mann Beſatzung braucht; ſie fin¬
den da für ſich und für ihr Kind eine be¬
queme Wohnung, er hat da wenig Veran¬
laſſung zu Thorheiten, und die er begeht
bleiben verſchwiegen. Die Frau dankte für
dieſe gütige Vorſorge, küßte dem alten Herrn
die Hand und er leuchtete ihr dafür, als ſie
mit vielen Knixen die Treppe hinunter ging.
Das verwunderte den alten Kammerdiener
Baſſet, und es fuhr ihm durch den Kopf,
was ſeinem Alten ankomme: ob der wohl
gar mit der brennenden Frau eine Liebſchaft
geſtiftet habe, die ſeinem Einfluſſe nachthei¬
lig werden könne. Nun hatte der alte Herr
die Gewohnheit, Abends im Bette, wenn er
nicht ſchlafen konnte, alles was am Tage
geſchehen, laut zu überdenken, als ob er
dem Bette ſeine Beichte hätte abſtatten müſ¬
ſen. Und während nun die Wagen vom Balle
zurück rollten und ihn wach erhielten, lau¬
erte Baſſet im andern Zimmer, und hörte
die ganze Unterredung, die ihm um ſo wich¬
tiger ſchien, weil Francoeur ſein Landsmann
und Regimentskammerad geweſen, obgleich
er viel älter als Francoeur war. Und nun
dachte er gleich an einen Mönch den er
kannte, der ſchon manchem den Teufel aus¬
getrieben hatte und zu dem wollte er Fran¬
coeur bald hinführen; er hatte eine rechte
Freude am Quackſalbern und freute ſich ein¬
mal wieder: einen Teufel austreiben zu ſe¬
hen. Roſalie hatte, ſehr befriedigt über den
Erfolg ihres Beſuchs, gut geſchlafen; ſie kaufte
am Morgen eine neue Schürze und trat
mit dieſer ihrem Manne entgegen, der mit
entſetzlichem Geſange ſeine müden Invaliden
in die Stadt führte. Er küßte ſie; hob ſie
in die Luft und ſagte ihr: Du riechſt nach
dem trojaniſchen Brande, ich habe dich
wieder, ſchöne Helena! — Roſalie entfärbte
ſich und hielt es für nöthig, als er fragte,
ihm zu eröffnen: daß ſie wegen der Woh¬
nung beim Oberſten geweſen, daß dieſem
gerade das Bein in Flammen geſtanden,
und daß ihre Schürze verbrannt. Ihm war
es nicht recht, daß ſie nicht bis zu ſeiner
Ankunft gewartet habe, doch vergaß er das
in tauſend Späßen über die brennende
Schürze. Er ſtellte darauf ſeine Leute dem
Kommandanten vor, rühmte alle ihre leib¬
lichen Gebrechen und geiſtigen Tugenden ſo
artig, dasdaß er des alten Herrn Wohlwollen
erwarb, der ſo in ſich meinte: die Frau liebt
ihn, aber ſie iſt eine Deutſche und verſteht
keinen Franzoſen; ein Franzoſe hat immer
den Teufel im Leibe! — Er ließ ihn ins Zim¬
mer kommen, um ihn näher kennen zu ler¬
nen, fand ihn im Befeſtigungsweſen wohl
unterrichtet, und was ihn noch mehr ent¬
zückte: er fand in ihm einen leidenſchaftlichen
Feuerkünſtler, der bei ſeinem Regimente
ſchon alle Arten Feuerwerke ausgearbeitet
hatte. Der Kommandant trug ihm ſeine
neue Erfindung zu einem Feuerwerke am
Geburttage des Königs vor, bei welcher
ihn geſtern der Beinbrand geſtört hatte und
Francoeur ging mit funkelnder Begeiſterung
darauf ein. Nun eröffnete ihm der Alte, daß er
mit zwei andern Invaliden die kleine Beſatzung
des Forts Ratonneau ablöſen ſollte, dort
ſei ein großer Pulvervorrath und dort ſolle
er mit ſeinen beiden Soldaten fleißig Rake¬
ten füllen, Feuerräder drehen und Frö¬
ſche binden. Indem der Kommandant ihm
den Schlüſſel des Pulverthurms und das
Inventarium reichte, fiel ihm die Rede der
Frau ein und er hielt ihn mit den Worten
noch feſt: Aber euch plagt doch nicht der
Teufel und ihr ſtiftet mir Unheil? — Man
darf den Teufel nicht an die Wand ma¬
len, ſonſt hat man ihn im Spiegel, ant¬
wortete Francoeur mit einem gewiſſen Zu¬
trauen. Das gab dem Kommandanten Ver¬
trauen, er reichte ihm den Schlüſſel, das
Inventarium und den Befehl an die jetzige
kleine Garniſon, auszuziehn. So wurde er
entlaſſen und auf dem Hausflur fiel ihm
Baſſet um den Hals, ſie hatten ſich gleich
erkannt und erzählten einander in aller Kürze,
wie es ihnen ergangen. Doch weil Fran¬
coeur an große Strenge in allem Militäri¬
ſchen gewöhnt war, ſo riß er ſich los, und
bat ihn auf den nächſten Sonntag, wenn er
abkommen könnte, zu Gaſt nach dem Fort
Ratonneau, zu deſſen Kommandanten, der
er ſelbſt zu ſeyn die Ehre habe.
Der Einzug auf dem Fort war für
alle gleich fröhlich, die abziehenden Invali¬
den hatten die ſchöne Ausſicht auf Marſeille
bis zum Ueberdruß genoſſen, und die Ein¬
ziehenden waren entzückt über die Ausſicht,
über das zierliche Werk, über die bequemen
Zimmer und Betten; auch kauften ſie von den
Abziehenden ein paar Ziegen, ein Tauben¬
paar, ein Dutzend Hühner und die Kunſt¬
ſtücke, um in der Nähe einiges Wild in al¬
ler Stille belauern zu können; denn müſſige
Soldaten ſind ihrer Natur nach Jäger.
