der Instrumentalität eurer Kehle durch Himmel und Hölle äng- stigen, denkt doch daran, daß dicht vor euch ein großes physika- lisches Kabinet von geraden und krummen hölzernen und blecher- nen Röhren und Instrumenten steht, die alle einen höheren, helleren, dauerndern, wechselndern Ton geben als ihr, daß aber das Abbild des höchsten Lebens oder das höchste Leben selbst, Sinn und Wort, vom Ton menschlich getragen, auch einzig nur aus dem Munde des Menschen sich offenbaren könne. Ver- steckt euch eben so wenig hinter welschen Liedern, dem einheimi- schen Gefühl entzogen seyd ihr dem Fremden nur abgeschmackt. Nein, es ist kein Vorurtheil der Italiäner, daß jenseit der Al- pen nicht mehr Italiänisch gesungen werde, daß selbst nationale Sänger ihren reinen italiänischen Gesang in der Fremde verlie- ren: Denkt auch daran, daß es gar nichts sagt, fremde Spra- chen melodischer zu nennen, als daß ihr unfähig seyd und un- würdig der euern. Das weiß ich wohl, die Kunstübung erbt ohne meinen Rath, wie die Pocken, in allen kränklichen Rei- zungen der Städtlichkeit, Philosophie und Liederlichkeit auf alle Wohlgesittete, die sich den Bart nicht scheren, wenn er lang, sondern wenn ihr Tag gekommen; nicht einheizen, wenn sie frieren, sondern wenn ihre Stunde kommen, ja es giebt ordent- liche Register über die Kunst auf dem Rücken aller der bunt- jäckigen Leute, denen die alten Komödienzettel auf den Rücken geklebt, ich meine die Journalisten. Wie vielmal diese Vögel- scheuchen mit ihren unmaßgeblichen Meinungen sich drehen, wo- hin der Schlauch der Kunstspritzen sich wendet, die Kunst wen- det sich selten mit der Noth unsrer Zeit zu einer reinen Thätig- keit, sie ist fast nie nothwendig, sondern den meisten eine böse Angewohnheit (wie der Schnupf-Tabak, die Leute verwundern sich, wie schnell sie den Geschmack aufgeben, wenn sie die Dose einmal in eine andre Tasche stecken). Es müste sonderbar in
der Inſtrumentalitaͤt eurer Kehle durch Himmel und Hoͤlle aͤng- ſtigen, denkt doch daran, daß dicht vor euch ein großes phyſika- liſches Kabinet von geraden und krummen hoͤlzernen und blecher- nen Roͤhren und Inſtrumenten ſteht, die alle einen hoͤheren, helleren, dauerndern, wechſelndern Ton geben als ihr, daß aber das Abbild des hoͤchſten Lebens oder das hoͤchſte Leben ſelbſt, Sinn und Wort, vom Ton menſchlich getragen, auch einzig nur aus dem Munde des Menſchen ſich offenbaren koͤnne. Ver- ſteckt euch eben ſo wenig hinter welſchen Liedern, dem einheimi- ſchen Gefuͤhl entzogen ſeyd ihr dem Fremden nur abgeſchmackt. Nein, es iſt kein Vorurtheil der Italiaͤner, daß jenſeit der Al- pen nicht mehr Italiaͤniſch geſungen werde, daß ſelbſt nationale Saͤnger ihren reinen italiaͤniſchen Geſang in der Fremde verlie- ren: Denkt auch daran, daß es gar nichts ſagt, fremde Spra- chen melodiſcher zu nennen, als daß ihr unfaͤhig ſeyd und un- wuͤrdig der euern. Das weiß ich wohl, die Kunſtuͤbung erbt ohne meinen Rath, wie die Pocken, in allen kraͤnklichen Rei- zungen der Staͤdtlichkeit, Philoſophie und Liederlichkeit auf alle Wohlgeſittete, die ſich den Bart nicht ſcheren, wenn er lang, ſondern wenn ihr Tag gekommen; nicht einheizen, wenn ſie frieren, ſondern wenn ihre Stunde kommen, ja es giebt ordent- liche Regiſter uͤber die Kunſt auf dem Ruͤcken aller der bunt- jaͤckigen Leute, denen die alten Komoͤdienzettel auf den Ruͤcken geklebt, ich meine die Journaliſten. Wie vielmal dieſe Voͤgel- ſcheuchen mit ihren unmaßgeblichen Meinungen ſich drehen, wo- hin der Schlauch der Kunſtſpritzen ſich wendet, die Kunſt wen- det ſich ſelten mit der Noth unſrer Zeit zu einer reinen Thaͤtig- keit, ſie iſt faſt nie nothwendig, ſondern den meiſten eine boͤſe Angewohnheit (wie der Schnupf-Tabak, die Leute verwundern ſich, wie ſchnell ſie den Geſchmack aufgeben, wenn ſie die Doſe einmal in eine andre Taſche ſtecken). Es muͤſte ſonderbar in
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[433[443]/0452]
der Inſtrumentalitaͤt eurer Kehle durch Himmel und Hoͤlle aͤng-
ſtigen, denkt doch daran, daß dicht vor euch ein großes phyſika-
liſches Kabinet von geraden und krummen hoͤlzernen und blecher-
nen Roͤhren und Inſtrumenten ſteht, die alle einen hoͤheren,
helleren, dauerndern, wechſelndern Ton geben als ihr, daß aber
das Abbild des hoͤchſten Lebens oder das hoͤchſte Leben ſelbſt,
Sinn und Wort, vom Ton menſchlich getragen, auch einzig
nur aus dem Munde des Menſchen ſich offenbaren koͤnne. Ver-
ſteckt euch eben ſo wenig hinter welſchen Liedern, dem einheimi-
ſchen Gefuͤhl entzogen ſeyd ihr dem Fremden nur abgeſchmackt.
Nein, es iſt kein Vorurtheil der Italiaͤner, daß jenſeit der Al-
pen nicht mehr Italiaͤniſch geſungen werde, daß ſelbſt nationale
Saͤnger ihren reinen italiaͤniſchen Geſang in der Fremde verlie-
ren: Denkt auch daran, daß es gar nichts ſagt, fremde Spra-
chen melodiſcher zu nennen, als daß ihr unfaͤhig ſeyd und un-
wuͤrdig der euern. Das weiß ich wohl, die Kunſtuͤbung erbt
ohne meinen Rath, wie die Pocken, in allen kraͤnklichen Rei-
zungen der Staͤdtlichkeit, Philoſophie und Liederlichkeit auf alle
Wohlgeſittete, die ſich den Bart nicht ſcheren, wenn er lang,
ſondern wenn ihr Tag gekommen; nicht einheizen, wenn ſie
frieren, ſondern wenn ihre Stunde kommen, ja es giebt ordent-
liche Regiſter uͤber die Kunſt auf dem Ruͤcken aller der bunt-
jaͤckigen Leute, denen die alten Komoͤdienzettel auf den Ruͤcken
geklebt, ich meine die Journaliſten. Wie vielmal dieſe Voͤgel-
ſcheuchen mit ihren unmaßgeblichen Meinungen ſich drehen, wo-
hin der Schlauch der Kunſtſpritzen ſich wendet, die Kunſt wen-
det ſich ſelten mit der Noth unſrer Zeit zu einer reinen Thaͤtig-
keit, ſie iſt faſt nie nothwendig, ſondern den meiſten eine boͤſe
Angewohnheit (wie der Schnupf-Tabak, die Leute verwundern
ſich, wie ſchnell ſie den Geſchmack aufgeben, wenn ſie die Doſe
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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 433[443]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/452>, abgerufen am 22.11.2024.
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