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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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Vaterlande den Wasserspiegel herabsah, da schien mir auch jener
Boden befreundet mit seiner zornigen rothen Abendsonne. --
Noch nicht ganz erdrückt von der ernsthaften Dummheit die ihr
aufgebürdet, lebt euch das fröhliche gesangreiche Symbol des
werkthätigen Lebens, die Freimaurerey. Noch stehen mitten
inne als Künstler und Erfinder der neuen Welt die herrlichen
Studenten; sie beften die höchsten Blüthen ihrer frischen Jahre
sich an den bezeichnenden Hut und lassen die farbigen Blätter
hinwehen weit über Berg und Thal und in die Wasser. -- Auch
die Bänke der rauchenden Wachstuben werden nicht immer von
den Musen gemieden, und wenn sie auch zuweilen nicht hinein
können, so sehen sie doch nach ihrem Lieblingssitz durch die Fen-
ster: wenn die überwachte Schildwache Nachts ein schauerliches
Anschlagen der Gewehre hört, sie spielen mit den blanken schnell-
fertigen, lebendigen Gewehren. Es wird eine Zeit kommen, wo
die drückende langweilige Waffenübung allen die höchste Lust und
Ehre, das erste der öffentlichen Spiele, höchste Kraft und Zier-
lichkeit zu einem Tanze verbunden ausdrücket. Für jede Thätig-
keit giebt es einen Preis, wer diesen kennt, hat jene. Wer hat
es erlebt, was den Schwindelnden auf glattem Stege hält, un-
ter ihm brauset der Strom, Felsen und Bäume drehen sich
über ihm, -- ein mächtiger Marsch hält ihn, fällt er ihm zur
rechten Zeit ein, und aller Schwindel verschwindet; wie die
Tritte hinter seinem Rücken. So begreift man Taillefers Ge-
sang, der in jener berühmten Schlacht bey Hastings, England
für Wilhelm eroberte, indem er die unerschütterliche Ordnung
der Sachsen durchschrie. So mag auch wohl die Macht der ru-
mischen Verse gewesen seyn. Wir begreifen nun leicht, wie
unsere gebildetere Zeiten bey der Vernachläßigung des ärmeren
Lebens (denn das sind die unteren Klassen jetzt) so viele leere
Kriegslieder entstehen sahen, während jeder der früheren deut-

Vaterlande den Waſſerſpiegel herabſah, da ſchien mir auch jener
Boden befreundet mit ſeiner zornigen rothen Abendſonne. —
Noch nicht ganz erdruͤckt von der ernſthaften Dummheit die ihr
aufgebuͤrdet, lebt euch das froͤhliche geſangreiche Symbol des
werkthaͤtigen Lebens, die Freimaurerey. Noch ſtehen mitten
inne als Kuͤnſtler und Erfinder der neuen Welt die herrlichen
Studenten; ſie beften die hoͤchſten Bluͤthen ihrer friſchen Jahre
ſich an den bezeichnenden Hut und laſſen die farbigen Blaͤtter
hinwehen weit uͤber Berg und Thal und in die Waſſer. — Auch
die Baͤnke der rauchenden Wachſtuben werden nicht immer von
den Muſen gemieden, und wenn ſie auch zuweilen nicht hinein
koͤnnen, ſo ſehen ſie doch nach ihrem Lieblingsſitz durch die Fen-
ſter: wenn die uͤberwachte Schildwache Nachts ein ſchauerliches
Anſchlagen der Gewehre hoͤrt, ſie ſpielen mit den blanken ſchnell-
fertigen, lebendigen Gewehren. Es wird eine Zeit kommen, wo
die druͤckende langweilige Waffenuͤbung allen die hoͤchſte Luſt und
Ehre, das erſte der oͤffentlichen Spiele, hoͤchſte Kraft und Zier-
lichkeit zu einem Tanze verbunden ausdruͤcket. Fuͤr jede Thaͤtig-
keit giebt es einen Preis, wer dieſen kennt, hat jene. Wer hat
es erlebt, was den Schwindelnden auf glattem Stege haͤlt, un-
ter ihm brauſet der Strom, Felſen und Baͤume drehen ſich
uͤber ihm, — ein maͤchtiger Marſch haͤlt ihn, faͤllt er ihm zur
rechten Zeit ein, und aller Schwindel verſchwindet; wie die
Tritte hinter ſeinem Ruͤcken. So begreift man Taillefers Ge-
ſang, der in jener beruͤhmten Schlacht bey Haſtings, England
fuͤr Wilhelm eroberte, indem er die unerſchuͤtterliche Ordnung
der Sachſen durchſchrie. So mag auch wohl die Macht der ru-
miſchen Verſe geweſen ſeyn. Wir begreifen nun leicht, wie
unſere gebildetere Zeiten bey der Vernachlaͤßigung des aͤrmeren
Lebens (denn das ſind die unteren Klaſſen jetzt) ſo viele leere
Kriegslieder entſtehen ſahen, waͤhrend jeder der fruͤheren deut-

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[448[458]/0467] Vaterlande den Waſſerſpiegel herabſah, da ſchien mir auch jener Boden befreundet mit ſeiner zornigen rothen Abendſonne. — Noch nicht ganz erdruͤckt von der ernſthaften Dummheit die ihr aufgebuͤrdet, lebt euch das froͤhliche geſangreiche Symbol des werkthaͤtigen Lebens, die Freimaurerey. Noch ſtehen mitten inne als Kuͤnſtler und Erfinder der neuen Welt die herrlichen Studenten; ſie beften die hoͤchſten Bluͤthen ihrer friſchen Jahre ſich an den bezeichnenden Hut und laſſen die farbigen Blaͤtter hinwehen weit uͤber Berg und Thal und in die Waſſer. — Auch die Baͤnke der rauchenden Wachſtuben werden nicht immer von den Muſen gemieden, und wenn ſie auch zuweilen nicht hinein koͤnnen, ſo ſehen ſie doch nach ihrem Lieblingsſitz durch die Fen- ſter: wenn die uͤberwachte Schildwache Nachts ein ſchauerliches Anſchlagen der Gewehre hoͤrt, ſie ſpielen mit den blanken ſchnell- fertigen, lebendigen Gewehren. Es wird eine Zeit kommen, wo die druͤckende langweilige Waffenuͤbung allen die hoͤchſte Luſt und Ehre, das erſte der oͤffentlichen Spiele, hoͤchſte Kraft und Zier- lichkeit zu einem Tanze verbunden ausdruͤcket. Fuͤr jede Thaͤtig- keit giebt es einen Preis, wer dieſen kennt, hat jene. Wer hat es erlebt, was den Schwindelnden auf glattem Stege haͤlt, un- ter ihm brauſet der Strom, Felſen und Baͤume drehen ſich uͤber ihm, — ein maͤchtiger Marſch haͤlt ihn, faͤllt er ihm zur rechten Zeit ein, und aller Schwindel verſchwindet; wie die Tritte hinter ſeinem Ruͤcken. So begreift man Taillefers Ge- ſang, der in jener beruͤhmten Schlacht bey Haſtings, England fuͤr Wilhelm eroberte, indem er die unerſchuͤtterliche Ordnung der Sachſen durchſchrie. So mag auch wohl die Macht der ru- miſchen Verſe geweſen ſeyn. Wir begreifen nun leicht, wie unſere gebildetere Zeiten bey der Vernachlaͤßigung des aͤrmeren Lebens (denn das ſind die unteren Klaſſen jetzt) ſo viele leere Kriegslieder entſtehen ſahen, waͤhrend jeder der fruͤheren deut-

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 448[458]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/467>, abgerufen am 24.11.2024.