Als Francoeur ſein Kommando angetreten,
befahl er ſogleich ſeinen beiden Soldaten,
Brunet und Teſſier, mit ihm den Pulver¬
thurm zu eröffnen, das Inventarium durch¬
zugehen, um dann einen gewiſſen Vorrath
zur Feuerwerkerarbeit in das Laboratorium
zu tragen. Das Inventarium war richtig
und er beſchäftigte gleich einen ſeiner bei¬
den Soldaten mit den Arbeiten zum
Feuerwerk; mit dem andern ging er zu al¬
len Kanonen und Mörſern, um die metall¬
nen zu poliren, und die eiſernen ſchwarz
anzuſtreichen. Bald füllte er auch eine hin¬
längliche Zahl Bomben und Granaten, ord¬
nete auch alles Geſchütz ſo, wie es ſtehen mußte,
um den einzigen Aufgang nach dem Fort
zu beſtreichen. Das Fort iſt nicht zu neh¬
men! rief er einmal über das andre begei¬
ſtert. Ich will das Fort behaupten, auch
wenn die Engländer mit hundert tauſend
Mann landen und ſtürmen! Aber die Un¬
ordnung war hier groß! So ſieht es über¬
all auf den Forts und Batterien aus, ſagte
Teſſier, der alte Kommandant kann mit ſei¬
nem Stelzfuß nicht mehr ſo weit ſteigen,
und Gottlob! bisjetzt iſt es den Engländern
noch nicht eingefallen zu landen. — Das
muß anders werden, rief Francoeur, ich will
mir lieber die Zunge verbrennen, ehe ich
zugebe, daß unſre Feinde Marſeille einä¬
ſchern oder wir ſie doch fürchten müſſen.
Die Frau mußte ihm helfen das Mau¬
erwerk von Gras und Moos zu reinigen,
es abzuweiſſen und die Lebensmittel in den
Kaſematten zu lüften. In den erſten Tagen
wurde faſt nicht geſchlafen, ſo trieb der un¬
ermüdliche Francoeur zur Arbeit und ſeine
geſchickte Hand fertigte in dieſer Zeit, wozu
ein anderer wohl einen Monat gebraucht
hätte. Bei dieſer Thätigkeit ließen ihn ſeine
Grillen ruhen; er war haſtig, aber alles zu
einem feſten Ziele, und Roſalie ſegnete den
Tag, der ihn in dieſe höhere Luftregion ge¬
bracht, wo der Teufel keine Macht über
ihn zu haben ſchien. Auch die Witterung
hatte ſich durch Wendung des Windes er¬
wärmt und erhellt, daß ihnen ein neuer
Sommer zu begegnen ſchien; täglich liefen
Schiffe im Hafen ein und aus, grüßten und
wurden begrüßt von den Forts am Meere.
Roſalie, die nie am Meere geweſen, glaubte
ſich in eine andere Welt verſetzt, und ihr
Knabe freute ſich, nach ſo mancher harten
Einkerkerung auf Wagen und in Wirths¬
ſtuben, der vollen Freiheit in dem eingeſchloſ¬
ſenen kleinen Garten des Forts, den die frü¬
heren Bewohner nach Art der Soldaten,
beſonders der Artilleriſten, mit den künſtlich¬
ſten mathematiſchen Linienverbindungen in
Buchsbaum geziert hatten. Ihn Ueberflatterteüberflatterte
die Fahne mit den Lilien, der Stolz Fran¬
coeurs, ein ſegenreiches Zeichen der Frau,
die
die eine geborne Lilie, die liebſte Unterhaltung
des Kindes. So kam der erſte Sonntag von Al¬
len geſegnet und Francoeur befahl ſeiner Frau:
für den Mittag ihm etwas Gutes zu beſor¬
gen, wo er ſeinen Freund Baſſet erwarte,
insbeſondre machte er Anſpruch auf einen
guten Eierkuchen, denn die Hüner des Forts
legten fleißig, lieferte auch eine Zahl wilder
Vögel, die Brunet geſchoſſen hatte, in die
Küche. Unter dieſen Vorbereitungen kam
Baſſet hinaufgekeucht und war entzückt über
die Verwandlung des Forts erkundigte ſich
auch im Namen des Kommandanten nach
dem Feuerwerke und erſtaunte über die
große Zahl fertiger Raketen und Leuchtku¬
geln. Die Frau ging nun an ihre Küchen¬
arbeit, die beiden Soldaten zogen aus um
Früchte zur Mahlzeit zu holen, Alle woll¬
ten an dem Tage recht ſelig ſchwelgen und
ſich die Zeitung vorleſen laſſen, die Baſſet
mitgebracht hatte. Im Garten ſaß nun Baſ¬
ſet dem Francoeur gegenüber und ſah ihn ſtill¬
ſchweigend an, dieſer fragte nach der Urſa¬
che. Ich meine, ihr ſeht ſo geſund aus wie
IV. [7]
ſonſt und Alles was ihr thut, iſt ſo vernünf¬
tig. — Wer zweifelt daran? fragte Fran¬
coeur mit einer Aufwallung, das will ich
wiſſen! — Baſſet ſuchte um zu lenken, aber
Francoeur hatte etwas Furchtbares in ſei¬
nem Weſen, ſein dunkles Auge befeuerte
ſich, ſein Kopf erhob ſich, ſeine Lippen dräng¬
ten ſich vor. Das Herz war ſchon dem ar¬
men Schwätzer Baſſet gefallen, er ſprach,
dünnſtimmig wie eine Violine, von Gerüch¬
ten beim Kommandanten: er ſei vom Teu¬
fel geplagt, von ſeinem guten Willen ihn
durch einen Ordensgeiſtlichen, den Vater
Philip exorciren zu laſſen, den er deswegen
vor Tiſche hinaufbeſtellt habe, unter dem
Vorwande, daß er eine Meſſe der vom Got¬
