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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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der Welt, wenn sie ihr nothwendig, ohne Volksthätigkeit ist
kein Volkslied und selten eine Volksthätigkeit ohne dieses, es
hat jede Kraft ihre Erscheinung, und was sich vorübergehend
in der Handlung zeigt, das zeigt in der Kunst seine Dauer
beym müssigen Augenblicke. Kritik ist dann ganz unmöglich, es
giebt nur Bessermachen und Anerkennen, nichts ganz Schlech-
tes; unendlich viel läst sich dann in der Kunst thun, wenig
darüber sagen denn sie spricht zu allen und in allen wieder,
kein Vorwurf ist dann das Gemeine, so wenig es den Wäldern
Vorwurf, daß sie alle grün, denn das Höchste, das Schaffende
wird das Gemeinste, der Dichter ein Gemeingeist, ein spiritus
familiaris
in der Weltgemeine. --

Daß aber Volksthätigkeit wirklich fehle, wer zweifelt, es
fehlt an Krieg, es fehlt an Frieden, eine unerschwingliche Last
wälzt sich den Sohnen auf! -- Daß ich klage, werden Sie
sagen, was ich selbst als die höchste Lästerung des Jahrhunderts
angeklagt; wer kann sich freymachen allein, aber drein wettern
möchte ich können mit Fluch und Blitz: Blau Feuer, sagte der
wackere Schärtlin, alle Kopisterey und Kortisaney zerrissen, wir
würden alle reich! Seit ich denken kann, merke ich einen immer
langsamern Gang menschlicher Thätigkeit, wie die Stunden der
Ruhe und Nahrung einander verdrängen und beeinträchtigen, so
haben alle Leidenschaften und Liebhabereyen ihre kürzere Perio-
de, geringeren Grad; die meisten springen von ihrem Geschäfte
ab, wie dürres Holz vom Heerd, ja viele dringen nie bis zu
der Einigkeit der Welt mit sich vor, wo eines sie erfüllen und
befriedigen kann, das sind die sehnenden, wähnenden Embryo-
nen von Menschen, wenigen ist Jugend, wenigen Alter. Wie
die Balken unsrer Decken heutiges Tags von einem sonst unbe-
kannten Schwamme verschwächt werden, so werden die Menschen
um uns plötzlich hohl und leer, da sie noch kaum angefangen zu

der Welt, wenn ſie ihr nothwendig, ohne Volksthaͤtigkeit iſt
kein Volkslied und ſelten eine Volksthaͤtigkeit ohne dieſes, es
hat jede Kraft ihre Erſcheinung, und was ſich voruͤbergehend
in der Handlung zeigt, das zeigt in der Kunſt ſeine Dauer
beym muͤſſigen Augenblicke. Kritik iſt dann ganz unmoͤglich, es
giebt nur Beſſermachen und Anerkennen, nichts ganz Schlech-
tes; unendlich viel laͤſt ſich dann in der Kunſt thun, wenig
daruͤber ſagen denn ſie ſpricht zu allen und in allen wieder,
kein Vorwurf iſt dann das Gemeine, ſo wenig es den Waͤldern
Vorwurf, daß ſie alle gruͤn, denn das Hoͤchſte, das Schaffende
wird das Gemeinſte, der Dichter ein Gemeingeiſt, ein spiritus
familiaris
in der Weltgemeine. —

Daß aber Volksthaͤtigkeit wirklich fehle, wer zweifelt, es
fehlt an Krieg, es fehlt an Frieden, eine unerſchwingliche Laſt
waͤlzt ſich den Sohnen auf! — Daß ich klage, werden Sie
ſagen, was ich ſelbſt als die hoͤchſte Laͤſterung des Jahrhunderts
angeklagt; wer kann ſich freymachen allein, aber drein wettern
moͤchte ich koͤnnen mit Fluch und Blitz: Blau Feuer, ſagte der
wackere Schaͤrtlin, alle Kopiſterey und Kortiſaney zerriſſen, wir
wuͤrden alle reich! Seit ich denken kann, merke ich einen immer
langſamern Gang menſchlicher Thaͤtigkeit, wie die Stunden der
Ruhe und Nahrung einander verdraͤngen und beeintraͤchtigen, ſo
haben alle Leidenſchaften und Liebhabereyen ihre kuͤrzere Perio-
de, geringeren Grad; die meiſten ſpringen von ihrem Geſchaͤfte
ab, wie duͤrres Holz vom Heerd, ja viele dringen nie bis zu
der Einigkeit der Welt mit ſich vor, wo eines ſie erfuͤllen und
befriedigen kann, das ſind die ſehnenden, waͤhnenden Embryo-
nen von Menſchen, wenigen iſt Jugend, wenigen Alter. Wie
die Balken unſrer Decken heutiges Tags von einem ſonſt unbe-
kannten Schwamme verſchwaͤcht werden, ſo werden die Menſchen
um uns ploͤtzlich hohl und leer, da ſie noch kaum angefangen zu

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[444[454]/0463] der Welt, wenn ſie ihr nothwendig, ohne Volksthaͤtigkeit iſt kein Volkslied und ſelten eine Volksthaͤtigkeit ohne dieſes, es hat jede Kraft ihre Erſcheinung, und was ſich voruͤbergehend in der Handlung zeigt, das zeigt in der Kunſt ſeine Dauer beym muͤſſigen Augenblicke. Kritik iſt dann ganz unmoͤglich, es giebt nur Beſſermachen und Anerkennen, nichts ganz Schlech- tes; unendlich viel laͤſt ſich dann in der Kunſt thun, wenig daruͤber ſagen denn ſie ſpricht zu allen und in allen wieder, kein Vorwurf iſt dann das Gemeine, ſo wenig es den Waͤldern Vorwurf, daß ſie alle gruͤn, denn das Hoͤchſte, das Schaffende wird das Gemeinſte, der Dichter ein Gemeingeiſt, ein spiritus familiaris in der Weltgemeine. — Daß aber Volksthaͤtigkeit wirklich fehle, wer zweifelt, es fehlt an Krieg, es fehlt an Frieden, eine unerſchwingliche Laſt waͤlzt ſich den Sohnen auf! — Daß ich klage, werden Sie ſagen, was ich ſelbſt als die hoͤchſte Laͤſterung des Jahrhunderts angeklagt; wer kann ſich freymachen allein, aber drein wettern moͤchte ich koͤnnen mit Fluch und Blitz: Blau Feuer, ſagte der wackere Schaͤrtlin, alle Kopiſterey und Kortiſaney zerriſſen, wir wuͤrden alle reich! Seit ich denken kann, merke ich einen immer langſamern Gang menſchlicher Thaͤtigkeit, wie die Stunden der Ruhe und Nahrung einander verdraͤngen und beeintraͤchtigen, ſo haben alle Leidenſchaften und Liebhabereyen ihre kuͤrzere Perio- de, geringeren Grad; die meiſten ſpringen von ihrem Geſchaͤfte ab, wie duͤrres Holz vom Heerd, ja viele dringen nie bis zu der Einigkeit der Welt mit ſich vor, wo eines ſie erfuͤllen und befriedigen kann, das ſind die ſehnenden, waͤhnenden Embryo- nen von Menſchen, wenigen iſt Jugend, wenigen Alter. Wie die Balken unſrer Decken heutiges Tags von einem ſonſt unbe- kannten Schwamme verſchwaͤcht werden, ſo werden die Menſchen um uns ploͤtzlich hohl und leer, da ſie noch kaum angefangen zu

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 444[454]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/463>, abgerufen am 22.11.2024.