tesdienſt entfernten Garniſon in der kleinen
Kapelle leſen müſſe. Francoeur entſetzte ſich
über die Nachricht, er ſchwur, daß er ſich
blutig an dem rächen wolle, der ſolche Lüge
über ihn ausgebracht, er wiſſe nichts vom
Teufel und wenn es gar keinen gebe, ſo
habe er auch nichts dagegen einzuwenden,
denn er habe nirgends die Ehre ſeiner Be¬
kanntſchaft gemacht. Baſſet ſagte: er ſey
ganz unſchuldig, er habe die Sache vernom¬
men, als der Kommandant mit ſich laut ge¬
ſprochen habe, auch ſei ja dieſer Teufel die
Urſache, warum Francoeur vom Regimente
fortgekommen. Und wer brachte dem Kom¬
mandanten die Nachricht? fragte Francoeur
zitternd. Eure Frau, antwortete Jener, aber
in der beſten Abſicht, um Euch zu entſchul¬
digen, wenn ihr hier wilde Streiche mach¬
tet. Wir ſind geſchieden! ſchrie Francoeur
und ſchlug ſich vor den Kopf, ſie hat mich
verrathen, mich vernichtet, hat Heimlichkei¬
ten mit dem Kommandanten, ſie hat unend¬
lich viel für mich gethan und gelitten, ſie
hat mir unendlich wehe gethan, ich bin ihr
nichts mehr ſchuldig, wir ſind geſchieden! —
Allmählig ſchien er ſtiller zu werden, je lau¬
ter es in ihm wurde; er ſah wieder den ſchwar¬
zen Geiſtlichen vor Augen, wie die vom tol¬
len Hunde gebiſſenen den Hund immer zu
ſehen meinen, da trat Vater Philip in den
Garten und er ging mit Heftigkeit auf ihn
zu, um zu fragen, was er wolle. Dieſer
meinte ſeine Beſchwörung anbringen zu
müſſen, redete den Teufel heftig an, indem
er ſeine Hände in kreutzenden Linien über
Francoeur bewegte. Das Alles empörte Fran¬
coeur, er gebot ihm, als Kommandant des
Forts, den Platz ſogleich zu verlaſſen. Aber
der unerſchrockne Philip eiferte um ſo hef¬
tiger gegen den Teufel in Francoeur und
als er ſogar ſeinen Stab erhob, ertrug
Francoeurs militäriſcher Stolz dieſe Drohung
nicht. Mit wüthender Stärke ergriff er den
kleinen Philip bei ſeinem Mantel und warf
ihn über das Gitter, das den Eingang ſchützte,
und wäre der gute Mann nicht an den
Spitzen des Thürgitters mit dem Mantel
hängen geblieben, er hätte einen ſchweren
Fall die ſteinerne Treppe hinunter gemacht.
Nahe dieſem Gitter war der Tiſch gedeckt,
das erinnerte Francoeur an das Eſſen. Er
rief nach dem Eſſen und Roſalie brachte es,
etwas erhitzt vom Feuer, aber ſehr fröh¬
lich, denn ſie bemerkte nicht den Mönch auſ¬
ſer dem Gitter, der ſich kaum vom erſten
Schrecken erholt hatte und ſtill vor ſich be¬
tete, um neue Gefahr abzuwenden; kaum
beachtete ſie, daß ihr Mann und Baſſet je¬
ner finſter, dieſer verlegen nach dem Tiſche
blickten. Sie fragte nach den beiden Sol¬
daten, aber Francoeur ſagte: Sie können
nacheſſen, ich habe Hunger, daß ich die Welt
zerreiſſen könnte. Darauf legte ſie die Suppe
vor, und gab Baſſet aus Artigkeit das
Meiſte, dann ging ſie nach der Küche, um den
Eierkuchen zu backen. Wie hat denn meine
Frau dem Kommandanten gefallen? fragte
Francoeur. Sehr gut, antwortete Baſſet, er
wünſchte: daß es ihm in der Gefangenſchaft
ſo gut geworden wäre wie euch. Er ſoll
ſie haben! antwortete er! Nach den beiden
Soldaten, die fehlen, fragte ſie, was mir fehlt,
das fragte ſie nicht; euch ſuchte ſie als ei¬
nen Diener des Kommandanten zu gewin¬
nen, darum füllte ſie euren Teller, daß er
überfloß, euch bot ſie das größte Glas
Wein an, gebt Achtung, ſie bringt euch auch
das größte Stück Eierkuchen. Wenn das der
Fall iſt, dann ſtehe ich auf, dann führt ſie
nur fort, und laßt mich hier allein. — Baſ¬
ſet wollte antworten, aber im Augenblicke
trat die Frau mit dem Eierkuchen herein.
Sie hatte ihn ſchon in drei Stücke ge¬
ſchnitten, ging zu Baſſet und ſchob ihm ein
Stück mit den Worten auf den Teller: Ei¬
nen beſſern Eierkuchen findet ihr nicht beim
Kommandanten, ihr müßt mich rühmen! —
Finſter blickte Francoeur in die Schüſſel, die
Lücke war faſt ſo groß wie die beiden Stücke,
die noch blieben, er ſtand auf und ſagte:
Es iſt nicht anders, wir ſind geſchieden!
Mit dieſen Worten ging er nach dem Pul¬
verthurme, ſchloß die eiſerne Thüre auf, trat
ein und ſchloß ſie wieder hinter ſich zu. Die
Frau ſah ihm verwirrt nach und ließ die Schüſſel
fallen. Gott, ihn plagt der Böſe; wenn er nur
nicht Unheil ſtiftet im Pulverthurm. — Iſt das
der Pulverthurm? rief Baſſet, er ſprengt ſich in
die Luft, rettet euch und euer Kind! Mit dieſem
Worte lief er fort, auch der Mönch wagte
ſich nicht wieder herein, und lief ihm nach.
Roſalie eilte in die Wohnung zu ihrem Kinde,
riß es aus dem Schlafe, aus der Wiege,
ſie wußte nichts mehr von ſich, bewußtlos
wie ſie Francoeur einſt gefolgt, ſo entfloh
ſie ihm mit dem Kinde und ſagte vor ſich
hin: Kind, das thue ich nur deinetwegen,
mir wäre beſſer mit ihm zu ſterben; Hagar,
du haſt nicht gelitten wie ich, denn ich ver¬
ſtoße mich ſelbſt! — Unter ſolchen Gedan¬
ken kam ſie herab auf einem falſchen Wege
und ſtand am ſumpfigen Ufer des Fluſſes.
Sie konnte aus Ermattung nicht mehr ge¬
hen und ſetzte ſich deswegen in einen Na¬
chen, der, nur leicht ans Ufer gefahren, leicht
abzuſtoſſen war und ließ ſich den Fluß her¬
abtreiben; ſie wagte nicht umzublicken, wenn
am Hafen ein Schuß geſchah, meinte ſie:
das Fort ſei geſprengt, und ihr halbes Le¬
ben verloren, ſo verfiel ſie allmählig in ei¬
nen dumpfen fieberartigen Zuſtand.
Unterdeſſen waren die beiden Soldaten,
mit Aepfeln und Trauben bepackt, in die
Nähe des Forts gekommen, aber Francoeurs
ſtarke Stimme rief ihnen, indem er eine Flin¬
tenkugel über ihre Köpfe abfeuerte: Zurück!
dann ſagte er durch das Sprachrohr: An
der hohen Mauer werde ich mit euch reden,
ich habe hier allein zu befehlen und will
auch allein hier leben, ſo lange es dem
Teufel gefällt! Sie wußten nicht was das
bedeuten ſolle, aber es war nichts anders
zu thun, als dem Willen des Sergeanten
Folge zu leiſten. Sie gingen herab zu
dem ſteilen Abhange des Forts, welcher
die hohe Mauer hieß, und kaum wa¬
ren ſie dort angelangt, ſo ſahen ſie Roſa¬
liens Bette und des Kindes Wiege an einem
Seile niederſinken, dem folgten ihre Betten
und Geräthe und Francoeur rief durch das
Sprachrohr: Das Eurige nehmt; Bette
Wiege und Kleider meiner entlaufenen Frau
bringt zum Kommandanten, da werdet ihr
ſie finden; ſagt: das ſchicke ihr Satanas,
und dieſe alte Fahne, um ihre Schande
mit dem Kommandanten zu zu decken! Bei
dieſen Worten warf er die große franzöſi¬
ſche Flagge, die auf dem Fort geweht hatte,
herab und fuhr fort: dem Kommandanten
laſſe ich hierdurch Krieg erklären, er mag
ſich waffnen bis zum Abend, dann werde ich
mein Feuer eröffnen; er ſoll nicht ſchonen
denn ich ſchone ihn beym Teufel nicht; er
ſoll alle ſeine Hände ausſtrecken, er wird
mich doch nicht fangen; er hat mir den
Schlüſſel zum Pulverthurm gegeben, ich will
ihn brauchen, und wenn er mich zu faſſen
meint, fliege ich mit ihm gen Himmel, vom
Himmel in die Hölle, das wird Staub ge¬
ben. — Brunet wagte endlich zu reden und
rief hinauf: Gedenkt an unſern gnädigſten
König, daß der über euch ſteht, ihm werdet
ihr doch nicht widerſtreben. Dem antwortete
Francoeur: In mir iſt der König aller Kö¬
nige dieſer Welt, in mir iſt der Teufel und im
Namen des Teufels ſage ich euch, redet
kein Wort, ſonſt zerſchmettere ich euch! —
Nach dieſer Drohung packten beide ſtill¬
ſchweigend das Ihre zuſammen und lieſſen
das Uebrige ſtehen; ſie wußten daß oben
große Steinmaſſen angehäuft waren, die
unter der ſteilen Felswand alles zerſchmet¬
tern konnten. Als ſie nach Marſeille zum
Kommandanten kamen, fanden ſie ihn ſchon
in Bewegung, denn Baſſet hatte ihn von
Allem unterrichtet; er ſendete die beiden An¬
kommenden mit einem Wagen nach dem
Fort, um die Sachen der Frau gegen den
drohenden Regen zu ſichern, Andere ſandte
er aus, um die Frau mit dem Kinde auf
zu finden, während er die Offiziere bei ſich
verſammelte, um mit ihnen zu überlegen,
was zu thun ſei? Die Beſorgniß dieſes Kriegs¬
raths richtete ſich beſonders auf den Ver¬
luſt des ſchönen Forts, wenn es in die Luft
geſprengt würde; bald kam aber ein Abge¬
ſandter der Stadt, wo ſich das Gerücht ver¬
breitet hatte, und ſtellte den Untergang des
ſchönſten Theiles der Stadt als ganz un¬
vermeidlich dar. Es wurde allgemein aner¬
kannt, daß mit Gewalt nicht verfahren wer¬
den dürfe, denn Ehre ſei nicht gegen einen
einzelnen Menſchen zu erringen, wohl aber
ein ungeheuerer Verluſt durch Nachgiebig¬
keit abzuwenden; der Schlaf werde die Wuth
Francoeurs doch endlich überwinden, dann
ſollten entſchloſſene Leute das Fort erklettern
und ihn feſſeln. Dieſer Rathſchluß war
kaum gefaßt, ſo wurden die beiden Solda¬
ten eingeführt, welche Roſaliens Betten und
Geräth zurückgebracht hatten. Sie hatten
eine Beſtellung Francoeurs zu überbringen,
daß ihm der Teufel verrathen: ſie wollten
ihn im Schlafe fangen, aber er warne ſie
aus Liebe zu einigen Teufelskammeraden,
die zu dem Unternehmen gebraucht werden
ſollten, denn er werde ruhig in ſeinem ver¬
ſchloſſenen Pulverthurme mit geladenen Ge¬
wehren ſchlafen und ehe ſie die Thüre erbre¬
chen könnten, wäre er längſt erwacht und
der Thurm, mit einem Schuſſe in die Pul¬
verfäſſer, zerſprengt. Er hat recht, ſagte der
Kommandant, er kann nicht anders han¬
deln, wir müſſen ihn aushungern. — Er
hat den ganzen Wintervorrath für uns Alle
hinaufgeſchafft, bemerkte Brunet, wir müſ¬
ſen wenigſtens ein halbes Jahr warten,
auch ſagte er, daß ihm die vorbeifahrenden
Schiffe, welche die Stadt verſorgen, reich¬
lichen Zoll geben ſollten, ſonſt bohre er ſie
in den Grund, und zum Zeichen daß nie¬
mand in der Nacht fahren ſollte, ohne ſeine
Bewilligung, werde er am Abend einige Ku¬
geln über den Fluß ſauſen laſſen. Wahrhaf¬
tig, er ſchießt! rief einer der Offiziere und
Alle liefen nach einem Fenſter des obern
Stockwerks. Welch ein Anblick! an allen
Ecken des Forts eröffneten die Kanonen ih¬
ren feurigen Rachen, die Kugeln ſauſten
durch die Luft, in der Stadt verſteckte ſich
die Menge mit großem Geſchrei und nur
Einzelne wollten ihren Muth im kühnen
Anſchauen der Gefahr beweiſen. Aber ſie
wurden auch reichlich dafür belohnt, denn
mit hellem Lichte ſchoß Francoeur einen
Bündel Raketen aus einer Haubitze in die
Luft, und einen Bündel Leuchtkugeln aus
einem Mörſer, denen er aus Gewehren un¬
zählige andre nachſandte. Der Komman¬
dant verſicherte, dieſe Wirkung ſei treflich,
er habe es nie gewagt, Feuerwerke mit
Wurfgeſchütz in die Luft zu treiben, aber
die Kunſt werde dadurch gewiſſermaſſen zu
einer meteoriſchen, der Francoeur verdiene
ſchon deswegen begnadigt zu werden.
Dieſe nächtliche Erleuchtung hatte eine
andre Wirkung, die wohl in keines Men¬
ſchen Abſicht lag; ſie rettete Roſalien und
ihrem Kinde das Leben. Beide waren in
dem ruhigen Treiben des Kahnes einge¬
ſchlummert und Roſalie ſah im Traume
ihre Mutter von innerlichen Flammen durch¬
leuchtet und verzehrt und fragte ſie: War¬
um ſie ſo leide? Da war’s als ob eine laute
Stimme ihr in die Ohren rief: Mein Fluch
brennt mich wie dich, und kannſt du ihn
nicht löſen, ſo bleib ich eigen allem Böſen.
Sie wollte noch mehr ſprechen, aber Roſa¬
lie war ſchon aufgeſchreckt, ſah über ſich
den Bündel Leuchtkugeln im höchſten Glanze,
hörte neben ſich einen Schiffer rufen: Steu¬
ert links, wir fahren ſonſt ein Boot in den
Grund, worin ein Weib mit einem Kinde
ſitzt. Und ſchon rauſcht die vordere Spitze
eines groſſen Flußſchiffes wie ein geöffneter
Wallfiſchrachen hinter ihr, da wandte er
ſich links, aber ihr Nachen wurde doch ſeit¬
wärts nachgeriſſen. Helft meinem armen
Kinde! rief ſie und der Haken eines Stan¬
genruders verband ſie mit dem großen
Schiffe das bald darauf Ancker warf. Wäre
das Feuerwerk auf dem Fort Ratonneau
nicht aufgegangen, rief der eine Schiffer,
ich hätte euch nicht geſehen und wir hätten
euch ohne böſen Willen in den Grund geſe¬
gelt, wie kommt ihr ſo ſpät und allein aufs
Waſſer, warum habt ihr uns nicht ange¬
ſchrieen? Roſalie beantwortete ſchnell die
Fragen und bat nur dringend, ſie nach dem
Hauſe des Kommandanten zu bringen. Der
Schiffer gab ihr aus Mitleid ſeinen Jungen
zum Führer.
Sie fand Alles in Bewegung beim Kom¬
mandanten, ſie bat ihn ſeines Verſprechens
eingedenk zu ſein, daß er ihrem Manne
drei Verſehen verzeihen wolle. Er leugnete,
daß von ſolchen Verſehen die Rede gewe¬
ſen, es ſei über Scherz und Grillen geklagt
worden, das ſey aber ein teufliſcher Ernſt. — So
iſt das Unrecht auf eurer Seite, ſagte die
Frau gefaßt, denn ſie fühlte ſich nicht mehr
ſchickſallos, auch habe ich den Zuſtand des
armen Mannes angezeigt und doch habt
ihr ihm einen ſo gefährlichen Poſten ver¬
traut, ihr habt mir Geheimniß angelobt,
und doch habt ihr alles an Baſſet, euren
Diener erzählt, der uns mit ſeiner thörigten
Klugheit und Vorwitzigkeit in das ganze
Unglück geſtürzt hat; nicht mein armer
Mann, ihr ſeid an allem Unglück ſchuld,
ihr müßt dem Könige davon Rechenſchaft
geben. — Der Kommandant vertheidigte
ſich gegen den Vorwurf, daß er etwas dem
Baſſet erzählt habe, dieſer geſtand: daß er
ihn im Selbſtgeſpräche belauſcht, und ſo
war die ganze Schuld auf ſeine Seele ge¬
ſchoben. Der alte Mann ſagte: daß er den
andern Tag ſich vor dem Fort wolle todt¬
ſchieſſen laſſen, um ſeinem Könige die Schuld
mit ſeinem Leben abzuzahlen, aber Roſalie
bat ihn, ſich nicht zu übereilen, er möge be¬
denken, daß ſie ihn ſchon einmal aus dem
Feuer gerettet habe. Ihr wurde ein Zim¬
mer im Hauſe des Kommandanten ange¬
wieſen und ſie brachte ihr Kind zur Ruhe,
während ſie ſelbſt mit ſich zu Rathe ging
und zu Gott flehte, ihr anzugeben, wie ſie
ihre Mutter den Flammen und ihren Mann
dem Fluche entreiſſen könne. Aber auf ihren
Knieen verſank ſie in einen tiefen Schlaf
und war ſich am Morgen keines Traumes,
keiner Eingebung bewußt. Der Komman¬
dant, der ſchon früh einen Verſuch gegen
das Fort gemacht hatte, kam verdrießlich
zurück. Zwar hatte er keine Leute verloren,
aber Francoeur hatte ſo viele Kugeln mit
ſolcher Geſchicklichkeit links und rechts und
über ſie hinſauſen laſſen, daß ſie ihr Leben
nur ſeiner Schonung dankten. Den Fluß
hatte er durch Signalſchüſſe geſperrt, auch
auf der Chauſſee durfte niemand fahren,
kurz, aller Verkehr der Stadt war für die¬
ſen Tag gehemmt und die Stadt drohete,
wenn der Kommandant nicht vorſichtig ver¬
fahre, ſondern wie in Feindes Land ihn zu
belagern denke, daß ſie die Bürger aufbieten
und mit den Invaliden ſchon fertig wer¬
den wolle.
Drei Tage ließ ſich der CommandantKommandant
ſo hinhalten, jeden Abend verherrlichte ein
Feuerwerk, jeden Abend erinnerte Roſalie
an ſein Verſprechen der Nachſicht. Am drit¬
ten Abend ſagte er ihr: der Sturm ſei
auf den andern Mittag feſtgeſetzt, die Stadt
gebe
gebe nach, weil aller Verkehr geſtört ſey,
und endlich Hungersnoth ausbrechen könne.
Er werde den Eingang ſtürmen, während
ein andrer Theil von der andern Seite heim¬
lich anzuklettern ſuche, ſo daß dieſe vielleicht
früher ihrem Manne in den Rücken kämen, ehe
er nach dem PnlverthurmPulverthurm ſpringen könne; es
werde Menſchen koſten, der Ausgang ſey
ungewiß, aber er wolle den Schimpf von
ſich ablenken daß durch ſeine Feigheit ein
toller Menſch zu dem Dünkel gekommen:
einer ganzen Stadt zu trotzen, das größte
Unglück ſei ihm lieber, als dieſer Verdacht,
er habe ſeine Angelegenheiten mit der Welt
und vor Gott zu ordnen geſucht, Roſalie
und ihr Kind würden ſich in ſeinem Teſta¬
mente nicht vergeſſen finden. Roſalie fiel
ihm zu Füßen und fragte: was denn das
Schickſal ihres Mannes ſey, wenn er im
Sturme gefangen würde? Der Kommandant
wendete ſich ab und ſagte leiſe: der Tod un¬
ausbleiblich, auf Wahnſinn würde von kei¬
nem Kriegsgerichte erkannt werden, es iſt
zu viel Einſicht, Vorſicht und Klugheit in
IV. [8]
der ganzen Art, wie er ſich nimmt; der Teu¬
fel kann nicht vor Gericht gezogen werden,
er muß für ihn leiden. — Nach einem Strome
von Thränen erholte ſich Roſalie und ſagte:
Wenn ſie das Fort, ohne Blutvergieſſen,
ohne Gefahr, in die Gewalt des Komman¬
danten brächte, würde dann ſein Vergehen
als ein Wahnſinn Begnadigung finden? —
Ja, ich ſchwör’s! rief der Kommandant, aber
es iſt vergeblich, euch haßt er vor Allen,
und rief geſtern einem unſrer Vorpoſten
zu, er wolle das Fort übergeben, wenn wir
ihm den Kopf ſeiner Frau ſchicken könnten.
Ich kenne ihn, ſagte die Frau, ich will den
Teufel beſchwören in ihm, ich will ihm Frie¬
den geben, ſterben würde ich doch mit ihm,
alſo iſt nur Gewinn für mich, wenn ich
von ſeiner Hand ſterbe, der ich vermählt
bin durch den heiligſten Schwur. — Der
Kommandant bat ſie, ſich wohl zu beden¬
ken, erforſchte ihre Abſicht, widerſtand aber
weder ihren Bitten, noch der Hoffnung, auf
dieſem Wege dem gewiſſen Untergange zu
entgehen.
Vater Philip hatte ſich im Hauſe ein¬
gefunden und erzählte: der unſinnige Fran¬
coeur habe jetzt eine große weiße Flagge
ausgeſteckt, auf welcher der Teufel gemahlt
ſey, aber der Kommandant wollte nichts
von ſeinen Neuigkeiten wiſſen, und befahl
ihm: zu Roſalien zu gehen, die ihm beichten
wolle. Nachdem Roſalie ihre Beichte in al¬
ler Ruhe eines gottergebnen Gemüthes ab¬
gelegt hatte, bat ſie den Vater Philip: ſie
nur bis zu einem ſichern Steinwalle zu be¬
gleiten, wo keine Kugel ihn treffen könne,
dort wolle ſie ihm ihr Kind und Geld zur
Erziehung deſſelben übergeben, ſie könne ſich
noch nicht von dem lieben Kinde trennen.
Er verſprach es ihr zögernd, nachdem er
ſich im Hauſe erkundigt hatte: ob er auch
dort noch ſicher gegen die Schüſſe ſei, denn
ſein Glaube, Teufel austreiben zu können,
hatte ſich in ihm ganz verloren, er geſtand,
was er bisher ausgetrieben hätte, möchte
wohl der rechte Teufel nicht geweſen ſein,
ſondern ein geringerer Spuk.
Roſalie kleidete ihr Kind noch einmal
unter mancher Thräne weiß mit rothen
Bandſchleifen an, dann nahm ſie es auf
den Arm und ging ſchweigend die Treppe
hinunter. Unten ſtand der alte Komman¬
dant und konnte ihr nur die Hand drücken
und mußte ſich umwenden, weil er ſich der
Thränen vor den Zuſchauern ſchämte. So
trat ſie auf die Straße, Keiner wußte ihre
Abſicht, Vater Philip blieb etwas zurück, weil
er des Mitgehens gern überhoben geweſen,
dann folgte die Menge müſſiger Menſchen
auf den Straßen, die ihn fragten: was es
bedeute? Viele fluchten auf Roſalien, weil
ſie Francoeurs Frau war, aber dieſer Fluch
berührte ſie nicht.
Der Kommandant führte unterdeſſen
ſeine Leute auf verborgenen Wegen nach
den Plätzen, von welchen der Sturm eröff¬
net werden ſollte, wenn die Frau den Wahn¬
ſinn des Mannes nicht beſchwören könnte.
Am Thore ſchon verließ die Menge
Roſalien, denn Francoeur ſchoß von Zeit
zu Zeit über dieſe Fläche, auch Vater Phi¬
lip klagte, daß ihm ſchwach werde, er müſſe
ſich niederlaſſen. Roſalie bedauerte es und
zeigte ihm den Felſenwall, wo ſie ihr Kind
noch einmal ſtillen und es dann in den
Mantel nieder legen wollte, dort möge es
geſucht werden, da liege es ſicher aufbe¬
wahrt, wenn ſie nicht zu ihm zurück kehren
könne. Vater Philip ſetzte ſich betend hin¬
ter den Felſen und Roſalie ging mit feſtem
Schritt dem Steinwalle zu, wo ſie ihr Kind
tränkte und ſegnete, es in ihren Mantel
wickelte und in Schlummer brachte. Da ver¬
ließ ſie es mit einem Seufzer, der die Wolken
in ihr brach, daß blaue Hellung und das ſtär¬
kende Sonnenbild ſie beſtrahlten. Nun war
ſie dem harten Manne ſichtbar, als ſie am
Steinwalle heraustrat, ein Licht ſchlug am
Thore auf, ein Druck, als ob ſie umſtür¬
zen müßte, ein Rollen in der Luft, ein Sau¬
ſen, daßdas ſich damit miſchte, zeigten ihr an:
daß der Tod nahe an ihr vorüber gegan¬
gen. Es wurde ihr aber nicht mehr bange,
eine Stimme ſagte ihr innerlich: daß nichts
untergehen könne, was dieſen Tag beſtan¬
den und ihre Liebe zum Manne, zum Kinde
regte ſich noch in ihrem Herzen, als ſie ihren
Mann vor ſich auf dem Feſtungswerke ſte¬
hen und laden, das Kind hinter ſich ſchreien
hörte; ſie thaten ihr Beide mehr leid
als ihr eignes Unglück, und der ſchwere
Weg war nicht der ſchwerſte Gedanke ihres
Herzens. Und ein neuer Schuß betäubte
ihre Ohren und ſchmetterte ihr Felsſtaub ins
Geſicht, aber ſie betete und ſah zum Him¬
mel. So betrat ſie den engen Felsgang,
der wie ein verlängerter Lauf, für zwei mit
Kartätſchen geladene Kanonen mit bos¬
haftem Geize die Maſſe des verderblichen
Schuſſes gegen die Andringenden zuſammen
zu halten beſtimmt war. — Was ſiehſt du
Weib! brüllte Francoeur, ſieh nicht in die
Luft, deine Engel kommen nicht, hier ſteht
dein Teufel und dein Tod. — Nicht Tod,
nicht Teufel trennen mich mehr von dir,
ſagte ſie getroſt, und ſchritt weiter hinauf
die großen Stufen. Weib, ſchrie er, du haſt
mehr Muth als der Teufel, aber es ſoll dir
doch nichts helfen. — Er blies die Lunte
an, die eben verlöſchen wollte, der Schweis
ſtand ihm hellglänzend über Stirn und
Wangen, es war als ob zwei Naturen in
ihm rangen. Und Roſalie wollte nicht die¬
ſen Kampf hemmen und der Zeit vorgrei¬
fen, auf die ſie zu vertrauen begann; ſie
ging nicht vor, ſie kniete auf die Stufe nie¬
der, als ſie drei Stufen von den Kanonen
entfernt war, wo ſich das Feuer kreutzte.
Er riß Rock und Weſte an der Bruſt auf,
um ſich Luft zu machen, er griff in ſein
ſchwarzes Haar, das verwildert in Locken
ſtarrte und riß es ſich wüthend aus. Da öff¬
nete ſich die Wunde am Kopfe in dem wil¬
den Erſchüttern durch Schläge, die er an
ſeine Stirn führte, Thränen und Blut löſch¬
ten den brennenden Zundſtrick, ein Wirbel¬
wind warf das Pulver von den Zündlö¬
chern der Kanonen und die Teufelsflagge
vom Thurm. Der Schornſteinfeger macht
ſich Platz, er ſchreit zum Schornſtein hin¬
aus! rief er, und deckte ſeine Augen. Dann
beſann er ſich, öffnete die Gitterthüre, ſchwankte
zu ſeiner Frau, hob ſie auf, küßte ſie, end¬
lich ſagte er: Der ſchwarze Bergmann hat
ſich durchgearbeitet, es ſtrahlt wieder Licht
in meinen Kopf und Luft zieht hindurch
und die Liebe ſoll wieder ein Feuer zünden,
daß uns nicht mehr friert. Ach Gott, was
hab' ich in dieſen Tagen verbrochen. Laß
nnsuns nicht feiern, ſie werden mir nur wenig
Stunden noch ſchenken, wo iſt mein Kind,
ich muß es küſſen, weil ich noch frei bin;
was iſt ſterben? Starb' ich nicht ſchon ein¬
mal, als du mich verlaſſen und nun kommſt
du wieder und dein Kommen giebt mir
mehr, als dein Scheiden mir nehmen konnte,
ein unendliches Gefühl meines Daſeins, deſ¬
ſen Augenblicke mir genügen. Nun lebte ich
gern mit dir und wäre deine Schuld noch
größer als meine Verzweiflung geweſen,
aber ich kenne das Kriegsgeſetz und ich kann
nun Gottlob in Vernunft als ein reuiger
Chriſt ſterben. — Roſalie konnte in ihrer
Entzückung, von ihren Thränen faſt er¬
ſtickt, kaum ſagen, daß ihm verziehen, daß
ſie ohne Schuld und ihr Kind nahe ſey.
Sie verband ſeine Wunde in Eile, dann zog
ſie ihn die Stufen hinunter bis hin zu dem
Steinwalle, wo ſie das Kind verlaſſen. Da fan¬
den ſie den guten Vater Philip bei dem Kinde,
der allmählig hinter Felsſtücken zu ihm hin¬
geſchlichen war, und das Kind ließ etwas
aus den Händen fliegen, um nach dem Va¬
ter ſie auszuſtrecken. Und während ſich alle
drei umarmt hielten, erzählte Vater Philip,
wie ein Taubenpaar vom Schloß herunter
geflattert ſei und mit dem Kinde artig ge¬
ſpielt, ſich von ihm habe anrühren laſſen,
und es gleichſam in ſeiner Verlaſſenheit ge¬
tröſtet habe. Als er das geſehen, habe er
ſich dem Kinde zu nahen gewagt. Sie wa¬
ren, wie gute Engel, meines Kindes Spiel¬
kammeraden auf dem Fort geweſen, ſie ha¬
ben es treulich aufgeſucht, ſie kommen ſicher
wieder und werden es nicht verlaſſen. Und
wirklich umflogen ſie die Tauben freundlich
und trugen in ihren Schnäbeln grüne Blät¬
ter. Die Sünde iſt uns geſchieden, ſagte
Francoeur nie will ich wieder auf den Frie¬
den ſchelten, der Friede thut mir ſo gut.
Inzwiſchen hatte ſich der Kommandant
mit ſeinen Offizieren genähert, weil er den
glücklichen Ausgang durch ſein Fernrohr
geſehen. FraucoeurFrancoeur übergab ihm ſeinen De¬
gen, er kündigte Francoeur Verzeihung an,
weil ſeine Wunde ihn des Verſtandes be¬
raubt gehabt und befahl einem Chirurgen:
dieſe Wunde zu unterſuchen und beßer zu ver¬
binden. Francoeur ſetzte ſich nieder und ließ
ruhig Alles mit ſich geſchehen, er ſah nur Frau
und Kind an. Der Chirurg wunderte ſich,
daß er keinen Schmerz zeigte, er zog ihm
einen Knochenſplitter aus der Wunde, der
rings umher eine Eiterung hervorgebracht
hatte; es ſchien als ob die gewaltige Natur
Francoeurs ununterbrochen und allmählig an
der Hinausſchaffung gearbeitet habe, bis ihm
endlich äußere Gewalt, die eigne Hand ſeiner
Verzweiflung die äußere Rinde durchbro¬
chen. Er verſicherte, daß ohne dieſe glückliche
Fügung ein unheilbarer Wahnſinn den un¬
glücklichen Francoeur hätte aufzehren müſ¬
ſen. Damit ihm keine Anſtrengung ſchade,
wurde er auf einen Wagen gelegt und ſein
Einzug in Marſeille glich unter einem Volke,
das Kühnheit immer mehr als Güte zu
achten weiß, einem Triumphzuge; die Frauen
warfen Lorbeerkränze auf den Wagen, Alles
drängte ſich den ſtolzen Böſewich tBöſewicht kennen
zu lernen, der ſo viele tauſend Menſchen
während drei Tage beherrſcht hatte. Die
Männer aber reichten ihre Blumenkränze
Roſalien und ihrem Kinde und rühmten ſie
als BrfreierinBefreierin und ſchwuren ihr und dem
Kinde reichlich zu vergelten, daß ſie ihre
Stadt vom Untergange gerettet habe.
Nach ſolchem Tage läßt ſich in einem
Menſchenleben ſelten noch etwas erleben,
was der Mühe des Erzählens werth wäre,
wenn gleich die Wiederbeglückten, die Fluch¬
befreiten, erſt in dieſen ruhigeren Jahren
den ganzen Umfang des gewonnenen Glücks
erkannten. Der gute alte Kommandant nahm
Francoeur als Sohn an und konnte er ihm
auch nicht ſeinen Namen übertragen, ſo ließ
er ihm doch einen Theil ſeines Vermögens
und ſeinen Segen. Was aber Roſalie noch
inniger berührte, war ein Bericht, der erſt
nach Jahren aus Prag einlief, in welchem
ein Freund der Mutter anzeigte, daß dieſe
wohl ein Jahr, unter verzehrenden Schmer¬
zen, den Fluch bereut habe, den ſie über
ihre Tochter ausgeſtoſſen, und, bei dem ſehn¬
lichen Wunſche nach Erlöſung des Leibes
und der Seele, ſich und der Welt zum Ueber¬
druß bis zu dem Tage gelebt habe, der
Roſaliens Treue und Ergebenheit in Gott
gekrönt, an dem Tage ſei ſie, durch einen
Strahl aus ihrem Innern beruhigt, im
gläubigen Bekenntniß des Erlöſers ſelig ent¬
ſchlafen.
Gnade löſt den Fluch der Sünde,
Liebe treibt den Teufel aus.